Es war kein leichtes Hören, als die ersten Minuten von STIFTERS DINGE erklangen, aber mit der Zeit kann man sich der sperrig-minimalen Kunstmusik kaum entziehen, zumal Bachplätschern, Bach selbst, und ein Theater der Stimmen allerlei Verführerisches anrichten in diesem dunklen, meditativen Werk. Wellen erklingen danach, Harfen – seltsame Zwischenreiche erkundet HIRUNDO MARIS zwischen Alter Musik, nordischer und katalanischer Folklore. Wer erwartet hier eine Dobro? Aber sie taucht auf, ohne eine Spur Bluegrass. Dann gibt es einen Abstecher in ein französisches Mini-Laboratorium, und zu den zahlreichen Quellen, die SOURCES anzapft, zählt auch Bitches Brew, das archaische Hurengebräu von Miles Davis aus den Schlussakkorden der Sechziger Jahre. Ohne große Gesten folgt, auf dem Album SUNRISE, einer der letzten Auftritte des trommelnden Mr. M., den Bill Evans einst als großen Bruder empfand, in der Zeit, als der Mann am Klavier zunehmend ins Schattenreich der Drogen driftete. NOVAYA ZEMLYA entführt sodann (nichts für die Furchtsamen, oder doch!?) in entlegenste russische Hinterwelten, und man fragt sich, wieso diese fantastische Musik so unheimlich und zugleich verlockend ist. Nach dieser Lektion in brodelnder Stille ist es nur gut, wenn man auf MR. M einem Mann in einem Raum in Nashville begegnet, der sich Gedanken über die Instrumentierung eines Songs macht, und en passant dummes Geschwätz, den Tod und das Kücheninventar streift. Zum Finale der „Klanghorizonte“ mit guten Bekannten und guten Unbekannten, kommt dann noch, aus dem Klassiker MUSIC FOR FILMS, eine dieser Flüchtigkeiten für (mindestens) die „halbe“ Ewigkeit!
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Es dauerte eine Weile bis ich diese Sequenz für die Sendung (mit den idealen Stücken) gefunden hatte, und es war bald klar, dass man in diesen 55 Minuten (die wahrscheinlich wie im Flug vergehen, wenn Sie die ersten zehn Minuten verkraften, liebe Hörer) keinesfalls das Ende der Welt aus den Augen lassen sollte, und wie es der Fotograf Lewis Baltz am Flughafen von San Francisco dingfest machte – bis zum 2. September nachzuempfinden im Kunstmuseum Bonn. Da könnte der alte Adalbert Stifter noch viel mehr zu erzählen als ich, aber der ist ja schon lange nicht mehr da.
1) Heiner Goebbels: STIFTERS DINGE
2) Arianna Savall / Petter Utland Johansen: HIRUNDO MARIS
3) Louis Sclavis: SOURCES
4) Masabumi Kikuchi: SUNRISE
5) Thomas Köner: NOVAYA ZEMLYA
6) Lambchop: Mr. M
7) Brian Eno: MUSIC FOR FILMS
The Coast / El Mariner / Sous influences / Sunrise / Novaya Zemlya 1 / If Not, I’ll Just Die / Sparrowfall 1
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