Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

you have searched the Manafonistas for ‘ ’.

Suchergebnisse

 
 

Das letzte Wiedersehen mit Buñuel erlebte ich beim Film Midnight in Paris von Woody Allen. Der Protagonist Gil gerät in das Paris der 20er Jahre, trifft Cocteau, Dalí, und andere Kunstgrössen und Existenzialisten, darunter auch Buñuel, der gerade wieder nach einer Filmidee sucht. Irgendjemand schlägt ihm vor, einen Film über eine Abendgesellschaft zu drehen, die am Ende den Raum nicht mehr verlassen kann. Buñuel schüttelt den Kopf und findet die Idee offensichtlich dämlich, auch nach längerem Grübeln scheint er nicht anderen Sinnes zu werden.

Dem Cineasten fällt an dieser Stelle ein grosses Grinsen ins Gesicht, ist dies doch genau die Handlung eines von Buñuels bizarrsten – man könnte auch sagen surrealsten Filme Der Würgeengel.

Il Angel Exterminador erinnert auch an den Engel mit dem Flammenschwert, der den Eingang des Paradieses bewacht –  womit wir wieder bei Grenzen wären. Insofern ist dieser Film eine vorgezogene Summary seines bisherigen Werkes: Buñuel beschäftigte sich immer mit Menschen und Menschenpopulationen und ihren äusseren, ideologisch-gesellschaftlichen, meistens aber den inneren selbstgezogenen Grenzen, aus denen sie nicht herausfinden und deren Opfer sie schliesslich werden.

Auch sein erster Film Las Hurdes – Land ohne Brot, eine Doku, zeigt das Leben eines hungernden Bergvolkes in Spanien und evoziert Gedanken über die Gründe, die die ausgezehrten Menschen hindern, dieses Land zu verlassen. By the way sind die Hurdes jetzt ein Parco Naturale mit reichlich touristischen Angeboten, heutzutage würde man es als „entzückend bukolisch“ benamsen. Tempi passati.

Nazarin und Viridiana ersticken in ihrem bigotten Katholizismus und werden Opfer derer, für die diese Werte nicht existieren und die Gutherzigkeit dieser reinen Seelen für sich zu nutzen verstehen. Tristana ist Gefangene ihres Mannes und ihres eigenen Rachemodus, Belle de Jour versteht Grenzen nur im Geheimen zu überschreiten. Die Bourgeoisie erstickt in ihren Klassenschranken, Konventionen und Ritualen (von Bunuel in einer neckischen Umkehrung vorgeführt als in Der diskrete Charme der Bourgeoisie die feine Gesellschaft auf Kloschüsseln zu Tisch sass und zum Essen aufs Klo ging, weil’s eben gerade comme il faut war – die Szene wurde ikonisch), und der Protagonist des Obskuren Objekts der Begierde zappelt im Netz seiner  eigenhändig gespaltenen Frauenbilder. Niemand entkommt seiner Haut, seinen Obsessionen, seinem Glauben und anderem festsitzendem Wahnsinn, es bietet sich also an, dergleichen einmal in einem Film zu operationalisieren.

Eine noble Abendgesellschaft – die Familie Nobile, jaja, das auch noch – der Upper Class trifft sich zu einem prätentiösen Abendessen, der Dresscode ist hochgepusht. Das Personal bereitet vor, scheint aber unter einem rätselhaften Druck zu stehen das Haus möglichst bald verlassen zu wollen, jeder hat etwas Eiliges vor und nach dem Servieren sind alle verschwunden; das Abendessen vollzieht sich in üppigem Dekor unter schichtspezifischem small talk, darunter menschelt es jetzt schon zutiefst. Nach dem Essen kippt die Szenerie – ein unerklärlicher Zwang scheint die Gäste zu hindern, den Speisesaal zu verlassen. Sie unterdrücken zunächst erfolgreich ihr Unbehagen, finden rationale Erklärungen für die Situation, nächtigen auf dem Fussboden, ohne sich einzugestehen, dass etwas Beunruhigendes im Busch ist.

Am folgenden Tage greift die Verleugnung zusehends nicht mehr. Krägen werden geöffnet, Krawatten abgelegt, Kleider aufgehakt, der Diskurs entgleitet und mit den Krawatten und Korsetts fallen auch die Konventionen und Contenancen. Es kommt zu Aggressionen und Grenzüberschreitungen, zunehmend zu Verzweiflung, Wasser und Nahrungsmittel gehen zu Ende, ein Gast stirbt und wir finden uns unversehens in Sartres Huis Clos wieder. Eine Sammlung edler Vasen dient zum Verrichten der Notdurft und schon bald existiert nichts mehr, was die upper class noch von denen unterscheidet, von denen sie sich  immer  gerne distanzieren würden.

 
 

      

 
 

Draussen versammeln sich Menschen, um zu helfen, können aber ebenfalls das Haus nicht betreten. Erst als es den Eingeschlossenen nach einigen Tagen gelingt, die gleiche Situation wie bei der Abendgesellschaft wiederherzustellen, öffnet sich das Tor zur Hölle wieder. Am nächsten Tag versammeln sich alle bei einem Dankgottesdienst, aber hinterher zeigen sich wiederum erste Schwierigkeiten die Kirche zu verlassen.

Buñuel hat sich lebenslang gegen eine Deutung seiner surrealen Symbole gewehrt, ein Vogel Strauss im Schlafzimmer sei eben ein Strauss im Schlafzimmer (Die Milchstrasse) – ein zugegebenermaßen skurriles Bild, aber nichts an dem weiter herumzudeuteln wäre. Offenbar hat sich niemand an dieses Dictum gehalten – die Interpretationen und Seminararbeiten blühten.

Nun wäre es sehr wohlfeil, das ganze Werk mit allen subtilen surrealistischen Einsprengseln im Ordner Buñuelsche Gesellschaftskritik abzulegen, auch das mental aufgeploppte Fenster „Kirchenkritik“ greift nicht – obwohl eine Horde Schafe am Schluss die Kirche stürmt und dann vermutlich auch nicht mehr aus dieser herausfinden oder auf den Topos des unschuldigen Opfers zur Befreiung der in ihren Sünden Eingeschlossenen hinzuweisen – hier ist für findige Interpretatoren nochmal eine Menge zu holen, whatever.

Filme von Bunuel sollten nicht interpretiert, sondern in ihrem Fliessen betrachtet werden – hier in ihrem Spiel mit der Dialektik von Grenzen: Das Ziehen einer so unsichtbaren wie irrealen Aussengrenze führt zwangsläufig zum Fallen der inneren Grenzen, die die Eingeschlossenen sonst voreinander und ihren wechselseitigen Aggressionen schützen und deren Aufhebung zunehmend ins Neandertal führt und man kann weiterphantasieren, ob sie sich nach längerer Zeit vielleicht gegenseitig verspeist hätten – bei einem Flugzeugabsturz 1972 in den Anden haben die Überlebenden zu diesem letzten Mittel gegriffen – der Film dazu kam relativ spät (Die Schneegesellschaft, 2023), bei anderen Katastrophen geht das schneller, es gab auch zwei Oscarnominierungen dafür, ansonsten schien er nicht viel Interesse zu wecken.

Von der Kriegsgeneration wurde auch immer dieses Grenzphänomen zitiert, wenn man als Mädchen auf dem Nachhauseweg zu späterer Stunde unangenehme Erlebnisse hatte: „Beim Adolf hätt’s das nicht gegeben!“ Klar – da tobte sich die Aggression an den Grenzen aus und innen rückte man zusammen – zumindest die, die glaubten, zu den Guten zu gehören, auch hier entstanden neue Grenzziehungen.

Die Umkehrung des sicheren Drinnens und des gefährlichen Draussens in das Gegenteil ist hier ebenfalls eine reizvolle Denkfigur; gefährlich ist das worin wir uns sicher fühlen. Und wenn etwas ausgeschlossen wird, kommt etwas anderes herein – in der Physik nennt man das eine semipermeable Membran. Und wenn ein Mensch eingeschlossen wird, kommt aus ihm etwas anderes heraus, von dem man gar nicht wusste, dass es drin war – offenbar sind Grenzen in ständiger Verlagerung und höchst dynamische Gebilde, etwa wie bei einem Labyrinth, in dem Durchgänge plötzlich gesperrt werden können und dafür andere geöffnet – auf dem Oktoberfest gibt’s dergleichen und treibt ängstliche Menschen in Heulanfälle – ich weiss wovon ich spreche.

Im Gegensatz zum Film Die Wand nach dem Roman von Marlen Haushofer, ein Film der als „Zustandsbild einer Depression“ interpretiert und gefeiert wurde, mit einer durchgehend sauertöpfischen Hauptdarstellerin – so deutsch, tiefernst, brav, ohne jegliche pfiffige Idee und Distanzierung heruntergekurbelt, dass man das Kino dann wirklich im Zustand depressiver Sauertöpfigkeit verliess und sich wünschte, man wäre ins Paris des Existenzialismus versetzt, am besten ins Café de Flore, wo alle hocken die etwas zu erzählen haben und Bunuel immer über noch über dem oben gegebenen Ratschlag brütet. Irgendwo muss es doch eine Zeitmaschine geben, in Dreisartresnamen …

 

2024 26 Mrz

Der Mittelweg

Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 4 Comments

 

 

In den letzten Tagen und Wochen war ich immer wieder damit beschäftigt, an meinen Fahrrädern herumzubasteln. Teils waren es notwendige Reparaturen, teils waren es Verschönerungsarbeiten. Kleine Rückblende: wir erinnern uns an jenen Disput zweier Motorradfahrer in Robert M. Pirsigs Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten. Beim Autor des Buches hatte sich der Lenker gelockert – in the middle of a road trip. Was tun in der Pampa? Er schnitt einen Alustreifen aus einer leeren Coladose, unterfütterte damit die Halterung und der Schaden war behoben. Nicht so für seinen Harley fahrenden Freund: der würde nur Originalteile an seiner Kultmachine dulden und zur Not meilenweit zur nächsten Werkstatt schieben. Hier zeigte sich jene Dichotomie zwischen romantischer (hip) und klassischer (square) Weltanschauung: während die einen den Fokus auf Ästhetik legen, geht es den anderen um Funktionalität. If it works it’s good enough. Zurück zur Fahrrad-Wartung: bei mir geht beides, ich achte allerdings darauf, mich nicht zu sehr in optische Idealismen zu versteigen, denn das ist erstens kostspielig und kann zweitens zu lästigen Optimierungszwängen führen. Deshalb, so platt es klingt, ist auch hier der Mittelweg der beste.

 

 
 

Fellinis Stadt der Frauen von Frederico Fellini (Frankreich / Italien 1980)

 

Niemand anderer als Sartre führte in Das Sein und das Nichts auch die Definition der Aufgabe und Rolle des Blicks ein: Der Blick kann den anderen zum Objekt machen, das betrachtet wird, er kann den Betrachter zum Objekt machen, der betrachtet wird oder sich selbst betrachtet. Somit ist der Blick ein mächtiges, weil formendes, definierendes und in hohem Masse bestimmendes Agens in der gesamten Phänomenologie.

Im narrativen Kino des 20. Jahrhunderts – so die Filmtheoretikerin Laura Mulvey – ist der Blick überwiegend ein Male Gaze, ein omnipräsenter männlicher Blick, der Frauen als sexuell begehrenswerte Objekte einem männlichen heterosexuellen Publikum zu eben diesem Genuss präpariert und vorführt. Die gleichzeitig mitguckenden Frauen waren seinerzeit in einer Form sozialisiert, dass sie diese Sichtweise mit übernahmen, in sexueller, kultureller und ästhetischer Hinsicht und identifikatorisch schön fanden, was die Männer schön fanden und sich auch bezüglich der eigenen Erscheinung daran orientierten. Davon leben ganze Industrien.

 
 

 
 

Fellini – generell eine verspielte Natur – spielt in  Stadt der Frauen  furios mit diesem Genre und seinen Klischees, dem Bild des Mannes als solchem und seinen Ängsten, seinem Narzissmus und den sich daraus ergebenden Skurrilitäten.

Snaporaz, ein nicht mehr ganz junger Herr (Marcello Mastroianni, wer sonst, ohne den gehts ja nicht) wird auf einer Bahnfahrt von einer üppigen Dame (Fellinis Kragenweite) – die Kamera tastet sie ab wie ein männlicher Blick – aus dem Zug und über eine Wiese gelockt wie von Charon über den Styx oder von der Hexe ins Lebkuchenhaus.

Der Spiess wird umgedreht – die Dame fotografiert ihn und fordert ihn auf die Augen zu schliessen – eine symbolische Inbesitznahme des Mannes und Umkehrung des Betrachtens ins Betrachtetwerden. Von da an ist er nicht mehr aktiv Handelnder, er muss die Dinge geschehen lassen und es geschehen eine Menge davon.

Statt ein Abenteuer zu erleben wird S. zu einer Villa gelockt, in dem offenbar ein Feministinnenkongress vom Feinsten stattfindet. Die Frauen machen Yoga, halten flammende Vorträge gegen Machismus, spielen satirisches Theater und fahren mit MGs bewaffnet durch die Gegend, vermutlich um ihr Unternehmen zu schützen, vielleicht auch noch Schlimmeres. Die Stimmung kippt ins Paranoide.

 
 

 
 

Die Aktivität der Feministinnen in diesem Haus ähnelt der Aktivität jeder lebendigen Bewegung in der Realität: Spaltungen, Bildung von sich befehdenden Untergruppen, unterschiedliche Strömungen und Schwerpunkte, Anführerinnen, die die Bewegung diversifizieren oder schwächen – all in one hier unter einem Dach in buntem Reigen.

Snaporaz versucht zunächst mit Charme in diesem Pandämonium klarzukommen, scheitert natürlich und wird zusehends verängstigter, irgendwann fürchtet er geradezu um sein Leben. Er findet seine Rettungsinsel schliesslich in der belagerten Villa von Dr. Cazzone, einem Edelmacho mit einem Haus voll von Fetischen, die das Männerherz erfreuen, aber auch ständig umschlichen von den patrouillierenden Frauen. Die letzte Bastion eines Kotzbrockens.

Aber die Frauen sind nicht nur wegen ihrer Überzahl, geballten wütenden Power und ihrer Waffen gefährlich, der Film zitiert auch andere Bildgebungen wie etwa in Form der püppchenhaften Verlobten Cazzones den Mythos der verschlingenden Vagina (sie kann mit derselben einen Sog ausüben und kleinere Gegenstände hineinziehen), ein machtvolles Organ, bei dem sich Mann jahrtausendelang nie ganz sicher war, ob im Inneren nicht doch ein Fallbeil wartet –  und was mit der Büchse der Pandora wirklich gemeint war, haben wir mittlerweile auch verstanden.

Wenn hier im Dorf irgendwo ein Mädchen zur Welt kommt, steht vor der Gartentür ein Storch und darunter steht Bixnmacherei (Büchsenmacherei), wenn nicht überhaupt ein paar leere Konservendosen gut sichtbar aufgehängt werden. By the way – wenn ein Sohn geboren wurde wird ein Weisertwecken gebacken – ein möglichst langes Stangenweissbrot (1 m Brot pro Pfund Geburtsgewicht) und an die Hauswand gelehnt mit Umzug, Blasmusik und allerlei Festivitäten. Phallisch-Nahrhaftes contra Blechmüll ohne Festivitäten. Ich sage nichts weiter.

 
 

        

 
 

Fellini war auch begeisterter Jungianer – im Keller des Hexenhauses – also unten, wo’s in der Regel heiss wird – wartet die Heizerin, eine monströse unbefriedigte Frau, die Snaporaz bei ihren Annäherungsversuchen fast erdrückt – die begierige phallische Frau. Damit wäre die Archetypologie weiblicher Schrecknisse komplett.

Aber Fellini zeigt nicht nur den Male Gaze, sondern auch den Female Gaze – die durch Frauen vorgenommenen Verzerrungen des Männerbildes – wiederum im Spiegel des männlichen Blicks – beispielsweise, wenn von einer Theatergruppe im Hexenhaus eine Szene geprobt wird, in der eine Frau mit Frankensteinmaske eine andere Frau a tergo bespringt, während diese am Herd im Topf rührt. Das penetrierende und unterdrückende männliche Monster aus der weiblichen Perspektive, hier vom Mann gesehen – damit auch ein Blick des Mannes auf die Feministinnen und ihre eigenen Zerrbilder und deren Blick auf den Mann.

Ein raffiniertes Vexierspiel mit vielfältigen Brechungen, man wähnt sich zuzeiten im Spiegelsaal von Versailles (oder in Schloss Herrenchiemsee im Land der Bixn und überlangen Baguettes), in welchem Spiegel Spiegel spiegeln, bis nichts mehr zuzuordnen ist und die Realität sich in Bildern auflöst.

 
 

 
 

Snaporaz gerät als nächstes vor ein Frauengericht und wird zu seiner Verwunderung freigesprochen, vermutlich kommen die Frauen zu dem Schluss, dass dieses Würstchen ohnehin nicht mehr viel Unheil anrichten kann, insbesondere nicht nach dieser Reise.

Zum Ende hin wird es vollends surreal – symbolistisch: Snaporaz durchbricht eine rotsamtenes, einer Vulva ähnelndes Tor, landet auf einer Rutschbahn die ins Dunkel führt und rettet sich in einen Ballonkorb, der Fesselballon hat die Form einer riesenhaften, knappst bekleideten Frau mit Brautschleier, die die Seile hält als würde sie Strippen ziehen: Der Mythos der heiligen Hure und ihrer Anziehungskraft auf entsprechend gepolte südosteuropäische und  aussereuropäische Männlichkeit. Diese Ballonfigur ähnelt Donatella, seiner hilfreichen Begleiterin durch Dantes Inferno. Die reale Donatella greift aber alsbald zum Gewehr und schiesst auf ihren eigenen Mythos, von dem sie offensichtlich genug hat, bis er platzt – e basta così – damit der Schmarrn endlich ein Ende hat.

Nach diesem pompe funèbre eines gebeutelten Machos erwacht Snaporaz wieder im Zugabteil, die üppige Dame lächelt ihn wieder vielsagend an, zwei zusteigende kichernde Studentinnen, eine davon Donatella, werfen ihm Blicke zu. Seine Brille, die ihm im Hexenhaus zerbrach, erweist sich immer noch als zerbrochen – Traum- und Realitätsebene sind damit als gleichberechtigt konfiguriert – das Unbewusste kennt weder Zeit noch Unterscheidung zwischen Dreidimensionalem und Fantasmagorischem, beides ist lebensbestimmend.

 
 

 
 

Was ist das Besondere an diesem Film? Er ist weder feministisch noch feiert oder geisselt er den Machismus, er ist keine blutleere Satire und der Regisseur geht milde mit seinen Darstellern um, ebenso wie das Frauengericht mit dem Eindringling. Die tragende Gefühlsspur des Filmes ist die überschäumende Lebensfreude und letztlich Gutartigkeit der Frauen in allen Formen der Schönheit und Hässlichkeit, mit Körpern die nicht perfekt, aber anziehend sind. Die vom Regisseur (seine leicht masochistische Komponente ist allenthalben zu spüren, dominante Frauen erschrecken Fellini durchaus nicht, ich darf an Amarcord und die Zigarettenverkäuferin erinnern) niemals blossgestellt, entlarvt oder intellektuell definiert und damit entfremdet werden, sondern in ihrer einfachen Menschlichkeit gezeigt. Man kann sich im Rachemodus in die jeweiligen Zerrbilder des anderen Geschlechts verbeissen – und die eigenen dabei natürlich unangetastet lassen – man kann sich aber auch in einer Position der Augenhöhe und Wertschätzung darüber austauschen, und seinen Spass dabei haben, insbesondere bei Fellini’schen Darstellungsweisen. Humor versteht so manches zu transzendieren. Italienische Frauenverbände haben sich wütend von diesem Film distanziert, aber es kommt auch bei Frauen manchmal vor, dass sie den Schuss nicht gehört haben.

 

2024 21 Mrz

fender calls

Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  3 Comments

 

„sanftes gleiten“

 
 

[… da mir diese kleine homegrown-impro nach tagen immer noch gefällt, stelle ich sie wieder rein. gitarrespielen ist ja immer auch eine seltsame mischung aus (mangelnder) fingerfertigkeit und dem versuch, favorisierte klangvorstellungen nachzuahmen. ich kann nur das spielen, was ich kenne – aus dem grand portfolio angewachsener erinnerungen. apropos gewachsen: mit neu gewachster fahrradkette (vorher gründlich entfettet) lässt es sich sanfter und stiller durch die landschaft gleiten als je zuvor. wieder mal stellt sich die altbekannte frage: warum so spät, warum erst jetzt? …]

 

 
 

Es gibt tatsächlich das Genre der Mindfucking-Filme, die sich gerade im Sci-Fi-Genre explosionsartig vermehren. Der Zuschauer muss eine Menge Konzentration aufwenden, um sich orientieren zu können, auf welcher zeitlichen oder räumlichen Ebene das Filmgeschehen gerade abrollt und hat auf jeden Fall sehr viel corticale Arbeit. In einen Flow zu kommen oder gar etwas zu geniessen ist schwierig bis unmöglich – und by the way: Ich mag diese Gespinste überhaupt nicht.

Begonnen hatte es 1999 noch relativ charmant mit der Matrix: ein Film, der sich der schon in der Antike aufgeworfenen Frage über die Authentizität unserer wahrgenommenen Realität widmet. Woher wissen wir, dass wir nicht nur träumen und alles uns Umgebende nur ein Spuk ist? Ein durchaus anspruchsvoller neuer Ansatz für Sci-Fi und seine bekannten Techno-Orgien, die inzwischen ausgereizt waren, sich hier aber gottlob in Grenzen hielten (dafür gabs eher Martial-Arts-Kampfszenen, in denen die Kämpfer die Schwerkraft aufzuheben verstanden wie die Ninjas) zugunsten der Faszination von Überwindung der Zeit- und Raumgrenzen.

Also: Woher wissen wir, dass wir nicht verkabelt in einer Nährlösung unter Dauerchemiebeschuss vor uns hinträumen – vielleicht noch gleichgeschaltet mit unseren Nachbarn den gleichen Traum träumen und mit ihnen im Traum interagieren? Fragen – so alt wie der Homo sapiens oder höchstens ein bisschen jünger.

Oder ob es vielleicht dem neuen Leonardo (nicht da Vinci sondern DiCaprio) gelungen ist, einen vorher in seinem Traumlabor designten Traum in unser Unbewusstes einzuschleusen und selbst drin mitzuspielen – in Inception von Christopher Nolan wohlerprobt dargeboten.

 
 

 
 

Leo DiCaprio klagte später darüber, dass selbst die Schauspieler bei den Dreharbeiten die Orientierung verloren und nicht mehr wussten, in wessen Gehirn sie da gerade mit wem zu welchem Zwecke herumturnten; der Zuschauer wusste es meistens auch nicht, sondern schaltete auf „flow“ und genoss die effects und den neuartigen Ansatz dieses Genres. Oder verliess das Kino mit Kopfschmerzen.

Das in Inception vorgeführte „dream-creating“ liess sich natürlich von Regierungen und Konzernen prächtig für ihre Zwecke einsetzen. Da entstanden spannende Machwerke wie Timeline, Source Code, Looper und vieles mehr. Hirngymnastik sozusagen, für manche lustvoll.

Oder in Blade Runner (1986) – eine Frühgeburt des Genres und dieser Zeit voraus – das ständige Rätselraten, ob man es nun mit einem Menschen oder einem künstlich gezüchteten Replikanten zu tun hat, dem darüber hinaus künstliche Erinnerungen eingepflanzt wurden, so dass er selbst nicht weiss, ob er ein Mensch ist oder ein funktionalisiertes Menschenwerk, am Schluss wusste keiner mehr irgendwas und bis heute wird im Netz diskutiert, ob Harrison Ford nicht doch ein Replikant war und wie das zu beweisen wäre. Nämlich durch ein papierenes Origami-Eichhorn in einem Traum, also alles gar nicht so einfach. Die Sache kam also an. Wie gesagt – nix für mich – ich liebe es nicht, ständig von neuen Raum- und Zeitebenen überrannt zu werden, mir fällt dabei immer nur der gallebittere Witz ein, dass es auch Vorteile bringe, an Demenz zu erkranken: Man ist jeden Tag woanders und lernt neue Leute kennen.

Nun ist das Designing des Unbewussten und des Gefühlslebens nichts Neues und wird in Werbung und politischer Berichterstattung und dem Arbeiten mit versteckten Botschaften und subliminaler Wahrnehmung angewendet, seit es Medien gibt. In Inception wird es noch einmal auf den Punkt gebracht, worauf wir zusteuern könnten, die prophetische Funktion des Kinos, die ich wiederum sehr schätze – spätestens seit dem Tage als ich nach Hause kam, die brennenden Twin Towers auf dem Bildschirm sah und mich wunderte, warum mein Mann schon mittags Independence Day guckte.

Von da ab nahmen die Aliens wieder Züge des politischen Feindes an, nur waren’s diesmal nicht die Russen, sondern die IS und die 3. und 4. Welt und ihr Hunger die sich auf die westliche Zivilisation stürzten.

So wie in Inception die Gehirne als Schauplatz ständig wechselten, sind es in den Zeitreisefilmen die Zeitebenen mit ihren logischen Verwerfungen und Hyperloops, über die sich der Zuschauer den Kopf zerbrechen muss, anstatt Liebesszenen zu geniessen und sich zu freuen, wenn sich zwei endlich kriegen, bei denen man schon vorher wusste, dass sie sich kriegen.

Also: Es kommt jemand aus der Zukunft zurück in die Gegenwart, die ja für ihn dann eigentlich Vergangenheit ist, um etwas hinzubiegen, das ihm in der Zukunft das Überleben möglich macht oder seine Befindlichkeiten anderweitig verbessert, beispielsweise jemanden in der Gegenwart, die aber für ihn Vergangenheit ist, aus dem Weg zu räumen, damit selbiger ihn nicht in der ferneren Zukunft im Futurum 2 um die Ecke bringt, wo er sich dann ja auch wieder hinbegeben muss. Life-Designing sozusagen – vor eine schwierige Situation gestellt geht man kurz in das Plusquamperfekt und geht dem an die Gurgel, der einem gerade in der Gegenwart Schwierigkeiten bereitet. Das hat was!

Das setzt dem dream-designing noch einiges drauf und die Terminator-Tetralogie oder -quintologie war ja auch durchaus unterhaltsam.

Gestern abend dann voller guten Willens Predestination (2014) herbei gestreamt, das die ganze Sache noch toppte: Eine auf Zeitreisen spezialisierte Firma schickt Agenten in die Vergangenheit, um in der Gegenwart geplante Verbrechen zu verhindern, zumindest habe ich es so verstanden – und dann schon sehr bald nicht mehr durchgeblickt. Designing des gesellschaftlichen Zusammenlebens und sehr praktisch anmutend – ein bisschen die Vergangenheit aufräumen und schon läufts – steckt da nicht ein urmenschlicher Wunsch dahinter? Wer möchte nicht den Weltkrieg aus der Geschichte tilgen?

Eine relativ schonende Form des Selbstmordes wäre es dann, einfach zu verhindern, dass sich die eigenen Eltern in der Vergangenheit gar nicht kennengelernt hätten – oder wenn doch, ein Kondom benutzt hätten und man sich selbst sodann zurück in der Gegenwart in Nichts auflösen könnte beziehungsweise schon als Nichts in diese zurückkäme. Auf diese Weise könnte man ganz legal auch unerwünschte Partner oder andere unangenehme Zeitgenossen eliminieren. Aber das führt jetzt zu Gedankenabschweifungen … wann ist gleich nochmal Putin gezeugt worden?

Wie kann man sich nun vergewissern, ob man sich in der Traumwelt oder der dreidimensionalen Realität befindet? Dazu hat Nolan den Kreisel erfunden beziehungsweise einen McGuffin in Form eines Metallkreisels als Indikator zur Orientierung über den eigenen Standort: In unserer dreidimensional fixierten und gravitationsgebeutelten Welt tut dieser, was ein Kreisel nun mal tut, nämlich kreiseln und irgendwann damit aufhören. In einer immateriellen virtuellen Realität dreht er sich in extenso weiter oder fliegt durchs Fenster davon oder … oder …

Am Ende von Inception lässt der Leo wieder den Kreisel kreiseln, gemeinerweise wird aber rechtzeitig abgeblendet, so dass wir nie erfahren, ob Leo nun in der irdischen Realität seine in einer anderen Realität ermordeten Kinder wieder in die Arme schliesst oder wiederum nur davon träumt. Nachdem er sich vom Kreisel abwendet und ihn allein weitertrudeln lässt, signalisiert er auch, dass es ihm schlicht egal ist – er bleibt in der für ihn attraktivsten Realität. So geht’s auch. Jeder Junkie würde ihm da beipflichten.

Somit trat der Sci-Fi in eine neue und bisher letzte Phase ein.

Nachdem zuerst die paranoide Angst vor dem politischen Gegner in der Zeit des kalten Krieges das Genre der Invasionsfilme prägte und es in den aufgelockerteren Zeiten der Sechziger und Siebzigerjahre bis in die frühen Achtziger zum Kuschelkurs mit den Aliens kam (E.T., Alf, die Kleinen aus Close Encounter und andere nette Nachbarn) geht es nun anders weiter.

 
 

 
 

 
 

Bis die selben dann in den Neunzigern wieder oral-aggressiv aus Gründen der Ressourcenverknappung auf den Heimatplaneten sich auf die Menschheit stürzten (das Jahrzehnt in dem wir langsam begriffen dass uns auch in der 1. und 2. Welt der Saft ausgehen könnte) herrscht nun die Phase der völligen Grenzüberschreitung und Orientierungslosigkeit, indem der Mensch nicht mehr weiss, wo und wann und nicht mal wer er überhaupt ist und ob der jeweils andere nicht nur ein Gespinst des eigenen Gehirns ist. Ein unerschöpflicher Fundus für anstrengende Verwicklungs-Plots, in denen nun alles möglich scheint. Das mag wie Freiheit anmuten – ich definiere mir meine Welt selbst und bewege mich darin. Das Unbehagen der Protagonisten und ihr Suchen nach Halt und Orientierung drückt aber das tiefe Bedürfnis des Menschen aus nach einer für alle verbindlichen und teilbaren Realität, die Vereinsamung verhindert – auch hier wieder der Sci-Fi als Spiegel kollektiver Bedürfnisse in einer Anything-goes-Welt in der jeder in sein eigenes virtuelles Reich versinkt.

Diesem Bedürfnis gerecht werden die gängigen Formen von social media, die die Illusion und die Scheinsicherheit erzeugen mit allen zu jeder Zeit verbunden zu sein; ein haltendes Netz – bei dem man aber andererseits genausowenig sicher sein kann, ob man nicht mit einem Bot, einer KI, einem Love-Scammer oder einem Algorithmus kommuniziert oder gar mit dem bayrischen Ministerpräsidenten. Und auch nicht, ob der irgendwo sitzende fleischliche Like- oder Klick-Freund sich im Bedarfsfall wirklich als Freund erweisen wird wenn man ihn dreidimensional braucht.

So bleibt zumindest die Illusion permanenter Verbundenheit in einem immer unübersichtlicher werdenden Kosmos, in dem langsam alle Grenzen verschwimmen.
Noch dreht sich Leo’s Kreisel … ob er umkippt?

 
 

2024 19 Mrz

do you know knower?

Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags:  No Comments

 

Either way …

 

„The Goverment Knows“

 

Knower is a duo with drummer Louis Cole and vocalist Genevieve Artadi. The following clip also features bass player Tim Lefebvre, well known from works with David Bowie and Uri Caine (Bedrock). Notice the incredible drum programming and the beautiful singing here. I must confess, I’m a bit obsessed by Knower. They call it „full blast“, I call it great pop.

 

„Lady Gaga“

 

2024 18 Mrz

Langer Atem

Filed under: Blog,Gute Musik | RSS 2.0 | TB | Tags:  6 Comments

 

 
 

Ich kann nicht anders, aber ich muss ein Loblied auf diese Duoarbeit singen. Harmen Fraanje am Klavier und Arve Henriksen an der Trompete. Understatement, Zurückgenommenheit pur. Der Sound von Henriksens Trompetenspiel, so klein, so nebelverhangen, so schilfig. Ich sah ihn im Pierre Boulez Saal mit Jakob Bro vor knapp 2 Jahren. Wir trugen alle schwarze Masken. Für mich war er der Star des Abends.

Harmen Fraanje kannte ich noch nicht. Er spielt ein sehr „nordisches“, auf das Wesentliche reduziertes Piano. Kein Schnickschnack, kein Ton zuviel. Sehr lyrisch und impressionistisch, er hat seinen Bill Evans inhaliert. Die beiden ergänzen sich perfekt, die diskreten Klavieranschläge und der stetig verlaufende, nasale Trompetenton. Dazu gelegentlich elektronische Zuspielungen von Henriksen. Ätherisch, schwebend, traumwandlerisch. Jon Hassell hätte seine Freude daran gehabt. Eine Hochzeit im Himmel. Glaubt es ruhig, dieses Mal stimmt es.

 

2024 13 Mrz

Hören & Fahren

Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 8 Comments

 
 

Frauen sollten ein Verhältnis zur Wirklichkeit pflegen, schreibt Virginia Woolf 1929 in „Ein Zimmer für sich allein“, ich horche auf die Stimme von Erika Pluhar, die mir den viel zitierten Aufsatz nahebringt. Mit dieser Aufforderung zu eigenständigem Denken schließt die Autorin, nachdem sie zuvor ausführt, was zu- und was abträglich ist für einen freien Geist.

Später fällt mir auf, dass Weltfrauentag ist, während ich dem Vortrag lausche und mein Automobil in Richtung Süden steuere, unablässig streift der Blick den grauen Bandwurm von Autobahn entlang. Fast 100 Jahre ist es her, dass Frau Woolf gute Literatur daran misst, ob sie ein Feuerwerk an Gedanken auslöst oder weitere Einfälle erstickt: Mit solchen in eine Erzählung eingebundenen Hinsichten ist es eine wirklich muntere Fahrt geworden.

 

 
 

Anatomie eines Falles (D, 2023) von Justine Triet

(Seit gestern auf prime streambar – zeitgleich mit dem Oscar-Getöse)

 
 

 
 

Erster Eindruck:

Noch nie so eine schlechte Synchronisation gesehen beziehungsweise gehört. Da erhebt sich zunächst die Frage, die man sich oft beim Dachbodenaufräumen stellt: Ist das Kunst oder kann das weg? Liegt’s an der Kopie oder ist es künstlerisches Stilmittel, dass die Protagonisten reden, wenn der Mund noch zu ist und umgekehrt? Sind die alle im Nebenberuf Bauchredner?

Am Ende steckt da noch ein tieferer Sinn dahinter, der sich mir nicht erschlossen hat und ein findiger Rezensentenkollege schreibt dann etwa: Durch die raffinierte Zeitverschiebung von Mundbewegung und hörbarem Wort erzeugt der begabte Regisseur eine gezielte Verwirrung die auf die Diskrepanz von innerem Dialog und Gesprochenem zurückweist und damit auf die jedem Menschen immanente Spaltung von schwurbelschwurbelblubb … !

Ich mach mir’s jetzt einfach und denk, es ist die Kopie! Man kann alles übertreiben und zur Kunst deklarieren. Der Film wurde auch dreisprachig gedreht, da mag es wohl babylonisch zugegangen sein.

Hat dieser Film nun den Oscar verdient? Die Frage stellte sich mir am Vorabend der Oscar- Verleihung und ist im übrigen müßig, der Oscar ist alles andere als ein Qualitätssiegel und auch von politischen und ökonomischen Interessen bestimmt und das Gutmenschentum muss auch bedient werden. Im Westen nichts Neues darf man ja auch nicht durchs Raster fallen lassen, ist schliesslich ein Antikriegsfilm und man will ja nicht in den Geruch kommen, Kriege etwa gut zu finden, gerade in den USA, denen wir so manche Kriegsschmonzetten zu verdanken haben, die wohlweislich darauf hinweisen, dass der wackere Amerikaner auch im schlimmsten Kriegsgetümmel menschlich zu bleiben versteht. Natürlich nur für die eigenen Jungs, bei Saving Private Ryan (1998, 5 Oscars!) zu bewundern. Da muss man nicht paranoid sein, um hier nicht eine gezielte Strategie der Filmfachabteilung des Pentagons zu vermuten, in diesem Jahr mussten auch die Republikaner die erste grosse Wahlschlappe einstecken, da muss Mut gemacht werden und das merkt man auch an den Filmen – aber manche sehen noch nicht mal Licht, wenn ihnen aufs Auge gehauen wird. Also immer her mit den goldenen Männchen, Friedensliebe muss belohnt werden. Bei dem restlos verschnarchten Killers of the Flower Moon, den man bequem auf anderthalb Stunden hätte eindampfen können – dann wäre ein Abklatsch von Spannung aufgekommen – dürfte es genauso sein.

Aber zurück in den Gerichtssaal.

Wer einen spannenden Gerichts-Tatort erwartet, ist hier gut bedient (ich hasse Gerichtsfilme, by the way, nach Zeugin der Anklage hab ich da nichts besonderes mehr gesehen und Spannung und Gerichtsplädoyers sind für mich eh inkommensurabel). Wer ein klares Ende erwartet, ist hier wiederum nicht gut bedient, aber das spricht eher für die Qualität dieses Machwerks, weil es das Kopfkino des Zuschauers anwirft und ihn in Spannung hält. Das Geniessen eines „guten Endes“ erinnert eher an die Szene, in der ein Kleinkind den letzten Löffel Brei bekommt, die Mama verkündet, dass jetzt Schluss sei, mit dem Löffel nochmal quer über den Mund fährt, mit dem Lätzchen hinterhertupft und „So!“ sagt! Das macht den Zuschauer zum satten Säugling, wobei ich einräumen muss, dass dieser Zustand auch seine Reize hat.

Und hier gibt es eben kein „So“.

Wir erleben hier – und das ist nichts Neues im Gerichtssaal – die Dekonstruktion einer Frau und einer Familie, die zu Anfang sehr normal anmutet und die Neukonstruktion einer ganz anderen Figur vor unserem inneren Auge mit dem Mittel der Vernehmung und geschickter Plädoyers des Staatsanwalts der in Deutschland einen passablen Mephisto abgeben würde. Das wird fächerartig aufgefaltet und vermag zu faszinieren – ist allerdings nicht neu und viele gute Gerichtskrimis leben davon, etwa bei der ewigen Gretchenfrage, ob nun die Vergewaltigung oder der Kindesmissbrauch denn nun stattgefunden oder nur in der Phantasie der Anklägerin stattgefunden hat oder gar ein Komplott geschmiedet wird gegen einen unliebsamen Vater oder Partner. So neu ist das alles nicht.

Ich musste einmal einem dreitägigen Mordprozess beiwohnen – eine ehemalige Patientin hatte ihre Ehefrau umgebracht – und kenne diesen Wandel innerer Bilder sehr gut. Das strapaziert den Zeugen.

So auch hier: Es zeigt sich das Bild einer zerrütteten Beziehung, eines an der eigenen Unfähigkeit verzweifelnden Mannes, der seine hochgesteckten Ziele nicht erreichen kann und die Verantwortung auf Familie und äussere Umstände abschiebt, mit Schuldzuweisungen aber an der Ehefrau scheitert, die sich klar davon abgrenzt und ihn auf seine Eigenverantwortung hinweist. Die dabei bei ihm erzeugte hilflose Wut führt offenbar zu einer Verstrickung, die im Suizid endet (eine Lesart) und in die er noch den Sohn hineinzuziehen versteht – mit einer mehrdeutigen Botschaft. Diese belastet den Sohn, führt aber schliesslich zum Freispruch der Mutter, wenn … ja wenn … sie überhaupt stattgefunden hat und nicht vom schlauen Sohn erfunden wurde, um die Mutter zu entlasten. Oder ein Ränkespiel von Mutter und Sohn vorliegt.

Die Frage des whodunit tritt zurück beim Betrachten dieses gut eingefädelten Vexierspiels und den Bemühungen des Staatsanwaltes, eine völlig neue Figur zu konstruieren und immer wieder neue Beobachtungen in einer Weise neu zu formen und einzufügen um dieses Bild einer eiskalten Mörderin zu untermauern.

Rechtsprechung hat etwas mit Schriftstellerei gemein – sie konstruiert Figuren und verleiht ihnen eine innere Logik, die mit dem Vorbild nicht unbedingt etwas zu tun haben muss – Details werden entsprechend der Zielvorstellung von Ankläger und Verteidiger passend gemacht – ähnlich wie es mit Erinnerungen geschieht, die nach persönlicher Interessenlage plötzlich eine Modifikation und andere Ausdeutung bekommen. Oder im paranoiden Wahn. Erinnerungen werden plötzlich in einen anderen Kontext gesetzt und bekommen eine andere Bedeutung – wie im Diskurs in den 90ern um frühkindlichen Missbrauch, als viele Frauen ihre Symptomatik in diesem Sinne ausdeuteten und für stimmig befanden, wie man weiss verändern sich Erinnerungen durchaus selbsttätig, jeder zeugenbefragende Polizeibeamte kann ein Lied davon singen. Oft stellten sich dann zugehörige Träume oder „Erinnerungen“ ein – ob sie nun Fakt waren oder nicht. Die „False-Memories“-Bewegung ist verbreitet, vor allem in den USA, dem Land vorpreschender Therapeuten – Hauptsache es ist was los – wurscht was!

Im Verhalten des Kindes wird deutlich, wie sich das Bild der Mutter verändert, Ereignisse eine andere Bewertung erfahren, es will Distanz gewinnen um zu Klarheit zu kommen. Schafft es das oder ist es in einer gemeinsamen mörderischen Inszenierung auf immer mit der Mutter verbunden. Pantha rhei, alles ist im Fluss, alles kann anders gesehen werden, auf nichts ist mehr Verlass.

 
 

 
 

Schon zu Anfang erschreckt der Film mit tosendem Latino-Soundtrack – später entpuppt sich die Funktion der Musik: Nicht die übliche schlechte Aussteuerung, sondern vielmehr ist die Musik hier ein drittes Element in der Täter-Opfer-Geschichte, es verschleiert die Geschehnisse, akustische Wahrnehmungen die zielführend für die Verurteilung sein könnten werden überdröhnt. Der Genuss bei diesem Film ist nicht die Verbrechensaufklärung, sondern die Momente in denen die Kippfigur kippt. Das kennt man aus vielen guten Krimis und Psychodramen – ob da jetzt haufenweise goldene Männchen dabei rüberwachsen müssen ist jetzt eine ganz andere Frage.

Jetzt wäre mir nach einem eindeutigen guten Ende zumute – läuft irgendwo Vom Winde verweht? Ach nee, die kriegen sich da ja auch nicht … oooder … ahhh … die Fortsetzung: Scarlett – die Serie aus den 90ern. Da kriegen sie sich. Der „So-Effekt“. Nur mal so zur Erholung. Heute Abend droht The Zone of Interest. Da braucht’s geglückte Füttervorgänge zwischendurch!

 

 

Wieder setzt er an, rasch müssen seine Finger die Tasten aufwärts klettern. Aber dieser verflixte kleine Finger an der rechten Hand macht nicht mit. Verhaspelt sich, kommt nicht auf die Tasten hinunter. Get your kicks: Er hat gute Lust, dieses sch-verf-Klavier mit seiner Fußspitze zu traktieren, es ist so verdammt schwergängig. Stellt sich ihm in den Weg. Was ist nur los: Fingerabspreizen und ähnliche Geziertheiten passen doch überhaupt nicht zu ihm … !

Wenn andere das spielen, klingt es so locker und leicht. So beschwingt. Als ob sich da keiner so recht Mühe zu geben bräuchte, wie um ihn noch extra zu ärgern. Er hat sich das Stück ein paar Male angehört, ja gut, das Tempo schafft er noch nicht, das fordert seinen Ehrgeiz. Mit der Zeit würde er das aber schon knacken. Nur der Rhythmus: Bei ihm klingt es so sperrig, dass es ihn regelrecht schüttelt! Probehalber stemmt er seine Fußspitze nun doch gegen das lackierte Holz des Instruments: Ihr redet euch leicht, ihr Alten, einsame Weiten auf einem kultigen Highway durchqueren, Strecken, die heutzutage garantiert vom Verkehr verstopft sind, und die Inspiration fliegt euch nur so zu! –

Sowas fängt er sich aber gar nicht erst an, die sowieso schon von den Landkarten getilgte Route 66 gen Westen fahren – Und dann womöglich auch noch als Klimaschwein beschimpft werden: Leider ist er überhaupt zu spät auf die Welt gekommen, ein Jammer! Weil auch schon seine Eltern zu spät dran waren und die Großeltern erst recht. Dafür hat er’s jetzt mit einem heutzutage zu tun, in dem es einfach schon alles gibt, was man musikalisch noch erfinden könnte – Und ihm bleibt bloß noch sich damit abzumühen, die Stücke einigermaßen gelungen nachzuspielen.

Missmutig lässt er den Kopf nach vorne sinken, kühlt seine Stirn an dem glatten Holz, das er eben noch hat malträtieren wollen. Wozu das Ganze eigentlich, er ist am Ende, auf den Hund gekommen, genial sind nur die anderen.

Er hievt seinen unwilligen oder unfähigen Körper, wie man’s eben nimmt, aufs Sofa daneben und schließt die Augen. Will einschlafen, alles vergessen, aber er hat keine Ruhe: Die Melodie des Stücks schält sich aus all den Geräuschen in seinem Kopf rücksichtslos heraus. Mit einer Bestimmtheit, die ihn aufrüttelt, darappbapbap-bapbapbamm! Darappbapbap-bapbapbamm! – Wie klingt das denn jetzt? Hat er das so schon einmal gehört? –

 


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz