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Archives: Kunst

2024 16 Jan

Flow und Fleiss

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Die Bildende Kunst hat in ihren vielfältigen Ausdrucksformen eine grosse Spannbreite aufzuweisen. Die naturalistische Abbildung von Mensch und Natur in der Malerei war lange Zeit ihr Hauptmetier. Zunehmend wuchs der Drang nach expressiveren Ausdrucksformen, in der vermehrt die subjektive Erfahrung des Künstlers zur Geltung kam. Das begann mit den Impressionisten, gefolgt von den Expressionisten, setzte sich fort über die Kubisten hin zu den Surrealisten und Dadaisten. Es kamen die Neuen Wilden und schliesslich auch Konzeptkünstler zum Zuge, bei denen es teilweise kein „sichtbares“ Produkt mehr zu bewundern gab. Vom „Malschwein“ hin zum reinen Denker. Ein Porträtfilm über Anselm Kiefer, den ich kürzlich sah, hat nachhaltige Wirkung. Er zeigt den Künstler bei der Arbeit. Im Schaffen des Anselm Kiefer bricht sich das Monumentale Bahn, der feine Pinsel hat hier nichts zu suchen. Auch Konzeptkunst ist dies nicht, es geht ums Machen, Vorwärtskommen: Ameisenfleiss. Beeindruckend, wie er mit gehorsamen Gehilfen auf diesem riesigen Areal im südfranzösischen Barjac herumrödelt, mit Kränen und Baggern hantierend, Glasscherben zersplitternd (irre: Kiefer dabei barfuss in Sandalen), Blei giessend oder unterirdische Tunnel grabend. Ein Phönix aus Schutt und Asche. Dabei im Team agierend als Chef, der strikt, doch immer auch seltsam sanft seine Anweisungen gibt. Aus der Haut fahren ist selbst beim Gegenspruch nicht seine Sache: weiss er doch unbeirrbar, wo der Hammer hängt. Was also wirkt hier so nachhaltig? Es ist der Fingerzeig, mit Material und Körperlichem in Kontakt zu bleiben, dabei das Grosse nicht zu scheuen und Irrtümer zu akzeptieren. Wer Fussball liebt, der will beim Schauen selber spielen. Mit Kiefer will man bauen, Klötze kloppen und nach Herzenslust rumsauen. „Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen …“ – dieses Manifest seines einstmaligen Lehrers Joseph Beuys muss Anselm Kiefer nicht beherzigen, denn er ist weit entfernt von jeglicher Attitüde des Klischees. Es scheint, als habe sich still und unheimlich eine Blockade gelöst: im Machen liegt der gelbe Ginster der Erleuchtung. Aufbau, Abriss, Neuanfang. Auf geht’s!

 

 
 

Die Chiemgauer Künstlerin Maria Sigl geht künstlerisch so ganz ihren eigenen Weg: Sie gestaltet nicht Materie, sie räumt der Materie die Möglichkeit ein, sich nach ihrer Eigengesetzlichkeit selbst zu gestalten, sowohl malerisch als auch durch Wahrnehmung am und im Stein. Bei ihr entwickelt die Materie ein Eigenleben – das erfordert eine Haltung des Sich-Zurück-nehmens, des Loslassens, des Zulassens und des Einlassens der Künstlerin, frei vom Anspruch ästhetischer Normansprüche oder irgendeiner Zielsetzung im Resultat der Arbeit. Man könnte hier von einer autopoietischen Kunst sprechen. Abwarten, Einfühlen, sich in den Dialog mit dem Material einschwingen: es wird was sich zeigt, ein eingehendes Zulassen des kreativen Prozesses und der Respekt vor den Kräften der Natur – eine Form von Demut. Sie arbeitet mit Sanden, Naturpigmenten, selbst gewonnenen Pigmenten aus den abfallenden Raspel- und Feilresten des von ihr behauenen afrikanischen Steines aus Simbabwe. Dick und breitflächig aufgetragener Sumpfkalk, viele Schüttungen, immer sich wiederholende Trocknungsprozesse, die eine neue Modifikation bewirken; das Material lädt die Spannung über Risse, Spalten ab, es bricht, zieht sich zusammen, splittert, platzt. Annehmen was ist. Beim erneuten Betrachten werden neue Anmutungen und Assoziationen erzeugt, Veränderung, Vergänglichkeit, Neubeginn. Ein neuer Gestaltungsprozess wird geriert, in dem Natur und gestaltende Kultur weiter zusammen arbeiten. Beizen, Tuschen, Ölfarben, Pigmente gestalten mit. So ein Bild dauert oft Wochen, bis es von der Künstlerin als fertig angesehen wird und vermittelt eine Vorstellung davon, wie Natur Leben gestaltet. Es werden Lösungen im Dialog mit dem Material gefunden, um einen weiteren experimentellen Weg mit der oft archaisch anmutenden Arbeit zu beginnen. Abschied und Neubeginn. Dem Unbewußten wird hier wichtiger Raum für diesen kreativen Prozess gegeben und ist auch kunsttherapeutisch so gewollt.

 
 

„Sail away“

 
 

Ähnlich ist es mit den Skulpturen: archaisch-steinzeitlich anmutende Figuren, die nicht in den 2,6 Millarden alten afrikanischen Stein gehauen, sondern aus ihm herauszuwachsen scheinen und damit von einem Wandlungsprozess erzählen, ähnlich den Nachkommen des Paares Deukalion und Pyrrha aus der griechischen Mythologie, die Steine auf das Feld warfen, die sich in Menschen verwandelten, ein in der bildenden Kunst oft verwendetes Motiv. Das Versteinern und wieder Verlebendigen war ja auch Thema von Michelangelo in der Darstellung seiner „Sklaven“. Auch hier gehen die Figuren fliessend vom bearbeiteten in den unbearbeiteten Teil über und vermitteln ein Bild vom Kampf des Menschen mit der belastenden Materie, die er überwinden möchte und die ihn letztlich zwingt, besiegt wieder in sie zurückzukehren. Verlebendigung ist ebenso Thema von Maria Sigl, die viele Jahre als Kunsttherapeutin – unter anderem auch mit Flüchtlingskindern gearbeitet hat, wobei es auch oft galt, traumabedingte Erstarrungen zu lösen und den Menschen wieder ins Fliessen zurück zu führen. Sie arbeitete dabei gerne großformatig mit Papierrollen, Kreiden, Fingerfarben, Acryl, wobei sie leider einen Beuys-Effekt erleben mußte, weil die Reinigungsfrau die gesammelten aufgerollten Arbeiten für Abfall hielt und diese kurzerhand entsorgte. Ein geplanter Vortragsabend bei mir vor einer Schar interessierter und vorfreudiger Kinderpsychotherapeuten fiel dann mangels Material im Wortsinne ins Wasser bzw in die Papiertonne.

 
 

 

 
 

Es ist ein Arbeiten frei von ästhetischen Ansprüchen und ohne ein vorgeformtes Ergebnis, ein Loslassen, ein Zulassen, ein Einlassen – das Material arbeitet mit. Professor Dr. Elmar Zorn hat diese Aussage von der Künstlerin in seinem Begleittext für das Buch noch einmal hervorgehoben.

 

„In unserer auf Effektivität getrimmten Epoche vermittelt es eine wohltuend entspannte und geradezu heilsame Kooperation zwischen Mensch und Natur, von der wir nur profitieren könnten, wenn wir nur bereit wären sie zu erlernen.“

 

Somit wäre die autopoietische Kunst auch geeignet, gesellschaftliche Veränderungsprozesse anzustoßen und zu begleiten und beweist erneut, wie wichtig Kunst generell zur Weiterentwicklung menschlichen Bewußtseins hilfreich sein kann.

Im Zeitalter digitaler – also nicht mehr anfassbarer, fluider und haptisch nicht mehr fühlbarer Kunst erlebt man die archaische Schwere dieser Objekte als wohltuend und erdend. Man entwickelt wieder Vertrauen zu den Fähigkeiten der Natur und zu sich selbst, die Dinge zu etwas Lebensfreundlichem zu wenden, wenn wir sie nur lassen würden.

 
 

„Entfaltung“


 
 
 

Als stünde man im Meskalin-Rausch auf einer Müllhalde: Jonas Burgerts Bilder erinnern an die Wiener Schule des Phantastischen Realismus, an Arik Brauer, Ernst Fuchs und Rudolf Hausner. Auch an Horst Janssen, Francis Bacon und Max Ernst, bei dem Grundierungen zur Bildfindung inspirierten. Hier jedoch brechen alle Dämme: bei Burgert ist es braun-grauer Modder-Schlamm, aus dem sich irrlichternd surreale Figuren herausschälen und in traumhafter Zwischenwelt agieren. Er malt mit virtuosem Furor, die Technik alter Meister kreuzt sich mit verspielter Abstraktion. „Stirb und werde“ auf der Leinwand, die ewige Metamorphose: wir sind gekommen, um zu gehen. Der kurzzeitige Philosophie- und Psychologiestudent fand Heimstatt letztlich nur im Schaffensprozess. Selbst eine Professur reizt ihn nicht, er will nur malen. Ihn interessiert der existenzielle Subtext seiner Bilder. Wer bist du, Mensch? Gnadenloses Diesseits, fernab von Transzendenz und jeglichem Heilsversprechen. Prinzip Hoffnungslosigkeit, die Magie liegt im Augenblick, in darwinistischer Emanation. Wer eingedenk solch explosiver Bilderpracht, die im Gedächtnis hängen bleibt wie ein verdammt guter Song, dann durch die Gegend zieht, auf moosbewachsenen Bäumen im trüben Novemberlicht plötzlich pink- und neonfarbene Trolle tanzen sieht, dabei an die Gnosis denkt, an Schopenhauers Schimmelpilz aus Menschtum auch, der sieht vielleicht das eigene Leben ebenso als immanente Urschlamm-Blüte: eine Kraft, die Höheres will, und sich doch stets im Niederen verrennt.

 

jonasburgert.de

2019 21 Jul

„NF“ – in memoriam

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Norbert kam aus Hamburg. In der Grundklasse des Studiengangs Freie Malerei in Hannover Anfang der Achtziger gehörte er mit Ende Zwanzig schon zu den älteren Semestern und er brachte einiges an Lebenserfahrung mit („die harte Schule“). Auch in der Malerei selbst war er schon weit fortgeschritten, nahezu ausgebildet und gehörte eindeutig in die Kategorie „Malschwein“, wie wir jene nannten, die ihr Augenmerk weniger auf Konzeptkunst und Kopfspiele setzten, sondern auf das action painting – im explosiven, exponierten Gestus der Neuen Wilden, der ihm lag und damals auch en vogue war, sodass die Farbe nur so tropfte und am Bildrand zerlaufend ihr Eigenleben führte. Schnell fand er dann sein Grundthema, dem er bis in sein letztes Lebensjahr, im Alter von zweiundsechzig Jahren, immer noch treu geblieben war: der Verbindung von Schrift- und Zeichenfragmenten mit bildnerischen oder zeichnerischen Form- und Farbgebungen. So ging auch das Figürliche mit dem Abstrakten stets Hand in Hand. Norbert trug sein Herz in der Hose. Zuweilen war er unwirsch, missmutig, konnte klare Kante zeigen. Doch im Kern war er ein netter Kerl und als Freund fehlt er vor allem als Gesprächspartner. Oftmals des Nachts stundenlang durch die Stadt stromernd, teils am Fluss entlang (damals noch mit Tiger, seinem Hund), fühlten wir dem Gewicht der Welt, dem Lebenssinn, den kreativen Prozessen und unseren Zeitgenossen beim Gehen plaudernd auf den Zahn (ja, wir kannten unsere „Pappenheimer“). Seine Kunst hatte stets und hat bis heute viele Freunde. Trotz aller melancholischen Anklänge und provokativen Elemente, aus vielen Bildern sprühten Lebenslust und Mutterwitz wie Funken.

 

Guten Abend,

mein Name ist Ingo Biermann, und falls Sie jetzt eine kunsttheoretische Einführung erwarten, muss ich Sie enttäuschen: Ich bin kein Kunstwissenschaftler oder Galerist, sondern Filmemacher, in den letzten Jahren vorrangig im Dokumentarfilm; in dieser Tätigkeit habe ich eine ganze Reihe von Filmen und Videos für Ausstellungen und über Künstlerinnen und zeitgenössische Kunst gemacht – weshalb man vielleicht sagen kann, dass ich als Fachfremder dennoch etwas zu diesem [hier gezeigten] Werk bzw. diesen den hier zu sehenden Werken sagen kann.

Nun begleite ich die Arbeit von Frau Scharp schon seit einigen Jahren, seit ihrer Studienzeit an der [Universität der Künste], um genau zu sein, und ich konnte somit einige Entwicklungen und Veränderungen unmittelbar mitbekommen. Nachdem die Arbeiten aus dem früheren Multimedialen und deutlich Gegenständlicherem nun über die Jahre hinweg sehr viel minimalistischer und grafischer geworden sind, sind sie auf der anderen Seite eigentlich sogar noch erzählerischer, erzählender geworden.

Auf den ersten Blick denkt man womöglich, da sei nicht viel zu sehen. … Schaut man schnell hin und hat’s erfasst und begriffen. Aber wie das Beobachten der Betrachter zeigt (wie gesagt, ich bin Dokumentarfilmer, das heißt ich bestreite meine Berufstätigkeit im Beobachten von Leuten – und darin, das Beobachtete in eine Erzählung zu transformieren), sieht man – also ich – doch, dass jene, die sich nicht mit dem schnellen Blick begnügen, eben auch mehr sehen, mehr erleben. Wir sehen nicht nur Grafik und Muster und Raster und Form … reduzierte Form … minimalistische Bilder… sondern wir sehen Erzählungen in den Bildern.

 

 

 

Und wenn ich „Bilder“ sage, dann meine ich natürlich nicht nur diese [→Punktezeichnungen] zweidimensionalen, diese Zeichnungen und Grafiken, sondern auch das Objekthafte; das sind Bilder im Raum, die weit mehr erzählen, als eine flächige, grafische Zeichnung es tut. Einer der wesentlichen Reize dieser Arbeiten liegt darin, dass sie sich den Raum nehmen, also hier [→Schnittzeichnungen] z.B. ganz offensichtlich: Die einst zweidimensionale Papierfläche wird durch Bearbeitung, d.h. das feine Ausschneiden aus Papier, und natürlich auch durch die Präsentation [hier in Holzrahmen] zu einem Zeichnungsobjekt, zu einer Zeichnung im Raum, – diese Zeichnungen gibt es, nebenbei bemerkt, in leichter Abwandlung auch ohne den Holzrahmen, da wird das noch deutlicher – zu einer Zeichnung, die den Raum ergreift und sich so ihre Umgebung aneignet, sich selbst zu mehr erweitert, als das eine (gerahmte) Zeichnung könnte.

Und wenn ich eingangs gesagt habe, dass die früheren Arbeiten – die der Studienjahre, die schon damals in Ausstellungen sehr positiv aufgenommen wurden, eben weil sie – etwa als Videos oder Objekte… da gab es z.B. eine Zitrone, aus der Haare zu wachsen schienen, oder ein Stück Butter mit herauswachsenden Haaren… – offenkundig, also multimedial, erzählten, dann sehen Sie, dass diese Multimedialität heute noch immer Teil der Arbeiten ist, nur eben souveräner und feinsinniger, auf andere Weise überraschender als früher.

Stellen Sie sich vor diese Arbeiten versuchen Sie, hinzuschauen: Das sind keine abstrakten Grafiken, die reine Formspielerei betreiben, sondern jede für sich kleine Erzählungen. Und wenn sie zusammengeführt werden zu einem größeren, mehrteiligen Werk wie hier [→ 7-teilige Punktezeichnungen] oder dort [→ 6er Reihe aus Schnittzeichnungen], dann entsteht auch eine größere und entsprechend vielgestaltigere Erzählung.

Diese Arbeiten erzählen zwar von Materialität, die sich zusammensetzt aus „Cuts“ und „Pieces“, aber zugleich erzählen sie uns über diese Fragmentierung und Neuzusammensetzung auch etwas über uns selbst, die wir davorstehen und unsere eigene Erfahrung darin widergespiegelt sehen, erleben. Das Material wird also sowohl als solches offenkundig – und ohne Umwege thematisiert, aber nichts hier erschöpft sich in rein abstrakter Materialspielerei. Denn die Arbeiten streben an, das „kaum Wahrnehmbare erfahrbar zu machen“:

Schauen Sie hier [→ Graphitschnitte]: Die Grafik geht in den Raum über; das nehmen wir wahr. Die Grafik ist aber selbst schon dreidimensional, genau genommen in dreifacher Hinsicht und im doppelbödigen Sinne:

Das Papier wurde [erstens] ganz geometrisch seiner Flächigkeit entledigt, indem diese Kästchen sorgfältig mit dem Skalpell entlang der gedruckten Linien herausgeschnitten wurden. Das passierte auf eine mühsame Art und Weise, die nicht mechanisch, sondern organisch die Geometrien nutzt (eben weil sie von Hand ausgeführt wurde und auf diese Weise ausschließlich Einzelstücke entstehen), erzählt also durch diesen Prozess von der Künstlerin selbst, nicht zuletzt schon dadurch, dass der Entstehungsprozess sichtbar bleibt, die strengen Geometrien der gedruckten Linien nie rein erhalten bleiben, sondern bspw. Leerstellen und Brüche entstehen, wenn etwas abbricht oder nicht 100% perfekt herausgeschnitten wurde. Oder hier bei den Punktezeichungen, wo die verschiedenen Zeiträume, über die hinweg diese großen Arbeiten entstehen, sichtbar bleiben.

Dann [zweitens] wurde das subtil dreidimensionale Bild mit Hilfe von Graphit weiter ins Objekthafte geführt und noch individualisierter (→ jedes einzelne wird also zu einem für sich stehenden Objekt). Ganz besonders spannend finde ich hier, dass durch die Wahl des Materials ein unmittelbarer Bezug zur Zeichnung hergestellt wird (mit Graphit wird nicht auf das Papier gezeichnet, wie wir das an sich von Zeichnungen kennen, sondern mit Hilfe von Graphitstaub wird das komplette Papier vom Material Graphit vereinnahmt, es gibt sozusagen mehr Graphit als Papier – was wir auf ähnliche und verwandte Weise auch hier nebendran sehen können [→bei solchen Arbeiten, die sich aus unzähligen Graphitminen zusammensetzen, welche zu zu Strukturen und Reliefs angeordnet und auf den Untergrund aufgetragen werden] und dort drüben, wo ganze Graphitblöcke, ebenfalls in klaren Strukturen auf dem Untergrund angeordnet wurden, aber die Geometrie sich in Auflösung befindet, weil es eben nie um ein mechanisch perfektes Ergebnis geht, sondern die Irritiationen und organische Unperfektion wichtiger Teil der Arbeit sind; in beiden Fällen bleibt der Vorgang der Zeichnung gewissermaßen erhalten.

Nun hängt [die Grafik] hier und wird auf der dritten Ebene raumgreifend, verhält sich zur Oberfläche und der Materialität der Wand, der Tapete und des Raums, reagiert auf die Lichtverhältnisse [sie sehen hier ganz klar den Schattenwurf, der Teil der Arbeit ist], bei Tag den Verlauf des Sonnenlichts oder den Schatten der Betrachter, die davorstehen …

 

 

 

 

Also es geht nicht nur um die Materialität, nicht nur um die raffinierte, ungewöhnliche Räumlichkeit der Zeichnung selbst, nicht nur um die reine Attraktivität dieser ansprechenden Bilder, und um ihre metaphorische Ebene (Stichwort: Graphit auf Papier, Stichwort: antiquarisches Papier) und die damit verbundenen Assoziationen, sondern es spielt auch die Zeit eine wesentliche Rolle, und das sehen wir, das erleben wir, das macht die Arbeiten zu kleinen Erzählungen, die in diesem Raum (bzw. welchem Raum auch immer sie hängen) – und natürlich auch im Gesamtwerk und im größeren Kontext – Teil von größeren Erzählungen sind – und die zudem miteinander kommunizieren, wie sie hier klar an den sich [im Raum] gegenüberliegenden Arbeiten – hier die Schnittzeichungen, dort die Graphitbilder – erleben können.

Und die Frage: Kommunizieren sie auch mit Ihnen? Ich meine: Ja. Aber zuhören müssen sie natürlich selbst.

 

[Galerie Kuckei+Kuckei // bei der Stiftung für Konkrete Kunst und Design Ingolstadt erwerbliche Unikate // Ausstellungskatalog Rasterfahndung, Kunstmuseum Stuttgart // Dokumentarfilm „Neun Frauen“ (2011)]

 

            

 
 

            

 

2018 11 Nov

Rauchzeichen

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Immer wieder die Frage: Kann ich schreiben? Darf ich schreiben? Habe ich Wesentliches mitzuteilen? Auch hinsichtlich einer inneren Verpflichtung, nicht schönzumalen, vielmehr das Kritische und Dunkle hervorzuheben. So will es die Melancholie. Findet sich der tragende Faden, beginnt es Spass zu machen und spinnt sich wie von selbst fort. Es öffnet sich der Raum der Erinnerung, ein Flow entsteht und der Text entfaltet Eigendynamik. Vor einigen Tagen zeigte Arte eine Reihe von Filmen und Porträts mit Künstlern. Ein ganz reizender Spielfilm über Vincent van Gogh und dann ein intimes, sehr gelungenes Porträt mit dem in Leipzig lebenden und schaffenden Maler Neo Rauch. Mich wies ein Freund desöfteren hin auf jenen Leipziger Maler und er erzählte, dass auch seine Frau mit Namen Rosa Loy eine Malerin sei. Doch mir gefielen diese Bilder auf den ersten, flüchtigen Eindruck nicht – irgendwie kalt und wie der Philosoph sagt: „kontingent“. Also beliebig und auch eklektizistisch, manieriert. Wie man sich wieder einmal täuschte! Das gezeigte Filmporträt war wunderbar, zog mittenmang hinein in die Faszination von Malerei und ihre schöpferischen Prozesse und Entfaltungen. Die Leipziger Schule kenne ich noch aus Studienzeiten, Maler wie Bernard Heisig und Werner Tübke flössten Respekt ein mit ihrer virtuos altmeisterlichen Strenge. Es zeigte sich beim Schauen des Rauch-Porträts, also wenn der Maler am Schaffen war, warum mir die Malerei generell immer ein wenig fremd bleib, nie wirklich mein Ding war: Auf die Frage, ob er denn auch mal Pause machen wolle. „Ach, das wäre schön, aber die anderen malen ja weiter. In all den Künstlerateliers brennt Licht und meines bleibt dunkel? Das geht doch auch nicht!“ sagt Rauch mit sanfter Stimme. Überhaupt, diese Sanftheit fällt auf und eine gewisse Melancholie, das fehlen jeglicher Aggressivität. Liegt es daran, dass er seine Eltern früh verlor, bei liebevollen und fürsorglichen Großeltern im Südharz aufwuchs? Liegt es daran, dass jemandem das Gezerre und Gezetere im ödipalen Dreieck erspart blieb? Auch Peter Sloterdijk („Saufgelage mit Neo Rauch“) ist ja ein Vaterloser und dass da von Freundschaft die Rede ist, wundert kaum, kreuzen sich doch bei beiden geschichtlicher Bezug, hervorragendes stilistisches Handwerk mit zeitgenössischer Diagnostik und dem Witz der spielerischen und manchmal eben manieristischen Eigenschöpfungen. Mir wurde jedenfalls klar, warum ich einst vor Malerei die Flucht ergriff und dennoch in höchster Wertschätzung damit verbunden blieb. Es ist auch eine Gefangennahme im Sehsinn, sowie es ja auch eine Gefangennahme im Hörsinn geben kann. Hier bot die Philosophie den ausgleichenden Kontrapunkt. Doch manchmal hat man Lust auf Kunst, als ob einen der Hafer sticht. Dann schaut man, was Daniel und Gerhard Richter machen. Ersterer beispielsweise schätzt die Reflektion als etwas, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Hier stimme ich ihm zu und auch die neuen Bilder gefallen mir, allein schon weil nur er sie malt.

 


 

 
 
 

Buchstäblich in letzter Stunde vor Schließung bin ich gestern nach Solingen ins Zentrum für verfolgte Künste gefahren, um die außergewöhnlich gute Malerei von Ringelnatz (1883-1934) anzusehen. Da er schon über 70 Jahre tot ist, wird hier niemand etwas über meine gezeigten Fotos beanstanden können. Leider ist die Qualität der aufgenommenen Bilder nicht überragend, aber da die Gemälde von Ringelnatz selten gezeigt werden und der Katalog sofort vergriffen war und nicht wieder auferlegt wird, versuche ich zu retten, was zu retten ist. „WAR EINMAL EIN BUMERANG“, wir kennen ihn alle als Dichter, aber als Maler? Er malt vom Herzen aus. Seine Orte sind keine Abbilder der Natur. Sie sind bescheiden gemalt, aber mit sicherem Können. Sehr authentisch denkt man, weil man ihn von den Gedichten, Kindertexten her kennt …

Ich sende meine Sonde in den Orbit von Horst Janssen. Ich versuche herauszufinden, was sich unter der Gewaltdecke von diesem genialen Zeichner verbarg. Er hat seine Partnerinnen verprügelt, doch keine hat Vergeltung geuebt. Die Philosophin Svenja Flasspoehler sagt: „Verzeihen heißt Verzicht auf Vergeltung.“ Nicht nur seine beiden Hauptfrauen bleiben ein Leben lang seine Freundinnen.

Warum halten sie ihn aus und zu ihm? Ist es die Kunst des Gebens? Ist es der Stolz, dabei sein zu können, wenn seine Eingebungen in Kunst umgesetzt werden? Ihr mütterliches Verständnis fuer ein ungeliebtes Kind? Horst Jannsen weiß um seine Dämonen. Wenn die zerstörerischen Tiefflieger vorübergeflogen sind, wirbt er um die Geflohenen, die Malträtierten mit allem, was er kann: mit zeichnen.

Er gewinnt sie mit liebenswerten Worten, Kunstwerkchen und Spielereien zurück. Die klugen Zurückeroberten strecken ihre Fühler aus, um rechtzeitig vor seinen Attacken fliehen zu können. Der Künstler und Alkoholiker ist einerseits ein r/echter Kotzbrocken und andrerseits ein Faszinosum der Kunst.

In den 70er Jahren hingen in den WGs Poster von Frank Zappa im Badezimmer und Kalender von Horst Janssen überm Studischreibtisch. Der Tausendstrichzeichner wurde bewundert, obwohl er keine riesigen Ölgemälde schuf. Man musste schon genau auf die Linie achten, die er talentiert wie kaum ein anderer in dieser Zeit auf’s Büttpapier brachte. Horst Janssen arbeitete immer. Aus Geld machte er sich wenig.

Einmal zerriss er vor den Augen einer Käuferin einen Druck im Wert von 100 000 DM. Der Dame war der finanzielle Wert höher als der künstlerische. Mich begeisterte er schon früh. Mir gefiel sein gesunder, mutiger Menschen- und Kunstverstand neben seinen hervorragenden Drucken natuerlich. Er erkannte und prangerte an, dass der Kunstmarkt zum Kapitalmarkt mutierte. In honorigen Gesellschaften trank er sehr viel, um deren Heucheleien aushalten zu können. Oft zerschlug er deren Mobiliar und beschimpfte sie auf Erniedrigendste.

Als ich mir vor ein paar Jahren in Oldenburg (daher kam H.J.) im Horst-Janssen Museum, eine Ausstellung von Luepertz ansah, dachte ich, dass der „Fürst“ der würdigste Nachfolger von Janssen sei. Dass Hamburg sich mit ihm so schwertut, liegt sicherlich daran, dass sie sich nicht von diesem genialen Zeichner und Graphiker den Spiegel vorhalten lassen wollten und ihre Lieblinge, z.B. Anselm Kiefer, entlarvt sehen wollten.

„Der Motor fuer den Kunstzirkus – den Preisauftrieb, die immer neuen Moden, die Verkäuflichkeit von jedem betrügerischem Schwachsinn als „Original‘ – sei die „Blähung“ und „Verdummung“ der Mittelschicht gewesen, sowie deren „satte Angst, etwas nicht zu haben, was alle haben“: das Wohlstandwachstum der Nachkriegsepoche. Jetzt seien „die Blinden“ zahlreich und die „Blindenparties, eingepeitscht von einer tollgewordenen Händlerliga.“
 
 
Sehr empfehlenswert zu lesen: Horst Janssen – Ein Leben.

Von Henning Albrecht, Rowohlt 2016.
 

2015 15 Okt

Bright Eyes ***Art funkelt

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Romantiker haben sicher ihren Vorrat an Kerzen für die dunkle Jahreszeit gehortet. Zweifler glauben immer noch nicht, dass Goebel nicht der Erfinder der Glühlampe war. Und Lampenfetischisten suchen in Outletstores für Möbeldesign nach ihrem Traumobjekt.

Ich schlenderte im Gelderland durch solch eine Kippenberger Adaption und wurde den Verdacht beim Betrachten der zur Schau ausgestellten Stücke nicht los, dass hier ordentlich das Stahlrohr und die Swinglinie vom Bauhaus kopiert worden waren. Die schönen Objekte wurden unter dem Designernamen GISPEN verkauft.

In einem kleinen Museum, dem Gispen Museum, fand ich später heraus, wer Gispen war. Er lebte zu Bauhauszeiten in Rotterdam und gewann mit seiner GISO Lampe alle Designerpreise. Das war 1926. Bereits ein Jahr später erfand er die Pianolampe, die endlich für Licht über dem Notenblatt sorgte. Gispen war ein Avantgardist in der Serienproduktion von technisch hochqualfizierten Lampen. Ich sah in diesem Museum in Culemborg Lampen, die durch ihre Formen und ihre Farben, nicht durch ihr Licht, sofort positive Effekte bei mir auslösten. Im Showroom lag ein Katalog, der den Showdown dann offenlegte. GISPEN verlor vor Gericht gegen Mies van der Rohe. Er durfte die steel tube furniture erst einmal nicht in Serie geben. Einen Breuer Stuhl würde ich sofort für eine Gisolampe einwechseln.

Auf dem Bild steht sie links und strahlt in ihrer klaren Schönheit.


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