Es war damals, an einem Tag im Damals, der sich irgendwo in den Neunzigern versteckt hält, es war ein Sommerabend, das weiß ich noch genau, weil ich mich an das warme Gras unter meinen Füßen erinnere, und wie sich ein spitzer Nagel hineinbohrte, neben dem kleinen Seerosenteich im Garten. Der Schmerz liess nicht locker, und ich haute mir eine volle Schmerzmitteldröhnung rein.
Meine Erfahrungen mit Entspannungstechniken und Meditationsformen bestanden aus „Progressiver Muskelentspannung“ (zu langweilig für mich), „Autogenem Training“ (gute Sache, wenn man es sich mit Disziplin aneignen kann; mich hat immer gestört, dass es von einem strammen Nazi erfunden wurde), und Zazen-Meditation (meine Erfahrungen damit dauerten nur sechs Wochen, ich habe sehr hohen Respekt vor Za-Zen, Leonard Cohen hat es jahrelang praktiziert). Als ich 18 war, hatte ich einen Vortrag von TM-Anhängern gehört, die mir allesamt arg „durch den Wind“ vorkamen.
Mit den nur langsam verebbenden Schmerzwellen versuchte ich mich in eine Couch-Kartoffel zu verwandeln und mich durch etwas Fesselndes im Fernsehen abzulenken (auch eine Entspannugsmethode!). Zum Glück gab es an diesem Abend eine neue Folge von „Ausgerechnet Alaska“. Und ich tauchte sofort in die Welt ein, als die Rentiere während der Titelmelodie durch die Dorfstrasse liefen. An den Inhalt dieser Episode kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an das Ende. Die Stimme des Radio-Djs ist zu hören, während die Kamera in die freie Natur schwenkt. Chris erzählt etwas wunderbar Poetisches (wirklich wunderbar Poetisches), und ich weiß noch, dass ich mir vornahm, irgendwann diesen Text aufzuschreiben und als letzte Moderation in eine Nachtsendung einfliessen zu lassen. Während der letzten Worte seines Monologes (war es eine verkappte Trance-Induktion?) stellte ich fest, dass ich den Kontakt zur Couch verloren hatte und durch den Raum schwebte. Ich stiess kurz an der Decke an, aber meine Schwebegschwindigkeit war so langsam, dass ich mir keine Beule einfing. Ich konnte meinen zeitlupenflug sogar steuern, öffnete das Fenster, und schwebte durch den Garten.
Plötzlich tauchten neben mir andere Flieger auf, und einer stellte sich als „fliegender Yogi“ vor, und freute sich, daß ich mich einem Schwarm von 1000 Meditierenden beigesellt habe, um den Frieden auf Erden zu fördern. ich war zu verblüfft von dem Ganzen, so daß ich nur etwas dumm nickte und schaute, was passieren würde. Wir waren wirklich an die 1000, und mittlerweile Richtung Sauerland abgeschwirrt, in ca. 300 Meter Höhe. Jetzt wollte mir der Wortführer ein persönlich für mich geeignetes Mantra verkaufen, daß mich auf meinem weiteren spirituellen Weg begleiten könnte. Ich sagte ihm, ich hätte meine Geldbörse nicht dabei, würde das gerne später regeln. Er war einverstanden, liess mich aber etwas unterschreiben, was da oben , knapp unter den Wolken, gar nicht so einfach war. So langsam kam mir der Gedanke, dies müsse ein Traum sein. Da stürzte auf einmal ein anderer Flugkünstler neben mir ab. Er krachte Richtung Erdboden. Ein Effekt, der sich in Nullkommanichts auf alle anderen – mich eingeschlossen – übertrug. Kurz hintereinander vernahm ich zahllose dumpfe Einschläge auf dem Erdboden, bis ich wohl selber dran war – und kurz zuvor mein Bewusstsein verlor. Als ich wieder zu mir kam, ging ich zu meinen Fluggenossen. Ihre Körper waren alle zerschmettert, Arme und Beine stachen in schrecklichen Winkeln vom Körper ab, Blut strömte aus den Mündern, die Augen der meisten waren starr aufgerissen.
Meine auch – es war spät geworden, und im TV lief ein schwachsinniger Action-Film mit blutrünstigen Schlägereien. ich glaube, wenn ich vor diesem Ereignis schon jahrelang meditiert hätte (mit meinem TM-Mantra), hätte der Traum eine sanftere Wendung genommen. Wahrscheinlich wären wir alle dumm und doof und erleuchtet auf einer Weide gelandet und hätten was für den Weltfrieden tun können. Wahrscheinlich aber eher nicht. Und ich schwöre, dass das Beste an diesem Abend der Schlussmonolog von Chris aus „Ausgerechnet Alaska“ war. Den Rest können Sie vergessen!