Wenn der Postmann einmal klingelt
War es früher der Gang zum Schallplattenladen und die hoffnungsvolle Frage nach der Ankunft bestellter Ware, so ist es heute der Postmann, der das lang erwartete Päckchen bringt und die verheißungsvollen Stunden einläutet, wenn die neue CD ausgepackt und in den Player eingelegt wird. In dem jüngst eingetroffenen Päckchen fand sich zweierlei, einmal das gerade von Michael vorgestellte Buch Empty Mind mit Texten von John Cage, und …, ja, eine ganzes Kistchen voller erlesener Musik. Der CD-Player glüht inzwischen, gebannt, begeistert höre ich eine CD nach der anderen, es sind vier an der Zahl. Von dem Musiker, der mich einmal mehr fasziniert, war an dieser Stelle bereits ausführlich die Rede (siehe “Gregor öffnet seinen Plattenschrank“ Vol.9), sein Name: Andràs Schiff.
Für ECM New Series spielte er im August 2011 die 48 Präludien und Fugen in Bachs “Das Wohltemperierte Clavier“ in Lugano neu ein. Es heißt, für die Aufnahme sei Schiffs Steinwayflügel eigens an den Aufführungsort Auditorio Radiiotelevisione Svizzera in Lugano gebracht worden. Wer bei solcherlei Aufwand verständnislos das Haupt schüttelt, mag sich Pianomania − Die Suche nach dem perfekten Klang ansehen, ein deutsch-österreichischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2009. Aus der Sicht eines Klavierstimmers und Technikers bei Steinway&Sons wird hier über die Arbeit mit großen Pianisten und ihrer Vorstellung von bestimmten Klängen erzählt.
Jedenfalls ist das Ergebnis dieser Aufnahme umwerfend. Für mich ist diese zwischen 1722 und 1742 entstandene Musik beruhigend, der Alltag mit all seiner Hektik wird quasi ausgebremst und gleichzeitig, ja, ich kann es nicht anders sagen, ist diese Musik unglaublich tröstlich. – Übrigens sind den Cds zwei sehr informative Aufsätze beigefügt: einmal Peter Gülke über “Bachs geometrische Anordnung“ und András Schiff “Senza pedale ma con tanti colori“. Im letzteren Aufsatz geht es dem Pianisten um die Frage, welches für das Wohltemperierte Clavier denn wohl das richtige Instrument sei und, ob man das Pedal benutzen dürfe oder nicht.
Am Ende seiner Ausführungen geht Schiff dann noch auf die Farben der Musik Bachs ein, er schreibt: „Für mich ist die Musik Bachs nicht nur schwarz und weiss, sie strahlt in allen Farben. In meiner Vorstellung korrespondiert jede Tonart mit einer anderen Farbe … Stellen wir es uns vor. Am Anfang steht die schneeweiße Unschuld in C-Dur (nur weiße Tasten). Am Schluss h-Moll, die Todestonart. Vergleichen wir die h-Moll-Fuge des ersten Bandes mit dem Kyrie der h-Moll-Messe. Das ist kohlschwarze Musik. Zwischen diesen Polen befinden sich Zwischenfarben. Zuerst gelb. Orange, Ocker (c-Moll bis d-Moll), dann Blau (Es-Dur bis e-Moll), Grün (F-Dur bis g-Moll), Rosa und Rot (As-Dur bis a-Moll), die zwei Braun (B-Dur und b-Moll) und Grau (H-Dur).“
Das erinnert doch sehr an Olivier Messiaen, der sich selbst als Synästhetiker bezeichnete. Er sah bei Klängen Farben und hörte bei Farben Klänge.