Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2012 9 Jan.

Tonios Wette

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags:  | Comments off

Ein langjähriger Freund und Wegbegleiter, gebürtiger Brasilianer, hatte schon in jungen Jahren ein bewegtes Leben hinter sich, als wir uns auf kuriose Weise kennenlernten. Ich benötigte Portugiesischunterricht, las eine Annonce im Stadtmagazin Schädelspalter, rief dort an und verabredete einen Kennenlerntermin. Es war Sonntagmittag, ich klingelte, eine WG, und es öffnete jemand, den ich vom Sehen schon kannte: H, Mitglied der Gruppe Tri Atma, deren Musik ich damals sehr mochte. „Tonio schläft noch, werd´ ihn mal wecken – nimm in der Küche Platz, es ist noch Kaffee da!“

Dort stand er dann ganz plötzlich, so wie Gott ihn schuf (deus é brasileiro): nackt, einssechzig groß, Lockenpracht, dunklere Hautfarbe und sehr, sehr temperamentvoll (später sollte ich erfahren, dass er in Brasilien „Pfeffer“ hieß). Er gab mir die Hand mit den Worten: „Grüß dich, wurde etwas später gestern. Zieh mir kurz was an, gleich gehts los!“

Der Unterricht verlief sonderbar: während ich auf der Couch Platz nahm, das Lehrbuch vor der Nase, stand Tonio hinter zwei Congas in der anderen Zimmerecke, stellte mir Fragen und untermauerte diese nachdrücklich mit kleinen, gepfefferten Perkussions-Pirouetten.

„Que horas são?“  Tschaka-bum-ba-tschakatschaka  „Äh, são cinco e quinze!“ „Não, falso, outra vez!“ Tschaka-bumba-tschaka-bumba – so etwa lief das ab und aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich später dann eine langjährige Freundschaft – mit einer Vielzahl von gemeinsamen Konzerten in Folge, zu einer Zeit, in der Live-Musik, Kleinkunst- und Kneipenkultur noch angesagt waren. Wir nannten uns Xangô (um orisha), dem Gott des Donners sei´s gedankt.

Tonio hatte, wie gesagt, schon einiges erlebt, war Spießrutenlauf-erprobt: politisches Asyl, schlief drei Jahre in Europa unter Brücken, kam dann in Aachen in einem katholischen Kloster unter (hasste aber Kirche, Papst und Katholizismus wie die Pest), lernte dort Deutsch und kämpfte sich in Deutschland durch, was nicht so einfach war. Später dann, als er längst etabliert war, fragte ich ihn, ob es ein Geheimnis gäbe: „Wie hast du so beharrlich durchgehalten?“ „Ganz einfach“, antwortete er, „ich hatte eine Wette mit mir abgeschlossen und die lautete: Wetten dass du es schaffst, hier was aus dir zu machen!“

Wir haben uns inzwischen lange aus den Augen verloren und Tonio meinte mal, keine Freundschaft hielte für ewig (und das glaube ich ebenso). Zuletzt hörte ich, er sei nach Norwegen ausgewandert, mit seiner Frau (einer Ärztin) und den beiden Kindern. Wenns am Horizont mal düster aufzieht, hernach ein Dutzend Niederschläge niederprasselt (it only has to happen once) und mindestens ein Sturm in der Teetasse ausbricht … – dann denke ich an Tonios Wette.

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