Seit BLEMISH, spätestens aber MANAFON und den daraus erwachsenen, eigenständigen Variationen auf DIED IN THE WOOL fragt man sich, welcher Kategorie dies alles wohl zuzuordnen sei. Für Jemanden, der Musik vorzugsweise durch Antizipation bzw Ahmung (1) rezipiert, gestalten sich die jüngsten Gradwanderungen des Popmusikers David Sylvian als schwierig. Man findet dort nichts, was zum Mitspielen, Mitsingen, Mitschwingen einlädt – egal ob in der Badewanne oder in anderen Übungsräumen.
„Das Leben ist Anderswo“, betitelte einst Milan Kundera ein Buch und Sylvian scheint der implizierten Forderung, dieses Anderswo zu suchen, in seinem musikalischen Schaffen nachzukommen – gewiß kennt er den tschechischen Autor, sein Song „Laughter And Forgetting“ (GONE TO EARTH) zeugt davon.
Kritische Geister behaupten aber, Leben sei in seinen ungeheuerlichen Klanglandschaften neuerdings ebenso wenig zu finden wie Musik und böse Zungen sprachen gar von „Geräuscherzeugnissen“ – also Lärm. (Auch in Kunderas „Unerträglicher Leichtigkeit des Sein“ ist von Lärm-Musik, genannt „muzak“, die Rede. Gemeint ist dort aber der einfältige, nervige Schlager)
Sylvian verweist den Hörer seiner neuen Werke auf eine Zaungast- und Zeugenposition, die sich darauf beschränkt, Klangereignisse nur wahrzunehmen, anstatt dort selbst aktiv mitzumischen. Das mag auch einer der Gründe sein, weshalb Improvisierte Musik und Neue Musik es generell schwer haben, ein größeres Publikum zu erreichen: man bleibt dort irgendwie „aussen vor“.
„Die authentische Neue Musik existiert vor allem als eine Expertenpraxis, in der es kaum um ein Singen und Spielen im Sinne der traditionellen naiven Musikalität geht, sondern um die Exploration der Klangproduktionsmittel und der Kompositorischen Verfahren …“
schrieb Peter Sloterdijk 1993 in WELTFREMDHEIT über die Kategorien der Musik.
Improv-Musik, und auch die abstrakteren Song- und Samplegebilde David Sylvians, verbleiben wohl doch, wie der moderne und teilweise dahinmodernde („it smells funny“) Jazz auch, in einer vertrauteren, von Sloterdijk folgendermassen beschriebenen Kategorie:
„Die performative Musik versucht, sich mit offensiven Mitteln den Weg zum Publikum zu bahnen. Auch sie hält am Primat der Hervorbringung fest, indem sie die Klang-und Bühnenereignisse den Hörererwartungen agressiv überordnet.“
Und so bleibt auch die Musik des einstigen Art-Punk-Eleven immer noch auf die roots von Folk; Blues; Jazz; Rock; Pop und Ambient bezogen – wenn auch in sehr sublimer Weise. Denn in ihr ist etwas Neues, ein Anderswo enthalten, das so mancher Ex-Verehrer seinem Ex-Popstar übelnimmt. Die Erwartungen dieser Hörerschaft werden seit BLEMISH gehörig blamiert – möchte man doch lieber auf dem Fluß vertrauter Gewässer weiterrudern.
„Das Leben ist ein langer ruhiger Fluß“ – von wem war das nochmal, zuguterletzt?
Von Kundera jedenfalls nicht. Ist auch egal, denn es stimmt eh nicht: nicht an Weser, Rhein und Themse – und auch nicht Anderswo.