Eine Hörversion des Gesprächs existiert auch:
https://www.davidsylvian.net/releases/articles-interviews/99-audio-video/1247-interview-deutschlandfunk-die-erfindung-der-einsamkeit.html
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Man lasse das scheue Reh auf dem Cover auf sich wirken, das in diesem unwirklichen Wald in Richtung des Betrachters schaut: ein flüchtiger Moment, eine nervöse Bewegeung – und es wird verschwunden sein. So ähnlich verhält es sich mit den auf MANAFON vorfindlichen, sublimen Klängen fernab aller landläufigen Harmonik: über diese allerseltsamste Landschaft (die sich aus Traditionen von Ambient, Free Jazz, Morton Feldman etc. speist) erhebt sich die Stimme des Sängers – das Klanggewebe ringsum ist dermassen fein verästelt, das ein Hauch alles in eine Luftspiegelung und pures Nichts verwandeln könnte!
So bizarr das Cover wirkt, es weist auch auf Sylvians derzeitigen Lebensstil. Ein Waldhaus bewohnt er in New England, USA, und nach eigenem Bekunden verbringt er derzeit 90% seines Lebens allein; via Internet kommuniziert er mit Musikerfreunden und freut sich auf die ganz realen Begegnungen mit seinen Töchtern (s.a. The Invention Of Solitude; The Wire, Sept.2009) Dieses zurückgezogene Lebens spiegelt sich natürlich auch auf MANAFON; schon BLEMISH war das Dokument einer Lebenskrise und Trennung.
David Sylvian gilt ja ähnlich wie Leonard Cohen oder Sufjan Stevens als spiritueller Mensch, als Gottessucher. In den letzten Jahren allerdings meldeten sich Zweifel. Auf dem ersten Song (der einzige Track, der eine „Ich-Perspektive“ einnimmt), SMALL METAL GODS, verabschiedet sich der Protagonist von manchen Relikten aus der Zeit, als ihm Heilslehrer und Meditationspraktiken innere Gewissheiten vermittelten. Da hinterfragt einer seinen Glauben. Schonungslos. Die Waldeinsamkeit wurde nicht aus Imagegründen gewählt.
Es gibt nicht mal vordergründige Rhythmen, Freunde des Grooves, seht euch also vor! Anders gesagt: David Sylvian bricht weitgehend mit jener Ästhetik, die seine Songalben von BRILLIANT TREES bis DEAD BEES ON A CAKE auszeichnete, diesen elegant-epischen Mix aus feiner Jazzharmonik, ambientem Wohlklang und sensiblen Pulsierungen. Schon auf BLEMISH hat die Gitarre von Derek Bailey für atonale Störfeuer gesorgt. Jetzt geht er einen konsequenten Schritt weiter: an seiner Seite eine Reihe exzellenter Improvisationsmusiker (Evan Parker, Christian Fennesz u.v.a.) – in langen Sessions tastete man sich zu einer Musik voran, die für Sylvian die Basis der Vokallinien bildeten. Ein extremes Risiko für eine Stimme, alles Melodische allein zu tragen, nicht auf das Stützkorsett vertraut-virtuoser Töne zu setzen. Als die Instrumental-Sessions in Wien beendet waren, liess er das Material erst mal lange Zeit ruhen.
David Sylvian hatte einfach keine Lust mehr, noch ein Album im Stile seiner „Klassiker“ zu machen; er ist ein zu kreativer Geist, einfach nur „mehr desselben“ abliefern zu wollen. Und deshalb, werte potentielle Hörer(innen) dieser Musik, ein kleiner Tipp: lassen sie sich nicht abschrecken von dem Unverständnis und der Polemik, die Musik so leicht auslösen kann, wenn sie sich ausserhalb der Komfortzone von Mainstream-Rockkritikern bewegt.
Das Gute: man muss aber auch kein Musikseminar besucht haben über Zeitgenössische Musik, um von diesen Klängen gefangen genommen zu werden. Man muss einfach nur ein wenig Zeit mitbringen, und dann gibt es jenen berühmten „switch“, das Umschalten unserer Empfangsorgane – und aus widerspenstigen, scheinbar abstrakten Klängen wird ein meditativer archaischer Rausch!
Und noch eins – manche mögen staunen, wie organisch die Stimme mit den freien Klangfeldern harmoniert. Tatsächlich hat Sylvian gar nicht viel am vorhanden Material geändert, vor allem noch einige Intros und Codas aufgezeichnet, auf zusätzlichen Sessions in Tokyo und London. Allerdings war der Mann mit dem Samtbariton ganz allein, in schönster Abgeschiedenheit, als er die Texte schrieb – und zu den Melodien fand. MANAFON ist ein Glücksfall geworden, alles andere als unnahbar.
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Das folgende Interview mit David Sylvian fand in Hamburg statt, im Flur des sechsten Stocks eines Hamburger Luxushotels. Sylvian behielt die ganze Zeit seine Sonenbrille auf; er lachte, als ich ihn darauf hinwies, diese Szenerie, mit weitem Flur und Nierentisch würde aussehen wie ein altes Bild von Edward Hopper, „Two People in a Hotel, (lost) – and if you do not take off your sun glasses, it´s really dark!“
David Sylvian, wie sind Sie an das Schreiben der Texte herangegangen, die ja so eigenartig und asketisch sind wie die Musik!
Die Zuhörer werden nicht so wild darauf sein, den Inhalt eines Songtextes mit meiner Person in Verbindung zu bringen, jedenfalls hoffe ich das; sie werden einen echten Kontakt zum Text herstellen, in dem sie ihn mit eigenen Assoziationen füllen. Grundfragen dichterischer Imagination tauchen als Thema genauso auf wie Gefühle der Desillusionierung. Das Schreiben ging wie von selbst vonstatten, nach dem Prinzip „Erster Gedanke, bester Gedanke“ a la Alan Ginsberg. Die Texte sind wohl enthüllender als ich es mir vorgestellt habe – ich habe mich weitgehend dem automatischen Schreiben überlassen. Wenn ich mir jetzt rückblickend die Texte anschaue, kann ich erkennen, aus welchem seelischen Zustand heraus sie enstanden sind – ich schreibe in den letzten Jahren weniger aus der Distanz, mehr aus dem Zentrum von Erfahrungen. Hier gibt es kein Gespür für Auflösungen, eher einen Prozess des Befragens.
In dem Song „Emily Dickinson“ bringen Sie eine berühmte Dichterin ins Spiel, die ein sehr einsames Leben führte…
Der Song selbst bezieht sich nicht direkt auf Emily Dickinson; er handelt von einem jungen Teenager, einer Jugendlichen, die eine Suchtkrankheit überwindet und sich dann völlig zurückzieht. Sie hat die fixe Idee, dass ihr Leben dem der Dichterin sehr ähnelt. Eine romantische Vorstellung, die aber Gefahr läuft, sie noch mehr in die Isolation zu treiben – bis zum Punkt der Selbstzerstörung! Das Thema des Liedes ist wohl die Unfähigkeit vieler junger natürlich auch älterer Menschen, reale soziale Kontake herzustellen. Das Internet und andere Technologien machen sie glauben, sie würden ein weitaus sozialeres Leben führen als es tatsächlich der Fall ist; in Wahrheit fühlen sie einen Mangel an körperlicher und emotionaler Zärtlichkeit.
Viele sehen einen Bruch zwischen ihren klassischen Songalben und solchen Werken wie „Blemish“ und „Manafon“. Ihre Stimme ist allerdings eine Konstante. Und sie haben doch auch schon früher öfter mit freien Improvisationen gearbeitet?!
Das stimmt, und ich würde sogar zu meinem ersten Soloalbum zurückgehen, Brilliant Trees; damals arbeitete ich bei einem Stück namens „Weathered Wall“ mit Holger Czukay zusammen, der das Diktaphon als Sampler benutzte. Einige der subtilen Sounds, die wir aus dieser kleinen Maschine herausholten und im Song unterbrachten, schienen eine besondere emotionale Wirkung zu entfalten, stärker als ein kleiner Trommelwirbel oder ein kraftvoller Gitarrensound. Diese Samples waren winzig, subtil, aber sie sagten genug, sie sagten mehr als genug. Ich habe also mit solchen ästhetischen Möglichkeiten seit vielen Jahren gearbeitet. Bei dem neuen Album wird das nun durchweg deutlich, bei jeder einzelnen Note und Geste. Genauso ist jeder Aspekt der Stimme so in den Vordergrund gestellt, das alles enthüllt wird – es gibt nichts mehr, hinter dem man sich verstecken kann. Ich begann diese Arbeit als etwas zu sehen, was man mit modernem Kammertheater vergleichen kann. Da tritt manchmal ein Erzähler auf, im Zentrum der Bühne – und jede Aktion der Bühnenregie, etwa das Changieren des Lichts von grün zu blau, verwandelt die Wahrnehmung gesprochenen Worte. Und so etwas passiert auch auf MANAFON: Da gibt es die zentrale Stimme, und die Mitspieler, die Musiker verändern mit jeder kleinen Geste der Klänge die Nuancen des Erzählten, fügen ihm etwas hinzu, verleihen ihm ein besonderes emotionales Gewicht.
Sehr visuell klingt das, wie Sie Ihre Musik beschrieben. Spielen Visualisierungen welcher Art auch immer eine besondere Rolle in die Entstehung dieser Songs?
Innere Bilder halfen mir bei früheren Arbeiten dabei, eine Kontinuität zu wahren innerhalb eines Projekts. Wenn die Idee für ein Album durch die Phase des Aussortierens geht, wenn es kaum möglich ist, bestimmte Ideen in Worte zu fassen, dann haben mir innere Bilder durchaus geholfen. Oft war es eine Landschaft ohne Menschen. Und diese Landschaft steckte das emotionale Terrain ab, in dem sich die Musik bewegen sollte. Ich benutzte solche Bilder, um zu unterscheiden, was für die Musik angemessen, was fehl am Platze war. Fragen sie mich nicht, wie das funktioniert! Ob da ein elektrisches Piano auftauchen soll oder nur ein akustisches, solche Dinge liessen sich mit inneren Bildern abgleichen. Aber bei diesen neuen Songs hat sich diese Methode geändert. Es gibt immer noch die Empfindung vor dem Gang ins Studio, das etwas Gestalt annehmen wird. Aber ich habe dafür keine bewussten Bilder mehr, nur Empfindungen. Das genügt, um Entscheidungen zu treffen. Wenn ich mich hinsetze und die ersten zwei oder drei Zeilen schreibe, dann öffnet sich auf einmal alles vor mir, die Welt dieser Lyrik, und, das wird dann auf einmal wieder sehr visuell und beschwörend. Und fast gleichzeitig mit den Texten entstanden hier ja auch die Melodien! Trotzdem hat das Schreiben für mich nicht mehr so viel Romantisches an sich wie früher. Es spielt etwas Rohes hinein, ein leichter Zynismus kommt dazu, aber auch dunkler Humor, und etwas Ironie. Christian Fennesz, Evan Parker und die andern hatten die Musik so transparent gespielt, weil sie wussten, dass da später noch eine Stimme hinzukommen würde! Und faszinierend war: ich konnte hier mit der Alltagssprache genauso arbeiten wie mit einer poetischen Sprache, ohne dass es flach oder hochgestochen klang. Im Körper dieses musikalischen Materials konnte die Sprache alles umfassen.
Diese rein instrumentalen Improvisationen haben Sie zu also zu all diesen Texten und Melodien inspiriert. Wenn diese Klänge nur kühl und kopflastig wären, wie manche behaupten, wie könnten sie dann soviel in Bewegung bringen?
All diese Einflüsse, die man verarbeitet im Laufe der Jahre des Musikmachens, begannen hier wohl aufzutauchen und seltsame Beziehungen miteinander einzugehen. Plötzlich können Anklänge von Folkmelodien auftauchen, wo man sie nun wirklich nicht erwartet. Jemand sagte mir, man könne an einer Stelle Spuren von Bluegrass erkennen. Oder man hört eine fernen Anklang an etwas aus der Klassischen Musik. Schon interessant, dass so minimale Klangreize soviel suggerieren können! Im Umfeld dieser frei improvisierten Musik kann man so viele Regeln brechen und dabei Elemente zusammenbringen, die in einer anderen Form gar nicht nebenenander existieren könnten!
Es ist sicher nicht einfach, die Gesänge über diese Instrumentaltracks zu singen. Es gibt da ja keine klar definierten Einsätze. War da seine mühsame Arbeit?
Im Prozess des Schreibens folge ich einem eindeutigen Weg. Ich schreibe und schreibe, bis alles seine gültige Form gefunden hat. Und die Melodie hat einen bestimmten Ort einzunehmen im Körper der improvisierten Töne. Den idealen Ton für die Stücke konnte ich nicht beim ersten Versuch finden. Leicht verfällst du da mal in die Überbetonung einzelner Wörter, oder du spielst bestimmte Passagen allzusehr runter, so dass du fast einen gesprochenen Text durch die Musik trägt. Da handelt es sich um eine sehr delikate Balance. Ich nehme also den Gesang oft zehn oder fünfzehn Mal auf, bevor ich den hoffentlich richtigen Weg finde, um mich der Musik mit der Stimme zu nähern.“