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2011 27 Jul

Das zerbrochene Glas

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags: , , | Comments off


 
 

„Im Zentrum des sich unaufhörlich drehenden Lebensrades befinden sich die Triebkräfte der Begierde, des Hasses und der Verblendung, symbolisiert durch einen roten Hahn, eine grüne Schlange und ein schwarzes Schwein, die sich reihum in den Schwanz beißen und so auf ihren wechselseitigen Zusammenhang verweisen. Es sind diese Kräfte, die unsere Entfremdung von uns selbst aufrechterhalten und uns dauerhaft an das Rad fesseln, unfähig, die Einsichten des Buddha zu verstehen, und gefangen in unserem Verstand, der vor unserem wahren Selbst davonläuft.“

 

Diese Worte entstammen der Feder Mark Epsteins. „Gedanken ohne Denker“ heißt sein Buch. Ohne den Buddhismus überschwenglich zu loben, will sagen: den Fußstapfen westlicher Möchtegern-Esoteriker oder sinnsuchender Sannyassins hinterherzutrippeln und sich im Ganzheitswahn einen Glaubensfetisch zu schaffen, gelingt ihm darin die Zusammenschau von Buddhismus und Psychotherapie/analyse.

Zwischenzeitlich vergriffen, erscheint das Buch in diesem Herbst neu, Buddha sei Dank. Denn es ist lesenswert, zielt ins Zentrum therapiebedürftiger Problematik und ergänzt deren Begrifflichkeit. Präzise und unterhaltsam stellt Epstein Sichtweisen der Psychologie und des Buddhismus gegenüber, die sich gegenseitig erhellen. Verblüffende Parallelen werden sichtbar.

Der Autor schildert unter anderem die Begegnung mit einem Meditationslehrer, der gefragt wird, was eigentlich mit „Beseitigung des Verlangens“ gemeint sei. Der Lehrer nimmt ein Wasserglas in die Hand und spricht: „Seht ihr dieses Glas? Für mich ist dieses Glas bereits zerbrochen …“ Dies ist eine Metapher für das illusionäre Selbst bzw Ich; für verblendeten Narzißmus; für das vergebliche Verlangen nach Kontinuität.

Das für Borderliner so schmerzende „Mir ist nichts (gut) genug“ wird hier ebenso konterkariert wie das gierdynamische „Immer mehr“ einer Leistungsgesellschaft im Horizont von Konsumismus und Informationsflut: das Un-Perfekte ist intakt; Weniger ist mehr; im Mangel blüht der gelbe Ginster der Erleuchtung.

Jüngst haben Bücher wie Alain Ehrenbergs vielzitiertes „Das erschöpfte Selbst“ oder Byun Chul Hans „Müdigkeitsgesellschaft“ den Fokus auf eine Weise umgelenkt, die einem Zen-Erschöpften Sitzkissen; an die Wand starren und das Klatschen der einen Hand ersparen könnten: beim Einen brennt das Ich sozusagen durch, beim Anderen gibt es sich genüsslich seiner Müdigkeit hin. Letzterem schliesse ich mich an.

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