Manafonistas

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Ich glaube, die Welt ist sexuell verklemmter als viele mutmaßen. Ob es der literarische Müll dieses sich derzeit wie warme Semmeln verkaufenden SM-Schmökers ist, oder Frank Oceans Bi-Outing in der als homophob geltenden, amerikanischen Rhythm ’n‘ Blues-Szene: viel Lärm um nichts wird wohl besonders gern von Menschen mit „Brett vorm Kopf“ losgetreten.

„Channel Orange“ wird seinen Erfolgszug um die Welt auch ohne Diskussionen über die Beischlafgewohnheiten eines neuen Pop-Stars antreten. Was ist denn nun an diesem Album so gut, dass sich erste Kritiken vom „Guardian“ bis „Pitchfork“ gar nicht mehr einkriegen vor Begeisterung? Ich verrate es ihnen: so ziemlich alles!

Interessant, dass mich dieses Album auf Anhieb beeindruckte, bin ich doch gar nicht sonderlich scharf auf neue Produktionen der amerikanischen Soul- und R’n’B-Landschaft. Und wo sich kollektive Begeisterung breitmacht, wittere ich schnell mediale Hysterie.

Es gibt Verbindungslinien von Frank Ocean zu Stevie Wonder, dem jungen Prince, zum warmen, nie überladenen Pathos der besten Platten von Mary J Blige, und zu den zauberhaften Pop-Soul-Sound-Experimenten jener einen alten berühmten Shuggie Otis-Platte. Dass Frank Ocean solchen Inspirationen zum Trotz ein ganz persönliches, eigenartiges, so noch nie dagewesenes Stück Musik gelingt, ist schlicht fabelhaft.

Es gibt seltsame Texte, die das Schicksal des letzten Pharaohs mit dem Strip von Las Vegas in Verbindung bringen, es gibt die nie endenden Themen vom verspielten Glück und unerwiderter Liebe, was aber letztendlich das Geheimnis dieses Album ist, hängt gewiss mit der grossartigen Stimme und den raffinierten Arrangements zusammen.

Diese Lieder verlassen sich nicht allein auf alte Formeln, fesselnde „hook lines“, packende Melodien, entspannte Grooves. Diese Lieder, mögen sie auch die Charts stürmen und in zahllosen Clubs zum „letzten Schrei des Sommers“ beitragen, mögen sie bald „trendy“ sein und rasch in Soundtracks mittelmässiger good-feel-movies verwurstet werden, sind zerbrechliche Ware, können jederzeit, wenn es am schönsten ist, abreißen, einen Haken schlagen, von Soundschnipseln unterbrochen werden. So ist die ganze Produktion dieses Albums eine recht subversive Veranstaltung mit doppelten Böden und dem berüchtigten „Teufel im Detail“.

Leicht könnte aus solchem Gesang also ein Abgesang werden, ein sperriges Werk, und es ist ein weiteres, vielleicht entscheidendes Betriebsgeheimnis von „Channel Orange“, wie man, genau hinhörend, über jeden Abgrund springt, sich von keinem Abriss, Einriss und Interludium aus der Ruhe und der Ergriffenheit bringen lässt. Große, fast ein wenig einsame Klasse! Man möge sich neben dieser Platte gleich auch „Inspiration Information“ von Shuggie Otis gönnen.

This entry was posted on Sonntag, 15. Juli 2012 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

1 Comment

  1. Michael Engelbrecht:

    Klanghorizonte am 30. Juli

    1) Astrid: Suite, aus: HIGH BLUES 2) Sidsel Endresen & Stian Westerhus: Wooing The Oracle, aus: DIDIMOY DREAMS 3) Talking Heads: I Zimbra, aus: FEAR OF MUSIC 4) Keith Jarrett: Chant of the Soil, aus: SLEEPER 5) Antony and the Johnsons: Cut The World, aus CUT THE WORLD 6) Frank Ocean: Pilot Jones / Bad Religion: aus: CHANNEL ORANGE 7) Moritz von Oswald Trio: Jam, aus: FETCH


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