Zur Philosophie des Peter Sloterdijk
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Habe nun („hey!“) – anstatt Philosophie, Juristerei, Medizin und Theologie zu studieren – mit heissem Bemühen die sloterdijkschen Tagebuchaufzeichnungen rezipiert und poste hier nun klüger als zuvor. In einem Fernsehporträt äusserte der Meister der geschliffenen, zuweilen hochpolierten Formulierungskunst ja einmal die Behauptung, die meisten Menschen würden, darin Ikarus gleich, irgendwann abstürzen, sie schrieben auch keine Bücher zu Ende. Aber zumindest lassen sich geschriebene Bücher ja zuende lesen: mit diabolischem Vergnügen und faustisch gewinnbringend den Absturz mildernd.
Die Absturz- und Aufbauliteratur des Philosophieschriftstellers Peter Sloterdijk ist mir seit etwa zwanzig Jahren vertraut und ein nützlicher Begleiter, eine Art Schlüsseldienst auch zu vielen Bereichen des Wissens – Zeit, um einmal resümierend zu reflektieren, was denn so vorzüglich und erbaulich daran sei.
Als Einstieg soll ein Traum dienen: auf dem Mitsommernachtfest in Skandinavien treffe ich den Erfolgssautoren auf einem Campingplatz. Er sitzt in einem jener amerikanischen, pop-artig aufgemotzten Strassenschlitten, wie sie in High North üblich sind. Die Wagentüren sind offen und aus den Türlautsprechern schallt es laut. Ich gebe zu erkennen, der Auftritt sei recht imposant. Er schüttelt seine schütter-blonde Mähne, winkt mich heran und öffnet die Klappe zum Kofferaum. Stolz präsentiert er eine wuchtige Bassbooster-Box, die das Heck des Wagens ausgefüllt. Es ertönt Musik von Richard Wagner.
In dem Traum zeigen sich auch Aspekte meiner ambivalenten Haltung zu dem Philosophen. Seine Sätze sind sprachmelodiös, sinnhaft, teils von barockem, teils von modernem Klang. Der elegante Sprachfluss trägt den Sinn mit sich fort, spielt damit – und ufert zuweilen aus. Dann wird es voluminös und wortparfümiert: der Schaum der Phrase. Wie ein Goldwäscher sucht man sich aber aus dem Überschuss die Nuggets heraus – und davon gibt es reichlich. Die Tagebuchnotizen zeigen einmal mehr, wie jemand in zwei Welten lebt und diese wirksam zusammenbringt: die elitäre und die alltägliche des Jedermann.
Rezeption, Kritik und Würdigung dieses Autors blieben bislang recht harmlos: als wolle man ein Netz mit Fischen fangen. Das Umfassende aber ist das Metier dieses Sprach- und Denkspielers selbst – es lässt sich nicht nochmals umfangen. Wer das akademisch Angestaubte aus den abgeschotteten Zirkeln zu befreien und ihm neues Leben einzuhauchen vermag, zudem treffliche Zeitdiagnosen abgibt, den wünscht man sich weiterhin als Zeitgenossen: ob zu Politik, Psychoanalyse, Finanzwesen, Sport, Kunst – er zeigt immer wieder aufs Neue verblüffende Sichtweisen auf.
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Einst begegneten wir einem Sufi-Meister aus dem Osten und fragten ihn, was er denn von der Psychoanalyse halte. Das Unterbewusstsein sei ein Tiefseefisch, den die Analyse zu erkennen versuche, indem sie ihn an Land zöge, antwortete der. Ein an Land gezogener, lebloser Fisch sei aber keiner mehr – es käme vielmehr darauf an, tauchen zu lernen, um mit dem Unterbewußten in Kontakt zu kommen.
In die sloterdijkschen Sprachsphären kann man trefflich abtauchen. Sie explizieren auch die tieferen Schichten des Daseins, wirken konstitutiv für das Ich, auch jenseits bürgerlicher Vorstellungen. Synthesen aus Romanerzählung, geisteswissenschaftlicher Analyse und jener wortschöpfungsreichen Poetik, die ans Musikalische grenzt: in diesem formalen Rahmen wird interdisziplinäres Wissen zur Schau gestellt und neu variiert – ähnlich wie es einst Joseph Beuys in der Kunst tat. Das führt zu Stellungs- und Perspektivwechseln. Sloterdijks Geistesblitze unter dem freien Himmel: eine hybride Honigpumpe für den Leser und seine Sucher-Synapsen? Nomad knows …
aktuell: „Zeilen und Tage – Notizen 2008–2011“ von Peter Sloterdijk, Verlag Suhrkamp