Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 

Was vom Tage übrigblieb (GB, 1993), James Ivory

 

… eine für uns mittlerweile versunkene Welt. Natürlich gibt es heute noch Hauspersonal und Bedienstete, aber gottlob ist die Zeit vorbei, in denen man diese als eine andere Sorte Mensch betrachtete und dazu eine Ideologie errichtete, die alle Arten von Unterdrückung und Gewalt rechtfertigte, wie die Geschichte der Versklavung der Schwarzen illustriert. Dass die Frauen ihren Körper den Herrschenden zur Verfügung stellen mussten, war im sogenannten Herrenrecht und im besonders hundsgemeinen Jus primae noctis auch juristisch fixiert, zumindest in Europa. In den Staaten machte man sich diese Mühe gar nicht erst.

Wenn man sich mit der Literatur, insbesondere Jugendliteratur, der deutschen Kaiserzeit beschäftigt, braucht man diesbezüglich einen starken Magen, da riecht man förmlich den Schweiss, der bei der pädagogischen Bemühung um die Errichtung der Klassenschranken und ihre Zementierung vergossen wurde, während in der Mädchenliteratur noch zusätzlich an der Verfestigung der Geschlechterschranken gewerkelt und die Mädchen auf ihre Hausfrauenrolle vorbereitet wurden; zu letzterem Zweck wurde auch noch das reaktionäre bildungsbürgerliche Ideal der einmaligen romantischen Lebensliebe permanent zelebriert – man wusste schon damals, wie man die Mädels ködert und bei der Stange hält. Vielleicht hat hier noch eine der mitlesenden Damen den Trotzkopf oder Nesthäkchen oder Majors Einzige gelesen, oder überhaupt Marlitt und Courths Mahler? Schon allein die Titelbilder signalisieren, dass hier reihenweise aus liebenswerten wilden Hummeln dröge Hausmuttis geformt werden sollten – eine brutale literarische Einnordungsmaschinerie – wie ich es zu nennen pflege.

 

            

 

Der Welt der Feudalherrlichkeit, der Gutsherren und Adeligen stand die Welt der Bediensteten und Bildungsfernen (wie man heute sagen würde) gegenüber und deren moralische Integrität wurde schon von vorneherein in Zweifel gestellt – erkennbar an dem häufig auftretenden Stolperstein der Formulierung „eine arme Frau, aber moralisch hochstehend“. Ein Einzelfall, der eine lobende Erwähnung verdient, die anderen stehen von Anfang an offenbar im Ruch des Gangstertums. Heute heissts Prekariat, was auch nicht besser ist. Die Bediensteten und Verarmten waren also offenbar eine Population von Aliens, die man wenn überhaupt höchstens mit Abstand beäugt und die nur zum Zwecke des Dienens die Liegenschaften der Herrschenden betreten dürfen, mit tiefer Verbeugung, Mütze in der Hand und einer Entschuldigung für die Störung auf den Lippen. Und beim Verlassen des Raumes rückwärts gehen müssen, damit der Herrscher bloss den Hintern nicht sieht. Wenn einer davon – ein besonders begabter Junge beispielsweise – dann in die situierte Familie aufgenommen und grossgezogen wird, ist das kein Erweichen der Klassenschranken, sondern deren weiteres Zementieren durch den Beweis der Hochherzigkeit der herrschenden Klasse und ein Einfordern von lebenslanger Dankbarkeit der Underdogs, ebenso wenn der Graf das Kindermädel heiratet. Trotzdem bleibt es degoutant, irgendwie, wenn man zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Wenn die Gräfin sich in ihren Gutsverwalter verguckt, dann muss im Plot dafür gesorgt werden, dass der sich als verarmter Gutsbesitzer oder besser noch verkappter Graf mit entsprechend Anstand und Bildung entpuppt – bei Gräfin Mariza wird mir heut noch schlecht – und es werden die unwahrscheinlichsten Volten und Kapriolen konstruiert, die dafür sorgen, dass letztlich doch die Stände unter sich bleiben. Gottlob beruhigte uns der Gutsverwalter Rudolf Schock dann gleich in seiner Auftrittsarie: Auch ich war einst ein feeeiiiiner Czardaskavalier, hab kommandiert Zigeuner gradeso wie ihr … (woke ist das ja auch nicht!) und als einfacher Malocher hätte er die Gräfin natürlich niemals gekriegt. Die ebenso hundsgemeine Gehirnwäsche der Nachkriegszeit und ihrer Trivialkultur, immer bemüht in althergebrachten Werten Halt nach dem grossen Zusammenbruch zu finden. Aber ich komme ins Plaudern.

Die Bediensteten hatten Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen und auch bei intimeren Verrichtungen zu helfen – der französische Adel zur Zeit des Sonnenkönigs pflegte bei Gartenfesten Pisspagen zu beschäftigen: Auf dem Gelände liefen Pagen mit Eimern herum, damit die Herrschaften beim Feiern nicht erst die Toiletten aufsuchen mussten, die es vermutlich ohnehin nicht gab. Welche Hilfen die Damen mit ihren unpraktischen Reifröcken von ihren Kammerzofen benötigten, verschweigt die Geschichte diskret – aber dieser offensichtliche Wegfall der Schamgrenzen definiert die Beziehung zum Bediensteten ein weiteres mal: Du bist so wenig Mensch, dass ich mich nicht einmal vor Dir schäme. Man schämt sich ja auch nicht, wenn einem der Hund beim Pinkeln zusieht. Heute haben’s die Damen besser, by the way: Auf YouTube grassieren Videos, die gegenwärtigen Bräuten mit Reifröcken beibringen, wie man vor der Trauung noch schnell aufs Klo geht ohne die ganze Kledage nochmal ausziehen zu müssen.

Es bedurfte erst der Einflüsse des Kommunismus und Marxismus in den sogenannten unteren Ständen, so etwas wie Klassenbewusstsein und Klassenstolz zu entwickeln, ein Aufatmen in der Geschichte bis zum Auftreten des Liberalismus und seiner Anything-goes-Philosophie, die die Arbeiter veranlasste, den Anschluss an das Bürgertum und seinem Rattenrennen nach Wohlstand anzustreben, anstatt sich zu solidarisieren. Soweit meine Marginalien zum historischen Hintergrund.

Der vorliegende Film beginnt im Jahr 1956 auf einem feudalen Landsitz in England, weist dann aber zurück in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg und dem Aufblühen des Nationalsozialismus, den England zunächst durchaus goutierte – appeasement nannten das die Gentlemen damals und die Politiker pflegten sich bei den Feudalen einzufinden, um ihnen die für den Krieg benötigten finanziellen Mittel aus den Rippen zu leiern, was natürlich hochgestochener ausgedrückt und mit altbackenen Idealen und tradierten Werten garniert wurde. Der Film zeigt das Leben des untadeligen Butlers Stevens, ein furioser Parcours für den vielseitig verwendbaren Anthony Hopkins, der in seinem feinst austarierten, aber immer minimalistischen Mienenspiel eine breite Palette an sonst unsichtbaren Gefühlsregungen auszudrücken versteht; in der Gesamtkörpersprache wirkt er oft eher wie ein geprügelter Hund oder in ein unsichtbares Korsett gesperrt. Als Bediensteter ist er perfekt, beherrscht alle Codes und Rituale des Understatements und der Unterwerfung gegenüber dem Dienstherrn, auch als sein Vater plötzlich verstirbt, verliert er nicht die Contenance und serviert brav weiter das Dinner der hohen Herren, das verlangt seine Dienstbotenehre. Jüngere Generationen würden ihn für einen Chatbot halten. Das ist kein Bediensteter der nach Feierabend (den es ohnehin nicht gibt) mit den anderen Domestiken über die Herrschaft lästert, er ist durchdrungen von einer Identifikation mit seinen Herrn, die kaum noch Individualität durchschimmern lässt – wenn, ja wenn die kleinen mimischen und gestischen Signale nicht wären. Seine Loyalität versagt auch nicht, als der Lord sich zu offensichtlich mit den Zielen der Nationalsozialisten identifiziert und zwei jüdische Hausmädchen ausliefert. Hier wird es gruselig – die Figur bekommt die Züge eines Mitläufers, Zuarbeiters, Mitwissers – hier können wir ihn nicht mehr einschätzen, fürchten das Abgründige im Undurchschaubaren. Ein heimlicher Faschist? Wir werden es nie erfahren. Das ist fesselnd zu beobachten und wirkt eher anrührend als abstossend, wenngleich gelegentliche Seufzer im Publikum signalisieren, dass diese Überanpassung auch Beklemmung und Gereiztheit erzeugt und gelegentlich als Sturheit ruchbar wird. Aber er versteht es, Leerräume zu lassen, die wir mit unseren Phantasien über ihn füllen können, auch das eine Kunst von Schauspieler und Regisseur. Dabei vermeidet letzterer geschickt die Darstellung der Rituale der Herrschenden ins Groteske oder gar Komische abgleiten zu lassen, wodurch der Film in wohlfeiler Sozialkritik verpuffen würde. So verbleibt er bis zuletzt im Reich der Tragik.

Die Wirtschafterin des Hauses, hinter deren Comme-il-faut-Attitüde unterschwellig das Leben und das Begehren brodelt, lehrt ihn, was Verliebtsein bedeutet und sendet unmissverständliche Signale ihrer Beziehungswünsch, die Stevens nicht beantworten kann, die der Zuschauer aber bemerkt in einem plötzlichen Weichwerden seines Blicks, einem etwas zu langen Blickkontakt, einem kurzen Verzögern der Antwort, einem minimalen Schwanken der Stimme – man erahnt das Innenleben, die Kamera bleibt immer nahe an den Gesichtern. Mehr geht nicht bei diesem Mann, auch nicht bei einem Wiedertreffen nach Jahrzehnten, als er sie auf das Anwesen zurückholen möchte im zunehmenden Bewusstsein seiner Versäumnisse.

 

 

Was wir zuletzt von ihm sehen, ist der Blick nach einer Taube, die sich in einen Raum des Anwesens verirrt hat und erst eingefangen und ins Freie entlassen werden musste, wo sie rasch das Weite sucht. Stevens blickt ihr hinterher und schliesst dann das Fenster, verbleibt in seiner abgeriegelten Welt … und man denkt unwillkürlich an La Paloma, ein Lied, in dem die Seele eines Verstorbenen in Gestalt einer Taube zur Geliebten kommt, zum Ende doch noch eine kleine romantische Arabeske.

 

                  

 

Ein kritisches Porträt einer Gesellschaft der Klassen und Hierarchien und ihrer dahinterliegenden Abgründe, ein feiner stiller Film über einen stillen Mann und dessen Ersticken in Konventionen, sein Lebensscheitern an den eigenen Begrenzungen und Zerstörungen und ein Film über Dinge, die nicht geschehen und Gefühle, die nicht gelebt werden durften. Und eine Insel der Ruhe im ganzen Blockbustergetöse.

 

       

 
 

Der Russe ist einer der Birken liebt (D, 2022) von Pola Beck

nach den Roman von Olga Grjasnow

 
 

… und in diesen Spiegel lässt uns die Regisseurin blicken: Trümmer, Fragmente, Bruchstücke eines jungen Lebens, das sich nicht zu einem geschlossenen Ganzen fügen will. Sie mutet uns viel zu mit diesem Film, man merkt bald, dass man den Kopf abschalten und auf nachvollziehbare Handlungsstränge und zeitliche Abfolgen verzichten muss, um der Atmosphäre von Diffusion und Zerstörung nachspüren zu können. Mascha, eine junge Frau, Jüdin aus Aserbeidschan, ist 1990 im Bürgerkrieg nach dem Einmarsch der Sowjets mit ihren Eltern nach Deutschland geflüchtet. Das Ausmass ihrer Traumatisierung bleibt im Dunklen, wie Mascha selbst ist der Zuschauer beschäftigt Splitter ihrer Persönlichkeit zu einem Ganzen zusammensetzen zu wollen, ein Blick in einen zersplitterten Spiegel, der einzelne Facetten in jeder Scherbe anders widerspiegelt.

Mascha ist jung und wild – wir sehen sie mit ihrem Freund im Bett, danach plötzlich mit einem anderen, danach mit einer Frau. Die Szenerie wechselt ständig zwischen Deutschland und Israel, wir sehen sie beim exzessiven Feiern, Arbeiten, Liebemachen, über sich spricht sie mit niemandem. Emotionelle Tiefe wird deutlich, als sie für einen sterbenden Hasen weinend das Kaddisch spricht, bevor sie ihm den Gnadentod schenkt, wir erleben sie plötzlich als orthodoxe Jüdin. Zeitsprünge sorgen zusätzlich für den Verlust der Orientierung, oft auch für unterschwellige Gereiztheit. Getragen wird der Film von einer furios aufspielenden Aylin Tezel (leider auch bekannt für Dauernuscheln – was die Gereiztheit verstärken mag). Ausserdem spricht Mascha 5 Sprachen, arbeitet als Übersetzerin, sozusagen ein Global Player, überall in der Welt zuhause und doch auch irgendwie nirgends, am wenigsten bei sich selbst. Als ihr Freund plötzlich verstirbt, verliert Mascha den Boden unter den Füssen, flieht nach Israel. Ihre Freunde berichten ihr von einer Birke in einem Wald bei Jerusalem, wundern sich, dass diese in diesem Klima gedeiht. Diese Birke wird zum tragenden Schlussbild als Symbol für Leben und Wachsen in einer fremden Welt: Mascha weint, trauert um ihren Freund und fotografiert sich selbst dabei, trägt die Fotos bei sich, wohl als Anker und Erinnerungshilfe an ihre Trauer in dem Wunsch nach einem ganzheitlichen Erleben der eigenen Person. Sie sucht die Birke auf und steckt die Fotos im Schlussbild in einen Spalt in der Rinde – Geborgenheit bei jemand der beweist, dass man sich auch in der Fremde verwurzeln kann. Eine anrührende Szene.

Der Film wird der komplexen Literaturvorlage nicht gerecht, man erfährt nichts über die politischen Hintergründe und Maschas Kriegstraumatisierungen – aber das macht nichts; die Regisseurin formt eine eigene Geschichte und schafft es, das Lebensgefühl und die Suche nach Identität und Kontinuität mit filmischen Mitteln dem Zuschauer quälend nahezubringen – man muss sich nur hineinfallen lassen.

 

2025 7 März

„slow motion“

von | Kategorie: Blog | Tags: , | | 1 Comment

 
 

a u d i o

 
 

2025 6 März

Sind Narzißten dämlich?

von | Kategorie: Blog | | 6 Comments

 
 

Manchmal benehmen sie sich wie auf dem Schulhof, in der Tat, in ihren Ausagen, in ihrer Diktion, ihrer Sprache und ihrer Art der Auseinandersetzung, in schlimmen Fällen sogar in ihrer Gestik. Und gelegentlich benehmen sie sich auch wirklich wie tobende Vierjährige. Manchmal sind sie sogar dämlich, aber haben geschickte Berater und sind zumindest schlau genug, deren Strategien zu folgen. Dazu gehört ein Minimum an Erkenntnis, dass man’s allein doch nicht so ganz hinkriegt. Immerhin. Vor allem sind sie gute Strategen und Meister der Manipulation und haben sich wohl überlegt, wie man einen früheren politischen Gegner, den das Volk immer noch nicht so besonders mag, zusehendes zum politischen Freund formt, um gemeinsam Reibach zu machen und so eine Abart von Weltherrschaft anzustreben. Dazu gehört natürlich, dass man wiederum dessen Kontrahenten wie einen Schulbuben abkanzelt. Das ist kein schlechtes Manuskript für derlei Pläne und dürfte seine Wirkung nicht verfehlen, insbesondere bei ähnlich strukturierten Herrschaften. Nur: Warum kommt’s bei dem hier gemeinten Herrn immer so besonders infantil-trampelig rüber? Liegt’s am Nachnamen? Etwa doch dämlich? Oder weiss er genau was er tut? Und dass ihm keiner ans Bein pinkeln kann, egal wie er seine Worte wählt?

          Die gefährlichste Mischung überhaupt….

 

 

Sterben (D, 2024) von Matthias Glasner

Deutscher Filmpreis 2024

 

 

Vorüber, ach vorüber, Du wilder Knochenmann – fleht das Mädchen in dem Gedicht von Matthias Claudius („Der Tod und das Mädchen“), als der Tod nach ihm greift; genial vertont von Schubert im gleichnamigen Streichquartett, in der sich ein faszinierender musikalischer Dialog entspinnt zwischen dem verängstigten Mädchen und dem Tod, der sie in weicher  Moll-Intonation zu beruhigen und zu trösten versucht. Teile dieses Dialoges werden demgemäß oft eingeblendet, wenn der ständig präsente Gevatter sich wieder einmal mehr anschickt, jemand abzuholen. Matthias Glasner, ein Regisseur mit Gespür in der Abwicklung düsterer Themen (Der freie Wille, Requiem) liefert hier eine nur geringfügig entgleiste Nummernrevue über ein existenzielles Thema, das wir lieber in Form von Mord und Gewalt im Film konsumieren als in seinen alltäglicheren Erscheinungsbildern, um nicht zu spüren, dass er die ganze Zeit neben uns hermarschiert wie ein Bodyguard, den wir aber gar nicht bestellt haben.

Das DVD-Cover zeigt ein chaotisches Fingerfarbenbild, in dem bereits deutlich wird, dass etwas aus seinem Gesamtzusammenhang ausgestossen wird oder ihm entflieht. Das verheisst nichts Gutes.

Die User-Rezensionen sind aufgespalten zwischen Begeisterung und Verriss; ein Zeichen für die Abwehr, die ein Filmmotiv auslösen kann, auf das sich mancher nicht einlassen will – kein Wunder, wenn es um den Tod geht und der Film auf wohlfeile Sympathieträger verzichtet. Ein Film über das Leben „angesichts der Unverschämtheit des Todes“ nannte ihn ein Rezensent, womit sich die Frage erhebt, ob der Tod mit Adjektiven personalisiert und benamst werden kann. „Unbeirrbar“ wäre dann sicher das bessere Wort, aber immerhin schafft der Regisseur von Anfang an einen Resonanzraum, in der man dieser Gestalt wie auch immer begegnen kann.

Der Film besteht aus 5 Episoden, in dem jeweils ein Mitglied der Familie Lunies im Zentrum steht und in irgendeiner Weise mit dem Tod konfrontiert ist – sei es realiter oder in einer indirekten oder künstlerisch gefassten Form, dieses Thema durchzieht den Film wie eine Textur oder das Thema einer Fuge.

Konkret manifestiert sich der Knochenmann in der ersten Episode bei den Eltern der Familie, dem dementen Vater und der schwerkranken Mutter, die ihn mit Hilfe einer Haushälterin versorgt und zusehends an ihre Grenzen kommt. Man sieht es ohne Verschönerungen und ohne pseudoversöhnliche Honig-im-Kopf-Klischees aus dergleichen Machwerken, in denen die Alten nie aufs Klo oder geduscht werden müssen und die Szenen, die einem das Herz zerreissen, fehlen hier nicht – wenn der alte Vater im Pyjama alleine am Ende des Flures zurückbleibt und Sohn oder Tochter erleichtert in ihr gewohntes Leben zurückeilen und diese Endhaltestelle gar nicht schnell genug hinter sich zurücklassen können. Und der Vater das weiss.

 

 

Bedrückend auch die Szene, in der der Sohn Tom der Mutter mitteilt, dass er in seinem Inneren nur Leere verspüre – da wo die Gefühle für die Mutter sein müssten; die Mutter muss es hinnehmen, weil sie auf Versorgung angewiesen ist – eine unterschwellige Grausamkeit in dieser Szene, der finale Prankenhieb eines Ungeliebten gegenüber einer Wehrlosen, das geht in seiner Point-of-no-return-Anmutung schwerst unter die Haut. Dabei ist Tom eigentlich ein netter Kerl, der seine Begabungen verwirklicht, während die angeblich mehr geliebte Schwester im nächsten Abschnitt ihr Leben im Alkoholrausch vergeigt. Hier entgleitet der Film ins Makabre und Groteske, was dem Regisseur nur eingeschränkt gelingen will – er schrammt ziemlich haarscharf an der Klamotte entlang und der Bezug zum Thema und Gesamtkonzept will sich nicht so recht erschliessen, ausser man fasst den Todesbegriff sehr weit im Sinne eines Absterbens und Verschwindens von Möglichkeiten, Hoffnungen und Lebenschancen – hinter dem Grotesken lauert gern das Absurde und übergibt die letzte Stafette auf der Zielgeraden dann der Verzweiflung. Allerdings hat die Szene im Konzertsaal, als die Schwester ein vom Bruder dirigiertes Musikstück mit dem Titel „Sterben“ durch lautstarkes Husten und Erbrechen als späte Rache stört, durchaus ihren von Schadenfreude gespeisten Reiz und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Geschwistergemeinheiten. Der dem Desaster beiwohnende und im übrigen hochnarzisstische und dauergekränkte Komponist des Musikstücks suizidiert sich im Anschluss – was man nicht so recht bedauern kann. Was aber die Frage aufwirft, ob man jemanden am Suizid hindern soll, wenn man um seine Absichten weiss, aber andererseits keine Chance auf ein geglücktes Leben mehr bei ihm sieht. Stoff für Psychotherapie- und Ethikseminare zum Thema Selbstbestimmung contra Bevormundung.

Lars Eidinger und Corinna Harfouch wuppen ihren Part auf gewohnt professionelle Weise und zeichnen das Bild einer weitgehend dysfunktionalen Familie, die ihre Programmierungen auch im Erwachsenenleben nicht überwinden können und bilden immer wieder Modelle für das Abarbeiten subtiler Aggression am jeweils anderen.

Diese Familiendystopie ist ein harter Brocken, genial verschachtelt und aufeinander aufgebaut, Leerstellen eines Kapitels werden im nächsten Kapitel gefüllt und enträtselt, ein Mosaik mit einem deprimierenden Schlussakkord. Der Soundtrack versteht es, das Titelthema immer wieder aufzugreifen und eine andere Variante des Todes zu zeigen – ein friedliches und befreiendes Angekommensein nach allen Disharmonien beziehungsweise im Schubert-Quartett das Zurückscheuen vor diesem Übergang contra dem Lockruf von der anderen Seite. Das hebt den Film noch einmal in eine existenzielle Dimension und macht die Titelgebung erklärlich für einen Film, der eigentlich vom Leben in seinen tragischen Facetten handelt – und auch von seinen lächerlichen, wie die Eskapaden der Schwester und ihres Liebhabers zeigen – ein Fremdkörper im Film und doch zugehörig wie die Szene des Strandens von Tom auf der Landstrasse, der keine Ladesäule für sein E-Auto findet und nicht zur Beisetzung des Vaters kommen kann und am Grab statt einer Rede des Pfarrers eine Handydiskussion mit der Mutter ausklinkt – eine der kleinen Hundsgemeinheiten des Lebens oder späte Rache an den Eltern?

Am Ende gibt es einen Hoffnungsträger: Tom hat ein neues Baby (diesmal wirklich von ihm) mit einer Kollegin, mit der ihn auch nicht wirkliche Liebe verbindet; bei der Beerdigung der Mutter trägt er es als Manifestation einer möglichen besseren Zukunft auf dem Arm und der Zuschauer erahnt die Bürde, die im Moment auf dieses neue Leben geladen wird mit einem chronisch ungeliebten und ausbeutbaren Vater. Dieses Kind muss liefern.

Somit ist dieser Film nicht primär ein Film über den Tod als biologischer Fakt und spirituelles Motiv, sondern ein Narrativ über Egomanie, emotionales Erstarren, Liebesunfähigkeit und Gefühlsleere. Und das ist in der Tat schauriger als das schlimmste Knochengestell.

 

2025 28 Feb.

Ultracycling

von | Kategorie: Blog | | 2 Comments

 

Wer sich ausgiebig mit Fahrradfahren beschäftigt, zumal ja weniges dem Älterwerden auf so angenehme und körperschonende Weise entgegenwirkt, vielleicht noch ein funktionelles Krafttraining mit ins Vorsorge-Portfolio aufgenommen, dem baumelt in regelmässigen Abständen eine neue Wunschobjekt-Bratwurst vor der Nase, sei es in Gestalt eines Anbau-Teiles oder gar eines neuen Bikes. Es waren zwei helle Momente, die einst im Vorschulalter zusammentrafen. Zum einen der, dass die Mutter wach genug war, die Kamera zu zücken und in einer Fotosequenz festzuhalten, was ihr Bub gerade in der Hofeinfahrt entdeckte: er sass auf der Bank seines Schaukelpferdes, die flankiert war durch zwei Kufen, hielt sich vorne an der Stange fest und schaukelte die Steigung zum Hof hoch. Oben angekommen, zog er das Teil wieder runter, um erneut die Steigung zu nehmen. Sisyphos lässt grüssen! Ich erinnere mich an diesen Moment, als wäre es gestern gewesen: dass man die Gesetze der Schwerkraft aushebelt, dabei seine Körperkraft, Widerstand und den Willen spürt: es geht vorran. Das steckt tief in mir drin als Grundimpuls des selbstbestimmten Vorwärtskommens mittels des beglückenden Gefühls von Willens- und Körperkraft. So ist das Archaische tief in uns angelegt, wie es sich beispielsweise in der Faszination für Westernfilmen zeigt: den Colt schneller ziehen als der Gegner, die Fäuste auch mal sprechen lassen und danach der Ritt ins Weite, immer der Sonne entgegen. So wie die junge Ultracycling-Sportlerin und Bikepackerin Jana Kesenheimer, die drei Gipfel nahm und alles, was dazwischen lag. Der Film Three Peaks And In Between, vom Kamerateam um Produzent Stephan Wieser brilliant in Szene gesetzt, ist wohl der beste Fahrradfilm, den ich jemals sah.

 

2025 23 Feb.

Play it again, Sam!

von | Kategorie: Blog | | 13 Comments

 
 

Und spätestens jetzt sollten alle kapiert haben, dass Zwangsverheiratungen halt nun mal keine glücklichen Beziehungen erzeugen. Warum?

Niemand will sie.

Die Partner konnten sich vorher schon nicht leiden.

Sie können sich während der Ehe auch nicht riechen.

Sie können keine gemeinsamen Ziele verfolgen, weil sie zu verschieden sind und keine finden.

Falls sie welche finden, sind sie zu sehr mit ihrem Zoff beschäftigt, um bis ans Ende zu kommen.

Ziel ist nicht eine geglückte Partnerschaft, sondern sich zu profilieren, um mal alleine existieren zu können.

Sie hoffen auf eine Scheidung in spätestens vier Jahren, wo sie wiederum feststellen, dass sie alleine nicht existieren können.

Sie ehelichen wieder jemand, den sie schon vorher nicht leiden konnten. Manchmal sogar den Gleichen.

Zoffen tun sie sich grundsätzlich öffentlich, damit jeder mitkriegt, was der andere für ein Trottel ist.

Falls sie es doch hinbekommen, sich fortzupflanzen, entstehen oft sehr merkwürdige Kompromissgebilde, denen kein langes Leben beschieden ist.

An ihre ehrwürdigen Vorfahren und deren Wertekanon erinnern sie sich überhaupt nicht mehr.

Sie warten sehnlichst auf die Trennung, stellen aber durchaus in Aussicht, den gleichen vielleicht bald wieder zu heiraten oder sogar den, dem sie vorher immer die Fresse poliert haben.

Manchmal lässt einer die ganze Sache platzen, was jetzt aber auch nicht viel ändert.

Mediation oder Eheberatung wird nicht in Anspruch genommen.

Trotzdem wirkt das System schuldentlastend: Wenn was schiefgeht wars der andere. Vielleicht wird es deshalb nicht abgeschafft. Ausserdem gibt’s ’nen Haufen Kohle für das Ganze und jeden Tag steht in der Zeitung, worüber man sich gezofft hat. Somit ist immer was los und es lenkt ab von der Frage nach der Effizienz des ganzen.

Das hat doch was …!

Play it again, Sam!

Am Montag wissen wir mehr!

 

 

 

Konflikt genial zusammengefasst von Liedermacher F. J. Degenhardt (1972):

Die Befragung eines Kriegsdienstverweigerers durch den liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden:

Also, Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz

Sagen Sie mal sind sie eigentlich Kommunist?

Ja, Sie dürfen sitzenbleiben – überhaupt, wir sind hier ziemlich liberal

Lange Haare, Ketten, Ringe habn wir alles schon gehabt

Aber in die Akten scheissen mögen wir hier nicht!

Marx und Engels haben Sie gelesen – sagen Sie verstehen Sie das denn? Sie habn doch bloss die Volksschule besucht?

Na, nun regen Sie sich nicht gleich auf, lesen dürfen Sie ja was Sie wolln.

Überhaupt: Hier darf jeder machen was er will. Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!

Jaa, Soldat sein will heut keiner mehr, kann ich auch verstehn und ich selber hätte keine Lust, aber: Gründe haben müssen wir dafür.

Kommen Sie mir jetzt bloss nicht mit Imperialismus, den 2 Kriegen und die alte Klasse ist noch immer an der Macht , mag ja alles richtig sein, interessiert uns aber nicht.

Das ist nämlich Politik. Hier interessieren nur Gewissensgründe!

Was das ist? Hört sich zwar sehr grausam an, trifft den Nagel aber auf den Kopf: Nämlich, ob Sie töten können oder nicht.

Hier darf jeder machen was er will …

Also fangen wir mal an: In ner Kirche sind Sie nicht, auch nicht in ner anerkannten Sekte? Sehnse, da wirds schon schwierig mit Gewissensgründen!

Einen hatten wir mal hier und der machte auf Buddhist,

Warn son Typ mit Glatze, aber: Durchgekommen ist der, schlaues Kerlchen!

Also passen Sie mal auf, ich werd jetzt Ihr Gewissen prüfen:

Nehmen wir mal an Sie gehn spaziern mit Ihrer Freundin nachts im Park

Plötzlich kommt ne Horde Russen, schwer bewaffnet und betrunken nachts im Park

Machen sich an Ihre Freundin ran, Sie haben ne MP dabei.

Na, was machen Sie?

Was sagen Sie? Sie verbitten sich dies Beispiel? Meinetwegen, bitte schön!

Hier darf jeder machen was er will …

Schön, die Russen und die Amis fallen also weg, die Chinesen sicher auch, und mit Negern brauch ich gar nicht erst zu kommen.

Nehmen wir ein paar normale Kriminelle, schwer bewaffnet und betrunken, nachts im Park, machen sich an ihre Freundin ran, Sie haben wieder die MP dabei. Na, was machen Sie?

Sagen Sie uns bloss jetzt nicht Sie fallen auf die Knie und beten. Denn mit sowas kommt hier keiner durch der Marx und Engels liest …

Aber bitte … hier darf jeder machen was er will …

So, jetzt wolln wir aber wissen was Sie tun? Sie sagn Sie wehren sich? Weil Sie ja in Notwehr sind?

Ätsch! Das ist aber falsch! Dürfen Sie nicht sagen!

Richtig wär die Antwort nämlich die: Ich werfe meine Waffe weg, Und dann bitte ich die Herrn mit der Vergewaltigung doch bitte aufzuhörn.

Was sagen Sie? Sie kämen als Soldat doch nie in eine solche Situation?

Fangen Sie schon wieder an? Ist doch Politik! Hat doch mit Gewissen nichts zu tun.

Grundgesetz, ja, Grundgesetz, ja, Grundgesetz … Sie berufen sich ja pausenlos aufs Grundgesetz; Sagn Sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?

Aber bitte, hier darf jeder machen was er will! Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!

 

Und so stellt sich wieder die Menschheitsfrage: Abrüsten oder Gleichgewicht des Schreckens? Letzteres hat immerhin 70 Jahre funktioniert – bis auf die chronischen Eiterherde im nahen Osten und in der Dritten Welt. Si vis pacem para bellum … Diese Erkenntnis ist niederschmetternd und katapultiert uns zurück ins Neandertal, wer das noch nicht ins Auge fassen will, mag mit Abrüstungstransparenten losziehen – er wird nicht bekommen, was er will und als Idealist und Naivling verspottet werden, weil halt nun mal der Angegriffene nicht mehr entscheiden kann, ob er Krieg will oder nicht – er hat ihn schon. Die NATO hat ihn auch.

Aber es ist auch wichtig, die moralische Position und den Friedenswunsch aller Nichtgestörten immer wieder zu formulieren und öffentlich zu artikulieren, wenn wir irgendwann einmal später aus dem Neandertal wieder herauskommen wollen! Das innovative und an humanen Werten orientierte Potential der revoltierenden Jugend und ihre I-have-a-dream-Haltung ist eine wichtige und unter Umständen ausbalancierende Kraft in Gesellschaften, die gehört werden und Raum bekommen muss damit sich nicht zuviel Resignation einschleicht. Meine Generation hat für Frieden demonstriert, wir haben ihn nicht erreicht, aber wir haben erreicht, dass man für Frieden demonstrieren darf, ohne verhaftet zu werden, das ist ein Anfang; the times they are a’changing … nur verflucht langsam.

Wenn ich noch besser laufen könnte, würde ich – wider besseres Wissen und im Bewusstsein einer gewissen Realitätsfremdheit – mitschlurfen und immer wieder Imagine anstimmen. Und We shall overcome … Songs für die Ewigkeit … und von ungebrochener Aktualität! Joan Baez lebt ja noch … und John Lennon wird uns aus den Wolken zulächeln.

 

 

Vermutlich träume ich – ja, wahrscheinlich ist es so, Realität kann das unmöglich sein. Andererseits habe ich mich schon zu oft gezwickt, ohne in die Dreidimensionalität zurückkehren zu können, wiederum andererseits sind die Szenerien zu irreal. Gut, narzisstische Zentrifugalkräfte können sehr stark sein und die Zentripetalkräfte von Mitte und Mass aushebeln und in den Kosmos der Unwahrscheinlichkeiten hinausdriften. Das geht, wir erleben es gerade. Das Kapital – um einen antiquierten marxistischen Ausdruck zu gebrauchen, man traut sich sowas ja schon gar nicht mehr – verbrüdert sich nicht mehr verschämt in den Hinterzimmern der Lobbyisten mit den Regierungsorganen und schleust Parteispenden durch dunkle Kanäle, sondern kopuliert in aller Öffentlichkeit mit den Mächtigsten der Erde – wer wollte denn da schon gross stören? Uns kann doch keiner! Und der Mächtigste der Erde rollt mit dem Einkaufswagen einmal rund um den Globus und schaut was im Angebot ist und bald hats Bettenburgen und rotblaue Schirmchen am Gazastreifen und in den Multiplexen läuft das Leben Jesu in Dauerschleife und die Bevölkerung wird enteignet, falls sie überhaupt noch was hat, das man ihnen wegnehmen könnte … ach, ich träum ja oft recht skurril, irgendwann wach ich schon auf oder es kommt der Abspann und ich finde mich im Kinosessel wieder nach einer entgleisten Hollywood-Politparodie und der Musk auf der Leinwand macht ein Pokerface und sagt „I’ll be back!“ und man kann in Ruhe überlegen ob man sich die Fortsetzung noch antut – ja, so wird’s sein. Und es gibt bald viele Rezensenten, die finden, dass der Film zu artifiziell und irreal sei und ausgesprochen plump in seinen Effekten und man freut sich, dass es keinen Oscar für niemand gibt für diese miese Parodie. Genau … so wird’s sein … einfach ein völlig absurdes Machwerk und man kommt aus dem Kino und alles ist wieder gut … gleich kommt die Langnese-Eis-Verkäuferin … ganz sicher … keine Sorge! Die Welt ist nicht verrückt geworden, nein nein! So schnell geht das nicht, man muss nur seine Phantasie ein bisschen im Zaum halten, sonst kommt man auf die irrsten Sachen. Oder der Wecker läutet gleich … wär auch recht!

Heute Abend gibt’s ’nen Film über einen Diskurs der Kanzlerkandidaten, da ist die Weidel dabei. Als ob die ernsthaft Chancen hätte, mit ihrem Rudel Durchgeknallter in den Bundestag zu kommen … guck ich aber nicht. Unrealistisch – das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand schon!!! Wer dreht denn bloss immer einen derart abgefahrenen Scheiss? Das kann doch bloss wieder der Tarantino sein …

 

ALICE THE BRAIN

 

 
 

The Room Next Door (ES, 2024) von Pedro Almodóvar

 

Ich möchte jetzt nicht die Platitüde gebrauchen, dass ein Film über den Tod auch immer ein Film über das Leben ist (was man langsam nicht mehr hören kann) – aber ein Film über einen Übergang erzählt immer von den beiden Welten, zwischen denen gewechselt wird, das ist weniger Kunst des Regisseurs als allgemeines Gesetz, so wie es kein Ende ohne einen Anfang gibt und keine Krankheit ohne Gesundheit. So ist die Zeit der Regisseur jeden Lebens und jedes Leben ein Sichbewegen zwischen Polaritäten und Antagonismen.

Almodóvar ist offenbar dazu übergegangen, sich nun nach seiner Biographie Leid und Herrlichkeit den letzten Dingen zuzuwenden – übrigens ein Film ohne seine üblichen Ebenenwechsel und intellektuellen Verschachtelungen, die man so spannend fand, aber lebensfreundlich, blutvoll und anrührend. Jetzt geht ihm aber offenbar die Puste aus.

Das Sterben findet hier in einem luxuriösen Chalet mit zwei verdienten Hollywoodstars statt, mitten ins amerikanische Nirgendwo outgesourct und im Dialog zwischen zwei Freundinnen, von denen eine vom Krebs zum Tode verurteilt ist und die andere, die panische Angst vor dem Tod hat, sie bis zum Ende begleiten soll – schon mal ein leicht sadistisches Arrangement, das einige filmische Möglichkeiten eröffnen könnte, die dann aber nicht ausgeschöpft werden. Im Zuge dieser Sterbebegleitung gibt es noch einige Kapriolen über eine geschlossene Tür, die den Tod der Freundin durch eine finale Pille aus dem Darknet signalisieren soll, aber wohl auch mal vom Wind zugeklatscht wird und die Freundin in Panik versetzt, was die Sterbende wiederum überhaupt nicht kratzt: Anmutungen von Schulmädchentriezerei mit sadistischem Unterton, wie gesagt. Dazwischen gelegentlich halbwegs geistvolle und lebensweise, meistens aber plattitüdelige Dialoge, angesichts eines bevorstehenden Lebensendes affektlos und blutleer zwischen überkontrollierten und immer leicht untertemperierten Frauen, die keine besondere Teilnahme abnötigen und jegliches Feuer, das der Regisseur sonst in seinen Figuren zu entfachen versteht, vermissen lassen. Sic tacuisses ... oder doch wieder Penelope bemühen? Die hätte da etwas mehr Latino-Pep reingebracht. Und ein bisschen mehr Hängen-am-Leben anstatt dieses Abgeklärtheitstriefen der Hauptdarstellerin mit ihrer flotten Sidecutfrisur.

Auf jeden Fall wird dann nach circa einer Stunde Filmzeit relativ unspektakulär verstorben, die Freundin bleibt gefasst und am Ende erscheint dann die Verstorbene noch einmal als ihre verbiesterte eigene Tochter, traumatisiert durch die Tatsache, dass sie ihren Vater nicht kennt (als ob das nicht auch ein Vorteil sein könnte), eine abschliessende Begegnung, deren Sinn für das Ganze sich nicht so recht erschliessen will. Zumindest aber erspart uns der Regisseur jegliches Hollywood-Sterbesentiment einschliesslich Streichorchester mitsamt dem Erheben und Ins-Licht-wandeln des Astralkörpers aus dem Leichnam. Da ist man dann doch dankbar.

Und so ist Sterben hier vor allem eines: Gepflegte Upper-Class-Sterbenslangeweile.

 


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