Thomas Weber: Im Unterschied zur Live-Situation, wo wir vor allem mit dem Holz kämpfen, wo die Schwerpunkte eher in der Gruppendynamik und in der Improvisation liegen, gibst bei der Arbeit im Studio Abweichungen: ein bisschen ist es da so wie in dem schönen John Cage-Zitat: am Anfang brummt einem alles Mögliche durch den Kopf, Menschen, Erinnerungen, Verbindungen, Bilder, Texte, andere Stücke, und was weiss ich noch alles, und nach und nach wird alles lichter, und am Ende ist fast gar nichts mehr da, und wer Glückt hat, vergisst sich dann sogar selbst.
Michael Engelbrecht: Der erste Track eures Album WILDLING, Move Right in, zieht einen ja gleich richtig in die Musik hinein, und über die Jahre hast du mit dem Kammerflimmer Kollektief eine eigenen Stil entwickelt. Und oft liest man, gibt es da Bezüge zur alten deutschen elektronischen Musik, zur Krautrockmusik. Wie kommen diese Parallelen zustande bei Musikkritikern?
Thomas: How, Gott schütze Renate Kropp Krötenschwanz – wenn Krautrock nicht nur experimentelle und drogeninduzierte Musik aus vorzugsweise Westdeutschland ist, sondern auch noch das motorische Moment, und das Improvisationslastige betont wird, von mir aus können wir dann ruhig Nachfahren des Krautrock sein. Es kann dann aber auch gerne aus Tanger oder Ulan Bator kommen, ist mit am Ende egal. Julian Cope, der britische verrückte Druide, sagt ja, beim Krautrock geht es am Ende allein um Erleuchtung. Und Erleuchtung gibt’s eben nicht bei Hölderlin oder Eloy, Erleuchtung gibt’s nur bei Can, Faust, Amon Düül und Neu! Schöner und treffender wäre für unsere Musik, glaube ich, der Begriff „Psychedelic“, der beschreibt für mich sehr gut so eine geistige Mischform aus psychoakustischem und intuitvem Mäandern zwischen einerseits Improvisation und andererseits Loop. Irgendwie bewusstseinsverändernd, aber immer zwischen Präzision und Freiheit, und vor allen Dingen ohne Weltflucht.
Michael: Spätestens seit der Musik von Jinx spielt ja bei der Musik des Kammerflimmer Kollektiefs dein Gesang eine besondere Rolle, Heike. Was mir aufällt, jetzt gibt es eine ganze Spannbreite zwischen Phantasiesprache, indisch klingenden Lauten und englischem Gesang. Ist das für Sie eine besondere Herausforderung, bedeutungshaltige Wörter und sinnfreie Wörter zu mischen und die Grenzen zwischen ihnen auszuloten?
Heike Aumüller: Ja, es hat eine große Wichtigkeit, dass bestimmte Dinge klar sind und bestimmte Dinge unklar sind. Durch das Nichtbeschreiben oder Nichtbesingen oder Auslassen einer sprachlichen Textur entsteht assoziativer Freiraum, der es mir ermöglicht, auf den restlichen instrumentalen Kosmos einzugehen. Unsere Produktion ist ein extrem wandlungsfähiges Ganzes, und es gibt jetzt keine Hierarchien, z.B. Gitarre vorne, Stimme vorne; das ist etwas, das sich so wachsend entwickelt. Das ist jetzt auch nicht von Anfang an so gezielt, dass wir einen Song machen wollen – oder eine Struktur haben, an der wir festhalten wollen; das ändert sich während des Prozesses und endet in etwas, das vom Anfang nur noch eine bestimmte Stimmung abzeichnet.
Michael: Wie hast du dich denn mit dem indischen Text dieses Lee Perry-Songs „Bird In Hand“ angefreundet?
Heike: Ja, da gab es so eine längere Anlaufphase. Ich habe versucht, den Text erst über das Hören zu begreifen, ich wusste lange Zeit auch gar nicht, was er bedeutet. Es war im Sommer, es war eines der ersten Stücke für die Platte, ich bin an der Alb gesessen, das ist so ein kleiner Fluss, der bei uns in der Gegend entlang fliesst, ich habe versucht, das so lautmäßig nachzuziehen, was ich höre und hab versucht, das für mich so klarzukriegen. Ich hab gesummt und gesungen, und das habe ich eine ziemlich lange Zeit gemacht, und auf dem Heimweg, auf dem Fahrradweg lag eine Amsel, die ziemlich desolat aussah, und da musste ich da absteigen und sie auf die Seite räumen. Was mir erst im Nachhinein so klar wurde, dass der Vogel sprichwörtlich vom Himmel gesungen wurde, weil natürlich… „Bird In Hand“, also die „Amsel in der Hand“, die ich versucht habe in den Schatten zu räumen in der großen Hitze.
Johannes, du spielst den Kontrabass, damit kommt in die Musik so etwas vom Jazz hinein, aber Ihr Spiel funktioniert ganz anders als in herkömmlichen Jazzbands. Wie definierst du deine Rolle im Kollektief?
Johannes Frisch: Mit Jazz habe ich, außer dass ich es gerne höre, eigentlich sehr wenig zu tun; wohl habe ich aber mit der Improvisation zu tun, das war ein Anknüpfungspunkt für mich, hier im Kollektief seit den Anfängen eine Basis zu haben. Wo es einerseits eine Struktur gibt, die allerdings mit sehr viel Improvisation zum Leben gebracht wird. Ich bin also nicht im üblichen Sinne einfach für das tiefe Element zuständig, sondern ich bin als Instrumentalist sehr gerne auch experimentell unterwegs, und suche alle möglichen Klänge aus dem Instrument herauszulocken, die jetzt nicht unbedingt zu den tiefen Tönen gehören oder zu der Basis von dem Song, es gibt viele ganz hohe Dinge, es gibt viele flächige Dinge, und es gibt viele geräuschhafte Elemente, die für mich sehr reizvoll sind. Man experimentiert einfach mit dem Instrument, mit japanischen Haarstäbchen zum Beispiel die man versucht, auf geschickte Weise einzusetzen, dass das eigentlich ein präpariertes Instrument wird, der Kontrabass, vergleichbar mit dem präparierten Klavier von John Cage. (…) Bei unserer Musik ist es so, dass viele Dinge um ein tonales Zentrum kreisen, und oft sind es tonale Zentren, die auch mit offenen Saiten zu spielen erreichbar sind, d.h. es gibt eine ganz große Fülle von Obertöne, die zu einem bestimmten Stück gut passen, mit denen man sehr viel erreichen und ausmalen kann.
Heike: Die räumliche Expansion unseres Bassisten entsteht ja in irgendeiner Weise chamäleonartig, der Bass wechselt die tonalen Farben, er gleitet in Sphären ab, wo er als Baß schlichtweg nicht wahrnehmbar ist.
Johannes: Im Prinzip ist das einfach ein live gespieltes Stück. Es ist eine Atmosphäre, die wir gern auch auf der Bühne erzeugen, das Sich-Verlieren-Können in einer Atmosphäre, in einem Motiv … es gibt ja verschiedene Motive, die in diesem Stück auftauchen , wieder verschwinden, Dinge, die sich entwickeln, die sich anbahnen, die dann wieder abzweigen, aber trotzdem bleibt das Ganze in so einem Zustand, in dem man anfängt zu fliegen, ohne dass man jetzt dazu irgendwelche Hilfsmittel ausser der Musik selbst einsetzt.
Michael: Auf manche Weise geistert ja Pop- und Jazzgeschichte durch die Musik des Kollektiefs. Ich denke da an euren Track „There´s A Crack In Everything“, eine Zeile aus einem Leonard Cohen-Lied. Gibt es in diesem Lied tatsächlich einen Bezug zu diesem Cohen-Song, assoziativ, oder wie ist der?
Thomas: Dass die jazz-und pophistorischen Verweise sich durch unser Werk ziehen, muss wohl daran liegen, dass die Musik schlicht und ergreifend sowas wie eine Art Ersatzreligion geworden ist für mich über die Jahre. Schon früh hat sich mir die Welt vor allem über gehörte Musik und die ganzen spinnwebenfeinen unterirdischen Verbindungen erschlossen und erklärt. Und gerade so manche Zeilen wie „There´s a Crack in everything / that´s how the light gets in” sind mir über die Jahre im Synapsenflimmern so anhänglich geworden, dass die Worte am Ende wahrscheinlich in einer unaufgeregten Ecke im Gehirn abgelegt wurden und aus irgendeiner unterbewussten Schublade, so Gott will, wenn die Zeit gekommen ist, wieder abgerufen werden können.
„Wildling ist ein Füllhorn von zartem Groove, feinem Geräusch, frei herumgeisternden Melodien. Wildling befreit sich aus jeder Schublade. Wer an Krautrock denkt, wird von Sauerkraut träumen. Natürlich gibt es bei diesem Wildling Anklänge, aber die sind so feinstofflich, dass sich wie bei Zaubertinte alle Referenzen verflüchtigen, kaum hat man sie aufs Papier gebracht.“ (M.E., in einer Klanghorizonte-Sendung)
TEUFELSKAMIN, das neue Werk des Kammerflimmer Kollektiefs, erscheint am 11. Oktober 2011. Hier gibt es daraus bald einen Track zu hören.