Der Abend begann am Nachmittag mit dem Restaurant „360° İstanbul“. Vom Topkapı-Palast über das Goldene Horn bis zur St.-Anton-Kirche nebenan: hoch über den Dächern der Stadt wartete ein faszinierender Blick auf mich. Die gläserne Location, angesiedelt in einem Jugendstilbau, vermittelte mir endlich das Gefühl, in Istanbul angekommen zu sein. Der Blick konnte weit schweifen, sich dehnen, und zur Ruhe kommen.
Nach einem köstlichen Essen, zu dem unter anderem scharfe, gefüllte Lammrippchen gehörten, machte ich mich auf den Weg zu dem Club, in dem Eivind Aarset und Jan Bang autraten. Ich war recht früh vor Ort, drei fremde Blogleser hatten sich nach mir erkundigt – das funktioniert ja mit unseren Vorankündigungen! Der Mann aus Manchester war Istanbul-Insider, und versprach uns, bei Zeit, Lust und Laune, hinterher ein paar spezielle Ecken zu zeigen.
Das Konzert begann, es war so unendlich fein gesponnen, wie man sich das nach dem vielfachen Hören von Eivind Aarsets bislang grossartigstem Album, „Dream Logic“, nur erhoffen kann. Es gibt so viele Winkel, so viele doppelte Böden, die man in diesen Kompositionen neu aufsuchen kann, ohne von Dejavues überrumpelt zu werden. Hinterher wollte ich eigentlich „backstage“ sein, und die Überraschung auf den Gesichtern der Zwei sehen (im Publikum hatten sie mich nicht bemerkt, es war recht dunkel, und sie waren ganz versunken in den Fluss ihres Spiels). Aber dann blieb ich doch bei den Manfonista-Vertrauten hängen, und wir machten uns auf den Weg in die Nacht.
Wir landeten in einem der ältesten und besten Fischrestaurants der Stadt (so jedenfalls pries es Paul aus Manchester an). Es liegt weit oben am Bosporus, in der Bucht von Tarabya. Legendär sollen hier das Schokoladensoufflé und der gedünstete Seebarsch („llevrek buğulama“) sein. Und Paul lag auch damit wohl richtig, der gedünstete Barsch zumindest überzeugte mich voll und ganz (und das, nachdem ich vor Wochen noch den Dorade auf Lanzarote zu meinem liebsten Fisch gekürt hatte).
Wir sprachen zu viert (die Zeit flog) wohl stundenlang über Musik, Fussball, den Film „Die Quellen des Lebens“ – und indische Küche. Was die Musik betraf, waren die Jungs sowas von ausgeschlafen: der Zeitungsmann aus Freiburg schwärmte uns vor von gerade wiederveröffentlichten Aufnahmen des mir nur sehr flüchtig bekannten brasilianischen Songpoeten Marco Valle (?), Paul freute sich schon einen Ast ab in Erwartung der neuen Arbeiten von Thom Yorke (Atoms for Piece) und David Bowie (Paul ist im Musikbusiness, arbeitet für eine grosse Firma, und konnte sich schon in seinem „office“ die neue CD von Herrn Bowie anhören: der Daumen ging eindeutig nach oben).
Er erzählte uns auch von dem verrückten Cover, das schlicht das alte Foto von „Heroes“ hernimmt, und dann mit einem weissen Viereck sehr effektiv überklebt. Marcus gab sich als grosser Rune Grammofon-Fan zu erkennen, und er hatte schon mehrere Auftritte mit der ganzen Punkt-Bande aus Kristiansand erlebt (Jan Bang und Arve Henriksen als Duo, Eivind Aarset kannte er von einem Londoner Jon Hassell-Konzert).
Ich saugte die Geschichten des Trios auf, allesamt Musikliebende; besonders freut mich an solchen Gesprächen, wenn man infiziert wird für Klänge, die man gar nicht kennt, und bei denen man, bei Lichte besehen, mit der eigenen Begeisterung und Einfühlung in andere Gehörgänge (Vorsicht: Labyrinthe!) womöglich etwas zögerlicher umgehen sollte. Ich werde mir also eine Marco Valle(?)-Cd besorgen, und bin ich gespannt, was das Lächeln bedeutet, das dann über meine Lippen huscht. Denn lächeln werde ich so und so.
Später, zurück im Hotel, konnte ich noch nicht einschlafen. Ich nahm mir die Tomasz Stanko-Doppel-Cd vor, und hörte, während der Blick draussen die Hafengegend absuchte und an einem kleinen leuchtenden Fleck in der Ferne hängen blieb, einige Stücke an. Viele magische Momente, der alte Mann und seine Trompete ruhen sich nicht einmal aus, wenn der Klang zum reinen Seufzen mutiert. Ach, und diese Wildheit zwischendurch. Meine kleine Nachtmusik.