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Archives: Jürgen Klopp

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Wally ist Theaterautor, und eines Tages, früh in den Achtziger Jahren, verabredet sich Wally mit einem alten Freund. Ewig haben sich die beiden nicht gesehen. Sein alter Kumpel Andre hat einiges zu erzählen, von seinen Reisen mit tibetischen Mönchen in die Sahara, einem Reinkarnationsritual, und von den unwirtlichen, einsamen Landschaften im Norden Schottlands. Von letzteren könnte ich auch erzählen, etwa von meinem friedlichen Einbruch in ein Haus an der Steilküste, gegenüber der Orkney-Inseln, und wie ich dort nachts eine alte Platte von Louis Armstrong fand und auflegte. Nun, egal, es machte mir damals grosse Freude, den beiden Freunden zuzuhören, im Kino – Louis Malle hatte den Film „Mein Essen mit André“ 1981 gedreht, und neben „Herzflimmern“ gehörte er damals zu meinen Lieblingsfilmen des Franzosen. In einiger Zeit werde ich hier eine kleine Geschichte erzählen, aus dem „Arbora Verde“, einem italienischen Restaurant in Dortmund, Februar 2020. Genau da hatte Borussia Dortmund die erste Meisterschaft mit Jürgen Klopp gefeiert. Meine kleine Geschichte heisst „Mein Essen mit Horst“. Horst ist unser ehemaliger Klassensprecher. Und eigentlich ist er das immer noch. Die Zeit mit Horst und dem Wildschweinragout verging im Fluge, so fesselnd empfand ich die Dinge, über die wir sprachen. Eben nicht die üblichen alten Stories – vieles drehte sich um unseren Klassenlehrer Dr. Egon Werlich, eine hochspannende Figur, die bei jedem meiner Klassenkameraden die unterschiedlichsten Inspirationen, Faszinationen und Ambivalenzen auslöste. Was ich an diesem Abend von „Egon“ erfuhr, war mir neu, und warf ein weiteres interessantes Licht auf all die Eindrücke, die ich über die Jahre von ihm gewonnen hatte. Mein Problem ist, dass es mit nicht zusteht, diese Erzählungen öffentlich auszubreiten, weshalb „Mein Essen mit Horst“ eine echte Herausforderung sein wird. Aber glauben sie mir eins, wenn an dem Abend unser Gespräch von diversen Kameras gefilmt worden wäre, es wäre ein feines kleines „independant movie“ daraus geworden. Schnitte ohne grossen Schnickschnack, und der Soundtrack nicht mehr als hier und da etwas Ruhiges mit viel Raum, vielleicht aus David Darlings Album „Cello“. So würde den Erinnerungen, die sich auch um einen einen Rolls Royce, Egon, den Maler, Samuel Becketts „Endspiel“, und ein Mädchen aus dem Bergischen Land drehten, hier und da ein verlangsamendes Tempo unterlegt, eine dezente Verdichtung. Aber auch hiervon kann, aus Gründen der Diskretion, kaum etwas in „Mein Essen mit Horst“ einfliessen. Zudem lege ich Horst die Kurzgeschichte vor der Veröffentlichung vor, und lasse ihm alle Rechte zu weiteren Streichungen. Aber jeder dürfte hinterher eine Ahnung davon bekommen, wieso dies ein so besonderer Abend war, und sich an eigene besondere Abende erinnert fühlen, an denen geredet und getrunken wurde, und doch noch eine Menge mehr passierte zwischen den Sätzen, zwischen Martini Rosso und einem Glas Merlot. (Nachtrag: 30.12.2020: ich denke, diese kleine Geschichte wird nie geschrieben. Zu viele Details habe ich  schon wieder vergessen. So bleiben jedem eigene Erinnerungen an die Zeit mit einem aussergewöhnlichen Lehrer. Auf jeden Fall brachte Horst manch Staunenswertes ins Spiel, und ich muss heute noch schmunzeln, wenn ich mir vorstelle, wie Dr. Werlich in den grossen Ferien an einer amerikanischen Küste seinen Zeichenblock hernahm, und mit dem Zeichnen begann. Und wie seine Motive wohl aussahen. The Secret Life of E.W.)

Bald war stoischer Gleichmut gefragt. Bis auf zwei Spieler lieferte das Team nach dem Zeitpunkt des Wolfsburger Ausgleichs eine durchweg, freundlich ausgedrückt, durchschnittliche Partie ab, da war keine Wendung zum Guten zu erahnen, auch wenn die überwiegend schwarzgelben Fans im weiten Rund noch manchen Ermutigungschorus im Repertoire hatten.

Wieso beging Kehl vor dem Standard, der die Wende einläutete, ein völlig sinnloses Foul an Gustavo, der bloss einen Pass ins Niemandsland spielte? Wo waren Reus und Gündogan, als alles den Bach runterging? Später sahen wir noch Delling und Klopp über den Bildschirm flimmern, und Klopps letzter Auftritt als Trainer verriet, dass das hier alles andere als das routinierte Abwickeln eines letzten Arbeitstages war. Er wusste, dass jede Umarmung eines Spielers die letzte war. So fühlte er sich auch.

Und es darf die Frage gestellt werden, warum mit diesem tristen Bluesakkord des Schlusspfiffs die Ära Klopp besiegelt werden musste. Hätte es nicht Optionen gegeben, nach dem verflixten siebten Jahr einen Nullpunkt im Jahr acht zu setzen: was ist wirklich hinter den Kulissen passiert: hat es, wie ich ahne, manchmal zu heftig geknallt zwischen Zorc und Klopp? Hätte ein Mediator geholfen? Oder war es doch ein Solo von Klopp, den Abschied einzureichen? Sowas passiert weder aus heiterem noch aus bewölktem Himmel „einfach so“! Okay, okay: „Hätte, hätte, Fahrradkette“. Unser Zug aus Berlin wird bald in Dortmund ankommen. Kein DJ heute in der Hafenkneipe, der alte BBC-Sendungen mit Joe Strummer auflegt. Keine neuen Freunde im Kreuzviertel.

Sie könnten mal, wenn Sie Trauerarbeit leisten wollen, mit dem Fahrrad oder Auto am Borsigplatz im Kreis fahren. Statt einer grossen, wehmütigen Party mit hunderttausend Teilnehmern, sehen Sie ein paar Betrunkene, einen Pudel, der an einen Laternenpfahl pinkelt – und ein Zeitungsblatt segelt, wie in einem alten Robert Wyatt-Song, durch die Lüfte. Wir sehen uns dann bei der nächsten grossen Party, in 50 Jahren! Weniger lakonisch: es gehört zum Ende einer Ära, dass danach die etwas tristeren Zeiten kommen. Ein Thomas Tuchel wird diesen langen Übergang zu moderieren haben, er wird kaum eine Chance haben, die Mannschaft hat ihren Zenith überschritten, und Mourinho (mein zweitliebster Trainer, ich gestehe!:)), kann leider kein Deutsch.

Wohl dem, der die Musik liebt! Zeit für „Lone Wolf“, für Rickie Lee Jones. Und, an Tagen wie diesen, gerne auch „Sailing“, oder „Road To Nowhere“. Da können die Wolken ruhig pinkfarben sein. Jürgen Klopp ist, schon jetzt, ein „lost classic“. Mit  Ulla (Frau)  und  „Emma“ (Hund) geht es erstmal in den Urlaub, klar, nach Sylt. Insel der Manafonisten. (Die Konsequenz für mein Leben ist einschneidend: zum ersten Mal seit meinem sechsten Lebensjahr lege ich ein einjähriges Borussia-Sabbatical ein.)


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