Es wäre ja mal an der Zeit, eine Lanze für seine Heimatstadt zu brechen (ja, ist er noch ganz frisch, frischverliebt zumindest nicht …) – „Leinen los!“ also für diesen Ort an der Leine, der soviele Berühmtheiten vom Stapel ließ: die Lena, die Scorpions, den Gerd und einen Schloßhund namens Wolf, der sich ´ne kleine Hütte vorfinanzierte. Aber seit Jahr und Tag wird diese Stadt von ausserhalb her denunziert als Dunkelort der Depression.
Wie kommt das bloß? Wo liegt der Grund begraben? Bestimmt nicht in der meist trostlosen Architektur (post war re-buildings) – die gibts auch anderswo und selbst in Rio de Janeiro (am Fluß des Januars) sind die Häuser häßlich. Nichts als Vorurteile also: pride and prejustice?
Vielleicht. Wer länger in Hannover weilt – und viele tun das nicht aus Schwermut, sondern purem Glück -, der weiß: hier lebt sich´s gut und komfortabel. Ein großer Vorteil nämlich ist die enorme Konformität: niemand fällt hier aus der Rolle – alles ist gemäßigt und normal. Nur laut ist es: die Lärmbelastung ist von allen deutschen Städten hier am höchsten. Merkwürdiger Widerspruch – denn optisch gleicht die Szenerie eher einem von de Chirico gemalten Augenblick ewiger Windstille.
Das ist für Fahrradfahrer vorteilhaft, denn wo kein Wind ist, da ist auch kein Gegenwind. Zum Bikerglück tragen auch die ebene Landschaft und ebenso expomäßig renovierte Wege und Erholungsflächen bei. Gehört man allerdings zu den trainierteren Naturen, muss man schon 30 Kilometer bis zum Deister fahren, um dann am Nienstedter Pass endlich den ersehnten Widerstand zu spüren: dort gehts, man glaubt es kaum, in Serpentinen steil bergauf … und hernach steil bergab.
Hannover ist eine Stadt der Kunst. Ein ungeheurer Satz wie dieser will begründet sein: längst vergessen ist zwar die Fachhochschule für Gestaltung – sie fiel den Sparzwängen zum Opfer (dafür wird das Herrenhäuser Schloss jetzt wieder aufgebaut). Aber besagte Flachland-Topografie sorgt dafür, das alles, was aus dieser Ödnis sich erhebt, sich gleich als Objekt hervortut. In abwechslungsreicheren Gefilden wäre das gar nicht möglich: allein die Natur sorgte für eine Konkurrenz zum Artifiziellen, die hier gänzlich fehlt.
So sind der Projekt(ions)- und der Gestaltungswille groß: denn wo nichts ist, muss etwas werden. „Warum ist denn überhaupt Etwas?“ – nach vielmehr Nichts sehnte sich doch schon der alte Leipniz, dem zu Ehren hier ein Tempel steht. Sein Wunsch blieb ungehört.
Denn was die Schöpfungsgeschichte uns verschweigt: am Siebten Tage, ausgerechnet, war Hannover an der Reihe. Es war gerade Sonntag und der Schöpfer sprach (im gleichen Dialekt wie Schröder): „Macht ihr mal fertig, Genossen, ich mach heute gar nix mehr!“ Und deshalb ist hier seit Genesis ewig Messe (what a mess!) und das Leben eine Baustelle. High Life für die Stadtbauplanung einer Hochkultur. Ist doch auch was – oder Nichts?