Seit nunmehr dreissig Jahren besteht das Keith Jarrett Trio (mit Gary Peacock am Bass, und Jack DeJohnette am Schlagzeug), das mit einigen Veröffentlichungen (Standards, Vol. 1 and 2, Changes, Changeless) Meilensteine des Piano-Trio-Jazz geschaffen hat. Aber mittlerweile ist diese, von wohltuenden Ausflügen in den Freien Jazz unterbrochene, permanente Abarbeitung amerikanischer Jazzstandards ein, gelinde gesagt, zweischneidiges Schwert: denn in eine hochgradige Kunstfertigkeit mischt sich mit den Jahren unüberhörbare Routine. „Somewhere“ heisst das neue Album. Und es ist keine Offenbarung. Wenngleich Jarrett wohl nach wie vor (irgendwo muss der Antrieb ja herkommen) von der ultimativen Fassung von (zum Beispiel) Body and Soul träumt, ist dieses langwährende Projekt, allen historischen Meriten zum Trotz, gründlichst, fast schon obsessiv, dokumentiert. Das bedeutet nicht, dass man sich nicht weiterhin erfreuen kann (mich erfreut es nicht mehr!), an der Art wie, einmal mehr, Miles Davis‘ Solar neu erkundet wird, und es ist immer noch faszinierend, wie ein Standard – in diesem Fall Leonard Bernsteins „Somewhere“ – in einen dieser typisch Jarrett’schen Trancetänze mutiert, die man schon aus seiner Frühzeit im Charles Lloyd Quartett kennt. Irgendwie beschleicht einen dennoch das Gefühl, in einer Zeitschleife gefangen zu sein. Auch die Exstase kennt Rituale, und auch die wildesten Ausflüge folgen zuweilen einer vertrauten Route. Ach, wie unerhört wäre es, Jarrett würde seine auch schon ewig währende Abneigung gegen elektrifizierte Instrumente überwinden, und etwas so Tollkühnes wie ein Fender-Rodes-Piano-Soloalbum in Angriff nehmen!
2013 21 Jun
Das ewige Trio
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: Keith Jarrett | 2 Comments
2 Comments
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Lothar:
Hallo Michael,
schöner Blog, gute Kritiken über seltene Musik.
Viele Grüße
Lothar -
Michael Engelbrecht:
Yep, einiges ist wirklich selten :) Wozu Klassentreffen alles gut sind. Eigentlich müsste ich zu diesem denkwürdigen Abend auch noch eine Geschichte schreiben. Das war schon eine besondere Begegnung mit Zeitreisenfeeling. Auf jeden Fall habe ich die Lust an der englischen Sprache behalten …