Manafonistas

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2013 31 Jul

Gregor öffnet seinen Plattenschrank (49)

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Der Tag an dem Robert Wyatt im Briefkasten versank (Teil 3)

 
Am nächsten Morgen: Stille, von den Nachbarn ist vor der Mittagszeit kein Mucks zu erwarten. Heute würden wir einmal mehr zu der Niederlassung von Inter-Holidays fahren, bzw. laufen, ein Parkplatz in der Nähe dieses Ladens zu finden, käme einem Lottogewinn gleich. Während des ruhigen Frühstücks auf der Terrasse mit herrlichen Croissants, selbstgemachter Marmelade, Kaffee und Tee, hören wir plötzlich ein lautes PLOPP, anschließend ein hohes Pfeifgeräusch untermalt mit kräftigem Rauschen. Ich stürze in die Wohnung, da strömt mir bereits Wasser aus der Toilette entgegen, ich öffne die Tür und erhalte sogleich eine unerwartete Dusche. Die Wasserleitung war direkt am Anschluss zum Spülkasten geplatzt.
Während der intensiven Suche nach dem Briefkastenschlüssel war mir bereits aufgefallen, dass sich in der Wohnung kein Haupthahn für die Wasserversorgung befindet, also rufen wir sogleich Inter-Holidays an und erfahren von der freundlichen Bandstimme, dass man erst ab 11:00 Uhr für Kundschaft zu sprechen sein. Draußen auf dem Flur entdecken wir Stahl-Schränke, hinter denen wir Bedienelemente für die technische Versorgung der Wohnungen vermuten. Nur, leider haben wir natürlich auch für diese Schränke keine Schlüssel. Ich überlege kurz, wie lange das Wasser bei geschlossenen Türen und Fenstern wohl laufen müsse, um auch die Briefkästen zu füllen und ob wohl der Umschlag mit der Wyatt-CD in der Box durch das Wasser nach oben geschoben werden könnte und von mir dann, an die Briefkastenelemente heranschwimmend, herausgefriemelt werden könnte. Nachdem ich mich innerlich zur Ordnung aufgerufen habe, versuchen wir an Wohnungstüren zu schellen, an deren Haustür Namen und keine Nummern vermerkt sind, in der Hoffnung, dass die Hausbesitzer wenigstens Zugang zur Technik haben könnten. Das klappt tatsächlich, jemand öffnet die Stahlschränke, schnell ist der Haupthahn unserer Wohnung gefunden, das Wasser abgedreht und ein Installateur angerufen. Der kommt zwei Stunden später. Die Wohnung ist inzwischen trockengewischt, der Flaschner vollendet sein Werk, alles wird gut. Alles?
Wir machen uns auf den Weg, unser Ziel, die Niederlassung von Inter-Holidays. In meinem Innern entsteht eine zorngetränkte Ansprache, eine Generalabrechnung, die Wohnung, den Wasserschaden, den fehlenden Briefkastenschlüssel und überhaupt alles betreffend. Ich koche gefährlich! Wir betreten den Laden, die aufgestaute Wut will sich gerade entladen … da streckt mir doch eine der Inter-Holidays-Damen strahlend einen kleinen Schlüssel entgegen und teilt mir bestens gelaunt mit, der Besitzer meiner Wohnung, er lebe in London, habe sofort reagiert, den Briefkastenschlüssel eingetütet und auf den Weg gebracht, eben gerade hätte die Post das Päckchen gebracht, alles sei doch nun gut.
Und so kann Robert Wyatt endlich befreit werden … Was für ein Werk kommt mir da entgegen: Wyatt/Atzmon/Stephenfor the ghosts within, wieder einmal etwas un-gehörtes Unerhörtes: Robert Wyatt – einst Softmachine-Schlagzeuger – nun mit dem Sigamos String Quartet! Ich glaubs ja nicht! Eingespielt wurden zahlreiche Klassiker von Ellington, Monk, Strayhorn und eben auch Philip Catherine. Hinter dem Wyatt-Stück Maryan verbirgt sich nämlich – das Wort umgekehrt gelesen und statt des `y´ ein `ì´ eingesetzt – Nairam, das schönste Stück von der LP September Man.
 
 
 

 
 
 
Auf dieser großartigen Platte, die ich mir sofort nach Erscheinen 1975 gekauft habe, spielen neben Philip Catherine noch Palle Mikkelborg, Jasper van´t Hof, Charlie Mariano, John Lee und Gerry Brown mit. Nebenbei: Diese Platte ist nicht mehr erhältlich, man braucht gar nicht erst bei amazon oder jpc zu suchen. Wer sie nicht besitzt, diese unglaubliche Platte, möge sich auf die Jagd machen. Viel Erfolg! Kleiner Trost: das Stück Nairam kann man sich auf youtube anhören und sich dabei auch das Plattencover der LP anschauen (HÖR-BEFEHL! ) Dieses wunderschöne Stück wurde übrigens erst 1748 mal angeklickt.
Bevor die Nachbarschaftsjugend wieder zum Leben erwacht ist, habe ich die CD bereits zweimal gehört. Beschluss: Ich werde Robert Wyatt – wohl wissend, dass es so etwas wie wyatting gibt ( wer es nicht weiß, hier gibt es Infos :) – nicht gegen die Musik der Nachbarn einsetzen! Es kommt auch alles ganz anders. Die Jugendlichen sind weg, ein Ehepaar mit zwei Kindern zieht ein. Und jetzt passiert etwas, dass mich Heimweh nach der jugendlichen Truppe entwickeln lässt: die Eltern stellen sich den Esstisch mit den Stühlen auf der Terrasse so auf, dass die ganze Familie in die Wohnung hineinschaut, die Terrassentür wagenweit auf. Und nun wird das Fernsehgerät eingeschaltet, während des Essens, danach, den ganzen Abend, immer. Eine Unterhaltung gibt es nicht. Das ist so bedrückend, so traurig …
Aber ich habe ja nun endlich die neue Robert Wyatt-CD!
 
 

 

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3 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Grossartige Story, man könnte einen Film daraus machen, mit kleinen zusätzlichen Parallelstories. Und alles ist genau so passiert, unglaublich. SEPTEMBER MAN habe ich nie besessen, dadür aber Van Morrisons VEEDIN FLEECE. Nur ging bei einem Umzug einst die Platte verloren, und jüngst, durch eine Unansachtsamkeit meinerseits, die remasterte CD, icb habe nur die Hülle, ind unendliche Lust auf diese Platte. Mir bedeuten nur drei Platten des Iren sehr viel, ASTRAL WEEKS, COMMON ONE, und eben VEEDON FLEECE. Die CD-Neuausgabe war arg limitiert, man bekommt sie nun nur noch zu Horrorpreisen. ich über mich in Geduld :)

  2. Henning:

    Befreiungsschlag und Warten auf Musik. Letzteres war ja früher ganz normal! Wenn auch nicht vor unzugänglichem Briefkasten.
    Und Catherine, JA, JA. Eine Phrasierung … !

    Gutes Weiter!

    Henning

  3. a.h.:

    Lieber Gregor,
    falls es nochmal passieren sollte, dass Du eine CD in einem Briefkasten liegen hast und kein Schlüssel in Reichweite ist, hier ein sehr hilfreicher Tipp aus meiner Kindheit:
    Wir haben an einen Stock oder Ast Kaugummi geklebt um aus Lichtschachtkästen von Kellern Münzen zu bergen. Die einzig sinnvolle Daseinsberechtigung für eine Sache, die man sich in den Mund steckt und darauf kaut, ohne es herunterschlucken zu wollen…


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