Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2012 15 Apr

Von Nierensteinen, Fussballspielen und Sam Cooke

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

Der eine Mitbewohner meines Zimmers lag mit einer gebrochenen Nase und anderen Frakturen danieder. Er hatte einen Freund beschützen wollen, auf den die Türsteher einer Disko hemmungslos eingeprügelt hatten. In der Chirurgie waren keine Zimmer mehr frei, also kam er zu uns in die Urologie. Der andere Kollege war, wie ich, streinreich, und wartete auf die Entfernung seiner Nierensteine. Ich kam als erster dran, hatte mir vorher das im Mai erscheinende Soloalbum von John Surman gegönnt. Sehr empfohlen für solche feinen Anlässe. In den Sekunden, bevor die Nacht mich umhüllte, stellte ich mir etwas vor, das ich hier für mich behalte – und den Papagayo-Strand von Lanzarote. Als ich wach wurde, trug ich einen Blasenkatheter, und ab und zu spritzte eine freundliche Schwester eine schmerzlindernde Flüssigkeit in meine Harnröhre. Es gab schon erotischere Momente in meinem Leben. Blut und Urin sammelten sich in meinem Beutel. Am Nachmittag kam der Oberarzt, der mich operiert hatte und teilte mir mit, dass er zu 99 Prozent alle Nierensteine meiner rechten Niere entfernen konnte. I was a happy man. Es war unlustigerweise der Tag, an dem mein Ballspielverein Borussia gegen Bayern München spielte. Wie gerne wäre ich wenigstens im Strobels gewesen! Aus dem sechsten Stock des Klinikum Nord sah ich in der Ferne die Pylone des Westfalenstadions. Am liebsten hätte ich mir einen Fesselballon gemietet. Diesen „Hitchcock“ am Radio zu verfolgen, war mir zu stressig. Ich vertrieb mir die Zeit mit den herrlich altmodischen Einflüsterungen von M. Wards „A Wasteland Companion“ (oh, my love!). Ein „blauer Engel“ hatte mich dermassen sediert, dass ich darüber einschlief, und erst kurz vor Spielschluss erwachte: fiebrig begab ich mich auf Ergebnissuche , und mein Jubelschrei riss meine Kumpels kurz aus dem Dämmerschlaf. Mein bester Freund dort war ein Krankenpfleger, ein Heavy Metal-Fan, aber offen für meine „komische Musik“. Der Tag darauf: ein Rettungshubschrauber landete in aller Frühe auf dem Landeplatz vor dem Klinikum. Ein Mann erzählte mir von seinem Stein, der so gross war wie ein Straussenei, und in viele Einzelsteine zertrümmert wurde, die immer noch zu gross waren, um sie über die Harnröhre raus zu fischen. Seine Schmerzgeschichte war  ein Drama, er tat mir unendlich leid. Kumpel Rolf brachte mir den „Kicker“ vom Kiosk mit. Am Schluss zog ich mein „LOST“-T-Shirt an. „Ich bin der letzte Überlebende der Dharma-Initiative.“ Während ich dies schreibe, laufen alte Songs von Sam Cooke im Hintergrund. Dortmund hat das Derby auf Schalke gewonnen. Ich bin im siebten Fussballhimmel. Das Kind im Mann lebt noch.

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