1) Brian Eno and the words of Rick Holland : Drums Between The Bells
Eno macht immer noch Musik, die, wie die Engländer sagen, “groundbreaking” ist. Und die Musikkritik hinkt gerne wieder hinterher. Lyrikvertonungen der besonderen Art. „Old School?“ „No, cuttin´edge!“
2) Bill Callahan: Apocalypse
Er könnte der Sohn von Cormac MacCarthy sein. Für diese Songs ist das Wort „lakonisch“ erfunden worden. Großartige Kurzgeschichten aus dem Land der Viehtreiber und „Drifter“. Wenn Karl Bruckmaier und ich schon mal einer Meinung sind, sollten Sie das ernst nehmen.
3) PJ Harvey: Let England Shake
Verstörendes England, Totenbilder, Gesänge aus dem Hinterland. Die beste Platte, die PJ Harvey je gemacht hat.
4) David Sylvian: Died In The Wool – Manafon Variations
Verstörende und unheimliche Reisen jenseits von Groove und Schlagwerk. Ernste Musik mit einem Herz, das schlägt! Konservative Fans vermissen den Schweiss und den Biss und die alten Zeiten.
5) Craig Taborn: Avenging Angel
Eine unendliche Welt im Klavier: Taborn beginnt mit einer Idee und fesselt durchweg mit dem Gegenteil von Geschwätzigkeit. Und er geht der Schönheit nicht aus dem Weg, wenn sie ihren Schleier hebt. Hoch-Energie-Zonen!
6) Bon Iver: Bon Iver, Bon Iver
Die Wiederkehr des Sängers der Zwielichtzonen. Nichts an den neuen Liedern ist griffiger geworden. Man weiss selten genau, wovon er singt, aber man kann sicher sein, in diesen „Heimatgeschichten“ verschwindet das Idyll. Ein Lob der Falsettstimme.
7) Josh T. Pearson: Last of the Country Gentlemen
“Americana” pur. Wer das nicht mag, nennt es “Winseln” und “Jammern”. Manchen stehen die Haare zu Berge, bei diesem Zeitlupen-Folk des einsamen Gottessuchers. Gut zu hören auf dem Highway 61. Und nachts.
8) Meredith Monk: Songs of Ascension
Alles zieht hier nach oben, und die Vokalistin Meredith Monk zieht alle Register ihrer „archaischen Avantgarde“. Transportiert den Hörer an Orte, in denen Reiseführer wenig hilfreich sind.
9) Radiohead: The King of Limbs
Sie haben ihre Handschrift gefunden. Und verstören immer noch. Manche Bilder (wie der eines einsam in einem Waldsee Badenden) lassen an Stimmungen des Videokünstlers Bill Viola denken.
10) Bernd Friedman / Jaki Liebezeit: Secret Rhythms 4
Die schönste Grooveplatte des Jahres. Die spannendste vorstellbare Monotonie. Hört man genau hin, lässt einen der Detailreichtum nicht mehr los. Suchtgefahr. Zeitloser Liebezeit.
11) Gillian Welch: The Harrow and The Harvest
“Ten Kinds of Sad”. Wenig Instrumente, alles rohfein. Völlig entspannt, sehr dunkel. Aber man braucht solch alte Geschichten noch, und alte Gitarren.
12) Marilyn Mazur: Celestial Circle
Die Form ist nie gefesselt oder strikt – alles treibt ins Offene, der Ideenfluss ist immens. Produced by Manfred Eicher at Rainbow (it still works, after all these years!)
13) Riccardo Villalobos / Max Loderbauer: RE: ECM
Es gibt hier hinreissende Sphären, in denen der Rhythmus so luftig erscheint wie die sakralen Stimmen ringsum. Der Transport von ECM-Samples in eine elektronische Welt glückt – meistens!
14) Elbow: Build a Rocket, Boys!
Elbow lassen den alten Spruch des Philosophen Gaston Bachelard aufleben: die Räume der Kindheit müssen ihre Dämmerung behalten. The Days of Wine and Roses, sepiafarben!
15) King Creosote & Jon Hopkins: Diamond Mine
Ein Tag an einer schottischen Küste – hier ist der Fuchs begraben, wir landen in einem Lokal am Meer, und der alte Barde lässt den Super-8-Film laufen. Melodien zum Hinschmelzen.
16) Stephan Oliva: Film Noir
Solo-Piano. Der französische Pianist geht über die landläufigen Klassiker des film noir hinaus. De Nacht findet sich überall – Oliva arbeitet nicht mit dem Schrecken, sondern mit der Traurigkeit.
17) Six Organs of Admittance: Asleep on the Floodplain
Noch ein Spezialist für Kindheitserinnerungen: Gitarrenmann Ben Chasny führt uns in kalifornische Berge, und zeigt, wie erfinderisch man dem lieben Gott den Tag klauen kann.
18) The Last Hurrah!!: Spiritual Non-Believers
Norweger verwandeln sich in Hippies, veranstalten eine Party, singen tottraurige Geschichten so, als wären sie eine Fahrkarte ins Paradies! Abgedrehte, großartige Hommage an eine verschwundene Zeit.
19) Jenny Hval: Viscera
Die Selbsterforschung des Körpers. Bizarr. Die Stimme klingt manchmal so, als würde sie elektronisch stimuliert. Dabei ist es nur ein altes Rezept der Samen. Und die Lust, die elektrische Zahnbürsten verbreiten können.
20) M. Ostermeier: The Rules For Another Small World
Ein Wanderer durch ambiente Welten. Aber nichts wabert oder tuckert sinnlos vor sich hin. Kleine Türen gehen auf, das Fremde lockt. Fesselnde, abseitige Electronica mit Klavier, beseeltes Klingklang, herrlich schlafmützig und gut ausgeschlafen zugleich!