Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 
 

Zunächst: Ich bin kein Opernfan, höre gelegentlich einen von den Top Ten (Nessun Dorma, den Gefangenenchor, Casta Diva … bitte selbst individuell vervollständigen), dank eines opernbegeisterten Ehemannes und aufgrund der Bekanntschaft mit der Schwester des Wagner-Stars Waltraud Meier kam ich ein paarmal in die Münchner und Wiener Oper und hab’s dort geschafft, den Barbier von Sevilla komplett zu verpennen bzw bei der Walküre in Wien mir auf dem Holzstuhl einen schmerzenden Hintern zu holen. Ein beeindruckendes Erlebnis ist es schon, Frau Meier als Aida zu erleben und dann auf einer Party ihrer Schwester beim Scharadenspielen von ihr beim Absingen des Kufsteinliedes stimmlich unterstützt zu werden. Die Meier-Sisters sozusagen – leider war keine Kamera dabei. Fühle mich also nicht wirklich befugt, über die Callas zu schreiben, insbesondere da mich Angelina Jolie und ihre Filme jetzt auch nie wirklich interessierten.

Der Film Maria ist kein Biopic, er fokussiert auf die letzten sieben Tage im Leben der Diva, gezeichnet von Esstörung und Medikamentenabhängigkeit und ihrem Gram über das Verschwinden ihrer Stimmkraft, schliesslich ihr früher Tod mitten in den hellen Fünfzigern. Die meiste Zeit sieht man Maria durch die Prachtstrassen und Parks von Paris streifen oder in ihren fürstlich ausgestatteten Räumen residieren, nur betreut von ihrem Butler und ihrer Köchin – offenbar die einzigen, die ihr geblieben sind und sie liebevoll versorgen, an langen Abenden auch mit ihr Karten spielen.

Gelegentliche Gesangsproben zeigen immer wieder, dass die Stimmkraft schwindet (diese Passagen hat man Angelina selbst singen lassen, die dafür vorher ein halbes Jahr Gesangsunterricht nahm, ansonsten hat man die Originalstimme der Callas unterlegt), die Sehnsucht nach Ruhm und Grösse, nach Applaus und Verehrung dagegen bleibt. Onassis hat sie verlassen und Jackie Kennedy geheiratet.

Angelina mit ihrem Schwanenhals schreitet – nein, sie gleitet wie ein Trauerschwan in einer morbiden Grandezza durch die Strassen – das allein hat schon was, sie scheint in ständiger Bewegung, einem fortwährenden Fliessen, es gibt nichts, woran sie sich halten kann und der Zuschauer weiss sehr wohl, wohin die Fahrt letztlich gehen soll, die Segel sind schon gesetzt.

 
 

 
 

Dazwischen immer wieder eingeblendet Szenen früherer Auftritte und ihr Glänzen und Leuchten. Nun singt sie vor ihrer Haushälterin in der Küche. Trotz aller Mühe der Schauspielerin ist das Drehbuch leider in der Darstellung der Gefühlssphäre sehr on-the-nose: direkt, wenig subtil, Gefühle werden ausgesprochen und erklärt, anstatt den Zuschauer filmtechnisch abzuholen, mit hinein zu nehmen und ihn ohne viel Worte alles erleben zu lassen. Und zu erleben gibt es viel: Würde, Trauer, Vergänglichkeit, Narzissmus bis hin zum Grössenwahn, aber auch liebevolle Bodenständigkeit und Freundschaft, als sie sich vom sterbenden Onassis verabschiedet.

Eine der Szenen beeindruckt: Der Butler muss trotz eines Rückenleidens Marias Flügel ständig im Hause herumschieben und umplazieren – ein Bild für die Zwangshandlung eines Menschen, der seinen Platz nicht findet, nicht mehr weiss wohin mit sich und Projektionsträger braucht um Affekte bewältigen zu können. Schmerzliche Erkenntnisse suchen sie heim: Die Menschen wollten nicht mich, sondern meine Stimme! – beim Zuschauer unwillkürlich den Gedanken evozierend: Ja, Mädel, was hast Du denn erwartet? Kunstinteressierte funktionalisieren, ein Künstler, der der Kunst nicht mehr fähig ist, wird der Welt schnell gleichgültig. Was soll sie damit? Da Künstler oft Grössenphantasien entwickeln und in einer narzisstischen Zeitlosigkeit dahinleben, gibt es im Alter dann die bekannten bösen Abstürze, sobald es der Realität gelingt, die Verleugnungsschranken zielsicher zu unterlaufen. Spätestens dann, wenn man bei der Eröffnung von Möbelhäusern und Betriebsfeiern singen muss, wie es bei der leichten Muse oft der Fall ist. Da ist Freund Alkohol und der Suizid nicht weit. Das ist auch hier Thema – Maria gelingt es nicht, sich ein neues Lebensmodell aufzubauen, es gelingt ihr auch nicht zu trauern – die Voraussetzung wäre dabei, das Vergangene als vergangen anzuerkennen – sie lebt in einem Zustand von Schockstarre und Fassungslosigkeit. Eines Tages findet man sie tot in ihrem Bett, wie auch immer sie das bewerkstelligt haben mag. In den letzten Szenen mischen sich ihre Todesphantasien in das Geschehen. Insgesamt ein eher als Psychostudie angelegter Film, der auf den Einsatz raffinierterer filmischer Mittel verzichtet, das emotionale Mitgehen hält sich in Grenzen, man bleibt interessiert, aber distanziert. Die Hauptdarstellerin versteht es aber, den Zuschauer trotz dieser Mängel gut durch den Film zu tragen, obwohl sie eine wesentlich kühlere Aura verbreitet als die Callas – aber die war ja auch Griechin, dieses mediterrane Flair, das Feuer im Blick, das Schmelzende kann man nicht erzeugen, wenn man es nicht hat – Angie ist dazu zu sehr das smarte all-american girl und der Dauerschmollmund stört auch ein bisschen.

 
 

 
 

But well done, Angie! Brad wird dich jetzt sicher wieder haben wollen. Den nimmste aber nicht mehr, oder? Keine Brangelina-Symbiose mehr  … hat sich eh nicht bewährt.

 

2025 21 Juni

The Brahms Projekt

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 1 Comment

 
 

Wenn die Begeisterung Funken schlägt, dann ist das mehr als ein saturiertes Kopfnicken oder ein ordnendes Einreihen in private Bestenlisten. Denn es trägt dich fort, nimmt dich mit wie zu besten Zeiten. Wer erinnert sich nicht gerne an das jugendliche Abfeiern von Musik: diesen einen Song noch, diese eine Platte hören, als sei es eine Droge. Was The Brahms-Project um den amerikanischen Gitarristen Kurt Rosenwinkel betrifft, kann ich schwerlich an mich halten. Vor ein paar Tagen entdeckt, noch nicht gänzlich rezipiert (wer leert schon eine Flasche guten Wein in einem Zug!), weiss ich jetzt schon: dies Album wird ein Langzeit-Wegbegleiter werden. Es könnte sich nämlich einreihen in meine Liste der Argumente, warum ich überhaupt Jazz höre und nicht vielmehr etwas anderes oder gar nichts. Kurt Rosenwinkel, den mir einst ein Buddy anempfahl (und wir feierten gemeinsam neben Methenys Still Life Talking auch Rosenwinkels Deep Song) ist selbst ein Buddy-Typ und wie Kumpel-Pat ein sympathischer Zeitgenosse. Hier und auf dem vorgängigen Chopin-Projekt hat der Gitarrist mit dem filigranen Schlagzeuger Jorge Rossy, dem Pianisten Jean-Paul Brodbeck (der die Arrangements schrieb) und dem kraftvoll-versierten Bassisten Lukas Traxel kongeniale Mitstreiter gefunden. Lange nicht habe ich einen so homogenen Quartett-Sound vernommen: wie aus einem Guss. Rosenwinkel hat sich in jüngster Zeit auch in brasilianische Gefilden herumgetrieben und ein bisschen klingt das auch, als wenn der gute Brahms aus seiner Kiste spränge und verzückt zu Jazz-Akkorden Samba tanzte. Jugendlich, frisch, powerful, zündend. Ein Stoff, der weiterträgt, aus dem die Inspirationen sind. So wundert es nicht, dass ich ein Stück kaum zuende höre, die Gitarre in den Amp einstöpsele und versuche, genau auf dieser Welle mitzusurfen, was natürlich nicht gelingt. Betroffen sehen wir, dass uns die Technik fehlt und vieles andere mehr. Bei solchen Musikern habe ich oft den Eindruck, dass sie auf dem Niveau von Lufthansa-Piloten und Herzchirurgen agieren. Wie kann man solche Notenketten präzise auswendig spielen? Miles Davis nannte es „Athletik des Bebop“ und distanzierte sich davon auf cool-gekonnte Weise. Und doch: ein wenig von der Zauberzirkus-Magie spielt immer noch mit in diesen Tagen.

 

 
 

 Bulldog (D, 2022) v. André Szardenings

 

Ich nenne dergleichen einen Chamäleonfilm (ein besseres Wort fällt mir derzeit noch nicht ein): Filme, die in der Diskussion den Eindruck entstehen lassen, jeder Teilnehmer habe einen völlig anderen Film gesehen und völlig Unterschiedliches erlebt. Offenbar verstehen es manche Machwerke besonders gut, auf unterschiedlichen Rezeptionskanälen in unser Gehirn zu kriechen und dort Unterschiedliches zu triggern.

Der Titel gibt zunächst Rätsel auf: Ist mit Bulldog der Hund gemeint oder eine landwirtschaftliche Fortbewegungsmaschine? Beides vermag einen zu überwältigen, wenn man es nicht zu handhaben versteht, da schlummert Gewaltpotential versus Ohnmacht in einem einzigen Objekt. Eine Bulldogge ist ein aufmerksames Tier, ein guter Wachhund – und hiermit wäre die Hauptaufgabe des jungen Bruno umrissen: Ein ständiges Bewachen seiner Teenage-Mom, nur 15 Jahre älter als er und nicht fähig, Verantwortung zu übernehmen und eine Existenz für sich und ihr Kind aufzubauen. In der Ersteinstellung erlebt sie man beide als jugendliches herumalberndes Paar, inzestuös, zu nah für eine Mutter-Sohn-Beziehung; sie schlafen auch eng umschlungen in einem Bett. Beide arbeiten als Reinigungskräfte in einer mallorquinischen Ferienanlage, die allerdings völlig leer ist. Die Mutter droht ihre Arbeit aufgrund von Unzuverlässigkeit zu verlieren, Bruno muss ständig dafür sorgen, dass sie ihre Pflichten erfüllt, zerrt sie morgens aus dem Bett, kontrolliert ihren Alkoholkonsum; als der Hinauswurf droht, bietet er sich dem Chef für sexuelle Dienstleistungen an, damit sie beide weiterarbeiten können.

 
 

 
 

Die Rezensenten loben die lebensvolle, flirrende Atmosphäre eines prächtigen Sommers auf Mallorca – seltsam … eine völlig leere, lediglich zikadenumschrillte Ferienanlage in bedrückendem Schweigen, in der lediglich ein kleines Mädchen in anrührender Verlorenheit unverortet herumirrt – ein Bild für dieses oder jenes, in jedem Fall den inneren Zustand der Hauptfiguren verdeutlichend – wirkt nicht einladend. Gleichzeitig verweist die ständig ins Bild gesetzte Sommerpracht als Kontrapunkt auf den inneren Reifezustand Brunos, für den es noch nicht einmal Frühling werden darf. Schliesslich verliebt sich Brunos Mutter in eine andere Frau – Hannah, die rasch in den Bungalow als Eifersuchtsobjekt, aber auch katalysierende Dritte einzieht und Brunos Platz im Bett der Mutter einnimmt.

Der Film fokussiert sich dabei weniger auf die Aussenwelt, sondern stark auf Nähe, Bewegungen, Blicke und Körper – ihr inzestuöse Verschmelzung, ihr Versteifen und ihre Verspannung, ihr wie zufälliges Hineingeworfensein in Räume, die ihnen kein Zuhause bieten, die sie reinigen müssen aber nicht selbst bewohnen dürfen. Bruno wirkt nur gelockert, wenn er mit der Mutter im Bett schläft, ausserhalb ist er verspannt und ständig aufmerksam – er hat etwas zu bewachen und zu beschützen, das er nicht verlassen darf. Die zunehmende Verantwortungsübernahme für das ebenso unversorgte kleine Mädchen deutet an, dass er den Weg eines parentifizierten Kindes weitergehen will. Ein Ausweg deutet sich an in den Auseinandersetzungen mit Hannah, die ihm Reibungsflächen bietet, bei denen er sich selbst zu spüren lernt und die eine langsame Lösung aus der mütterlichen Symbiose ermöglichen könnte. Das Ende bleibt trotzdem offen – Bruno steht starr und zögert, dem Auto zu folgen, mit dem die Mutter wegfahren will – in ein weiteres Leben ohne Halt und Verantwortung.

Ein verstörender Film für den, der um die Folgen solcher Abhängigkeiten weiss – ausbeutbare und dependente Menschen und ihre oft verfehlten und nicht den eigenen Interessen gewidmeten Leben.

 

2025 10 Juni

Das verbarrikadierte Zen

von | Kategorie: Blog | | 6 Comments

 

 
 

„Glückliche Menschen kaufen nicht.“ (Gerald Hüther, Neurobiologe)

Wir hatten eine Woche lang meditiert damals, im stillen Retreat, jeder für sich, trafen uns nur zu den Mahlzeiten, allerdings schweigend. Umso reger hernach die Diskussionen und der Erfahrungsaustausch mit der Möglichkeit, den gewitzten Sufi-Lehrer zu befragen. Ein Problem tauchte fast bei allen auf: die Wunschproduktion und Zielvorstellung, bestimmte Dinge besitzen zu wollen. Dieses Begehren machte den Geist unruhig. Sein Rat: die Sachen fortan nur als nützliche Gebrauchsgegenstände zu benutzen, ohne repräsentativen Kult- oder Selbstdarstellungswert. Nun gut, so funktioniert Kapitalismus aber nicht. Logisch, oder mit Naomi Klein: No Logo.

Auch ein brillianter Essay von Elke Brüns berichtet davon, warum die Lage schwieriger ist: Dinge – warum wir sie brauchen und warum wir uns von ihnen trennen müssen. Die Problematik zeigt sich, wenn wir erben, den Kleiderschrank sortieren oder einfach nur den Keller entrümpeln wollen. Vorsicht ist angesagt: nicht dass wir etwa als „Überlebende“ in triumphaler Geste Sachen in den Orkus schicken, die man besser noch behalten hätte. Hinsichtlich von Büchern beispielsweise zeigt sich, dass diese ja nicht nur ein Gegenstand sind, sondern eine geglückte oder verunglückte Beziehung mit dem Autor repräsentieren.

 

„Auch wenn Marie Kondo einen leichten Ausweg bietet: die nur halbgelesenen Bücher wirken wie ein Scheitern der Interaktion von Autor:in und Leser:in. Mit den besten Absichten im Text getroffen und trotzdem hat’s nicht gefunkt. Kondo feudelt hier vielleicht doch etwas zu oberflächlich durch, denn welcher Raum wird hier eigentlich wovon gereinigt?“ (EB, Dinge)

 

Dies nur als ein Beispiel der zahlreich delikaten Gedankengänge von Elke Brüns. Eines steht jetzt schon fest: sollte ich erfolgreich mein Buchregal dereinst auf einen Meter Breite schrumpfen lassen (so wie dies jüngst eine Bekannte tat im Gewahrsein ihrer Endlichkeit), das schmale Buch dieser Autorin fände darin Platz, würde sozusagen überleben: als Zeugnis einer geglückten Lesebeziehung.

 

 

 
 

 
 

 
 
 

 Touched (D 2023) von Claudia Rorarius

 

Wer Probleme mit überbordender weiblicher oder andernfalls behinderter Körperlichkeit hat, sollte sich den Film nicht ansehen – oder eben vielleicht gerade deswegen doch.

Die junge, stark übergewichtige Krankenschwester Maria pflegt den querschnittsgelähmten Alex, der auch seine Arme nur eingeschränkt gebrauchen kann und bettlägerig ist und verliebt sich in ihn. Alex ist nicht verliebt, aber ausgehungert nach Berührungen, die über das rein Funktionelle hinausgehen. Was folgt ist eine Annäherung – dabei aber nicht die erwartete Romanze, sondern ein vorsichtiges Näherkommen, immer wieder unterbrochen von Aggression und sadistischen Impulsen, gespeist aus Angst vor Zurückweisung und einer überwältigenden Scham über den eigenen Körper. Alex beschimpft Maria wegen ihrer Pfunde, dann bekommt er Besuch von einer alten Freundin – ein romantischer Funken deutet sich an, in diesem Moment besteht Maria darauf, ihm die Einlagen zu wechseln. Man erspart sich schlechthin nichts und hinter aller Aggression wird immer wieder die Not sichtbar, den eigenen Körper nicht positiv besetzen, zeigen und für Genuss mit einem Partner nutzen zu können. Maria ist in der Beziehung die Gebende, Alex muss aufgrund seiner Einschränkungen passiv befriedigt werden, er verschafft ihr aber Gefühlsregungen, indem er sie quält – hier kann er aktiv sein und berühren – wenn auch schmerzhaft. Maria scheint das zu spüren und zu verstehen. Ein Film, der bis in die tiefste Magengrube fährt.

Am Ende steigen die beiden Figuren aus ihren Rollen: Es sind Isold Halldórudóttir, ein isländisches Model und Aktivistin der Body-Positivity-Bewegung und Stavros Zaveiris, ein auch im realen Leben querschnittsgelähmter griechischer Schauspieler und Tänzer – und sie tanzen zusammen.

Rollstuhlfahrer sind übrigens hervorragende Tänzer, es ist nur ratsam, ihnen auf der Tanzfläche nicht zu nahe zu kommen, wenn man keine blauen Schienbeine haben will.  Sie verschmelzen mit ihrem Rollstuhl, stehen gekippt auf den Hinterrädern, die sie nun als Beine nutzen und drehen gern schwindelerregende Pirouetten mit raschen Richtungswechseln und man steht starr vor Staunen und wartet nur noch darauf, dass sie unter Hinterlassen eines Kondensschweifs abheben. Hier ist es anders: Ein stiller, anrührender und anmutiger Pas de Deux, der alles zeigt, was sich vorher unter Wut und Zorn verborgen hat und die Rolle des Körpers in einer Beziehung umdefiniert in der Form eines Es-geht-doch. Und das ist ja eine fundamentale Frage, die in unserer schönheitstrunkenen Gesellschaft viele bewegt, die sich für hässlich halten. Das ist auch eine Befreiung am Ende eines Filmes, der zwischen Wucht und Zerbrechlichkeit oszilliert und erst am Ende zur Ruhe kommt.

 

2025 9 Juni

„fingerprint“

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | 5 Comments

 
 

a  u  d  i  o

 
 

2025 30 Mai

Nowhere Man

von | Kategorie: Blog | | 6 Comments

     

 
 

 
 

Der Mann war nicht besonders interessant – das Kunstprodukt, das aus ihm geformt wurde schon – wie ein Kristallisationskeim zog er alles was im grossen Kochtopf genannt Deutschland herumbrodelte und – waberte an sich, um es für alle sichtbar zu materialisieren, man erlebte in diesem fleischgewordenen Mythos die eigene Unverortetheit, psychische Entwurzelung und Identitätsdiffusion fokussiert wie in einem Brennglas. Die Deutschen hatten eine Heimat, die sie libidinös besetzt hatten, idealisierten und zunehmend grössenwahnsinnig glorifizierten und fanden sich nach Kriegsende unversehens in einer Situation wieder, in der man sie als ein Volk von Mördern und Verbrechern ächtete, Restriktionen plante und nicht nur die nationale Identität durch Schuld kontaminiert, sondern auch die physische Heimat zerstört war. Im Heimatfilm durfte sie grandios wiederauferstehen, streng liminiert auf anderthalb Stunden, in denen man träumen und den alten Wertekanon abfeiern durfte. In benachbarte Länder konnte man sich nicht retten, das war „Feindesland“ (das klang noch sehr lange nach), bewohnt von Gegnern, wenn nicht gar andersrassigen Untermenschen, die man nicht mochte und die einen nicht mochten. Es bildete sich etwas, das man in der Psychotherapie eine paranoide Festungsfamilie nennen würde. Die Besatzungsmächte – insbesondere die Amerikaner – brachten eine neue Kultur, die von der Jugend begeistert aufgegriffen wurde, damit begann das Fremde Wurzeln innerhalb der eigenen Grenzen zu schlagen und forderte eine Toleranz ein, die die ältere Kriegsgeneration nicht aufbringen konnte und wollte, die gerne zum business as usual zurückgekehrt wäre, der alte Wertekanon stand ohnehin noch auf recht stabilen Gehwerkzeugen. Ein Zuhause war verloren, ein neues bildete sich heraus, das man aber nicht annehmen wollte. Ein brisantes Gemisch der Generationen, dem die baldige Explosion schon eingeschrieben war.

Auch Freddy Quinn lebte im Nirgendwo: Zuhause litt er unter Fernweh und sehnte sich nach fremden Ländern, dort hatte er Heimweh und zerrte an der langen Leine seiner Mutter, deren Briefe ihn bis in den entferntesten Hafen noch verfolgten und die ihn wieder am Schürzenband haben wollte. Ein lebenslange Existenz im Zwischenreich der Begehrlichkeiten und Erfüllungen, die immer dort lockten, wo man gerade NICHT war, dieses menschliche Artefakt bekam kein Bein auf und kein Würzelchen in den Boden und haufenweise Mamas im fliegenden Wechsel mit exotischen Schönheiten winkten ihm am Kai hinterher, wenn er wieder mal vom Liebhaber zum sich entfernenden Sehnsuchtsobjekt mutierte und aufs Meer – die ewige Geliebte des Mannes, die ihn schliesslich verschlingen wird – hinausschipperte. Demgemäss musste der Mann zum romantischen Mythos umetikettiert werden, der biedere „Junge von Sankt Pauli“ mit dem Rollkragenpulli und der Gitarre war von da an das Label, dem auch das Privatleben des Stars untergeordnet wurde. Zudem war er sympathisch asexuell und geriet deshalb bald in den Verdacht der Homosexualität, was aber keineswegs thematisiert werden durfte. In Liebesszenen kam es auf der Leinwand nie weiter als zu geschwisterlichen Küsschen, das war der typische testosteronfreie Nachkriegsmann auf der Leinwand wie Heinz Rühmann, Heinz Erhardt oder Peter Alexander, guter Junge und Kumpel, als Liebhaber schwer vorstellbar bis peinlich. Seht, wie brav wir sind – unmöglich, dass wir so schreckliche Taten begangen haben sollen. Wir pimpern ja noch nicht mal.

Später outete Freddy sich in dem Song „Wir! Ihr!“ (in dem mit den Gammlern abgerechnet und die Kriegsgeneration gebauchpinselt wurde), wo er wirklich stand und eroberte erneut das Herz der Letzteren und demonstrierte, was hinter der Kruste an Harmlosigkeit schlummert, wenn man nur ein bisschen daran kratzt: Eine aggressive Spaltungstendenz, aus der selten etwas Gutes erwachsen kann. In Wirklichkeit stammte der physische Manfred Nidl-Petz aus Wien oder einem kleinen Ort in der Nähe, sein Vater war ein Phantom, seine jahrelange Vatersuche hat nie stattgefunden (auch hier der Topos „Nicht-Anwesenheit“), in Wirklichkeit ist der Erzeuger nicht bekannt und hat sich offenbar ebenso nebelhaft verflüchtigt wie der Sohn das lebenslang in seinen Filmen praktizierte, ein ständiger Vollzug des Nicht-da und des … aber auch nicht dort. Ein Tribut an die Romantik des Diffusen und Schwebenden und ein hoher Wiedererkennungswert in einer in vieler Hinsicht für viele vaterlosen Zeit, in der manches Kind sich alternativ mit toten Kriegshelden-Phantomen oder lebenden Kotzbrocken herumschlagen musste. Seine Lebensgefährtin wurde zur Managerin umfunktioniert, um das Bild des lonely riders nicht zu stören, sie hat es mit bewundernswerter Geduld durchgehalten. Eine Gedenkminute für sie! Die Feministinnen würden sie dafür kreuzigen. Erst mit 91, als Freddy nach deren Tod zum erstenmal heiratete – sehr seltsam, das ist doch, wie wenn man ein Loch in den Tank bohrt, wenn eh schon die Tankanzeige blinkt – liess er den Mythos platzen und gibt nun seine Bio heraus, in der vermutlich noch einige andere Blasen sich auflösen werden. Auch wenn viele ihn kitschig und degoutant finden – ich werde sie lesen. Sein grosses Verdienst war es, uns uns die gefürchtete Fremde und deren Bewohner wieder reizvoll und exotisch scheinen zu lassen und damit die Welt wieder begehbar zu machen – ebenso wie Vico Torriani, Caterina Valente und Lolita mit der Omadauerwelle, beim Kitsch gibt es immer noch eine zweite Ebene und das ist sein manipulativer Charakter und Einfluss auf das Unbewusste, insofern ist er immer auch von politischer Relevanz. In den Romanheftchen meiner Oma habe ich sehr viel gelernt über die Kriegstraumaverarbeitung dieser Zeit, vor allem die Rolle von Schuld, Schweigen und Verschweigen in Beziehungen, da wurde sozusagen geschwiegen, dass es nur so krachte. Natürlich arbeiteten die Schlagertexter und Drehbuchschreiber kräftig mit, aber ohne ein gutaussehendes Trägersubstrat können die nicht viel ausrichten, die wussten schon, was sie an Freddy und Caterina hatten. Die Deutschen begannen wieder, über die eigenen Grenzen hinaus zu träumen, an den Wohnzimmerwänden hingen wieder immer mehr verführerische Z … (darf man nicht mehr sagen – ihr wisst schon: Die Mädels mit den Glutaugen, den weissen Rüschenblüschen und den goldenen Ohrringen, die man jetzt mit Sinti oder Roma ansprechen muss, obwohl man gar nicht weiss, ob sie das eine oder das andere sind, ich hab auch welche kennengelernt, die es selbst nicht wussten und denen das auch völlig wurscht war, weil sie gegen das Z-Wort überhaupt nix hatten). Und in den Schlagertexten begannen die Worte „Traum“ und „träumen“ immer häufiger über die Seiten zu spitzentänzeln – gemeint war der Tagtraum, der ja auch immer ein Entwurf in die Zukunft ist und meistens der konkreten Handlung vorausgeht. Eines Tages – den wir leider nicht kennen, ansonsten sollte man ihn zum Feiertag erklären – fand eben der Quantensprung statt und die Zentrifugalkräfte überwanden die Zentripetalkraft: Der erste Deutsche nahm die challenge an, kaufte sich eine Isetta oder einen Käfer und bretterte damit über den Brenner nach Italien, wo das vielbesungene blaue Meer schon auf die tedesci wartete. Die Südsee kam dann später. Dann die Prärie. Dann war erstmal gut – mit der Auslandsphobie, zumindest was das Urlaubmachen betrifft. Und es folgte ein Tsunami an „Bikini-Filmen“ am blauen Meer oder wenigstens am Gardasee mit zumindest einem Hauch von Sex und das Interesse an beschneiten Bergspitzen, Gemsen, Wilderern und braven Dirndln liess drastisch nach. Nur die Mütter hofften, dass alle bald wiederkämen und nie wieder hinausfahren würden. But who cares …

 

     

    Immer noch spiele ich gerne Gitarre, tue das mit längeren Unterbrechungen seit meinem zwölften Lebensjahr. Man orientierte sich ja bei diesem Instrument mehr vielleicht als bei anderen an Vorbildern. Hängt das mit dem speziellen Performance-Charakter zusammen, der selbst gestandene Keyboard-Koryphäen wie Rick Wakeman, Herbie Hancock, George Duke und Donald Fagen dazu animierte, sich einen Tasten-Phallus über die Schulter zu hängen? Wie dem auch sei, der Impuls, diesen Text zu schreiben entstand aus dem Nachsinnen beim Küchenabwasch, welches heute meine Vorbilder, Heroen, Gitarrengötter seien. Da gibt es niemanden und selbst Pat Metheny ist ein wenig in den Hintergrund getreten über die Jahre! Und doch: Peter Schellenbaum, ein Psychoanalytiker jungscher Prägung hämmerte mir einst das Wort „Leitbildspiegelung“ in die Synapsen. Hinsichtlich akustischer Phänomene bevorzuge ich allerdings den Begriff „Ahmung“. Was ist nachahmenswert, annäherungswürdig, attraktiv? In jüngster Zeit sind dies neben dem kalifornischen Bluesgitarristen Robben Ford vor allem auch – man höre und staune – kein geringerer als Dominic Miller. Ihn als Sting-Sideman zu betrachten wäre eine Beleidigung. Er hat mittlerweile den Sound des stacheligen Sängers mit- und weiterentwickelt. Gut zu hören ist das auf dem aktuellen Album Sting 3.0! Policesongs erhalten durch seine Mitwirkung und Farbgebung noch mehr Tiefenschärfe, Kontrast und Dynamik. Die Variationsbreite zwischen Klassik, Folk und Rock ist enorm. Jazz scheint nicht sein Ding zu sein – völlig okay. Wie ein Surfer auf der Welle passt sein Spiel sich phänomenal an den Gruppenkontext an, umschmiegt ihn sanft und prägt ihn doch auf bestimmende, männliche, richtungsgebende Weise. He’s got the guts – Keeper Kahn wäre begeistert. Wenn ich also als frühmorgendlichen warm-up – headphone-bestückt, der Nachbarn wegen – den Amp anschalte und eine innige Fender-Runde drehe, dann ist der gebürtige Argentinier irgendwie auch oft mit dabei, als imaginativer Resonanzraum. Und dies ist keine Angeberei: auch eine tiefe Liebe zu den Tönen, die man selbst erzeugt, ist mit im Spiel.

     

2025 20 Mai

Pavarotti auf Helium

von | Kategorie: Blog | | 4 Comments

 
 

… und etwas Speed.

 

Es war mal wieder soweit – man musste sich eine halbe Nacht um die Ohren schlagen, um den musikalischen Zeitgeist wenigstens annähernd zu erfassen. Besonders interessant sind hier aber nicht die angebotenen Performances – von Liedern kann man mittlerweile nicht mehr sprechen, eher von Multi-Media-Events nebst akrobatischen Leistungen der Sänger – sondern die Strategien, die ausgetüftelt werden, um an die Spitze zu kommen. Dabei bemühte man sich viele Jahre lange um eine gewisse Uniformität mit ein paar Ausreissern – Stephan Raab und Guildo Horn, die den Narrenbonus bekamen und Conchita Wurst, der der Exotenbonus zum Sieg verhalf und der welpenäugige Salvador Sobral mit dem Romantikbonus. Ansonsten Einheitsbrei aus Techno- und Elektropop, Hiphop und Anmutungen von Rap mit beeindruckenden Laserorgasmen.

Heuer setzte man offenbar eher auf Diversität, die Nummernrevue bestand aus deutlicher unterscheidbaren Songs mit Ausflügen in die Welt der Oper, des Chansons, der Romantic-Ballade, die Welt der Halbseide und humorigen Auftritten, man pries den Espresso und die Sauna, manchmal gab’sogar etwas zum Mitsummen, das hatte man selten. Stimmliche Qualitäten natürlich bei dem ganzen Playback – Zauber schwer zu beurteilen. Deutschland belegte mit einer etwas farblosen Vorstellung einen verdienten 15. Platz, solider Clubsound in kühlem Schwarzweiss-Ambiente zum Abfeiern, das war auch schon mal schlimmer. Diversität fand sich auch hinsichtlich der geschlechtlichen Identität vieler Teilnehmer, die in das bekannte Zweierschema nicht mehr hineinpassten und das fröhlich demonstrierten, da hat man sich dieses Jahr etwas mehr getraut und eine zahlenmässig zu hohe Konfektionsgrösse ist mittlerweile auch kein Hindernis mehr für einen Auftritt, das stimmt milde, wenn man nebenbei an Wencke Myhre und Peggy March und andere gelackte Weiblichkeiten denkt. Der erste Platz, der eigentlich den Bühnentechnikern gebühren müsste – insbesondere für den blitzartigen Umbau in der kurzen Zeit zwischen den Auftritten, da werden wahre Wunder vollbracht – errang dann ein österreichischer Countertenor (ein Tenor der stimmlich den weiblichen Sopran erreicht, früher hätte man ihn des Eunuchentums bezichtigt), der auf einem havarierten Schiff im Fliegenden-Holländer-Ambiente eine irgendwie misslungene Liebe besingt und offensichtlich gegen den Sturm anschreien muss. Pavarotti auf Helium mit ein bisschen Speed, stimmlich durchaus überzeugend, textlich auch nicht schlecht (I’m an ocean of love, but you’re scared of water, hoher Wiedererkennungswert sowohl in der einen als auch der anderen Polarität), insgesamt eine Wagner-Anmutung.

Aber zum Ende war meine Fähigkeit, Überdrehtheit und Theatralik zu inhalieren und zu containen dann doch erschöpft, insbesondere bei der Punkteverleihung, die von den Sängern und ihrer Fanbase mit Geschrei, Gefuchtel und Gewedel mit der Landesfahne kommentiert wurde und die in die Kamera geblasenen Luftküsschen dürften langsam die stabilste Optik ruinieren. Und ich machte mir beim Zubettgehen noch ein paar warme Gedanken über das Verhältnis zwischen zwischen Gefühl und übertriebener Gefühlsdarstellung – meines Erachtens komplementär konfiguriert – und was mit Musik und Gesang so geschehen kann, wenn sie dem Druck eines Rattenrennens und Herausstechens ausgesetzt werden – sie wird nicht besser, sondern lauter und eine chronisch eventhungrige Zuhörerschaft wird das auch künftig goutieren. Ob ich das nächstes Jahr noch packe? Und was wird dann erscheinen? Der Gralsritter mit Schwan? Siegfried und der Drache im Duett? Beim Einschlafen dachte ich noch an die weisen Worte des ESC-Siegers von 2017 – Salvador Sobral bei der Preisverleihung: „Music isn’t fireworks, music is feeling!“ Okay, das war auch die Masche, auf der er ritt, aber trotzdem … sowas bleibt offenbar in den Hirnwindungen hängen. Ob doch was dran ist?

 

2025 18 Mai

„clockwise westward“

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | 2 Comments

 
 

a u d i o

 
 


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