Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 

 

Natürlich war der klassische Western ausschliesslich eine Männerwelt und natürlich war sein Bezug zur Realität der Besiedelung des Westens etwas geschwächt. Natürlich war sein Frauenbild in der Regel einfach strukturiert und zwiefach gespalten in herzensgut und verrucht und dieses Geschlecht diente allein der Ornamentik – schmückendes Beiwerk und romantisierendes Element am Rande des Hauptthemas: Männergesellschaften und ihre interpersonellen Spannungen. Frauen waren nicht wirklich mit dem Geschehen verbunden und ohne Funktion im Handlungsverlauf, dafür aber immer zweckmässig gewandet zum Überleben auf staubigen Kampfplätzen, in denen es immer um Leben und Tod ging. Manchmal ähnelten sie mit ihren Reifröcken den Puppen, die früher auf den rückwärtigen Ablagen in Autos sassen und eine Rolle Toilettenpapier tarnten. Charles Bronson hätte Henry Fonda auch ohne die Mitwirkung der Wuchtbrumme Claudia Cardinale zur Strecke gebracht, aber so ergaben sich doch einige prickelnde Momente im ansonsten sehr protrahierten Verlauf des Filmes und die Hoffnungsspannung auf ein glückliches pairing-end blieb bis zum Schluss, was uns aber Sergio Leone dann gottlob doch ersparte – es hätte den Mythos vom Lone Rider und damit den ganzen Film zusammengehauen, der letztlich nur davon lebte. Schmückendes Beiwerk auf Männerspielwiesen.

 

 

                 

 

 

Der berühmte ikonische Blick von hinten durch die Beine eines der beiden Duellanten auf den Gegner – also aus einer voyeuristischen Beobachterposition auf ein dyadisches Geschehen, nämlich ein Pistolenduell, erinnert an die Blickhöhe eines Kindes, das sich hinter dem Vater versteckt und die Vernichtung des Feindes voyeuristisch aus einer sicheren Position betrachtet. Womit wir bereits auf einer spielerischen Ebene gelandet wären in einer Szenerie, die zunächst alles andere als spielerisch war. Der Exodus der Europäer, bedingt durch Umstrukturierungen in den Heimatländern von agrarischen und feudalherrschaftlichen Strukturen hin zu frühkapitalistischen Produktionsformen erzeugte Unfreiheiten, wirtschaftliche Veränderungen, existenzielle Bedrohungen und eine Verunsicherung der bisherigen Identität, so dass sich viele Hoffnungen auf einen radikalen Ortswechsel in ein grosses Land richteten, das geradezu aufforderte, es in Besitz zu nehmen und seine Ressourcen zu nutzen. Frühkapitalistische Strukturen replizierten sich dann rasch erneut, sobald Grossgrundbesitzer und betuchte „Viehbarone“ ganze Kleinstädte vereinnahmten, indem sie mittels ihrer finanziellen Möglichkeiten Einfluss auf deren bescheidene Kommunalpolitik nahmen, die Gemeindevorsteher, den Friedensrichter und den Marshall schmierten, immer einen Reitertrupp von bodyguards zu ihrem Schutz im Gefolge hatten falls ungeschriebene Gesetze von Newcomern nicht eingehalten wurden und so das alte feudalherrschaftliche Staatsprinzip der alten Welt erfolgreich weiterführten. Der Mensch entkommt sich nicht, egal wie weit er übers Meer schippert.

Die Besiedelung des Westens und das Leben der Farmer, Züchter und Cowboys dürfte bei weitem nicht so aufregend gewesen sein, wie der Western es uns glaubhaft machen will, vielmehr scheint sich hier mit einer Art lautlosem Donnerschlag ein Phantasieraum aufgetan zu haben, in dem die männlich dominierte Filmwelt Hollywoods einen gigantischen Spielplatz für Verfolgungsabenteuer, latente Homoerotik und sonstige Testosteronrituale entdeckte und für sich mit Beschlag belegte, in einer Art sekundärer Kolonisation – ein virtueller Westen, der mit der realen Gegend nicht mehr viel zu tun hatte. Es errichtete die Welt eines permanenten Räuber-und-Gendarm-Spiels in einer riesigen Phantasieblase und eines beständigen Aufeinanderprallens von Outlaws und den Hütern von Recht und Ordnung mit unterschiedlichen Varianten der Sympathielenkung. Der charmante Gauner Billy the Kid hatte die Zuschauergunst eher auf seiner Seite als der furztrockene und illoyale Pat Garrett, dessen Überleben uns eher wurscht gewesen wäre. Der lässige Soundtrack von Bob Dylan brachte dann freilich Tracks für die Ewigkeit.

 

 

 

 

Ein riesiges und gewissermassen jungfräuliches Land mit reichlich verborgenen Schätzen musste erobert und den ursprünglichen Besitzern sukzessive abgejagt werden, eine stimulierende Phantasie, die die ödipale Enttäuschung des Mannes, den Körper der Mutter nicht vollständig zu besitzen, sondern zeitweise an den Vater abtreten zu müssen, zu kompensieren vermag – nicht selten werden kindliche Konflikte mit den Eltern später auf eine politische Ebene gezerrt und dort rächend oder kompensatorisch ausagiert. Jedenfalls wurden ab dem ersten grossen Western Der grosse Eisenbahnraub (1903), der bereits erste Massstäbe in Aufbau, Schnitt und Kameraführung setzte, der Markt zusehends mit kriegspielenden Jungs geflutet. Dabei stehen die Motive wahlweise der Unbezogenheit im Vordergrund (mehr oder weniger zielloses Lonely-Wulf– Herumstreunen im Gelände mit all seinen wohlweislich nicht dargestellten Mühseligkeiten, das man uns als grandiose Freiheit verkaufte) oder wahlweise die intensive Bezogenheit von Mann zu Mann oder von Männergruppe zu Männergruppe in Form von monate- bis jahrelangem Suchen und Verfolgen des irgendwie definierten Gegners (oder auch gerne aufgrund eines Rachemotivs) im Gelände als Lebensinhalt, voyeuristisches Dauerbeobachten, Spurenlesen und Anschleichen bis schliesslich zum showdown, bei dem man möglichst breitbeinig voreinanderstand, die Intimität eines langen und meist finalen Blickkontaktes genoss und zuletzt blankzog.

 

 

          

 

 

Auch der ansonsten erfrischendere und neu angelegte Spaghetti – oder später der Neowestern verzichtete keineswegs auf diese Versatzstücke, auch wenn er sie zeitweise gerne ironisch zitierte. Hier kippt der Abenteuerspielplatz in homoerotisch anmutende tableaus von sich umkreisenden Paaren, die in intensivem Blickaustausch miteinander verschmelzen um jede Regung des anderen schon im Ansatz zu bemerken – der Griff zum Colt zeige sich vorher schon im Auge des Duellanten an –  so der Mythos – und ihn dann aufs Kreuz zu legen. Das war nicht nur das Drohstarren, das wir aus der Tierwelt kennen, sondern ein intensives Sicheinfühlen – man muss geradezu in das Auge des anderen hineinkriechen, um den entscheidenden Zeitvorteil zu bekommen. Momente von Intimität und geradezu penetrierender Nähe als Kontrast zu den ständigen Distanzvergrösserungen und -verkleinerungen beim Herumreiten, Flüchten und Verfolgen. Da ist freilich kein Bedarf mehr für Frauen. Und als Charles Bronson seine lebenslange Mission beendet und Henry Fonda erledigt hatte, widmete er sich wieder dem „Jeden-Tag-Leben-mit-dem-Tod „, wie Cheyenne zitierte, den er dann auch noch palliativ wegen eines Lebersteckschusses erschiessen musste. Besonders vernünftig und lebensfreundlich klingt das alles nicht – aber – hach! … wie romantisch und wohltuend traurig …

Stories of love and hate bei den Weissen – welche Rolle wurde nun den Indigenen auf diesen Spielplätzen zugewiesen? Zunächst die der irdischen Aliens samt Auftreten in Horden gleichgeschalteter gesichtsloser Individuen, die die Siedlungen der Weissen überfielen und grausame Blutbäder anrichteten – flott dargestellt in einer nassforschen Umkehr der eigentlichen Landbesitzverhältnisse. Während die Aliens das personifizierte Fremde repräsentierten, eigneten sich die Native Americans mit ihrer Andersgläubigkeit, ihren Ritualen, Gesängen und Tänzen eher zur Verkörperung des Magischen und Irrationalen und mit den langen Haaren, ihrer überwiegend bunten Kleidung samt Schmuckzubehör auch zum Prinzip des Weiblichen, dem man ja ebenso Irrationalität und Bedrohung einer für wohlgeordnet gehaltenen Männerwelt zuschrieb. Nun ist das Weibliche für den Mann nicht nur irrational-gefährlich, sondern auch anziehend und faszinierend, demzufolge konnten sich die Macher des Westerngenres in ihrer männlichen Ambivalenz nie so ganz darüber einigen, wie sie sich zu den Natives stellen sollten – edle Wilde oder grausame Krieger und Marterpfahl-User wechselten sich in buntem Reigen und sorgfältiger Spaltung ab – bis zu den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, als der Rassenwahn der Nazis doch so manchen dazu brachte, seine Position zum Andersartigen und Andersabstammenden zu überdenken. Vielleicht auch zum Weiblichen … Der rassistische Charakter des Bildes der Indigenen zeigte sich auch in der Besetzung von Indianerrollen mit weissen Schauspielern, die ihre Charaktere nicht selten parodistisch überzeichneten, heute auch „kulturelle Aneignung“ genannt. Dieses „Redfacing“ hielt sich sehr lange im Genre.

 

 

         

 

 

Erst in den 60er-Jahren begann man die Indianer sympathischer zu sehen, wohl auch unter der Weltsicht der Hippies, die sich ihnen verbunden fühlten und gern ihr Outfit kopierten – als kontemplative und naturverbundene Gegenkultur zum zunehmend brutaler werdenden american way of life. Und die Frauen zogen die Korsetts aus (oder behielten sie als humoriges Zitat über den Reithosen an), setzten die Häubchen ab, griffen zum Gewehr und schossen besser als jeder Mann … okay … jede Bewegung kippt erstmal in ihr Gegenteil; das kommt davon, dass man viel Anlauf nehmen muss beim Durchstarten, das war nicht nur beim Feminismus so.

Auf den grossen postkolonialistischen Western, der ohne Idealisierung und Romantisierung die Besiedlung aus der Sicht der Indigenen schildert, nett mit dem Wolf tanzt und auf jegliches John-Ford-und Karl-May-Klischee einmal verzichtet, warten wir noch.

Aber wie wir wissen: Irgendeiner wartet immer.

 

2024 26 Okt

„nubian sunloop“

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a u d i o

 
 

 

  

 
 
 

Was macht ein Geisteswissenschaftler auf dem Oktoberfest und wenn ja wieviel und wie lange?

… wenn er (oder sie) Vegetarier ist, der kein Bier mag, keine Zuckerwatte, keine kandierten Äpfel, keinen Lärm und keine Menschenaufläufe und kein nach Schuhsohle schmeckendes Lebkuchenherz um den Hals bammeln. Höchstens gebrannte Mandeln.

Frauentechnisch macht das Fest ja was her … der Dirndlwahnsinn ist durchaus etwas fürs Auge und die Flechtfrisuren der Mädels dürften soviel Zeit in Anspruch nehmen wie das Aufbrezeln früherer Rokoko-Perücken – und einfach mal was anderes als Nickis, Hoodies, Turnschuhe und tief unterm Arschgeweih sitzende Jeans sowie zu Stricken gedrehte Haare, deren Enden in die Luft stehen, sozusagen Gamsbart urban – aber hier jetzt ein Fest der schönen Mädchen. Aber dies soll hier ja keine Kolumne werden, sondern eine Abhandlung über Magie und Dämonisches.

Man könnte da erzählen über magic moments im Kindesalter, wenn man abends durchs Fenster gegen Osten blickte und der rot gefärbte Himmel zeigte – nein, nicht dass der Krieg wieder begonnen hatte – sondern das Oktoberfest, vulgo genannt „die Wiesn“, weil es auf einer selbigen stattfindet. Und man am Samstagmittag um 12.00 beim Anzapfen den Böllerwumms erst durchs Radio hörte und mit kurzer Verzögerung durchs offene Fenster dann den gleichen nochmal. Rätsel über Rätsel und Magie für Kinderohren, was nur schlichte Physik war – damals wurde der Doppelwumms erfunden. Hat heute alles etwas an Glanz verloren angesichts von Trommelfellgefährdung, horrender Preise und Bierleichen am Hügel zu Füssen der Bavaria, vulgo auch der Kotzhügel genannt.

Nein, anziehend für mich sind auf der Wiesn die Monster in ihrer aztekischen Buntheit und Grausigkeit und ihre mimischen und gestischen Bedrohungen, der grinsende Teufel, der zähnefletschende Tod und ihre ganzen Handlanger, Vasallen und Folterknechte, kurz: Das Zitieren des Mittelalters; das Dämonische, das erschreckt und in seiner Überspitzung gleichzeitig ins Lächerliche kippt. Gebilde sadistischer Phantasien – jetzt gezeigt als das, was sie sind – Pappkameraden zum Kindererschrecken, über die Maßen bedrohlich in Zeiten, als Teufel ausgetrieben wurden und Scheiterhaufen brannten, Menschen mit körperlichen Besonderheiten zur Schau gestellt und Hinrichtungen zur Abschreckung öffentlich durchgeführt wurden.

 
 
 

                    

 
 
 

Alles nur noch ein Spiel … wie beruhigend. Das Kind jeglichen Alters des Zeitalters der Aufklärung, der Moderne und Postmoderne betrachtet das ganze Grauen mit leisem Nervenkitzel und grosser Erleichterung – endlich ist der Spiess umgedreht und Tod und Teufel sehen ganz schön lächerlich aus als Parodien und Zitate ihrer selbst. Wie gut, in der Neuzeit zu leben und die dunklen Zeiten der Menschheit unwiderruflich vorbei zu wissen.

Beim Perchtenlauf auf den Christkindlmärkten in Berchtesgaden werden allerdings durchaus noch Kinder von gehörnten und kettenrasselnden Geschöpfen geschockt, aber das sind Kollateralschäden, deshalb wird schönes altes bayrisches Brauchtum noch lange nicht aufgegeben. Und auch nicht auf 22.00 vertagt – nö, das gehört in die Dämmerstunde, wenn auch der Nikolaus kommt, den die Kinder natürlich sehen wollen – in Personalunion mit dem gruseligen Krampus, aber der tut nichts und will nur spielen, das müssen die Kinder nur erstmal kapieren. Brauchtumspflege halt … – nur Gegendämonen können die Dämonen der Rauhnächte austreiben, das ist quasi ein unverzichtbares Ritual hier in den Bergen. Wer weiss denn schon genau, was hier alles nächtens noch umgeht. Die Naturwissenschaftler können auch nicht alles wissen.

 
 
 

 
 
 

Nein, in einer säkularisierten Welt braucht man derlei Archaik nicht mehr zu fürchten. Wie schön, dass wir sicher sind.

Als ich klein war, gabs übrigens die Zuban-Schau auf dem Oktoberfest (eine Zigarettenmarke) – das Zurschaustellen von Fremd- und Andersartigem: Schwarze Menschen mit Speeren und Baströckchen zeigten traditionelle Tänze, Hulamädchen liessen die Hüften kreisen, holten dann einen Kerl aus dem Zuschauerraum, dass er es ihnen gleichtat, der dann geehrt, erfreut und etwas verschämt mithüpfte. Indianer zeigten Kriegsbemalung und Marterpfähle. Ein Menschenzoo in einem Land, an dessen Grenzen bereits das Untermenschentum begann, zumindest noch in vielen Köpfen.

 
 
 

                     

 
 
 

Dann die Magie und das Glück des ersten Luftballons, vorsorglich von der Oma an meinem Handgelenk festgeknüpft und andächtig bestaunt, rot und mit Nase und einem freundlichen Grinsen. Und dann ein besoffener junger Mann, der ihm mit der brennenden Kippe das Lebenslicht ausblies – damals durchaus gebräuchlicher Sport von Angetrunkenen, Sadismus gegenüber Kindern.

 
 

… die Horde vor einer Schlägerei flüchtender Wiesenbesucher die mich von meiner Mutter losrissen …

…der junge Mann der hinterher am Strassenrand sass und aus einer Schnittwunde blutete und dem niemand half …

… Männergewalt …

… meine Panikattacken als Kleinkind als mein Vater mit mir in ein allzu wildes Fahrgeschäft stieg in dem ich mich nicht auf den Füssen halten konnte …

… der mühsame Heimweg zu Fuss nach dem Verzehr einer Hühnersuppe, in der offensichtlich Salmonellen um die Wette schwammen und eine Begleitung, die befürchtete ich würde in die Strassenbahn reiern … Kinder sollen keine Umstände machen, also ein einstündiger Fussmarsch immer am Rande des kaltschweissigen Kollabierens … aber wenigstens kein Ärger mit Mitmenschen …

… die Schaustellerjungs, die einen am Ende der Tobogganrutsche auffingen damit man sicher auf die Beine kam und einem dabei unter den Rock grabschten …

… irgendwelche Vorrichtungen in Fahrgeschäften, die einem plötzlich den Rock hochbliesen – beschämt vor einem wiehernden Publikum … gottlob gab es bald Blue Jeans und Frau lernte besser nicht mehr mit Rock herumzulaufen. Schade um den neuen Petticoat!

 
 

Heute gibt es einen Safe Space auf der Festwiese, eine Zuflucht für Frauen und Mädchen in Bedrängnis mit Mitarbeiterinnen, die notfalls auch die Frau nach Hause bringen oder Taxigeld vorstrecken – die haben reichlich zu tun. Ist das jetzt Fortschritt oder Rückschritt dergleichen zu brauchen? Der Kotzhügel, auf dem in warmen Nächten auch die Räusche ausgeschlafen werden wird von Kennern der Szene auch mountain of rape genannt. Ein bayrischer Comedian meditierte einmal über die Sitte, Kinder nach dem Ort ihrer Zeugung zu benamsen – Diego oder Paris oder Savannah – und meinte, ein grösserer Teil der Bayern müsste dann wohl „Hinterm Bierzelt“ heissen; der Prozentsatz einvernehmlicher Sexualität ist dabei leider nicht erfasst.

Auf dem Oktoberfest 2024 wurden insgesamt über 700 Straftaten angezeigt, überwiegend Körperverletzungen, ca die Hälfte davon Sexualdelikte, vor allem das immer beliebter werdende upskirting, Nachfolger der alten Sitte, in den Damentoiletten auf Augenhöhe ein Loch Richtung Nachbarkabine zu bohren. Und andere schöne alte Bräuche …

Wie gut in der Neuzeit zu leben …

 

 

An die Bestie in Menschengestalt

 

Du hast meinen Lebensfaden

schier abgeschnitten.

Ich verfluche dich dafür

Ich spreche den Gegenfluch aus

Mögest du in Ewigkeit

wie ein halb zertretener Wurm

dich winden müssen

 

Dafür, dass du und deine Mit-Würmin

den Fluch auf mich herabgebrochen habt

mein Leben zertreten.

Meine Kraft zerbrochen habt

die Kraft für mich selbst

zu leben, zu lieben

mich unbekümmert zu freuen

 

Stattdessen habt ihr mir

falsche Schuld

falsche Scham

abgebrochenes Leben

und eure unsägliche Schuld

aufgeladen.

Mit unsäglicher Brutalität

 

Dafür spreche ich nochmals den Gegenfluch aus

 

Mögen sich die Engel von euch abwenden

die Hölle euer zuhause sein

So wie mein Leben oft die Hölle war

auf Erden

 

Ihr sollt alle Schmerzen

in Ewigkeit spüren

die ihr mir zugefügt habt

mir und meiner Tochter

mit euren späteren Henkershelfern.

 

Niemals Frieden für euch!

 

 

Liebster

 

An Dich Geliebter
mit dem goldenen Herzen
dem geheimnisvoll umhüllten
mit der zarten Blutspur.
Wie ein Hauch
und doch das Auge erschreckend.

Deine Stimme fließt in mein Ohr
wie plätscherndes Gebirgswasser
mit unterirdischen kräftigen Strudeln.

Und deine Hände
tasten sanften Augen gleich
sich behutsam in meine,
teilen das Wasser vor mir
in kräftigen Schwüngen.

Zärtlich schnupperst Du an meiner Haut
die ich sanft für Dich nur salbte.

Spür den Sommer
in meinem Mund
lass mich ihn
in Deinen hauchen

Liebe heißt das Zauberwort.

 

Marianna 2024

 

Spannung – das Erste, was mir einfällt beim Lesen dieser beiden Gedichte aus meiner Sammlung von Texten traumatisierter Menschen. Wie kann eine Seele so extreme Gegensätze erleben, erfühlen und in sich beherbergen, ohne zu zerspringen – als würde man eine extrem zusammengedrückte Sprungfeder plötzlich loslassen, so dass sie ihr Gehäuse zerreisst. Offenbar geht es – allerdings droht der Körper dieser Frau zersprengt zu werden – von extremen Schmerzen, Unverträglichkeiten und Zurückweisungen für fast alles, was man ihm auch in bester Absicht zuführt, um ihn zu ernähren, zu erhalten oder zu heilen, als ob er überall ein verborgenes Gift wittern würde, das er sofort wieder ausstossen möchte – ein körperliches Grundmisstrauen, das sich längst verselbständigt hat und ein Eigenleben führt. Oft hat man den Eindruck, dass der Körper sich verhält wie das Kind, das dieser Besitzer einmal war; er verweigert sich, er möchte ständig etwas zugeführt bekommen, um die Leere der Seele zu füllen, bei manchen Menschen schreit und lärmt er die ganze Zeit. Oft ist er so angefüllt mit Unverdaulichem dass er keine Nahrung mehr aufnehmen kann. Manchmal steht er unter einer fast unerträglichen Spannung zwischen Angst und Wunsch, möchte sich öffnen und schützend verschliessen gleichzeitig. Dann wieder wohltuend abgegrenzt und unverletzlich existieren und dann wieder mit einem anderen verschmelzend verschwinden und sich auflösen.

Du stolzes Herz! Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich. Oder unendlich elend.

Heinrich Heine wusste auch, wie weit die Seele ihre Flügel spannen kann, manchmal birgt sie in ihrem Gehäuse nur von Menschengrösse eine ganze Welt.

Und Spannung vermag vieles: Einen Pfeil abschiessen, einen Schlag versetzen, ein Gehäuse sprengen … nur ist sie eben so verdammt schwer zu ertragen, sowohl ihr Halten als auch ihre Entladungen. Ein Leben in Extremen – und kein Entkommen?

Doch, manchmal … im Malen, im Gestalten, im Schreiben …

 

2024 12 Okt

(kein) haiku

von | Kategorie: Blog | | 3 Comments

 

ins gestalten kommen

 

nicht nach gestern fragen

 

(heute ist genug)

 
 

soundtrack: Nic Jones – „Farewell to the Gold“

  • Talk Talk – Spirit of Eden
  • Yazoo – Upstairs at Eric’s
  • João Gilberto – s/t
  • Doc Watson – Doc and Dawg
  • Gustav Mahler – 3. Symphonie
  • Van Morrison – Astral Weeks
  • Slayer – Reign in Blood
  • Sergej Rachmaninov – Klavierkonzerte 1-3
  • Sunn (O) – Monoliths & Dimensions
  • Anton Bruckner – 8. Symphonie
  • Fela Kuti – Expensive Shit
  • Skitsystem – Enkel Resa
  • Rolling Stones – Exile on Main Street ohne „Sweet Black Angel“ und „Let It Loose“
  • Sade – Soldier of Love
  • Third Eye Blind – Blue
  • Can – Future Days
  • Arthur Russell – World of Echo (hypothetisch)
  • Chemlab – Exile on Mainline
  • Funkadelic – Maggot Brain
  • Spaceman 3 – Playing with Fire
  • Cornershop – When I Was Born for the Seventh Time
  • The Wedding Present – Seamonsters
  • Van der Graaf Generator – Still Life
  • Pink Floyd – Dark Side of the Moon
  • Brian Eno – Another Green World
  • Lou Reed – Metal Machine Music
  • Hoedh – Hymnvs oder LMFAO – Sorry for Party Rocking
  • Yes – Awaken
  • Pink Floyd – Meddle oder Joni Mitchell – Hejira
  • Pharoah Sanders – Karma
  • Harvey Milk – Special Wishes
  • Boredoms – Rebore Vol. 2
  • Thelonious Monk – Monk’s Dream

 

Es hat etwas mit dem Ende zu tun. Und irgendwie mit Schwarmintelligenz.

 

Fortsetzung:

 

  • Bob Dylan – Highway 61 Revisited
  • New Order – Technique
  • Steve Reich – Music for 18 Musicians
  • 2814 – Birth of a New Day oder New Dreams Ltd. – Initiation Tape Part One
  • V/A – Now That’s What Your Parents Call Drone

 

 
 

Monsieur Klein (F, 1976) von Joseph Losey

Der Schauspieler und sein Film – a matched sample

 

Noch selten hat ein Schauspieler so gut zu einem Film gepasst wie hier Alain Delon zu Monsieur Klein. Der kühle, aalglatte, aber sich nie zum wirklich Bösen aufschwingende (das hätte Delon auch durchaus geschafft – seit Die Sonne war Zeuge wissen wir das) M. Klein, Kunsthändler und Bonvivant, der sich am Eigentum enteigneter Juden bereichert, ist durchaus sein Metier. Auf gebrochene Charaktere verstand er sich mit seinem Pokerface, seinen hellen Augen, bei denen man trotzdem nicht auf den Grund blicken konnte – so als hätte er eine Zwischenwand eingezogen, an der unser forschender Blick abprallte und wieder umkehren musste, bevor er das Innere erreichte. Die Seele dahinter war seine Sache, er stellte sie immer nur in Teilen zur Verfügung – für Filme reichte es, für Beziehungen nicht immer. Romy liess er – so der Text des Abschiedsbriefes – sein Herz zurück, sein Körper stand gleichzeitig Nathalie Delon zur Verfügung, was er mit der Seele machte bleibt im Ungefähren, Interviews gab er so gut wie nie. Als junger Mann arbeitete er eine Weile als Metzger, vielleicht hat er hier gelernt Organismen zu zerteilen.

Das klingt zynisch – die Psychotherapeuten würden es Balint-Effekt nennen, eine Art Übersprung vom Beschriebenen auf den Beschreiber – und Zynismus und Kälte sind auch Eigenschaften, die man Delons Filmfiguren zuschreiben kann. Sogar bei seiner Premiere – beim herzigen Leutnant Gustl in Christine (eine komplette Gegen-den-Strich-Besetzung) wehte einen immer etwas kühl an und wenn’s nur die berühmte Unmutsfalte war, die zwischen den Brauen immer wieder aufzuckte. Dafür war Romy Schneider in diesem Film noch ein letztesmal über die Maßen herzig, bevor sie ihre Karriere in Frankreich startete – dann nicht mehr herzig, aber früh gebrochen und nie mehr ganz geheilt, bis ihr die eiserne Spitze des Gitters, die den Körper ihres Kindes durchbohrte, auch das eigene Herz durchdrang. Das ist auch so eine Crux von Delon, diese Personalunion mit einer längst Verflossenen, die bei jedem Diskurs über ihn zuverlässig auftaucht, als gehörte diese Beziehung zu seiner Identität und Romy wäre sein unsichtbarer siamesischer Zwilling. Is anybody here? Da fehlt doch jemand!

Und irgendwie gab man dem Treulosen immer ein bisschen Mitschuld, dass unsere Sissi in Paris zuerst unanständige Filme drehte, dann verlassen wurde und traurig endete. Er liess Raum für Projektionen und die waren nicht immer vorteilhaft, aber machen andererseits den Schauspieler vielseitig verwendbar. An M. Klein schien ihm etwas zu liegen, er war der Produzent. Nach „Leutnant Gustl“ wusste er offenbar besser, was zu ihm passte – die tiefgekühlten Chamäleons und andere Reptiloide mit ihren Eisaugen.

Der Film beginnt auch bereits mit einer Anmutung von Kälte: Eine junge Frau wird vom Amtsarzt untersucht – ihre rassische Zugehörigkeit soll festgestellt werden und der Arzt, ein Kollaborateur, untersucht sie, als wäre sie ein Pferd, das er kaufen will; das stellt den Film bereits in seinen entsprechenden Kontext: Frankreich unter der deutschen Besatzung, Beginn der Enteignung und Deportation von Juden – dem entgegengestellt die Welt der gesellschaftlichen Elite, zu der dergleichen nicht durchdrang und die es verstand wegzuhören, wie die unvermutet auftauchende Jeanne Moreau mit den wie immer vornehm abgesenkten Mundwinkeln in ihrem Palais, bei deren Auftritt man sich fragt, warum sie sich mit dieser Minirolle zufriedengegeben hat. Da hat wohl jemand seinen Charme spielen lassen?

Zu dieser elitären Gesellschaft gehört auch M. Klein, der sich am Aufkauf von jüdischem Hab und Gut bereichert – kalt, opportunistisch, ohne Gefühlsregung, in seinen seidenen Morgenmänteln immer etwas metallisch-glänzend wirkend, als trüge er einen Echsenpanzer, das Einstecktuch gezückt in der Brusttasche, alles comme il faut, ein gentilomme, sogar noch im Schlafzimmer. Die Adresse seiner Kunden notiert er nicht mehr, er weiss sehr wohl, dass sie dort bald nicht mehr zu finden sein werden, wo sie gerade noch sind.

Der Film beginnt und endet mit einem Verkaufsgespräch, es geht um das Bild „The Analysis“ von Adriaen van Ostrade, das Bild eines Mannes bei einer chemischen Untersuchung: ein Hinweis auf die Werte der Aufklärung, Ratio, Naturwissenschaft, Humanität, Absage an das Irrationale, an die Zeit in der die Scheiterhaufen loderten – hier kontrapunktisch entgegengestellt der Anfangsszene der ärztlichen Untersuchung einer Frau gemäss den abstrusen Richtlinien der faschistischen Rassenideologie, die uns die Nazis als Wissenschaft verkauften. Das Verkaufsgespräch wird vor dem Abspann noch einmal eingeblendet, es fasst den Film ein wie ein Rahmen oder eine Klammer, ein zweimaliger Appell an Aufklärung und Vernunft; das Bild verhökert für – nein, nicht für dreissig Silberlinge – aber für 300 Francs und damit auch eine Absage an Kultur und den Werten, die sie geschaffen hat. Bald werden wieder Scheiterhaufen brennen und Kulturgut verschlingen und später auch Menschen.

Is anybody here? Oh ja …

Dazwischen erleben wir in der Filmhandlung eine Welt von Irrationaliät, geheimnisvollen Zeichen und Begebenheiten in einem fahlen, verblassten Paris, der Einführung einer unheimlichen Präsenz, die sich ins Leben von Klein drängt, eine Auslösesituation für das Erleben von Unheimlichkeit.

„Is anybody here?“ fragt die Frau im Hollywoodfilm mit ängstlichen Augen, wenn sie einen scheinbar leeren Raum betritt, in dem Fensterflügel im Wind schlagen und Vorhänge wehen samt anderer Versatzstücke und Accessoires des Grusel-Genres. Und wenn der Regisseur klug ist, lässt er uns nicht sofort die Schuhspitzen unter dem Vorhangsaum sehen, sondern zögert die Sache noch etwas hinaus; im Kinosessel geniesst man gerne die Gefährdung und Angst des anderen mit dem eigenen Hintern im Warmen, „Angstlust“ nannte es der o.g. Psychoanalytiker Balint. Das macht auch Joseph Losey in diesem Film: Gibt es eine Präsenz im Hintergrund, die zielgerichtet handelt oder ist alles nur das bunte Spiel des Zufalls und eine harmlose Verwechslung? Oder will hier jemand einem skrupellosen Schuft raffiniert an den sauberen Kragen?

Der Holocaust wird hier weiter nicht gezeigt, er existiert nur in Blicken, Schatten, Unsicherheiten, ängstlichen Augen, Männern in Trenchcoats, die etwas zu suchen scheinen – eine Art beklemmendes Hintergrundrauschen des Faschismus; immer wieder wird der Bau des Velodroms d ‚hiver in Paris eingeblendet, dem Sammelpunkt für verhaftete Juden in Paris, bevor man sie in die Züge zu den Vernichtungslagern trieb – alphabetisch geordnet in der grausamen Bürokratie der Nazis, die auch noch den grössten Massenmord der Geschichte korrekt zu verwalten wussten. Das letzte, was dem Menschen blieb, war sein Anfangsbuchstabe. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, er liebt deutsche Ordnung und holt sogar die Delinquenten in der richtigen Reihenfolge ab.

 
 

 
 

Man spürt die Angst des Protagonisten aus seiner sicheren Position herauskatapultiert und zu denen sortiert zu werden, die jetzt besser fliehen sollten. Ein jüdischer Widerstandskämpfer gleichen Namens scheint sich seiner Identität zu bedienen (heutzutage als Phishing wohlbekannt), er bekommt rätselhafte Post und macht sich auf die Suche nach seinem Doppelgänger, will offenbar den Stier lieber bei den Hörnern packen als vor ihm weglaufen – oder der Justiz eine Art „wahren Übeltäter“ präsentieren, um endlich wieder aus der Schusslinie zu kommen. Die Atmosphäre wird zusehends dichter und beklemmender, als ziehe sich eine Schlinge zusammen.

Mr. K. möchte den offensichtlichen Irrtum richtigstellen, ergeht sich in Nachforschungen über die Identität des Verfolgers. Der Doppelgänger erweist sich aber umso flüchtiger, je mehr K. ihn zu fassen bekommen will – eine Handvoll trockener Sand, der der immer fester zupackenden Hand immer schneller entrinnt. Alle Spuren führen ins Nichts, alle Zeugen erweisen sich als unzuverlässig, je mehr er seine ursprüngliche Identität zu beweisen versucht, desto mehr wird der Gesuchte zum unfassbaren Phantom und desto mehr erweckt er selbst die Aufmerksamkeit der Behörden, bis er eines Tages bei seiner Suche selbst ins Velodrom gerät und in einen der Züge verfrachtet wird. Zurück bleibt sein Anwalt mit dem zu spät angekommenen arischen Nachweis, der K. hätte retten können.

Delon schafft es, ohne mimische Regung durch sein Getriebensein und seine zunehmend manische Aktivität bei der Verfolgung des followers eine sich kontinuierlich steigernde Panik auszudrücken – das muss man auch erst einmal hinkriegen, ohne eine Miene zu verziehen, das ist so ganz und gar delonkompatibel, das brauchen andere erst gar nicht zu probieren; wenn er etwas rüberbringen wollte, schaffte er das. Nebenbei wird hier auch die Binsenweisheit der Cineasten widerlegt, dass ein Film über einen Sympathieträger zur Identifikation verfügen muss, um zu funktionieren, Delon verzichtet in gewohnter elegance und nonchalance auf jegliches fishing for sympathy und gibt bis zum Schluss den Kotzbrocken, dessen Ende man auch nicht so recht betrauern kann, obwohl man weiss, was am Ende der Reise auf ihn wartet.

 
 

 
 

Wie sich in der anschliessenden Gruppendiskussion zeigte, lässt der Film mehrere unterschiedliche Lesarten zu. Zunächst ermöglicht er den Fans von Hitchcocks suspense ein Baden in dergleichen, eine Atmosphäre einer schwebenden und sich verdichtenden Unheimlichkeit, ein Pendeln zwischen Wahngewissheit und verzweifeltem Haltsuchen im bereits schwächelnden Realitätsbezug. Hitchcock hätte uns vielleicht eine Lösung, einen Täter oder zumindest irgendeine Form von showdown serviert (oder auch nicht, bei den Vögeln hat er auch darauf verzichtet, er konnte sich das leisten). Losey dagegen lässt uns hier nach einem spannenden pas de deux der Identitäten mit einer unaufgelösten Situation im Regen stehen und sorgt dafür, dass das Kopfkino noch eine Weile weiterläuft und eine „gute Gestalt“ im Sinne der Gestaltpsychologie finden möchte, hier in Form einer stimmigen Erklärung, unter der man das Ganze abheften könnte, damit es nicht unpassend und sperrig irgendwo im Neocortex herumliegt.

Erfahrungsgemäss lernt man dabei aber mehr über sich selbst, als wenn man erfahren hätte, wer der Mörder war oder warum die missgestimmten Vögel in Bodega Bay kollektiv durchdrehen oder wie die Hexe von Blair denn nun wirklich aussieht. Das open end verlieh dem Film seinerzeit Kultstatus (The Blair Witch – Project, 1999). Und ganze Generationen haben sich damit beschäftigt, ob sich Scarlett O’Hara und Rhett Butler nochmal kriegen werden, bis die entsprechenden Sequels dann noch geschrieben und abgedreht wurden und Ruhe einkehrte. Da kriegten die sich dann natürlich – aber es waren nicht mehr dieselben und die Präsenz der ursprünglichen Darsteller bekamen diese No-Names schon mal gar nicht auf die Kette. Aber Beruhigung hat auch was Unkreatives.

Oder haben wir es hier mit einem paranoiden Vexierspiel zu tun, dem Zurschaustellen eines inneren Prozesses, in dem ein unbeachteter Persönlichkeitsanteil an die Oberfläche drängt, das Persönlichkeitsgefüge bedroht und Bestrafungsangst erzeugt? Ein weiterer M.K. als der den wir gerade kennenlernten? Ein Hinweis dazu ergibt sich bei der Wohnungsbesichtigung, als K. angelegentlich mit einem herumliegenden Rasiermesser spielt und die Vermieterin in Angst versetzt. Auch das würde man ihm zutrauen. Is anybody here oder sind wir noch sicher?

Oder anders: Eine Symbolisierung des Andrängens des Faschismus in eine bisher bürgerlich-gesettelte Gesellschaft und ihre scheinbar festgefügte zivilisierte Identität, ähnlich den Brandstiftern, die ungehindert bei Biedermann eindringen und sich festsetzen und Biedermann immer noch arglos ist, obwohl schon die Hütte brennt? Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand? Max Frisch liebte auch solche Geschichten, in denen sich bisher Unbekanntes ins Leben drängt, zum Guten wie zum Bösen.

Oder noch anders: Das Ganze eine kafkaeske Parabel über anonyme Mächte und Unentrinnbarkeit als schicksalhafte Gegebenheit der menschlichen Existenz wie in „Der Prozess“ – auch hier ein Herr K., nur dass er Joseph heisst.

Beckett zeigte uns das Warten auf Godot, hier sehen wir, wie es sich anfühlt, wenn er kommt – auf eine sadistisch-verlangsamte, fast geniesserische Weise ins Leben einsickert. Beckett hätte sich im Kino sicher gefreut und seine pessimistische Sicht der Gegebenheiten des Lebens, in die der Mensch geworfen wird, in ihrer Absolutheit bestätigt gesehen.

Kafka hätte fingerschnipsend „Genauso isses!“ gesagt.

Camus hätte die Absurdität des Lebens entdeckt in einer Situation, in der man den Verfolger verfolgt und im Endeffekt das erreicht, was man verzweifelt zu vermeiden sucht, dergleichen „Blödsinn des Lebens“ war genau seine Kragenweite.

Sartre, der mit Begrenzungen nicht so wahnsinnig viel anfangen konnte und wollte, hätte sich vermutlich an die Stirn getippt und noch einen Pernod bestellt, je nach Tageszeit ein paar uppers oder downers eingeworfen und das Ganze wiederholt, bis ihm schliesslich sein Körper bewies, dass man um Begrenzungen in diesem Leben halt doch nicht so einfach herumkommt und das existenzialistische Herzstück „Sich-immer -neu-in-die-Zukunft-entwerfen“ als Menschenbild irgendwann auch einmal ein Ende hat, wenn der Körper und der Sensenmann gemeinsam und reichlich verfrüht etwas anderes beschliessen. Is anybody here?

Weite Wege und Umwege gehen die Gedanken bei diesem Film, er öffnet Gedankenräume, anstatt ein stringentes Narrativ zu erzählen. Das ist das Beste, was man über einen Film sagen kann.

 

2024 6 Okt

„silent inflammation“

von | Kategorie: Blog | Tags:  | | No Comments

 
 

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Im Banne des Musculus constrictor cerebri: Der Testsieger, Double-Take. Wir holen aus Allem das Beste raus. Besonders aus Dir. Void, big void. Hat da wer Weiterentwicklung gesagt? Triff Dein Zunkunfts-Ich! Wir wollen, dass ihr den Richtigen findet. Oder gleich Viele. Doppelgänger. Wo bist Du, schöner Unbekannter? Ein netter Begleiter? Erzähl mir, was Du weißt! Der hippe Chinese sonnt nur seinen Rücken und träumt von Manifestation. Die Magie von Freiheit, Luxus und Eleganz. Porn. It‘s just porn, Mum.

 
 

 
 

Food Porn? Or a seriously better trip? Cannibal‘s Delight. The World‘s one and only finest chopped Brain Masala – hot and spicy. Cast the net and look out for your world wide favourite Brain Masala receipe. I‘m not kidding, dear reader. Just say hello to a bright future and excessivly enjoy your personal Brain Masala till your darkest expectations have exceeded.

Note: May contain nature-identical happiness hormones and several strong mascones. Excessive intake can lead to spontaneous mutations.

 

Eine retrospektive Studie über Rattenfänger und verführbare Generationen im Zustand unangebrachter Selbstgerechtigkeit

 
 

 

 

Ja, wir hielten uns für unangreifbar und resistent gegen jede Art von Gurus und Führerpersönlichkeiten, so schön hätte gar keiner die Flöte spielen können, dass wir ihm gefolgt wären – und Che Guevara hing nur über dem Bett, weil er so gnadenlos gut aussah, nicht wahr? Das hatte gar nichts mit Führersehnsucht oder Leitwolf oder Sozialromantik oder gar Vaterlosigkeit zu tun … nönö … schliesslich hatte man seinen Freud gelesen und war immun gegen dergleichen Verführungen, das war lediglich ein Logo um zu demonstrieren, dass darunter ein revolutionärer Geist sein Haupt bettete – aber keinesfalls ruhte – der wahre Revolutionär schläft nicht und hat pflichtschuldigst ein gebrochenes und durch Kritik veredeltes Verhältnis zu etwaigen Rudelführern zu pflegen, so wollte es das linke comme il faut und das war strenger als die Regeln eines wilhelminischen Mädchenpensionats. Enver Hodscha hing da nur einmal bei einem strammen Marxist/Leninisten, aber der sah auch nicht so gut aus. Der Hodscha, nicht der Marxist. Der übrigens auch nicht.

Und die Fehler der Elterngeneration wiederholen wir ja schon gleich gar nicht, das war klar, aber sowas von … Trotzdem hätten wir ihn am liebsten geknuddelt, den Alten, so ausgehungert waren wir damals offenbar nach etwas Sonne, Tanz und Lebensfreude und so satt hatten wir unsere depressiven, kriegstraumatisierten und herumschnauzenden Väter, die sich nach der notwendigen Existenzsicherung total dem Leistungsprinzip ergaben, weil sie nicht mehr wussten, was sie sonst tun sollten und familiäre Kollateralschäden billigend in Kauf nahmen bzw überhaupt nicht bemerkten, dass sie solche anrichteten und die Kinder ihnen verlorengingen. Da konnte so ein Typ gut landen – der Strahlemann mit dem halb aufgedröselten Strickpullover und der verschwitzten Mütze, den überhaupt nichts zu kratzen schien, immer in der Dialektik zwischen Strassenköter und weisem Sokrates herumoszillierend. So wird man zum Mythos wenn man nur den Nerv der Zeit trifft. Und der so wunderbar in der Sonne tanzen konnte, dass man alles drüber vergass, sogar unsere Asshole-Familienpatriarchen, von denen wir nie wussten, ob ihre Abwesenheit nicht segensreicher war als ihr Dasein. Konterfeis von gefallenen Kriegshelden auf der Kommode können einen immensen Einfluss auf kindliche Identifikationsprozesse ausüben, vor allem bei Jungs. Da bekommt man hinter der Couch so manch Liedchen gesungen in all den Jahren …

 
 

 
 

Und da verzieh man dem übersprudelnden puer aeternus kleine Schnitzer im Plot, die bei näherem Besehen so klein doch nicht waren. Nach dem Tod seines Sohnes habe er getanzt bis zum Umfallen, um nicht verrückt zu werden, sagt er – das versteht man, die Formen des Trauerns sind sehr individuell – danach hatte er sich offenbar zum Herumstreunen entschlossen und seine Gattin musste sich wohl alleine im Olivenhain abrackern, um werweisswieviele Kinder durchzubringen. Da hat man leicht tanzen, wenn jemand anders die Windeln wäscht und die Oliven vom Baum klaubt; da könnte den Zuschauer und vor allem der Zuschauerin doch der Geist altbekannten Machotums anwehen wenn, ja wenn wir ein bisschen aufmerksamer gewesen wäre für die eigenen Anachronismen und unsere eigene Verführbarkeit.

Eine alternde Prostituierte, Madame Hortense, eine griechische Kameliendame, hält er im Arm und begleitet sie mit herzschmelzenden Worten beim Sterben, um sich danach aus deren Bett zu erheben und etwas wie „alte Schlampe“ zu murmeln. Anvertrautes Geld verjubelt er im Bordell und hat darob auch keinerlei schlechtes Gewissen, vermutlich wusste er gar nicht, wie man das schreibt und sein Buddy Basil ist schon so in seiner westlichen Loyalitätsblindheit verheddert und von dieser südlichsonnigen-hellenischen Andersartigkeit so angefixt, dass er noch nicht mal sauer ist. Heute würde man dergleichen einen Co-Narzissten nennen.

Danach gibt unser Freund den Herrn Jesus und schützt eine junge Witwe mit grosser Geste und markiger Rede vor der Steinigung und verlässt nach seinem Auftritt ebenso stolz wie rasch den Schauplatz. Hinter ihm prasseln dann natürlich die Steine, klar – mit Herumtönen ist der Volkszorn noch lange nicht befriedigt – aber das ging ihm auch wieder am Hintern vorbei.

 
 

 
 

Sorbas geht unberührt durch alles Störende und Tragische hindurch, als existierte es nicht, auch wenn er die Suppe selbst angerührt hat. Das hat was! Und später manchmal auch nicht mehr, wenn man alte Filme guckt und so manches doch seine Glorie verliert und das Gucken in eine unangenehme Form der Selbsterfahrung einmünden könnte. Was hat einem bloss alles gefallen im magischen Damals und warum? Und warum ist James Dean in seiner bockigen Pubertiererei heute bloss noch peinlich, wenn wir ihm doch damals am liebsten die Füsse geküsst hätten? Und warum will der Woody-Allen-Humor so gar nicht mehr funktionieren bei dem man sich früher gekringelt hat? Und Monty Python staubt auch schon etwas ein. Der Zuschauer ist dann am Ende auch nicht mehr überrascht, als die zusammen aufgebaute Seilbahn, die die Existenz des Ich-Erzählers sichern soll (eines der mühsamen Konstrukte, das die Beziehung zusammenhält und immer wieder neu erschaffen werden muss) bei der Generalprobe grandios zusammenkracht. And then dancing on the beach as usual – was denn auch sonst? Damals ging man befriedigt aus dem Kino und natürlich sofort zum Griechen seines Vertrauens (in Würzburg war das der Theo), um die Seligkeit noch ein bisschen zu verlängern. Und spätestens dann war auch klar, wo man im nächsten Urlaub hinwollte.

Gegen den Film – klassisches buddy-movie – ist nichts zu sagen, gegen den Roman auch nicht, ausser vielleicht einer gewissen Vorhersehbarkeit – ersterer zeigt, auch durch seine Schwarzweisszeichnung, ein anderes Griechenland als sonst – karg, trocken, finster, archaisch, die Frauen in ihren schwarzen Kleidern bedrohlich als sie sich im Schlafzimmer von Madame Hortense versammeln wie Trauervögel und auf deren Tod warten, um dann in rituelles Wehklagen auszubrechen, für das sie vermutlich einige Drachmen einsacken – eine anachronistische mittelalterliche Welt im Jahre 1946, ohne Farben und mit einem grauen zurückweisenden Meer – ein Griechenland in einer reizvollen melancholischen Brechung eingefangen, die Story in kurzen und scheinbar zusammenhanglosen Episoden kollagenartig zusammengesetzt und durch ein leicht geschwärztes Glas betrachtet, da hat ein Regisseur durchaus seine atmosphärischen Hausaufgaben gemacht. Der Soundtrack war natürlich ein donnernder Erfolg und sicherte wiederum die Existenz von Theodorakis. In den Discos wurde Sirtaki getanzt bis zum Abwinken, wir schnipsten uns die Finger wund und ich wollte unbedingt eine Bouzouki, nicht um sie zu spielen sondern … ja …. ähm … zur Dekoration, ich gestehe – womit wir schon wieder im Dunstkreis des Narzissmus wären. Auf Fotos hätten wir beide sicher ein spektakuläres Paar abgegeben, wenn ich etwas irgendwie griechisch Anmutendes angezogen hätte. Der Exotenbonus war damals durchaus hilfreich auf der schlüpfrigen Piste der Erotik, by the way … am Ende war mir dat Dingens aber dann doch zu teuer.

Viele Restaurants nannten sich „Zorba“, die Kneipe im Ashram in Poona hiess „Zorba the Buddha“ – von Bhagwan/Osho gedacht als Erinnerung über dem Spirituellen die Freuden des Körpers nicht zu vergessen. Das machte den Letzteren auch so verdammt attraktiv für ausgedörrte Westler in ihren grauen Städten und ihren freudlosen Eltern und Lehrern, die ihnen gerne ein ständig dräuendes und drückendes Nichtgutgenugsein als Daueretikett in die Seele gestanzt hätten. Noch so eine Nachthemdlichtgestalt mit leicht geschwärzter Weste, der die Mitte zwischen tiefen Weisheiten und wohlfeilen Sprüchen nicht immer zu finden verstand und dem auch ziemlich wurscht war ob er sie fand. Angehimmelt wurde sowieso … Soweit alles prima mit den Übervätern – nur was mich beunruhigt ist die Tatsache, dass wir offenbar nicht bemerkt haben, was für ein narzisstisches empathiefreies Windei diese Filmfigur war. Wo war dieses Loch in der eigenen Wahrnehmung und wie kam es dazu? Waren wir doch leitwolfbedürftig? Bereit alles andere – nicht nur zu verzeihen sondern sogar völlig auszublenden, nur weil einer fröhlich war und uns endlich mal zeigte wie man gut lebt? Und dem dauergrollenden Übervater über den Wolken flugs den Blitzstrahl aus der Hand fingerte? Waren wir auch in Gefahr, einem Rattenfänger hinterherzuziehen, nur weil der um 180 Grad anders gedreht war wie der vorherige? Unsere linken Gurus, für die wir Mädels … pssst … die Flugblätter tippten, was war mit denen? Hatten unsere Väter solche Skotome hinterlassen, dass wir auf  jeden Papiertiger hereinfielen, der sich auf zeitgerechte Selbstinszenierung verstand? Fragen über Fragen … Eins der grossen Verdienste dieses Filmes – er zeigt uns den inneren Zustand seiner Fans und Rezipienten – wieder einmal der Spiegel der Schneekönigin, der uns beim Reingucken das zeigt, was wir so gar nicht leiden mögen. Unsere überstürzten Idealisierungen …

Darauf einen Ouzo! And another dance ... und schon macht einem die ganze Sache viel weniger aus … selbst wenn man statt Maria Farantouri nur noch Vicky Leandros aus dem Plattenfach zu fingern imstande war. Schliesslich auch ne Griechin und Hauptsache Fingerschnipsen … jede Generation hat etwas, das sie besoffen macht – so auch wir. Und wer ist schon ganz zurechnungsfähig in seinen hellen Zwanzigern? Und bei uns ging es immerhin ohne Todesopfer und grössere Kollateralschäden. However!

Und eine neue Definition von Weihnachten hatten wir auch:

Weihnachten geht man nicht in die Kirche! Gott ging auch nicht in die Kirche, der ging zu Maria und dann wurde Christus geboren!

Was für eine lebensstrotzende Interpretation einer ansonsten blutleeren Geschichte, da hebelt einer die dröge Story vom Heiligen Geist und der Jungfernzeugung mal eben mit ein paar Worten aus – da ists wirklich langsam egal, ob der Typ bloss dämlich oder genial ist. Zitierfähig ist er allemal.

Also … Jamas und … dings … Kali nichta!

And never touch an archetypus!!

 


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