Sidsels radikalster Schritt in ihrer langen Geschichte als Sängerin erfolgte, als sie die Sprache als Bedeutungsträger weitgehend aus ihrem Repertoire ausschloss. Durch die Hintertür lässt sie sich aber nur zu gerne auf fragmentierte, sinnhafte, sinnnahe Strukturen ein: das Spektrum zwischen befreitem Selbstausdruck und Bedeutungselementen ist ein besonderer Thrill. Das sind keine Songs, und doch sind es Songs, so einfach ist das. Ihre neue Cd DIDYMOI DREAMS ist eine Live-Aufnahme, ein Duo mit dem kongenialen Gitarristen Stian Westerhus. Diese Aufnahme verschlägt mir den Atem. Hier wird eine feinnervige klangliche Urgewalt auf den Weg gebracht, die ihresgleichen sucht. Wir reden hier nicht vom Urschrei, von alten Stammesritualen, von Free Jazz, von mäandernden Klangströmen, von Ekstase und Verwundbarkeit und karger Songpoesie – wir lassen das ganze Gedöns der markigen Worte des Außer-Sich-Seins und In-Sich-Seins außen vor, und nennen dieses frappierende Werk einfach, Ladies first, „Sidsel-Musik“! Der verrückte Herr der Gitarren an ihrer Seite veröffentlicht im August bei Rune Grammofon ein Soloalbum. Glauben Sie nicht, Sie wüssten, was Sie da erwartet, außer eben: „Stian-Musik“.
2012 4 Juli
Didymoi Dreams, von Sidsel Endresen & Stian Westerhus
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off