Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2011 13 Jun

Beitrag zur Müdigkeitsgesellschaft

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags:  | 3 Comments

Melvin Dobbs hat sich für die Wissenschaftsausstellung seines letzten Schuljahrs an der Ellsworth High School einen ganz besonderen Beitrag einfallen lassen. Der von seinen Mitschülern misstrauisch beäugte Sonderling schockt sein Publikum mit einer selbst konstruierten Wiederbelebungsmaschine. Als Testobjekt dient ihm die Leiche einer kürzlich bei einem Autounfall verschiedenen Schülerin, die er eigens für das Experiment auf dem Friedhof ausgebuddelt hat und nun mittels einer Autobatterie wieder zum Leben zu erwecken versucht. Wenig überraschend schlägt der Versuch fehl, und Melvin landet für seine durchgeknallte Aktion in einer Nervenheilanstalt. Die Jahre vergehen. Vicki Chandler, eine einst von Melvin umschwärmte und immer noch unter den traumatischen Vorgängen der Vergangenheit leidende Klassenkameradin, kehrt aus beruflichen Gründen nach Ellsworth zurück. Hier trifft sie auf den mittlerweile aus der psychiatrischen Unterbringung entlassenen Melvin, der weiterhin seinen Forschungen auf dem Gebiet der Totenerweckung unbemerkt von der Öffentlichkeit nachgeht. Dabei erzielt er schon bald erschreckende Fortschritte, die den guten alten Dr. Frankenstein dagegen wie einen Waisenknaben aussehen lassen. Melvin möchte die von ihm angebetete Vicki nur zu gerne zu einer weiteren Versuchsperson machen, um ihre unsterbliche Liebe zu gewinnen. Doch die hat aus erfindlichen Gründen etwas dagegen …

Wahrscheinlich denkt der geneigte Manafonista, was denn jetzt hier abgehe. Wieder ein schräger Literaturtipp? Ja, schon, aber diesmal ist es Sibylle Berg, die auf ihrer Homepage ihre Empfehlung ausdrückt für die Splatter-Romane von Richard Laymon. Genauer genommen für dessen Schocker „Nacht“. Ich habe hier die knappe Inhaltsangabe eines anderen wiedergegeben („Das Grab“), damit speziell Josie (als Berg-Bewanderter) nicht zu viel verraten wird, wenn er sich über den Klassiker aus dem Bastei-Lübbe-Verlag hermacht (oder ist es Heyne?). Um seine Nachtruhe wird es geschehen sein, und die „Müdigkeitsgesellschaft“ wird es freuen. Besonders, wenn dann noch „The collected works“ des 2001 verstorbenen Autors verschlungen werden – suchtartig! Wahlöö und Dibdin, die einstigen Krimiinitiationen von Josie, sind dagegen nur plumper Sozialrealismus. Ja, Frau Berg sollte eine Manafonista werden. Als kleines Lockangebot widme ich ihr jetzt schon mal, zum Gutwettermachen, mein gestrig verfasstes Poem „Kleine Türen (Verena Place)“. Ich jedenfalls habe „Nacht“ bestellt – und bin sicher, daß dieser Roman von mir nicht im Papiermüll entsorgt wird – wie einst Tellkamps „Der Turm“, Grass´ „Der Butt“, oder Handkes „Der Chinese des Schmerzes“.

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3 Comments

  1. Jochen Siemer:

    3 Zündfunk-Sendungen …

    des Bayrischen Rundfunks wiesen auf Han´s Müdigkeitsgesellschaft hin und bezogen sich darauf. 2 Han-delten von Untoten: „Untote leben länger. Der Zombie geht in Ruhestand“ und „Zwischen Leben und Sterben. In den Zonen des Untoten.“
    Letztere ua vom Cineasten; Taz-Autoren und Bloggerkollegen Georg Seeßlen.

    DIE UNTOTEN: LIFE SCIENCES & PULP FICTION
    hieß eine Austellung der Kampnagelfabrik Hamburg.

    „Warum sind wir eigentlich alle so müde? Die Konjunktur der Müdigkeit kann man an einer Entwicklung in der Populärkultur ablesen: der Popularität des Zombies.
    Als unmotivierte und ziellos über die Erde schlurfenden Massen symbolisierten sie lange Jahre unsere Müdigkeit, unseren Widerwillen gegen Fortschrittsdruck und Leistungsdogma. Doch in den aktuellen Zombiefilmen werden auch die ewigen Untoten in die Logik der ökonomischen Verwertbarkeit integriert. Zombies schlurfen nicht mehr ziellos umher, sie müssen jetzt arbeiten und rasen, als liefe ihnen die Zeit davon. Sind wir nicht alle ein bisschen Zombie? Lebt man noch oder stirbt man schon? So genau kann man das manchmal gar nicht sagen.“
    (Zündfunk Radiofeature, BR)

  2. Michael Engelbrecht:

    Na, dann bist du ja bei Richard Leymons Büchern bestens aufgehoben:)- vielleicht treten demnächst bei SCOBEL auch mal ein paar Untote auf!

    Den letzten Zombie habe ich gestern in der Tagesschau gesehen: Söder.

  3. Michael Engelbrecht:

    Als ich seinerzeit Handkes „Der Chinese des Schmerzes“ las, gehörte ich noch zur Handke-Leserschar und fieberte jedem neuen Buch hinterher. Angefangen hatte das beim „kurzen Brief zum langen Abschied“ und dem „Wunschlosen Unglück“, und auch seine Tagebücher las ich noch mit Interesse, und von seinen diversen Versuchen schätzte ich den über die „Jukebox“ am meisten. Später, als er seine politischen Umnachtungen ins Dichterische stilisierte, bei diesem Killer namens Milosevic am Grab auftauchte, und manch irrem Nationalismus das edle Wort schwang, war Schluss mit lustig. Aber „Der Chinese des Schmerzes“ war ein mörderisch langweiliges Buch, und es erleichtete, im Nachhinein, den Abschied von einem Autor der Studentenjahre. So, wie bei manchen im Alter der Starrsinn zu nimmt, so ist bei Handke ein Drang zur Selbsterhöhung zu beobachten, den er besser mit einem altersgerecht erhöhten Harndrang eintauschen sollte. Wenn er sich in manchen Wortpassagen zum Dichterfürst aufschwingt, der sich lieber auf altehrwürdigen literarischen Pfaden bewegt als den Tagesmenschen ins allgemeine Geschwätz zu folgen (so ist die Diktion, der Tonfall), dann trifft man hier – wie in der Medizin zuweilen auf den Gotteskomplex – auf das „Goethe“-Syndrom (und zwar in Reinkultur). Hier, im Tagesgeschäft, werden Leben und Tod verhandelt; Geschichtsklitterung hilft nur denen, die die Bücher fälschen!


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