In diesem entlegenen Dorf mit den schwitzenden Schatten und den weissen Mauern hat, direkt vor meinen Augen, ein paar Meter von meiner halb verspeisten gegrillten Seezunge entfernt, ein Surfer sein Brett abgestellt. Der Wellengang ist so lala, wir sind ja nicht in San Diego. Ich gucke eh nur zu, und bin die halbe Steilküste im Norden der Insel abgewandert, auch die Stelle, wo Pedro Aldomovar eine Szene seiner „Zerrissenen Umarmungen“ gedreht hatte. Der Surfer kommt aus Swansea, und so hatten wir gleich ein Fussballthema. Er hat in Deutschland studiert, und, spätestens, als er mir von seiner Liebe zur Musik von Tocotronic erzählt, wechseln wir ins Deutsche. Ich frage ihn, ob er das neue Doppelalbum dabei habe, und er sagt, klar, sogar richtig als CD, und er höre seit Tagen nichts anderes. Tocotronic-Freunde hören deren neue Platten am Stück, tagelang, ewig, die Texte von Dirk von Lowtzow erzeugen eine Sucht, in ihrer ganz besonderen Manieriertheit: was im ersten Moment wie eine Botschaft daherkommt, zerbröselt zu leerem Gedresche, um im nächsten Moment eine neue Sinnlichkeit zu enthüllen. Sie sind die grossartigste Schrammelband Deutschlands, und mischen in ihren 4-Spur-Primitvismus eine vielfarbige Wörter- und Empfindungswelt, die aus uns allen einen stimmgewaltigen Chor (am Ende der Welt, in fucking Lanzarote hinterland) macht, denn kaum Schöneres gibt es, als auf einem Tocotronic-Konzert (oder während die CD meines englischen Kumpels im Auto-Player liegt, zwischen Caleta de Famara und Tahiche) die Verse mitzusingen, in all ihrer Lust am Absurden und Verrückten dem Groove zu folgen, der erhebenden Melodie, welche all diese von Körperlichkeit, Gebrechen und psychedelischer Philosophie gezeichneten Lieder zum idealen Tanzmonster, Luftgitarrenstimulator und Bettgefährten vor einsamen Träumen macht.
2013 29 Jan.
Die letzte Lanzarote-Geschichte
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog,Musik aus 2013 | TB | Comments off
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