Das Beste kam zum Schluss. Der erste Tag brachte einige Überraschungen, z. b. „Three Trapped Tigers“ und ihre Variante von Post-Prog-Rock, die Brian Eno auf Anhieb begeisterte: „They really play what they feel, and this is sonically impolite“, so zitierte unsere Punkt-Moderatorin Fiona Talkington den Festivalkurator, der Stunden zuvor vor der immensen Glasfront des neuen Kristiansander Konzerthauses Kilden für eine unterhaltsame Pressekonferenz gesorgt hatte.
Die „drei gefangenen Tiger“ spielten schräge Rhythmen in teilweise höllischem Tempo, schufen dieweil wohltuende Luftpausen, bevor sie weiter lustvoll die Dekonstruktion hochtrabender Gitarren-Riffs und pathetischer Keyboard-Dröhnungen betrieben. Die Band aus London war schlicht gerührt, hier vor vollem Haus spielen zu können, und sie versprachen, bald wieder zu kommen, und dann in vertrauter Umgebung zu spielen, „in leeren Pubs“.
Das Beste kam zum Schluss. Vorher kam ich aber mit der Biographin von Joni Mitchell ins Gespräch, Michelle Mercer, die hier eine Weile mit ihrer Familie lebt, und neben einem neuen Projekt („Where Music Matters“) auch weiterhin Sendungen für „National Public Radio“ produziert. Im Laufe unserer angeregten Unterhaltung spielten wir auch das „Best of Joni Mitchell“-Spiel und verrieten einander unsere drei Lieblingsplatten der Kanadierin. Ihre Wahl: 1) Hejiira 2) Mingus 3) Blue. Meine Wahl: 1) Hejiira 2) Blue 3) Mingus.
Vor Jahren schrieb sie die Lebensgeschichte des Jazzmusikers Wayne Shorter auf. Sie kam in Zeitnot, „Penguin“ gestand ihr keine zusätzliche Zeit zu. Innerhalb von drei Monaten musste das Buch fertig sein. Sie reiste also ein letztes Mal zu dem amerikanischen Saxofonisten, dessen Interviews aber nun mal (ich weiss es aus eigener Erfahrung) kryptisch sind; Waynes Gedanken folgen bizarren Wegen, seltsame Sprünge sind an der Tagesordnung. Michelle Mercer war an Waynes verwirrende Erzählungen gewöhnt, ohne sie deshalb schneller entschlüsseln zu können. Als Shorters Gattin vom Zeitdruck der engagierten Journalistin erfuhr, redete sie mit ihrer „lebenden Legende“ ein paar Takte, und Wayne gab von dem Augenblick an nur noch klare, messerscharfe Auskünfte: dieser Musiker betreibt seit Jahren ein Spiel, er will in Interviews Spass haben, improvisieren, deshalb, nur deshalb, setzt er die Narrenkappe auf!
Das Beste kam zum Schluss: der Comedy-Avantgardist und Sprachvirtuose Reggie Watts ist ein ungemein humorvoller Zeitgenosse, der alle Register der „spoken-word-performance“ zieht: abrupte Wechsel von Sprache und Gesang, rabenschwarze Satire. Stellen Sie sich vor, Marvin Gaye steigt aus seinem Grab und parodiert Bobby McFerrin. Das ware halb so witzig, aber Reggie Watts‘ Kunst ist subversiv: neben dem Lachsalven garantierenden Humor ist ein rabenschwarzer Grundton unüberhörbar: scharfe soziologische Analyse (mit hohem Till Eulenspiegel-Faktor), im Sekundentakt produzierte, doppelte Böden! Vom ersten Ton bis zum letzten Gemurmel nahm er die Aufmerksamkeit der Zuhörer gegangen, die ihn mit „standing ovations“ verabschiedeten.
Minuten später griff Brian Eno zum Mikrofon und sagte im „Neuen Alpha-Room“, Reggie Watts sei gewiss die perfekte sich-selbst-remixende „sound machine“, und es sei kaum möglich, das noch weiter zu führen, aber sie würden es versuchen. Dann schossen sie die „speech patterns“ von Reggie Watts ins weit geöffnete Weltall, wo sie in einsamen „loops“ umd dunkler „Ambient Music“ vor sich hin träumten. Doch wäre es zu trist, in solchen Schattenreichen zu verharren, und so entwickelten Eno und Schwalm (die 2001 das grossartige Album „Drawn From Life“ in die Welt setzten), einen grollenden Rhythmus, dieweil ihre rechten Füsse im Gleichklang wippten: der Körper war wieder im Spiel, das Duo transportierte Reggie Watts zurück in irdische Sphären, loopte seinen Wissenshunger … wanna know more … wanna know more … wanna know more … bis Brian Eno selbiges ins Mikrofon schrie und sang … wanna know more … wanna know more … wanna know more … Gänsehaut im prall gefüllten Saal.