Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2011 26 Sep

Brederode avec Becker

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Gegensätze befruchten sich gegenseitig. Nicht nur in Beziehungen (women from venus, men from mars); in der Biologie; in Wissenschaft und Philosophie (These – Antithese), sondern auch, wer hätte das gedacht – in der Musik.

Als Heiner Goebbels noch zusammen mit Alfred Harth musizierte, sagte er während eines Konzertes einmal, sinngemäß und ungefähr erinnert: „In meiner Musik versuche ich, Gegensätze zu vereinen. So entsteht Schönheit. Ohne das Böse; das Häßliche; das Brutale; das Kaputte wäre das Schöne (Wohlklingende) einfach nur fad.“

Dies ist wohl der Grund, warum mir die Arbeiten Goebbels´ ebenso wie die David Sylvians; John Zorns; Gary Thomas´ (Saxofonist, werden nur Wenige kennen) und Tim Bernes so attraktiv erscheinen – und ich auch zu jenen gehöre, die Mozarts Musik nie mochten.

Nun begab sich das Folgende am Wochenende in der niedersächsischen Landeshauptstadt: ein schreibfauler, dort residierender Manafonista dachte sich, er müsse endlich mal (wieder?) eine anständige Plattenbesprechung posten, denn die Manafonistas seien schließlich in erster Linie ein Musik-Blog. Und da ihm das Wolfert Brederode Quartett nach erstem, flüchtigen Eindruck gut gefiel – nicht zuletzt, weil der Schlagzeuger auch Qualitätskriterium von Colin Vallons „Rruga“ war, hörte er´s in Ruhe an.

Erinnerungen an Oregon kamen auf; das Piano klang ein bischen wie auf einer alten, verlassenen Dorfschule, aus dem Nebenraum aufgenommen (die ECM-Klasse). Man stelle sich ländliche Gefilde vor: Stille herrscht Allerorten vor. Vielleicht nach langer Wanderung betritt man den leeren Saal dieser Schule – und drückt eine Klaviertaste: pure Magie.

Und trotzdem wurde das Brederode-Hören, so etwa ab Track Zehn, etwas fade. Schade. „Anderes muß her, ein Kontrastprogramm, zur Wiedergutmachung, zur Beseitigung des tendenziellen Schläfrigwerdens!“ Der Zufall wollt´ es so: der Niedersachsen-Manafonista wählte Walter Beckers Circus Money. Es war die Offenbarung.

Noch nie vorher erschien ihm diese Scheibe so gelungen. Delikate Klänge, wie gesampled. Zitate einer grandiosen Jazz, Soul, Fusion – Ära. Dass Viele sich am Gesang Beckers stören: geschenkt. Herrlich schräg, abgedreht, schizo. Diesen angereiften Steely Dan – Genossen stelle man sich in der Harald Schmidt Show vor. Zuckergußzyniker unter sich.

Lacan-Leser werden wissen: ein Essay trug den Titel Kant avec Sade. Ebenso gilt Brederode avec Becker; Les Fleurs avec le Mal; romantische Landidylle avec L.A. – und das Gute ist: es funktioniert.

Post Scriptum: eine „anständige“ Plattenbesprechung ist es nun wieder nicht geworden.

This entry was posted on Montag, 26. September 2011 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. Poschlost:

    Interessante Idee, so eine Doppelbesprechung als Duell i.w.S.! Je willkürlicher oder entlegener die Paarungen, desto spannender wärs. Ernsthaft. Man würde manches aus einem ganz neuen Hörwinkel wahrnehmen. Unfair (weil subjektiv) ist jede Art von Musik- bzw. Kulturkritik ja „naturgemäß“ (Th. Bernhard) – oder gibts schon den Stiftung-Warentest-Test „Gute Musik, mittlere Preisklasse“ oder „Weltliteratur im Dauertest“? (Letzte Woche in der Heute-Show und früher mal in der Titanic gabs immerhin den „Vergleichstest Weltreligionen“ mit Kriterien wie „Jenseitsqualität“ etc.)
    Ich fänds jedenfalls gut, wenn diese „unanständige“, aber unterhaltsame und aufschlussreiche Rezension der Auftakt einer Duell-Serie würde. Wie wärs z.B., um bei Steely Dan zu bleiben, mit „Belonging vs. Gaucho“ (s. Wikipedia)?

    Karsten

  2. Michael Engelbrecht:

    Die Walter Becker-Scheibe wurde seinerzeit wenig gewürdigt. Man muss den Kontext finden. Und diese Brederode-Cd bietet einen idealen Raum für den halben Steely.Dan. Brederode ist zwar allerfeinste, aber zu lang, die Musik kommt im letzten Drittel nicht mehr auf den Punkt. Und da dann den Becker platzieren – brilliant. Zwei künstliche Welten, die uns etwas übers Leben erzählen – auch ne Kunst!

  3. Jochen Siemer:

    Stelle mir vor, dass der Spass eines Radiomoderators genau dort beginnt, wo er Gegensätze brilliant und delikat nebeneinander platzieren kann – und der Spass seiner Hörerschaft natürlich auch.

    Die Brederode-CD ist in der Tat ganz feine Musik.
    Man bekommt hier auch einen optischen Eindruck …

    Gaucho übrigens wurde damals sehr kritisch rezipiert – und von Steely Dan mit irrwitzigem Aufwand im Perfektionswahn produziert.


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