Soeben ist ihr neues Album erschienen, „Diversions, Vol.1 – The Songs of Robert Wyatt and Anthony & the Johnsons“. Eine Live-Aufnahme aus der Union Chapel in London, die die Atmosphäre des Raumes wunderbar einfängt. Es war noch der Winter 2010/2011, als ich mit Rachel Unthank telefonierte; Anlass war das vierte Studioalbum der Unthanks, „Last“. Sie saß, an einem eiskalten, aber sonnigen Februartag in ihrer Wohnung in Nothumbria, einer englischen Grafschaft, die an Schottland grenzt. Ich sass in einem Studio des Westdeutschen Rundfunks.
Die Geschwister Unthank wuchsen in einem Teil Englands auf, der stark mit der alten Folklore verbunden ist; die Geschwister mit den markant unterschiedlichen Stimmen studierten lokale Liederbücher, historisches Liedgut – von klein auf wuchsen sie auf mit Liedern eines Graeme Miles, meist vorgetragen von der Wilson Family. In diesen Songs schlug die Zeit langsamer, aber nicht weniger gnadenlos. Eine urwüchsige Natur war oft Schauplatz für Liebesgeschichten, die sich in Mordgeschichten verwandelten. Geschichten wurden endlos erzählt, die Stoffe gingen nie aus.
Alte Zeiten werden wach bei The Unthanks, die sich anfangs „Rachel Unthank and the Winterset“ nannten, und mit „The Bairns“ ein meisterliches Werk aufnahmen. Ob sie Traditionelles interpretieren, oder bei Robert Wyatt und King Crimson fündig werden: immer bewegen sie sich durch eine eigene Sphäre: Folklore in einem kammermusikalischen Gewand, dezente Einflüsse des Minimalismus sind spürbar, aber auch Neoromantiker wie Vaughn Williams haben Spuren hinterlassen, die in ihrer Musik einen Vogelflug und weite Küstenzonen nachzeichnen konnten.
„Das Bild auf dem Cover unserer aktuellen Arbeit „Last“ ist sicher verknüpft mit einigen Themen des Albums. Es finden sich auch etliche ¾- und 6/8-Takte, was der Musik ein mitunter walzerartiges, auf jeden Fall ein romantisches Gefühl verleiht: Tanz und Romantik in dunklen Zeiten, das war eine unserer Vorstellungen von der Musik. Und da sind diese tanzenden Paare, die Männer streng gekleidet: eine Zeichnung von Winslow Homer aus dem Jahre 1863, eine wogende Menge; Homer war ein amerikanischer Maler, der nach England umzog, und in einem Dorf an der Küste von Newcastle lebte, in dem zufällig meine Mutter jetzt wohnt. Er machte viele Bilder von den Menschen, die dort lebten, den Fischern, den Arbeitern. Und in dieses Bild waren wir ganz vernarrt; da ist so ein Gespür von Bewegung darin, auch von Gemeinschaft …“ (Rachel)
Portishead, Radiohead und viele andere Künstler haben ihre Bewunderung ausgedrückt für die Kunst der Unthanks, vorwiegend alte Stoffe neu zu beleben, ohne dabei das Etikett “Folk“ mit angestrengt modernen Mitteln aufzubrechen. „They have that blue moon magic about them“, hiess es in der BBC, und Paul Morley bemerkte im Observer: „Diese Musik ist gleichermassen eisig trostlos und schmerzhaft intim.“ Umso wichtiger, die Akustik der Aufnahmeorte mitwirken zu lassen – und da kommt eine Wärme her, die uns erlaubt, den Stimmen und Klängen in dunkelste Räume zu folgen:
„Ich denke, wir erwähnten das, weil wir dieses Mal, für das Album „Last“, die Musik in verschiedenen Räumen aufnahmen. Adrian (McNally) nahm einige der Piano-Passagen auf in einem Konzertsaal in Suffolk, ein Ort, der ursprünglich eine Brauerei war; der Komponist Benjamin Britten ließ sie nach seinen Vorstellungen umbauen. Wir hatten da zuvor einige Male gespielt, und auch dank der Holzvertäfelungen ergab sich eine sehr warme Akustik. Die Streichinstrumente nahmen wir hier in Northumberland auf, in einem sehr kleinen Raum, der aber einen massiven, voll tönenden Sound hatte. Und die Kombination dieser Räume schuf den Grundton für das Album. Man könnte da denken, wir hätten den Streichern eine Menge Nachhall verpasst, aber das war einfach der natürliche Sound. Wir versuchten also nicht wie ein Orchester zu klingen – wir klangen einfach so.“ (Rachel)
Hier das ganze Telefongespräch (Sie hören allerdings nur die Stimme von Rachel Unthank, und wie sie zwischendurch meinen Fragen lauscht). Die Fragen beziehen sich auf die Historie der Unthanks und ihr letztes Studioalbum „Last“. Zum Ende hin frage ich Rachel auch nach der Aufführung mit den Robert Wyatt- und Antony & the Johnsons-Liedern, die gerade veröffentlicht wurde. Es ist nicht wichtig, die Fragen zu kennen, um die Antworten zu verstehen (wen es dennoch interessiert: meinen damaliger Fragenzettel habe ich als Kommentar 1 beigefügt). Enjoy the silences. They are not totally silent, by the way. Am Anfang hört man die Stimme ihres Lebens- und Musikgefährten Adrian McNally ihr etwas ins Ohr flüstern. Willkommen in der Welt der Unthanks: