Meine kleinen pathetischen Anwandlungen als Teenager wurden befeuert von der Sonne, die, den Walker Brothers zufolge, nie mehr scheinen würde. Später hatte ich Respekt vor Walkers vier Soloalben 1,2,3 und 4, die von Jacques Brel beeinflusst waren und schon an einem eigenen Surrealismus werkelten. Aber es blieb vorerst eine Zuneigung aus der Halbdistanz. „Climate of Hunter“ war sein erstes Meisterwerk, die Musik wurde erratischer, intensiver, befreite sich aus den Vorgaben des französischen Chansons. Die Abstände zwischen seinen Soloalben wurden immer länger, „Tilt“ und „The Drift“ wurden meisterhafte Songzyklen, die Althippies genauso ratlos zurückliessen wie neunmalschlaue Schreiberlinge à la Bruckmaier und Wilander. Letzterer übersetzte einen Song, um das Absurde des Unternehmens vorzuführen, fühlte sich dabei wahrscheinlich unheimlich cool und verlieh dem Album fünf Galgen. Der andere verweigerte jede inhaltliche Auseinandersetzung und unterstellte Walker, dass er wohl irgendwann mal beschloss, sich um die Menschen ringsum zu erheben, und sich für etwas Besseres hielt. Belegbare Quellen? Fehlanzeige! Es ist interessant, dass die Gegenkultur einst angetreten war, Horizonte zu erweitern, Grenzen einzureissen, Hörgewohnheiten zu erweitern. Da, wo das dann wirklich passierte, bei Buckleys „Starsailor“, Enos „Discreet Music“, Talk Talks „Laughing Stock“ etc. etc., wurden Ratlosigkeit und Häme erst mal gross geschrieben. Um es klar zu sagen: auch die neue Musik von Scott Walker wird viele Menschen verstören und in die Flucht treiben, aber man sollte ihr wenigstens mit Respekt begegnen und nicht mit dümmlicher Arroganz. Und einige werden spüren, dass es Musik auf dieser Welt gibt, die sich einen Scheiss um Coolness kümmert und tiefste Schichten aufbrechen kann.
2012 24 Okt
Der nächste „Hammer“: Scott Walkers neues Songalbum
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: Scott Walker | Comments off