Manafonistas

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2011 25 Apr

Winters Knochen – der magische Realismus des Daniel Woodrell

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

Wie würde Genazino schreiben, wenn er in den Ozarks groß geworden wäre? Sicher bar aller Ironie, Josie! Vielleicht wie Daniel Woodrell, der sich auf seinem kleinen meisterhaften Thriller „Winters Knochen“ ins niemandlandige Amerika begibt, wo sich viele Kleinkriminelle und manche Mörder mit dem Kochen von Crystal Meth über Wasser halten. Der Film Winter´s Bones läuft gerade in unseren Kinos und wird von der Presse zurecht gerühmt.

Im Film waltet ein kalter sozialer Realismus, der es äußerst lohnend macht, die literarische Vorlage zu lesen, die gerade im feinen, kleinen Verlag „Liebeskind“ erschienen ist. Man hat das Gefühl, dieselbe Story ganz anders zu erfahren, denn der Film blendet den magischen Realismus des Schriftstellers komplett aus. Die Sprache ist sinnlich, vibriert, macht atemlos: in der Schilderung der Nachtseite der Dinge ist sie einem Cormac McCarthy ebenbürtig. Der Regisseur hätte ja auch mit der „subjektiven Kamera“ arbeiten müssen, um z.B. darzustellen, wie die junge Anti-Heldin sich gelegentlich in andere Wirklichkeiten versenkt, in dem sie das trostlose Immergrau des Winters mit Hörkassetten vertreibt, auf denen ihr tropische Landschaften, warme Brisen und blaues Meer vorgegaukelt werden.

Als ich den Namen des Autors zum ersten Mal las, dachte ich, es handele sich um Cornell Woodrich –  so nah liegen die Namen beieinander. Der ist schon lange tot, seine Leben war eine einzige Tragödie, und er hat, glaube ich, zur Zeit von Hammett und Chandler, seine exzellenten schwarzen Thriller geschrieben. Etwa „Die wilde Braut“, ein lang vergriffenes Diogenes Taschenbuch. Woodrell und Woodrich – zwei Meister ihres Fachs. Aber, naja, bei den Manafonistas bin ich der Thriller-Experte, und ich bin gespannt, wann sich einer der Mitstreiter mal daran macht, meine unerbittlichen Lesebefehle in die Tat umzusetzen. Aber die Jungs sitzen wohl jetzt in Outdoor-Cafes in Thüringen und Niedersachen, lesen wahrscheinlich Italo Svevo und fragen sich, warum sie einen Regenschirm für diesen Tag mitgenommen haben.

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