Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Archives: August 2013

Der Ausdruck „Oldies“ für in die Jahre gekommene Rockstars und -legenden ist natürlich flapsig, aber wer will sich nicht ein wenig wappnen, wenn in kurzer Zeit lauter Wiederkehrer und Nie-Wirklich-Verschwundene mit neuen Werken angekündigt, und noch dazu mit Vorschusslorbeeren und ersten, fast hymnischen, Kritiken abgefeiert werden. Paul McCartney, Yoko Ono, Roy Harper, Elton John. Der erste Titel, der von Maccas neuem Werk im Netz auftauchte, ist schon mal von edler Banalität, mit Bläserblödsinn und Plastik um den Restcharme der berühmten Stimme geschnürt. Yoko Ono soll wieder mal durch die Hölle gehen, und Radikales abliefern, was, nach dem Erreichen des 80. Lebensjahres, entweder äusserst schrullig oder durchaus berauschend werden könnte. Roy Harper wird manchen nur als flüchtiger Schatten in Erinnerung sein (und ich bin einfach mal neugierig), und Elton John, da möchte ich gleich mit den Augen rollen, aber, nun gut, es gab mal eine Platte wie YELLOW BRICK ROAD, die mich als Kind erfreute (Erinnerungen mit Tri-Top, Uschi Nehrke, und James Last im Plattenschrank der Eltern). Ja, Peter Gabriel taucht auch in dieser Runde auf, allerdings nur als Liederlieferant: was wird Lou Reed mit „Solisbury Hills“ anstellen, was Brian Eno mit einem Song über eine „femme fatale“ aus seinem zweiten Soloalbum? Wir üben uns in Geduld.

Whether Bernard Parmegiani uses, on DE NATURA SONORUM, instrumental sounds straight or subjects them to some distorting process, they’re sufficiently divorced from the act of playing that that’s not what you’re likely to imagine when you hear them. What will you hear, then, and how will it make it feel? That’s up to you; that’s the experiment. Parmegiani’s genius is the way he takes sounds and finds in them some compelling quality. Then he arranges them in ways that are quite devoid of narrative, but full of surprise on first listen and deepening fascination on subsequent spins. This vinyl reissue, spread across two records and cut at 45 rpm, does a marvelous job of imparting the sounds’ impact and differential placement across the stereo spectrum. If you’re looking for hi-fi fodder, this record might induce you to retire your 200-gram, Direct Metal Mastered copy of Steely Dan’s Aja.

2013 31 Aug

Chloroformierte Vierzehnjährige im Tweedkostüm

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Sehr treffend, das Fazit, das Friedmar Pape heute in der FAZ zieht, in der Vorstellung des neuen Hörbuches von Max Goldt: „Es gibt niemanden, der so viel Intelligenz an „Details des schnöden Weltunterganges“ wendet. Wer dem Kleist-Preisträger von 2008 zuhört, betrachtet danach die gebrechliche Einrichtung der Sprache und der Dingwelt für eine Weile aufmerksamer zugleich und heiterer als zuvor.“ Man erinnere sich nur daran, dass, „werch schöner Illtum“, Max Goldt einst bei Dieter Thomas Heck auftrat, zwischen Howard Carpendale und Nena. Dabei hatte er sich doch von früh an, seinem Vorbild Karl Kraus folgend, „der Trockenlegung des deutschen Sprachsumpfes“ gewidmet.

2013 30 Aug

For ECM music lovers

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German daily Stuttgarter Zeitung on the box set Selected Signs – Music selected for the exhibition ECM – A Cultural Archaeology at Haus der Kunst Munich

Eicher und sein Mitstreiter Steve Lake hatten eine Reihe von Musikprogrammen produziert, die den flanierenden Ausstellungsbesucher zur Einkehr unter Kopfhörer einlud. Als ‚Selected Signs‘ sind sie jetzt in einer 6-CD-Box gebündelt erschienen. Ein beiliegender Text stellt fest, dass dies nicht der Soundtrack der Ausstellung sei, sondern eine Weiterung und Alternative. Selten wird an das Konzept der Ausstellung angeknüpft, wenn etwa Steve Reich, Meredith Monk oder Egberto Gismonti zu hören sind, doch durchmessen diese dramaturgisch äußerst stimmig kompilierten ‚Mixtapes‘ ein ungleich weiteres Feld. Hier trifft Heiner Goebbels auf György Kurtág, Colin Vallon auf Christian Wallumröd. Was passiert, wenn die Filmmusik von Andrej Dergatchev auf Molvaers ‚Khmer‘ trifft? Colemans ‚Lonely Woman‘ auf Robin Williamsons keltischen Folk? Welch ein Kosmos, der hier souverän ausgeschritten wird.
Ulrich Kriest, Stuttgarter Zeitung

1) The Duckworth Lewis Method THE DUCKWORTH LEWIS METHOD 
2) The National Jazz Trio Of Scotland STANDARDS VOL. 2 
3) Nits MALPENSA
4) Seaworthy +Taylor Deupree WOOD, WINTER, HOLLOW
5) Jan Bang NARRATIVE FROM THE SUBTROPICS
6) Yeahwon Shin LUA YA
7) Bob Dylan ANOTHER SELF PORTRAIT 
8) Bill Callahan DREAM RIVER 
9) Nils Petter Molvaer / Moritz von Oswald 1\1
10) Burning Spear GARVEY’S GHOST

„One of the most revered artists in reggae, Burning Spear is nonetheless an acquired taste. His material is almost exclusively cultural and/or religious, staid, often somber, and just plain heavy in a similar way to Prince Far I, meaning that I can’t always sit and listen to Burning Spear’s stuff for an extended period of time. The 100th Anniversary includes the album Marcus Garvey and its dub Garvey’s Ghost — In my opinion, Garvey’s Ghost is even stronger, since it focuses on the music and because in the structure of Burning Spear’s songs, the loose verses are minor in comparison to the chanting choruses. The dubs drop most of the verses, but keep the choruses, giving you the best of both worlds: great music and great chants! There are too many great tracks to name, but my faves are the dubs „The Ghost,“ „I and I Survive,“ „Black Wa-Da-Da,“ and „Dread River.““

2013 29 Aug

Leseabenteuer 2013

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Ich bin viel gereist in diesem Jahr, und ich bin in viele Bücher versunken, aber wenn ich nur eins nennen dürfte, und somit schweren Herzens den neuen Werken von Thomas Glavinic (DAS GRÖSSERE WUNDER) und Christopher Brookmyre (DIE HOHE KUNST DES BANKRAUBS) vorziehen müsste, auf einer grossen Reise, die auch nach „Balkonien“ allein führen könnte, dann wäre es Marisha Pessls DIE AMERIKANISCHE NACHT. Am 12. September erscheint das Buch beim S. Fischer Verlag. Der phantastische Realismus (und seine entfernten Verwandten) haben noch lange nicht ausgedient, und hier führt er eine Arbeit fort, die Edgar Allan Poe, Dashiel Hammett, der film noir, Borges, Cortazar und Co. eigentlich schon vollendet hatten. Wir öffnen das Buch der smarten Amerikanerin, und verabschieden uns am besten schon im Vorfeld von Terminplänen, Zeitfenstern, Alltagsritualen. Wichtig: ausreichende Vorräte von Kaffee, Tee, oder Kakao (auch Kakao ist eine Droge, meine Damen und Herren) anlegen. Diese 800 Seiten dauern im Schnitt 14 Tage und Nächte, die Träumereien zwischendurch mit eingerechnet. Aber natürlich sind alle drei genannten Bücher unverzichtbar, das eine entführt nach Glasgow, das andere aufs Dach der Welt, und mit Marisha Pessl gehts kreuz und queer durch New York.

2013 29 Aug

Places of Worship

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The Norwegian trumpet player Arve Henriksen has made his mark over many years, not only as the horn player with the consistently challenging and long lived group Supersilent, but also as the purveyor of exquisite and distinctive solo work that stretches to four solo albums since 2001, three of which are released on Rune Grammofon. Deeply rooted in the sublime geology of his Norwegian homeland, Henriksen’s music has developed into something beautifully at one with natural habitats and reflecting the hybrid, cosmopolitan environments of the twenty-first century. On Places Of Worship, he inhabits the space between these two worlds, in a series of tone poems and mood pieces located around religious buildings and ruins. These still, silent quarters and abandoned houses of the holy can be where we experience our deepest moments of reflection, silence and occasionally fear. Making the aura of these places audible, Henriksen’s haunted horn and idiosyncratic treble vocals carry an air of treading on forbidden territory, stirring up the dust of forgotten spirits. As well as suggesting the creaking timbers and salty tang of North African ports (‘Alhambra’) and the whiff of Gallic scirocco (‘Le Cimitière Marin’), it stirs fond memories of fellow musical souls, both alive and dead: the Miles Davis of Sketches Of Spain and Aura; the Fourth World exotica of Jon Hassell.

Release Date 06.09.13

 
 

 
 
 
 
 

 
 

2013 27 Aug

Wolfgang Herrndorf

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hat einen Schlusspunkt gesetzt, nach langer, bizarrer, schrecklicher Krankheit. Ich bin zum Glück Atheist, allenfalls Agnostiker, sonst müsste ich mit dem da oben abrechnen. R.I.P. (In den frühen Neunziger Jahren wurde bei mir, lange vor ihrem Tod, und ohne dass eine besondere Krankheit bekannt war, angefragt, ob ich, sozusagen vorab, ante mortem, einen Nachruf auf Ella Fitzgerald schreiben würde. Ich habe abgelehnt, kopfschüttelnd. Okay, werden manche sagen, das ist Routine in diesem Geschäft. Ach ja, was für ein Geschäft? Lebende beerdigen, oder Geiselnehmern durch die Lande folgen, unempfänglich für das Leid von Silke Bischoff, die dann auch konsequent getötet wurde? Hier ist die Rede von dem sogenannten „Geiseldrama von Gladbeck“. Und davon, wie Journalisten sich prostituiert haben, um eine Schnitte von der „Sensationsstory“ abzubekommen. Auch eine Art, Lebende zu beerdigen. Wolfgang Herrndorf war ein wunderbarer Schriftsteller, aber selbst wenn er Trashschreiber gewesen wäre: wie er sein langes Sterben protokolliert hat, auf seiner Webseite („Arbeit und Struktur“ möge bald als Buch erscheinen, es ist, auch mit seinen messerscharfen Analysen diverser Kultur- und Alltagswelten, soviel bedeutsamer als Uwe Tellkamps lächerlich überschätztes, hölzernes „Wendemonstrum“ „Der Turm“) ähnlich humorvoll, bitter und schonungslos wie Christoph Schlingensief seinen schleichenden Tod in seinem letzten Buch, nötigt mir tiefste Bewunderung ab.)

Es ist schon ein paar Jahre her, dass Abendland von Michael Köhlmeier veröffentlicht wurde, ich bin erst jetzt dazu gekommen, diesen fast 800-Seiten-Wälzer zu lesen.
 
 
 

 
 
 
Der Erzähler, Sebastian Lukasser, Schriftsteller, zweiundfünfzig Jahre alt, nach Krebsbefund hat er gerade eine Prostata-OP hinter sich gebracht, wird von seinem fünfundneunzig-jährigem Patenonkel Carl Jacob Candoris gebeten, ihn zu besuchen und sein Leben nachzuerzählen. Sebastian, noch von der OP geschwächt, willigt in das Vorhaben seines engen Freundes ein. Candoris, einst Professor für Mathematik, hatte sich schon in jungen Jahren für Jazz interessiert. Die Musik war es denn auch, die Candoris zum Vater des Erzählers Georg Lukasser führte. Georg Lukasser galt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg als das Genie auf der Gitarre. Carl Jacob Candoris wird, nachdem er ihn in Wien während eines Konzertes gehört hatte, zum großen Förderer des Gitarren-Genius. Jetzt spätestens sollte der Leser einen gut sortierten Plattenschrank zur Verfügung haben, denn auf vielen Seiten dieses Buches geht es um nichts anderes als Musik Wir begleiten etwa Carl nach New York, wo er am 19.April 1935 im Apollo Theatre ein legendäres Konzert von Billy Holiday miterleben darf, das sein Leben verändert: „Zweitausend Menschen waren im Saal. Die eine Hälfte hatte Tabak geraucht, die andere Hälfte Marihuana. Ich hätte die Luft anhalten müssen um nicht high zu werden. Duke Ellington dirigierte vom Klavier aus sein Orchester, und Billy Holiday sang. Die beiden wirkten zu dieser Zeit gemeinsam in einem Film draußen für die Paramount Studios in Long Island mit. Mir war nicht im entferntesten klar, was für eine Sensation es war, sie gemeinsam auf einer Bühne zu sehen. Duke Ellington kannte ich natürlich, von Billy Holiday hatte ich noch nie etwas gehört, sie stand ja erst am Beginn ihrer Karriere. Sie trat auf die Bühne, und die Scheinwerfer wurden grün. So ein langsamer Gesang! Sie schleppte sich hinter dem Beat her, jede Betonung verzögerte sie, wurde sogar immer langsamer dabei, sie geriet für mein im Jazz ungeschultes Gehör völlig aus dem Rhythmus, und erst wenn sie den letzten Ton einer Phrase sang, den lange und ohne jede Modulation aushielt, bevor sie ihn in Schwingungen versetzte, erst dann fing sie den Schlag auf und war wieder im Rhythmus angekommen. Mit ihrem letzten Atemzug holte sie sich den Takt zurück. Jedesmal ein Sieg gegen die Verzweiflung, die ja bekanntlich eine Hydra ist.- Und weg war mein Trübsinn! Weg meine Langeweile. Hier wurde mir ein neues Elexier angeboten: Jazz…“… „Eines wurde mir klar, während vorne ein Mensch mit Gesang vorführte, wie der Mensch ist,- nicht, wie er sein soll, und auch nicht, wie er nicht sein soll – , sondern: Wie er ist. Nämlich dieses wurde mir klar: Meine Träume sind abgelaufen. Die Zeit nach dem dreißigsten Lebensjahr verbringt der Mathematiker damit zu beweisen, was ihm davor zugefallen ist. Mit war nichts zugefallen….“
 
 
 

 
 
 
Übrigens auf der liebevoll gestalteten 10CD-Box Lady Day: The Complete Billy Holiday on Columbia 1933-1944 findet sich ein Movie Soundtrack aus dem Astoria, New York vom 12.März 1935 in der Besetzung mit Duke Ellington & His Orchestra.

Die Lebensbeichte des Mathematik-Professors ist natürlich eng verbunden mit der Lebensgeschichte des Jazzgitarristen Georg Lukasser, der wiederum, als der Vater des Erzählers, mit dessen Lebensgeschichte eng verknüpft ist. Und so setzt sich der Roman aus Erzählungen unterschiedlichster Art zusammen, die als ganzes betrachtet, eine kleine Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ergeben. So lesen wir, dass Carl bereits als Achtjähriger bei seinen Tanten in Göttingen Edith Stein kennengelernt hat und erfahren in diesem Buch viel über ihr Schicksal bis hin zu ihrer Ermordung in Auschwitz. So wird uns über die Lebensgeschichte von C.J.Candoris nicht nur viel Interessantes aus dessen Göttinger Studentenzeit und damit viel über Mathematik erzählt, sondern lesen auch darüber, welch entscheidende Rolle Mathematiker und Physiker während des Dritten Reiches bei der Entwicklung der Atomwaffe gespielt haben; begleiten Candoris nach Japan, wo er nach den verheerenden Bombenabwurf der Amerikaner für eben diese gearbeitet hat. Sein Lebensweg mit all seinen Umwegen, Irrtümern, Fehlentscheidungen, aber auch Erfolgen und Höhepunkten erlebt der Leser mit und begleitet den Sterbenden bis zu seiner letzten großen Erzählung: seiner ersten, seiner frühesten Erinnerung als zweijähriges Kind.-
Über den Vater des Erzählers, Georg Lukasser, erfährt der Leser vieles aus der Geschichte des Jazz in Europa und den USA zwischen Nachkriegszeit in Österreich ( Produktion der ersten Platte One Night in Vienna), den fünfziger und sechziger Jahren in den Staaten (z.B. Lukassers Tournee mit Chet Baker), seinem Abschied vom Jazz und seiner Hinwendung zur Neuen Musik bis hin zu seinem Selbstmord 1974.- Schließlich ist es die Lebensgeschichte des Erzählers, über den besonders die siebziger Jahre des vergangen Jahrhunderts wieder lebendig werden. Allen Erzählfäden ist aber eines gemein, hier geht es um etwas, um die Suche nach gelungenem, wahrem Leben…., auch und gerade, wenn man über solche Sätze stolpert, wie sie Abe Fields in den Mund gelegt werden: „….meine Erfahrung legt leider die Vermutung nahe, daß die menschliche Seele nur ein Prinzip kennt, nämlich die Gier, und daß Gerechtigkeit, Milde und Maß mühsam gegen die Seelennatur errichtete Bastionen des Verstandes sind, weswegen der Ratschlag, man solle auch jenseits von rein privaten Angelegenheiten auf sein Herz hören, in meinen Ohren nicht zart und verschwärmt, sondern immer wie eine Kriegserklärung gegen alles Menschliche geklungen hat.“
Oder die, die Carl am Ende seines Lebens spricht, wenn er von den ersten Atombombenversuchen erzählt: „Als Trinity – man beachte den Namen der Bombe – auf der jornada del muerto in der Wüste von New Mexico gezündet wurde – übrigens mitten hinein in das Gequake von Tausenden Wüstenfröschen, die nach dieser stürmischen Regennacht aus ihren Löchern geschlüpft waren, um sich zu paaren – , da gehörte ich zu den zweihundertsechzig Auserwählten, die niederknieten wie Moses vor dem brennenden Dornbusch und den Kopf in den Sand steckten, damit sie nicht vom Blitz geblendet würden.“
 
 
 

 


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