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„War alles nur ein Spuk, wie Ari-Ups Erlebnisse im Wald, oder in einer Kirche, wo sie mit einer alten Frau über den Teufel gesprochen hat? Sind sie buchstäblich im Untergrund verschwunden? Ist die Provinz die Provinz oder ist sie das Aufmarschgebiet für einen Aufstand gegen die Metropolen? Ein Tag Später war in Hamburg die Strassenschlacht im Karolinenviertel, Mai ’80.“

(Diedrich Diederichsen, Sounds, Juni 1980)


„Wir sind so oft wie möglich nach Weißenohe gefahren: Robert Fripp + League of Gentlemen, Gong, Soft Machine, Nucleus, Hardin + York, Osibisa, Wolfgang Dauner, Livin‘ Blues, Chicken Shack, Hawkwind, Johnny Winter, Volker Kriegel, Alexis Korner. Bin selbst Musiker geworden, ohne das to Act hätten mir einige wichtige Inputs gefehlt.“

(Rainer Berneth,  To Act-Insider)

 

 

The gardener plants an evergreen / Whilst trampling on a flower / I chase the wind of a prism ship / To taste the sweet and sour“. Irgendwann, ganz sicher, ist mir auf einer Party, als es noch keine sozial-liberale Koalition gab und „Der Kommissar“ mit dem Stoiker Erik Ode zu den Innovationen des Zweiten Deutschen Fernsehens zählte, die erste King Crimson-Platte mit dem berühmten Cover der verhutzelten   Famtasiegestalt in die Hände gefallen, und wir staunten nicht schlecht, als wir den wilden rhythmischen Verwirbelungen des „21st Century Schizoid Man“ folgten. Unerhörter Stoff.

 

Neben den karmesinroten Unheimlichkeiten, die sich auf dem Album bemerkbar machten, zogen auch diverse, mellotrongetränkte, Sehnsüchte ihre einsamen Bahnen. Und so  wurden diverse King Crimson-Alben Begleiter durch meine Jahre als Teenager und Twen. Seit einiger Zeit ist die Musik von Herrn Fripp und seinen Kollaborateuren Gast in meiner „elektrischen Höhle“, vorzugsweise in den Surround-Mischungen von Steven Wilson, die mich eher nicht in sog. gute alte Zeiten transportieren, vielmehr immer neu aufleuchtende Winkel freilegen.

 

Und so begab ich mich in den letzten Wochen auf eine Zeitreise in die Jahre von Fripp, dem Solisten: zwischen 1977 und 1983, spielte er solo seine Frippertronics, erholte sich von der ersten langen Regentschaft von King Crimson, übte den „lateralen Drift“ frei nach Robert Pirsigs „Zen oder die Kunst, ein Motorrad zu warten“, brachte diverse Musikproduktionen auf den Weg, widmete sich (etwas früher noch, zwischen 1974 und 1977), und sehr „diszipliniert“ (ein Schlüsselwort seines Credos), einer von Gurdjieff-Nachfahren befeuerten Schule der Spiritualität, und pflegte seine Freundschaft zu dem bekennenden Atheisten Brian Eno, den er stets „Captain“ nannte.

 

Wie das Leben eben so spielt, zwischen frühen Jahren des Ruhmes, dem heimischen Dorset und dem fernen Manhattan, und stets begleitet von einem mindestens grenzwertigen Hang zur Perfektion! Von all dem handelt meine „Besprechung“ der neuen und, gelinde gesagt, opulenten Robert Fripp-Box, „Exposures“. Angefüllt mit Erinnerungen, Umschreibungen, Fantasien, Tatsachen, Empfindungen, Beiläufigkeiten. Alles endet auf dem Nürnberger Zeppelinfeld, auf welchem die neu formierte Ausgabe von King Crimson (mit Adran Belew, Bill Bruford, und Tony Levin) am 5. September 1982 aufspielte. Und aus allerlei Gründen kann ich mich an jenen heissen Spätsommertag besser erinnern als Mr. Fripp. Um es mal so zu umschreiben: ich war als Gärtner unterwegs und pflanzte einen Evergreen, und während ich auf einer Blume herumtrampelte, jagte ich ein Prismenschiff, um das Süsse und das Saure zu verkosten. Damals, die Bilder hinter den Bildern, sie verschwanden nicht. Auch später nicht.

 

Nennen wir diese Box eine Schatzkiste!  „Robert Fripp: Exposures – Studio, Live 1977-1983“. 25 CDs, 3 DVDs, 4 Blurays. Viele Memorabilia, ein 38-seitiges Booklet, etliche Tickets und Faksimiles. Wo soll man da ein-, wo auftauchen? Alle Platten aus jenen Jahren habe  ich mir seinerzeit gekauft, und sie bilden, neben zahllosen Abschweifungen voller Frippertronics, Live-Auftritte und Studiosessions, ein Kernelement von „Exposures“.  Musik, die sich nicht mit gelebtem Leben verbindet, ist sowieso zum Vergessen. There is no replacement for fire, schrieb der Architektur-Philosoph Christopher Alexander in seinem Buch „A Pattern Language“ über die besondere Magie von Kaminen im Wohnzimmer. Für das Hören von Musik gibt es auch keinen Ersatz.

 

1981, als das einzige pure „Frippertronics“-Album der frühen Jahre rauskam, erntete es gemischte Reaktionen, aber der „down beat“ vergab fünf Sterne, einen klugen Text, und bei mir landete „Let The Power Fall“ gewiss auf den vordersten Plätzen meines damaligen Jahresrückblicks – und 1981 war ein schwergewichtiges Jahr für richtig gute Platten. Ich liebte die Schallplatte, legte sie gerne nach der Arbeit in der Fachklinik Furth i. W. auf meinen Dreher, und, gemäss dem Aufruf des Titels, liess ich all meine „power“ fallen. Es war wie eine Reinigung der Sinneskanäle, und ich tendiere nicht zu Feng-Shui und esoterischem Small Talk. „Wenn Robert Gitarre spielt, klingt das, als würde das Universum weinen.“ Der Satz stammt nicht von mir, das sagte Daryl Hall. Wer das Album nicht mag, spricht von grossem Gebrumm und endlos repetitiven Tonschleifen zweier präparierter Revox A-Tonbandmaschinen, zu denen sich Fripps Gitarrenimprovisationen mischten. Wer die Musik nicht mochte, erlebte sie als harte Kost, mathematisch, kalt, unheimlich, schockierend, langweilig ohne Ende. Die Gegenseite empfand die sechs Stücke, die nachfolgende Jahreszahlen zum Titel erklärten, also auch „1984“ mit seinen Orwell‘schen Anklängen, als unheimlich, umfassend, dunkel, hinreissend, meditativ. Tja, Sie wissen schon, die Sache mit dem Auge des Betrachters, und dem Ohr des Hörers. Nun erscheint „Let The Power Fall“ endlich wieder als Schallplatte. Ich liebte die Klangqualität, den Sound, und der Sound war die Musik.

 

Ich träume schon länger davon, „Let The Power Fall“ – hochauflösend – und in Surround zu erleben, und dieses „Box Set“ liefert dazu den ultimativen Stoff – der Stereo-Mix die pure Freude, die Abmischung für Surround „frippertronics for the heavens“. Mit vielen Extras: Basisloops des Albums, Live-Konzerte, nicht verwendete Kompositionen.  Akustische Archäologie solcher Art mag nicht jedermanns Hobby sein, aber das Material ist gehaltvoll. Dokumentarfilmer können hier in über dreissig Stunden „Solo-Mediationen“ fündig werden. „A long weekend with Frippertronics“ – wer ein Wochenend-Retreat plant, braucht sich über verwandelte Bewusstseinszustände nicht mehr über Gebühr kümmern.

 

Es gibt in dem grossen Beiheft der Schatzkiste ein witziges Foto: Robert Fripp im heimischen Dorset, in einer Art „Umerziehungslager“ bei der Gartenarbeit. Der junge Mann hatte bereits kleine und grosse Rockgeschichte geschrieben, mit zwei Fripp & Eno-Alben (die damals nicht gerade als Klassiker erkannt wurden, selbst der geschätzte Manfred Sack (Die Zeit) empfand die Musik des Duos als tendenziell zugedröhnt und wenig berauschend), darüber hinaus und vor allem mit King Crimson und diversen Erkundungen am Hof des kamesinroten Königs – aber King Crimson hatten sich vorerst in die Historie, Abteilung Mottenkiste, verabschiedet. Die englische Presse liess kein gutes Haar an den Überkomplexitäten des „Progressiven Rock“ – das preisende Etikett wurde zum Schimpfwort, und der Punk als Stunde Null einer neuen aufregenden Kultur gefeiert.

 

Robert gestaltete seinen Nullpunkt anders und zog sich in ein „spirituelles Zentrum“ im englischen Hinterland zurück, „Guru“ inklusive, um auf den Spuren der Lehren des Mystikers Gurdjieff eine neue „Verortung“ seines Selbst vorzunehmen, Meditation, Gartenarbeit, Stille. Nebenbei – Gurdjeff hatte ja auch ein Händchen für Musik, war ein Globetrotter und Sammler fast verschollener Lieder und unerhörter Töne. Keith Jarrett zauberte einst aus alten Transkriptionen  die entrückten Solo-Piano-Meditationen von „Sacred Hymns“ (ECM) – hören Sie sich die Schallplatte mal an, und hinterher  Fripps Soloexkursionen von „Let The Power Fall“. Zum Versinken. Dass das Elektronische und das Akustische zwei Welten sind, wird kurzerhand als absurd entlarvt.

 

Und alsbald verschlägt es ihn, im Jahre der Dame 1977, nach New York, und  er gerät in eine kulturelle Szene, die er, rückblickend, als immensen „power spot“ erlebt, so überbordend wie der wilde Teil der „Sixties“ im Mutterland der Popmusik. Er reaktiviert die Revox-Tonbandmaschinen, und, die wandlungsfreudigen Gitarren-Loops der „Frippertronics“ wurden seine spezielle Art der „Selbstversenkung“ (meditationstechnisch wird das alte Ego natürlich nicht wirklich „versenkt“, es befreit sich lediglich, wenn es gut läuft, von eingeschliffenen „patterns“).

 

Mit einem guten Vorrat an neuer Energie ausgestattet, reihen sich in den Jahren zwischen zwei „King Crimson-Inkarnationen“ Abenteuer an Abenteuer  – und genau davon handelt „Exposures“. Weihnachten 77 verbringt Fripp zum ersten Mal fern der alten Heimat, und ein anderer New York-Umsiedler bringt die Glöckchen für den Weihnachtsbaum mit, Brian Eno. Die beiden Pop-Intellektuellen mit einem Faible für „(wild card) collaborations“ und einem geschätzten IQ von 300 (addiert, wir wollen ja nicht übertreiben) mischen die Karten neu.

 

Eno produziert, mit seinen „Oblique Strategies“ zur Hand, drei grandiose Talking Heads-Alben. Nachts schaut er aus seinem Dachgeschossfenster und entwickelt „Mistaken Memories Of Mediaeval Manhattan“. Fripp rockt die Bühne mit Blondie und gibt sein erstes Frippertronics-Konzert in „The Kitchen“. (Das kann man sich auf „Exposures“ anhören, das alte Bootleg verströmt, bestens restauriert, einen frischen dunklen Glanz.) Fripp gibt Greg Lake von Emerson, Lake & Palmer spät abends in einem Taxi einen Korb, der ihn überreden will, „King Crimson 69“ zu reformieren. No way!

 

Auch seine „Persona“ erfährt eine dezente Wandlung, vom gelockten Kruselhaar zum Typ mit Nadelstreifenanzug. Einen kleinen Kulturschock gibt es für manche Leser des Londoner Magazins „Melody Maker“, als dort auf einmal Deborah Harry aka „Blondie“ und Robert Fripp posieren – der extrem cool und etwas finster dreinblickende Brite ist, neben Mrs. Harry, vorgesehen für die Rolle des Privatdetektivs in einer Neuverfilmung von „Alphaville“.

 

Die Vergangenheit ist ein Pendel, das in die Zukunft ausschlägt. „It is impossible to reach the aim without suffering“ (Oton von Fripps altem Guru J. G. Bennett, der es, natürlich geloopt, auf die verzweigten wie verwegenen Songs von Robert Fripps „Exposure“ schafft.) Im Jahr der Dame 1998 nimmt die Musikzeitschrift „The Wire“ das Soloalbum des Gentleman aus Dorset in ihre Reihe auf:  „100 Records That Set The World On Fire“.

 

„Exposure“ ist langlebig. Ich vergleiche das Hören von 1979, 1980, 1981, in Würzburg, dann in einem Dorf im Nirgendwo, mit der „remasterten“ Begegnung, nach so langer Zeit. Ich bin sofort „drin“. Der flow-Faktor 10. Es gelingt ein Zusammenfall klanglicher Polaritäten. „…One of those records that set the world on fire“, diese Übertreibung ist nicht nötig. Aber was sonst der „Wire“ schreibt, im Rückblick, macht Sinn: das im April 1979 erschienene erste Soloalbum von Robert Fripp, sei klipp und klar „the Sgt. Pepper of Avant Punk“. Wie bei „Pepper“,  ausser Intro und Outro, gleicht kein Stück dem andern. Kurz vor Erscheinen war Fripp unsicher, ob „Exposure“ überhaupt „relevant“ sei – dieses kunterbunte, kuntergraue Gemisch – gerade hier kommt das Besondere zum Vorschein, in harten Schnitten, „audio verité“, Apokalypse, Alltag, Hymne, Rohheit.

 

Die Szene betritt: Peter Hammill, in wallendem Flanellmantel, links das Rauchwerk in der Tasche, rechts sein Brandy zum Auflockern: flüchtig studiert er Song und Text, und legt eine derartige entfesselte Gesangsimprovisation vor, dass Fripp ihn  „co-composer“ nennt. Und dann zweiter Auftritt: Peter mit Terry Roche, Auge in Auge, hinter Glas.

 

Die Szene betritt: Daryl Hall. Und gleich sein Abgang hinterher. Seit Fripp dessen „Sacred Hymns“ produzierte (wurde erst mal auf Eis gelegt), wittern die Labelbosse von Hall & Oates kommerziellem Selbstmord. In der einen Version fast sowas  wie Leadsänger mit fünf Auftritten, werden seine „guest vocals“ auf zwei limitiert. Erst viel später werden die Rechte freigegeben, für die Albumversion mit „viel“ Daryl Hall (so ein falsches Theater um die Vocals – kein Wunder, das Fripp sich zunehmend unabhängiger machte vom „big business“ und, nach diversen Gerichtsveranstaltungen, und immensen Prozesskosten, „Discipline Global Mobile“ ins Leben rief).

 

Die Szene betritt: Brian Eno. „Indiskretionen“ zur Musik, kleine schräge Einwürfe, Humor haben die Zwei. Mit all den found voices ensteht allmählich ein  fulminantes „Theater der Stimmen“, zum Ende Peter Gabriels „Here Comes The Flood“, eine end-of-times-Vision, eine langsame Auflösung ins Nichts, die einzige Aufnahme des Trios Fripp-Gabriel-Eno. Der „Flickenteppich“ von „Exposure“ enthüllt seine Textur, das Richtungslose seine perfekte Gestalt.

 

Und, in aller Ruhe, noch einmal, ganz langsam, im Zeitalter des Loops: Der „Flickenteppich“ von „Exposure“ enthüllt, mit der Zeit, seine  ausgefeilte Textur, das Richtungslose eine nahezu perfekte Gestalt. Und langsam sollte es klar werden: Fripps Musik der New Yorker Jahre ist ein Bruch mit den Mythen und Göttern, die am Hof es Kamesinroten Königs rumschwirrten, aber sie ist kein Bruch mit der eigenen Klangsprache. Das Wurzelwerk erweitert sich einfach. Lateraler Drift.

 

Nach dem Erscheinen von „Exposure“, diesem fragmentierten Song-, Stimmen- und Stimmungsalbum, wäre es normalerweise an der Zeit gewesen, damit auf Reisen zu gehen. Stattdessen setzt Fripp seine intimen Solodarbietungen mit den Frippertronics fort, die Reisekosten sind gering, die Gerätschaften anfällig (die Revox-Maschinen haben ihre Tücken, einmal gerät eine in Brand), und manche Kunden und Zuhörer wundern sich, warum es diesen einstigen Hero einer Superband in Pizzerien, Büchereien, Kaffeehäuser, Schallplattenläden und Kirchenhöfe treibt.

 

Er liebt den direkten Kontakt mit den Menschen (wenn sie nicht gerade Harcore-Fans der guten alten Zeit sind, und Poseidon, Druiden und den Maskenspielen des Königs nachstellen), was man bei seinen oft hyperintellektuell wirkenden Diskursen nicht unbedingt vermutet. Es ist auch ein Spiel mit der Enttäuschung von Erwartungen: kann man sich auf dieses vermeintlich karge Szenario seiner Improvisationen einlassen, das so wenig mit Rock oder Roll zu tun hat, und so viel mit weiten Räumen?!

 

Bald erscheint ein Album, mit einem seltsamen Doppeltitel (nicht eingängig), einer Seite „Frippertronics“ (nicht eingängig) und einer Seite „Discotronics“ (auch nicht eingängig). Widerständige „soundscapes“ (ein einst modernes Wort dafür), von Fripp absichtsvoll in keiner Weise geschliffen. Die Lust an den Eingebungen des Augenblicks, das Skizzenhafte von „Exposure“  – es  setzt sich fort in der provokativen Unmittelbarkeit von Meditation und Tanz.

 

Die drei Frippertronics-Stücke des Albums „God Save The Queen / Under yheavy Manners“ sind alles andere als Repetitionen des Immergleichen,  die beiden Groovenummern entkommen der „Disco“ und landen (mit unendlichem Abstand, im Jahre 2022 darf man diese Behauptung anstellen) in jener Art des Zeitlosen, in der das Hören nicht historisierend ist, nicht akademisch, nicht erinnerungstaumelnd – und weitaus mehr Meditationsort, Untergrundhöhle, Niemandszone.

 

Und so machtvoll wie die drei Solostücke diverse Schalter unseres Wahrnehumgsapparates umlegen (können), so sehr bringen die dezent überdrehten Vokalismen von David Byrne und die Bass-Schlagwerk-Stimulationen der „Discotronics“ eine andere Art von Tanzmusik ins Spiel, eine, die auch im Sitzen funktioniert. Zudem präsentiert der Abräumer „Zero Of The Dignified“ eine der verwegendsten, zum Finale hin (nach diversen inneren wows und ahhs) noch  sprachloser machenden, Gitarrensoli seiner Laufbahn. Aus der Abteilung Asche, Glut, und Feuer. In Surround pures Surrender, in Stereo  audiophil.

 

Im Mai 1980 lebte ich eine Zeitlang in den Gedichten von Jürgen Becker, und hätte der Meisterlyriker nur Edwin und mich am 22. Mai nach Weißenohe begleitet, in die Fränkische Schweiz, hätte gewiss ein einziges Gedicht gereicht, diesen Ort im Jahrbuch der Lyrik unsterblich zu machen.

 

Jürgen Becker erzählte mir die Dinge aus dem Alltag der BRD, unverbraucht von Bildungsdeutsch. Wie eine Vaterfigur, der einen Kosmos-Baukasten der Lyrik öffnet. So erfuhr ich auch, wie der alte Krieg sich immer noch einnistete an den Randzonen des Bewusstseins, in altem Geld und Finsterkatholizismus. Manchmal war das eine Art Geschichtsunterricht, der den Blick klärte und leerräumte, in reine Gegenwart vewandelte. Wie der Sound der Rillen beim Auflegen einer ECM-Platte, in den frühen Zeiten, vor dem ersten Ton. Kein Jahr, ohne Ralph Towners „Diary“ aufzulegen!

 

In den Wochen vor dem Fripp-Konzert in Weißenohe blockierten (soweit ich mich erinnere) zwei Platten abwechselnd meinen Dreher: Linton Kwesi Johnsons „Bass Culture“, und Robert Fripps „Fripper“- und „Discotronics“ von „God Save The Queen / Under Heavy Manners“. Ich hatte unlängst beim Magus der Verhaltenstherapie das  Thema für meine Diplomarbeit durchgesetzt, „Funktionen der Sprache, dargestellt an Konzepten der Kognitiven Verhaltenstherapie“, mein Psychologiestudium neigte sich dem Ende entgegen.

 

Meine Verlobung war Geschichte, die schönste Frau Gelsenkirchens trieb sich zu meinem Leidwesen an einem Golfplatz in Nova Scotia herum (Teil meiner Trauerarbeit war das  Hören von „Darkness at The Edge of Town“), und das erste Mädel, das ich nach der  Trennung aus der Halbdistanz ihres Arbeitsplatzes in einer Apotheke (zumindest ein wenig) anhimmelte, wurde von einem Auto überfahren. Obwohl Edwin und ich schon Jahre lang in Würzburg lebten, erfuhren wir erst jetzt von diesem Powerspot für neue Klänge: Punk, Art-Rock, Reggae, Experimente, underground, Vorhang auf für einen ehemaligen Pferdestall, und einen Bahnhof, der nur mühselig aus dem Norden Nürnbergs mittels Bummelzug zu erreichen war. Ich hätte hier Stammgast sein müssen seit 1975. Verschüttete Milch.

 

Wir kamen mit meinem VW 1303 herangerauscht, und hinter Wiesen, Kirchtürmen und anderen Requisiten einer stehengebliebenen Zeit,  landeten wir beim „To Act“. Als erstes fiel mir ein Graffiti ins Auge, das ich eher in Earl‘s Court an einer Metro-Wand vermutet hätte: „Tom Verlaine Superstar“.

 

Erst vor Wochen war hier Ari Up beim Reggae-Schuhplattler ertappt worden, während die beiden anderen von den Slits Gitarre und Bass probten. In dieser Parallelwelt gab es Volkswandertage, ein „traditionelles Schlachtfest“, und den Einbruch der Avantgarde in die Provinz. Dass die Slits und die Pop Group hier auftraten, war für Insider der Normalfall in Weißenohe, um uns herum parkte eine muntere Wagenkolonne aus München, Regensburg, Kaiserslautern, Nürnberg, Hof und Stuttgart.

 

Wir waren im Hinterland angekommen,und vom Hinterland fühlte ich mich von früh an angezogen. Gerne hohe Wellen, gerne wildes Grau, gerne grüne Wiesen, Auen, Almen. Der Name der Sehnsucht hatte vorzugsweise einem weiblichen Vornamen. Die  Brünette, die ich an einem Bach, nah des Dorfes, um einen Kuss bat, frech wie ich war, und die retournierte: „Macht ihr Landeier das so?“ „Ich bin kein Landei. Ich bin der letzte Romantiker  des Internationalen Studentenhauses zu Würzburg.“ „Guter Versuch, Schätzchen.“ Netter Korb. Hippie baggert Punk an – „es wird böse enden“.  Edwin und ich gingen nach zwei Gläsern Bier in einem zünftigen Wirtshaus in den Club, und es gab dort eines dieser Konzerte, das ich nie vergessen würde: „Robert Fripp & The League of Gentlemen.“

 

Ich weiss gar nicht mehr, sassen wir in der alten Scheune auf Stühlen, oder standen dicht gedrängt? Dem Punk, der Lisa hiess, warf ich eine Kusshand zu, und sie rollte mit den Augen und lachte. Der erste Ruf aus dem Publikum, Fripp möge sich erheben. Fripp entgegnete: „I have to sit. I‘m only a limited guitar player.“ Es wurde gelacht. Aber tanzten wir? Schliesslich wurde das Quartett mit den  eide  „Toobads“ (Sara Lee, klassisches Training, Bass), Johnny Toobad (Schlagzeug), Barry Andrews (keyboards) und Fripp (Gibson, Synthi) als „second wave dance band, with an emphasis on spirit rather than competence“ (OTON Fripp) umschrieben.

 

Da das Album erst Ende 1980 rauskommen sollte, hatten wir keine Idee, was uns erwartete in Weißenohe. Nun: eines  von 77 Konzerten dieser kurzlebigen Formation, und auf der Rückseite der LP sollten all diese Orte und Nächte vermerkt werden. So roh und pink wie das Cover war auch diese deep rockende Veranstaltung: ein dichter, rein instrumentaler, repetitiv durchgegroovter „Art Punk Rock“, so herrlich dirty, dann wieder feingeschliffen, pirouttendrehend, von klarer, Fripp’scher Handschrift konzipiert. Wir lauschten gebannt. Man konnte nicht nicht hinhören – die Musik bewegte sich auf einem immens hohen Energielevel, den Joint reichte ich ungeraucht weiter. Eine Liga der Gentlemen mit einer Frau, das hatte was. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft, schön laut, Disc 17 der Exposures Box, der Auftritt im Paradise Club in Boston vom 26. Juni 1980. Es fiepst und zischt.

 

Und wie es halt so Geschichte ist in den Gruppen von und mit Fripp – es geht es nicht ohne gruppendynamischen Stress ab. Fripp, der Eigensinnige, Fripp, der Disziplinfanatiker, Fripp, der Sarkast, Fripp, der Humorist, dessen Humor nicht jeder versteht. Mr. Toobad hatte eine Neigung zu Heroin, und reiste einmal vom europäischen Festland nach London und zurück, um sich den Stoff seines Vertrauens zu  besorgen – er wurde bald gefeuert und durch den talentierten Kevin Wilkinson ersetzt. Barry Andrews fühlte sich zeitweise wie in einem „Gurdjieff‘schen Sozialexperiment“, und Sara Lee behielt Lust und Nerven, immer, und sorgte mit ihrem Spiel für gute Erdung und grossen Anklang – die B52‘s nahmen sie alsbald mit Kusshand.

 

Dieses Quartett hatte auch einen Beat-Combo-Sound der frühen Sechziger, das liess sich nicht auf Punk und New Wave runterbrechen. All diese rauchgeschwängerten kleinen Clubs am Rande der grossen Städte und des Hinterlandes, die dieses Quartett beherbergten – da waren sie in ihrem Element, fraglos.

 

Der Surround-Mix zieht mich ins Zentrum der  Musik, die für mich damals wie heute etwas von dem Rumstreunen auf einer riesigen Kirmes meiner Kindheit in Dortmund-Hombruch hat: an jeder Ecke wird die Aufmerksamkeit eingefangen, beim Autoscooter, bei der Geisterbahn, bei der Zuckerwatte, bei jedem Geplärre aus einem Transistor, bei all den Kindergesichtern. Reines Staunen, schöner Krach, Twists und Turns. Für jede mögliche Zukunft von damals ein verrückter Sound im Hier und Jetzt. (Und mit diesem letzten Satz will  ich nur der guten alte Tante „Retrofuturismus“ aus dem Weg gehen.)

 


September 82.

We were lying on the grass, the heat was on,
the lightnin in the sky, Like A Hurricane,
Nils Lofgren was still so young. As  were you and me.
We were bloody everything, our faces east, our feet dancing,
Robert, Tony, Adrian, Bill. And they naturally played
Heartbeat – at  that moment,  night included,
eternity, too (the one in decay mode), the gloom of the moon
on your nakedness , in that odd old town hotel,
windows to the heavens,  i can still feel    
your heartbeat (in the song), and though everything
was loss later, pictures running on empty,
in circles through my mind, it doesn‘t matter.

2022 20 Apr

Pinhas & Fripp (Divertimento)

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We take it for granted today, but not too long ago, integrating electronics into a rock setting was something exotic and strange. Before Kraftwerk, and certainly ages before all manner of modern digitally powered pop, hip-hop and experimental music, the only people interested enough in electronics to apply them in anything approaching rock were mad-scientists like Raymond Scott, Bruce Haack and David Vorhaus. These people were as much engineers as they were musicians, and history has granted them more technological props than musical ones. However, as the futuristic daydreams of the 50s and 60s graduated into the wide-eyed discovery by thousands of young, fearless kids in the 70s, the ideal of electronic interaction with guitars and drums seemed less an abstract, distant concept than a viable alternate reality. One of the earliest bands to exploit this marriage to its fullest potential was the French outfit Heldon, led by guitarist Richard Pinhas.“

(Dominique Leone, Pitchfork, opening passage of a review of Heldon‘s „Interface“)

 

Als der französische Gitarrist und Philosoph Richard Pinhas Fripp & Eno 1975 in Paris erlebte (dieses Konzert ist lang schon erhältlich), war es um ihn geschehn, und es begann auch eine lebenslange Freundschaft mit Mr. Fripp. (Richard Pinhas’s alte Alben werden seit Jahren bei Bureau b betreut, betreutes Proggen sozusagen. Zum Beispiel das furiose Album „Interface“.) Über die Jahrzehnte erlebte Monsieur Pinhas sämtliche Formationen von King Crimson live. Die beiden Alben, die er am meisten mag, sind „Larks‘ Tongues In Aspic“ und „Red“.

 

 

 

 

„Bei einer Tournee bat Robert die Leute seines Managements bei uns unterzubringen, so dass meine Frau Agneta und ich unser eigenes Zimmer hatten. Die Engländer haben einen seltsamen Sinn für Humor, wissen Sie. Einmal sagte er ganz unverblümt: „Weisst du was, das langweilt mich alles. Warum ersetzt du mich nicht bei King Crimson?“ Ich habe nichts gesagt, aber Agneta später gefragt, ob sie glaube, dass er einen Scherz gemacht habe. Ich glaube schon, und auf jeden Fall habe ich eine Art zu spielen, die sehr schmutzig ist. Robert ist sehr sauber. Was ich mache, ist eine andere Sache, mit Synthesizern, also könnte ich ihn sowieso nie ersetzen. Was meine Formation Heldon macht, ist Rock ’n‘ Roll.“

 

Nun, die nächste Box-Edition von  Fripp  Enterprises  Inc. wird ihren Weg zu Richard Pinhas und mir finden, und wir werden uns einen Ast abfreuen und eine ziemlich trippige Zeit haben mit dieser Schatzkiste, die aus meiner Sicht wirklich eine Schatzkiste ist. Martina weiss einzelne der Juwelen der Jahre 1977 bis 81 sehr zu schätzen, wie den Frippertronics-Meilenstein „Let The Power Fall“. Die Box dokumentiert, real überdimensional, die Schaffensjahre nach dem Ende der „Red“-Formation bis hin zur „League of Gentlemen“. Letztere erlebte ich live in einer Scheune in der Fränkischen Schweiz im Jahre des Herrn 1981. High without drugs! EXPOSURES ist der Hammer auf die 12 und meine reissue of 2022. Ende Mai ist es soweit. 

Es war eine Zeit, in der die Kakteen interessante Schatten warfen in der leergeräumten Wohnung. Sie hatte gerade so viel mitgenommen, dass der Begriff Leere eine neue Bedeutung in meinem Leben bekam. Die erste Frau, die danach über eine Nacht blieb, hiess Julia und erzählte von ihrem Freund, einem Jazzdrummer, der eine hypochondrische Angst hatte, sein Augenlicht zu verlieren, weil seltsame Glaskörper durch seine Pupillen schwammen. Am Morgen nach der einzigen Nacht mit Julia klingelte der Postbote einmal, und ich lief voller Erwartung zur Tür, erwartete ich doch Post aus Unterlüß, und da war es, das neue Album von Brian Eno, “Music For Films”.

In den folgenden Jahren, das heisst, bis heute, hörte ich es vielleicht eintausendzweihundertdreiundreissig mal; eine Werbung von Polydor in der “Sounds” hatte die Langspielplatte beworben mit der Überschrift “Der Mann im Hintergrund”. Ich legte die Musik auf, und die Leere in meiner Wohnung im 7. Stock gewann eine weitere, diesmal betörende Qualität hinzu. Julia mochte die Musik auch und verliess meine Wohnung und mein Leben.

In der Zeit fuhr ich mit einem Freund öfter ins “Act” nach Weissenohe (oder so ähnlich), das war ein Wallfahrtsort mitten in der Fränkischen Schweiz, wo mal en passant Ultravox spielten, Kevin Coyne oder Robert Fripp´s The League of Gentlemen. Fripp liess ich mir nicht entgehen. Auf dem Hinweg zu der umgebauten Scheune im Hinterland hörten wir einen Meilenstein, von dem Easy Ed und ich damals schon wussten, dass es ein Meilenstein werden würde, “Colossal Youth” von den Young Marble Giants.

Robert Fripp war gut gelaunt, und seine Wave-Kapelle rockte den alten Kuhstall. Als ein Hörer Robert Fripp bat, doch etwas aus sich herauszugehen und den Schemel zu verlassen, auf dem er sass, entgegnete Fripp: – I have to sit. I´m only a limited guitar player. Süße Duftschwaden füllten den Raum, nicht lange danach machte die Polizei diesen dezenten Drogenumschlagplatz dicht.

 
 
 

 
 
 

1982 sah ich Herrn Fripp wieder, diesmal in dem alten Nürnberger Stadion, mit 30.000 Festivalbesuchern an meiner Seite, mit Anna und an einem verdammt heissen Sommertag. Mein kleines Woodstock. Anna, meine Geliebte, hatte Lust, das Wochenende in einen französischen Film zu verwandeln. Wir hörten Fripps revitalisierte Ausgabe von King Crimson, mit Adrian Belew, Tony Levin und Bill Bruford. “Discipline” war kurz zuvor erschienen. Obwohl der Fripp-Faktor auf dem Album hoch war, brachte Belew auch etwas vom fiebrigen Geist der Talking Heads ins Spiel.

Anna lieferte spät abends, in Nürnberg City, nach Neil Young und seinem Exorzismus namens “Cortez the Killer”, tatsächlich eine großartige Darbietung ab, eine femme fatale wie einem Pariser Kinostreifen von Jean Pierre Eustache entsprungen, in dem dann doch mal mehr gevögelt als geredet wurde. Der Blick von unserm Hotelfenster ging auf den Rathausplatz.

Der Blick war weniger Paris und mehr Rüdiger Vogler in dem Wenders-Film, in dem der gelockte Hippie auf die Altstadt von Husum schaute und die Troggs auf seinem Plattenspieler liefen. Als wir am nächsten Mittag aufbrachen, lief im Auto wieder, ich weiss es noch genau, “Colossal Youth” von den “Young Marble Giants”. Weil Benzin unbemerkt aus dem Tank lief, schleuderte mein Auto in einer Kurve im Uhrzeigersinn. Drei Monate später waren wir  Erinnerungen. Die Landkarte, auf der wir in den Bergen der Oberpfalz unsere Liebesnester markierten, sah aus wie eine Schatzkarte. Einmal liebten wir uns auf einem Ameisenhaufen, aber sie fickte so gut, dass ich das Brennen an den Beinen ignorierte.  These were the days.

Im letzten Jahr traf ich Alison Statton, die Stimme der Young Marble Giants, in Köln. Wir unterhielten uns blendend, zum ersten Mal seit Jahren schmeckte mir Whisky, und sie zeigte mir eine gute Übung für den Rücken nach langen Autofahrten. Mittlerweile arbeitet sie als Physiotherapeutin in Wales. Als sie damals an ihrem Album arbeiteten, hörten sie, wenn sie nicht gerade im Studio waren, von morgens bis abends, „Another Green World“. Da musste ich schmunzeln, und erzählte, Monate später, Brian Eno und Karl Hyde, diese Episode. Kreise schlossen sich.

 

Es war eine Zeit, in der die Kakteen interessante Schatten warfen in der leergeräumten Wohnung. Sie hatte gerade so viel mitgenommen, dass der Begriff Leere eine neue Bedeutung in meinem Leben bekam. Die erste Frau, die danach über eine Nacht blieb, hiess Julia und erzählte von ihrem Freund, einem Jazzdrummer, der eine hypochondrische Angst hatte, sein Augenlicht zu verlieren, weil seltsame Glaskörper durch seine Pupillen schwammen. Am Morgen nach der einzigen Nacht mit Julia klingelte der Postbote einmal, und ich lief voller Erwartung zur Tür, erwartete ich doch Post aus Unterlüß, und da war es, das neue Album von Brian Eno, “Music For Films”. In den folgenden Jahren, das heisst, bis heute, hörte ich es vielleicht eintausendzweihundertdreiundreissig mal; eine Werbung von Polydor in der “Sounds” hatte die Langspielplatte beworben mit der Überschrift “Der Mann im Hintergrund”. Ich legte die Musik auf, und die Leere in meiner Wohnung im 7. Stock gewann eine weitere, diesmal betörende Qualität hinzu. Julia mochte die Musik auch und verliess meine Wohnung und mein Leben.

In der Zeit fuhr ich mit einem Freund öfter ins “Act” nach Weissenohe (oder so ähnlich), das war ein Wallfahrtsort mitten in der Fränkischen Schweiz, wo mal en passant Ultravox spielten, Kevin Coyne oder Robert Fripp´s The League of Gentlemen. Fripp liess ich mir nicht entgehen. Auf dem Hinweg zu der umgebauten Scheune im Hinterland hörten wir einen Meilenstein, von dem Easy Ed und ich damals schon wussten, dass es ein Meilenstein werden würde, “Colossal Youth” von den Young Marble Giants. Robert Fripp war gut gelaunt, und seine Wave-Kapelle rockte den alten Kuhstall. Als ein Hörer Robert Fripp bat, doch etwas aus sich herauszugehen und den Schemel zu verlassen, auf dem er sass, entgegnete Fripp: – I have to sit. I´m only a limited guitar player. Süße Duftschwaden füllten den Raum, nicht lange danach machte die Polizei diesen dezenten Drogenumschlagplatz dicht.

1982 sah ich Herrn Fripp wieder, diesmal in dem alten Nürnberger Stadion, mit 30.000 Festivalbesuchern an meiner Seite, mit Anna und an einem verdammt heissen Sommertag. Mein kleines Woodstock. Anna, meine Geliebte, hatte Lust, das Wochenende in einen französischen Film zu verwandeln. Wir hörten Fripps revitalisierte Ausgabe von King Crimson, mit Adrian Belew, Tony Levin und Bill Bruford. “Discipline” war kurz zuvor erschienen. Diese heisse Scheibe, liebe Zeitreisende, ist vor zwei Jahren in einer exzellenten Edition neu aufgelegt worden, incl. Videos von damals und einem tollen 5:1-Mix. Obwohl der Fripp-Faktor auf dem Album hoch war, brachte Belew auch etwas vom fiebrigen Geist der Talking Heads ins Spiel. Anna lieferte spät abends, in Nürnberg City, nach Neil Young und seinem Exorzismus namens “Cortez the Killer”, tatsächlich eine großartige Darbietung ab, eine femme fatale wie einem Pariser Kinostreifen von Jean Pierre Eustache entsprungen, in dem dann doch mal mehr gevögelt als geredet wurde. Der Blick von unserm Hotelfenster ging auf den Rathausplatz. Der Blick war weniger Paris und mehr Rüdiger Vogler in dem Wenders-Film, in dem der gelockte Hippie auf die Altstadt von Husum schaute und die Troggs auf seinem Plattenspieler liefen. Als wir am nächsten Mittag aufbrachen, lief im Auto wieder, ich weiss es noch genau, “Colossal Youth” von den “Young Marble Giants”. Weil Benzin unbemerkt aus dem Tank lief, schleuderte mein Auto in einer Kurve im Uhrzeigersinn. Drei Monate später waren wir Geschichte. These were the days.

 

Erinnerungen sind gerne trügerisch in Details, und in anderen, noch flüchtigeren Fundstücken einer fernen Zeit, extrem genau.“ (Ergänzung: auf keinen Fall sollte dieser Text von jemandem gelesen werden, dem er bekannt vorkommt.) 

 

1978 war eine Zeit, in der Kakteen interessante Schatten warfen in meiner leergeräumten Wohnung. Sie hatte gerade so viel mitgenommen, dass der Begriff Leere eine neue Bedeutung in meinem Leben bekam. Die erste Frau, die danach über Nacht blieb, hiess Julia und erzählte von ihrem Freund, einem Jazzdrummer, der Angst hatte, sein Augenlicht zu verlieren, weil seltsame Glaskörper durch seine Pupillen schwammen. Am Morgen nach der einzigen Nacht mit Julia klingelte der Postbote einmal, und ich mahm das neue Album von Brian Eno in Empfang, „Music For Films“. Eine Anzeige von Polydor in der „Sounds“ hatte die Langspielplatte beworben mit der Überschrift „Der Mann im Hintergrund“. Ich legte die Musik auf, und die Leere in meiner Wohnung im 7. Stock gewann eine betörende Qualität. Julia mochte die Musik auch und verliess meine Wohnung und mein Leben.

 

1980 fuhr ich mit einem Freund öfter ins „Act“ nach Weissenohe (oder so ähnlich), das war ein Wallfahrtsort mitten in der Fränkischen Schweiz, wo mal en passant Ultravox spielten, Kevin Coyne oder Robert Fripp´s The League of Gentlemen. Fripp liess ich mir nicht entgehen. Auf dem Hinweg zu der umgebauten Scheune im Hinterland hörten wir einen Meilenstein, von dem Easy Ed und ich damals schon wussten, dass es ein Meilenstein werden würde, „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants. Robert Fripp war gut gelaunt, und seine Wave-Kapelle rockte den alten Kuhstall. Als ein Hörer Robert Fripp bat, doch etwas aus sich herauszugehen und den Schemel zu verlassen, auf dem er sass, entgegnete Fripp: – I have to sit. I´m only a limited guitar player. Süße Duftschwaden füllten den Raum, nicht lange danach machte die Polizei diesen dezenten Drogenumschlagplatz dicht.

 

1982 sah ich Herrn Fripp wieder, diesmal in dem alten Nürnberger Stadion, mit 30.000 Festivalbesuchern an meiner Seite, mit Anna, und an einem verdammt heissen Sommertag. Mein kleines Woodstock. Meine Geliebte hatte Lust, das Wochenende in einen französischen Film zu verwandeln. Wir hörten Fripps revitalisierte Ausgabe von King Crimson, mit Adrian Belew, Tony Levin und Bill Bruford. Obwohl der Fripp-Faktor auf dem zuvor erschienen, fantastischen Album „Discipline“ hoch war, brachte Belew auch etwas vom fiebrigen Geist der Talking Heads mit ins Spiel. Spät am Abend Neil Young und Crazy Horse mit Nils Lofgfen, bei „Cortez the Killer“ reckten wir unsere Feuer in den Himmel. Etwas später  ging der Blick von unserm Hotelfenster auf den Rathausplatz hinaus, und mein Name war Jean Pierre Leaud. Der Blick war weniger Paris und mehr Rüdiger Vogler in dem Wenders-Film, in dem der gelockte Hippie auf die Altstadt von Husum schaute und sich die Troggs auf seinem Plattenspieler drehten. Auf der Rückreise lief Benzin unbemerkt aus dem Tank, und der grellgrüne Hippie-VW schleuderte im Kreis. Drei Monate später waren wir Geschichte.

 

Robert Fripp neigt manchmal zur Exzentrik und wollte Ende der Siebziger Jahre eine neu formierte King Crimson-Formation „Discipline“ nennen, was zwar Sinn macht, wenn man Fripps damaligen spirituellen Lehrmeister kennt, oder die Vorzüge der modernen Verhaltenstherapie zu schätzen weiss – für ein Rockpublikum, das gerade die überbordenden  Siebziger Jahre hinter sich hatte  und die „etwas“ spannungsärmeren Achtziger (wo gruselige Bands warten sollten, die Duran Duran oder Depeche Mode hiessen) vor sich, hätte dieser Bandname allerdings die Attraktion einer Windpockenepidemie besessen.

Nun, der Meister der ungeraden Rhythmen und extremen Dynamikwechsel beliess es dann dabei, das  erste der drei Studioalben dieses Quartetts mit Belew, Levin und Bruford „Discipline“ zu nennen.  Mit gebührendem Respekt wurde das Werk wahrgenommen, doch eine  gewisse Annäherung an die Talking Heads kritisiert. Solche Eindrücke waren sehr oberflächlich, und heute kann man nur konstatieren, dass „Discipline“ ein herausragendes Werk ist, das eine neue Phase im Kreativschaffen des Gitarristen markierte, und seit Jahren in einer CD/DVD-Version vorliegt, das unter anderem den 5:1-Remix von Steven Wilson enthält, der mich eine Platte, die ich gut kannte, neu entdecken liess. Aber auch das Remastering der Stereoversion war vollkommen.

Der erste, der acht der  folgenden zehn Fragen  in einem einzigen Kommentar richtig beantwortet (keine Hilfestellungen, ausser von Vorgänger-comments, die nicht oft genug ins Schwarze treffen – und jeder Ratende darf nur einen Kommentar abliefern!!!), erhält diese Doppel-CD/DVD umgehend per Post.

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1) Wie hiess das Studio, in dem Brian Eno in den späten 80ern in Suffolk arbeitete?

2) Wie heisst der Song, bei dem Robert Fripp Frippertronics spielt, und David Byrne die „vocals“ beisteuert?

3) In welchem Stadtteil Londons entstand das Album „The Equatorial Stars“ von Fripp & Eno?

4) Wie heisst der Musikjournalist, der damals dieses Duo-Album für „Die Süddeutsche“ rezensierte, mit dem Titel „per aspera ad astra“?

5)  Wie heisst der Ort in der Fränkischen Schweiz, in dem Robert Fripp and The League of Gentlemen einmal auftrat, eine zugegeben kurzlebige Band, was wenig mit der Quakität der Musik und  deutlich  mehr mit den Drogenproblemen eines Quartettmitgliedes zu tun hatte?

6) Welcher britische Musikjournalist war bei der Produktion des King Crimson-Albums „Islands“ dabei (er verfasste später eine Dreifachrezension im Melody Maker, in der er Enos Music for Films, Garbareks Places und Weather Reports Mr. Gone gemeinsam vorstellte)

7) Welche Musikjournalist der Wochenzeitung „Die Zeit“ (er begeisterte sich damals, völlig zurecht, für viele ECM-Produktionen) verriss die heute als Klassiker gehandelte Duo-Arbeit „No Pussyfooting“ von Fripp & Eno aus den frühen Siebzigern?

8) Wie hiess die Frauenband (zumindest der grösste Teil bestand aus Frauen, wenn nicht alle), die Robert Fripp produzierte (er steuerte auch einige Frippertronics bei)?

9) Von wem stammte das Cover der ersten King-Crimson-Platte?

10) Was ist der Titel deiner Lieblingsplatte von King Crimson! (Diese Antwort ist immer richtig, solange das Teil wirklich von King Crimson ist).

(Am kommenden Samstag um 11 Uhr gibt es die Auflösung in den „comments“ – es sei denn, jemand ist schneller)

2012 31 Dez

Neuabmischung von drei Erinnerungsfeldern

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Uschi gräbt tief in den Trivialmythen alter Kindheitstage. Erinnerungen sind gerne trügerisch in Details, und in anderen, noch flüchtigeren Fundstücken einer fernen Zeit oft hochauflösen und  genau. Sie lassen sich wie Filme erzählen. Dieser Text ist ein Remix von Texten aus dem Jahre 2012. Niemand sollte ohn lesen, der ihn schon kennt.

 

1978 war eine Zeit, in der Kakteen interessante Schatten warfen in meiner leergeräumten Wohnung. Sie hatte gerade so viel mitgenommen, dass der Begriff Leere eine neue Bedeutung in meinem Leben bekam. Die erste Frau, die danach über Nacht blieb, hiess Julia Braun und erzählte von ihrem Freund, einem Jazzdrummer, der Angst hatte, sein Augenlicht zu verlieren, weil seltsame Glaskörper durch seine Pupillen schwammen. Am Morgen nach der einzigen Nacht mit Julia klingelte der Postbote einmal, und ich mahm das neue Album von Brian Eno in Empfang, „Music For Films“. Eine Anzeige von Polydor in der „Sounds“ hatte die Langspielplatte beworben mit der Überschrift „Der Mann im Hintergrund“. Ich legte die Musik auf, und die Leere in meiner Wohnung im 7. Stock gewann eine betörende Qualität. Julia mochte die Musik auch und verliess die Wohnung mit einem Lächeln.

 

1980 fuhr ich mit einem Freund öfter ins „Act“ nach Weissenohe (oder so ähnlich), das war ein Wallfahrtsort mitten in der Fränkischen Schweiz, wo mal en passant Ultravox spielten, Kevin Coyne oder Robert Fripp´s The League of Gentlemen. Fripp liess ich mir nicht entgehen. Auf dem Hinweg zu der umgebauten Scheune im Hinterland hörten wir einen Meilenstein, von dem Easy Ed und ich damals schon wussten, dass es ein Meilenstein werden würde, „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants. Robert Fripp war gut gelaunt, und seine Wave-Kapelle rockte den alten Kuhstall. Als ein Hörer Robert Fripp bat, doch etwas aus sich herauszugehen und den Schemel zu verlassen, auf dem er sass, entgegnete Fripp: – I have to sit. I´m only a limited guitar player. Süße Duftschwaden füllten den Raum, nicht lange danach machte die Polizei diesen dezenten Drogenumschlagplatz dicht.

 

1982 sah ich Herrn Fripp wieder, diesmal in dem alten Nürnberger Stadion, mit 30.000 Festivalbesuchern an meiner Seite, mit Anna, und an einem verdammt heissen Sommertag. Mein kleines Woodstock. Meine Geliebte hatte Lust, das Wochenende in einen französischen Film zu verwandeln. Wir hörten Fripps revitalisierte Ausgabe von King Crimson, mit Adrian Belew, Tony Levin und Bill Bruford. Obwohl der Fripp-Faktor auf dem zuvor erschienen, fantastischen Album „Discipline“ hoch war, brachte Belew auch etwas vom fiebrigen Geist der Talking Heads mit ins Spiel. Spät am Abend Neil Young und Crazy Horse mit Nils Lofgfen, bei „Cortez the Killer“ reckten wir unsere Feuer in den Himmel. Etwas später  ging der Blick von unserm Hotelfenster auf den Rathausplatz hinaus, und mein Name war Jean Pierre Leaud. Der Blick war weniger Paris und mehr Rüdiger Vogler in dem Wenders-Film, in dem der gelockte Hippie auf die Altstadt von Husum schaute und sich die Troggs auf seinem Plattenspieler drehten. Auf der Rückreise lief Benzin unbemerkt aus dem Tank, und der grellgrüne Hippie-VW schleuderte im Kreis. Drei Monate später waren wir Geschichte.

 

2011 21 Okt

These were the days

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 Discipline (CD/Dvd-Audio) [DVD-AUDIO]

„Erinnerungen sind gerne trügerisch in Details, und in anderen, noch flüchtigeren Fundstücken einer fernen Zeit, extrem genau.“

Es war eine Zeit, in der die Kakteen interessante Schatten warfen in der leergeräumten Wohnung. Sie hatte gerade so viel mitgenommen, dass der Begriff Leere eine neue Bedeutung in meinem Leben bekam. Die erste Frau, die danach über eine Nacht blieb, hiess Julia und erzählte von ihrem Freund, einem Jazzdrummer, der eine hypochondrische Angst hatte, sein Augenlicht zu verlieren, weil seltsame Glaskörper durch seine Pupillen schwammen. Am Morgen nach der einzigen Nacht mit Julia klingelte der Postbote einmal, und ich lief voller Erwartung zur Tür, erwartete ich doch Post aus Unterlüß, und da war es, das neue Album von Brian Eno, „Music For Films“. In den folgenden Jahren, das heisst, bis heute, hörte ich es ungefähr 1280 mal; eine Werbung von Polydor in der „Sounds“ hatte die Langspielplatte beworben mit der Überschrift „Der Mann im Hintergrund“. Ich legte die Musik auf, und die Leere in meiner Wohnung im 7. Stock gewann eine weitere, diesmal betörende Qualität hinzu. Julia mochte die Musik auch und verliess meine Wohnung und mein Leben.

In der Zeit fuhr ich mit einem Freund öfter ins „Act“ nach Weissenohe (oder so ähnlich), das war ein Wallfahrtsort mitten in der Fränkischen Schweiz, wo mal en passant Ultravox spielten, Kevin Coyne oder Robert Fripp´s The League of Gentlemen. Fripp liess ich mir nicht entgehen. Auf dem Hinweg zu der umgebauten Scheune im Hinterland hörten wir einen Meilenstein, von dem Easy Ed und ich damals schon wussten, dass es ein Meilenstein werden würde, „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants. Robert Fripp war gut gelaunt, und seine Wave-Kapelle rockte den alten Kuhstall. Als ein Hörer Robert Fripp bat, doch etwas aus sich herauszugehen und den Schemel zu verlassen, auf dem er sass, entgegnete Fripp: – I have to sit. I´m only a limited guitar player. Süße Duftschwaden füllten den Raum, nicht lange danach machte die Polizei diesen dezenten Drogenumschlagplatz dicht. 

1982 sah ich Herrn Fripp wieder, diesmal in dem alten Nürnberger Stadion, mit 30.000 Festivalbesuchern an meiner Seite, mit Anna und an einem verdammt heissen Sommertag. Mein kleines Woodstock. Anna, meine Geliebte, hatte Lust, das Wochenende in einen französischen Film zu verwandeln. Wir hörten Fripps revitalisierte Ausgabe von King Crimson, mit Adrian Belew, Tony Levin und Bill Bruford. „Discipline“ war kurz zuvor erschienen. Diese heisse Scheibe, liebe Zeitreisende, ist soeben in einer exzellenten Edition neu aufgelegt worden, incl. Videos von damals und einem tollen 5:1-Mix. Obwohl der Fripp-Faktor auf dem Album hoch war, brachte Belew auch etwas vom fiebrigen Geist der Talking Heads ins Spiel. Anna lieferte spät abends, in Nürnberg City, nach Neil Young und seinem Exorzismus namens „Cortez the Killer“, tatsächlich eine großartige Darbietung ab, eine femme fatale wie einem französischen Film entsprungen, in dem dann doch mal mehr gevögelt als geredet wurde. Der Blick von unserm Hotelfenster ging auf den Rathausplatz. Der Blick war weniger Paris und mehr Rüdiger Vogler in dem Wenders-Film, in dem  der gelockte Hippie auf die Altstadt von Husum schaute und die Troggs auf seinem Plattenspieler „Wild Thing“ spielten. Als wir am nächsten Mittag aufbrachen, lief im Auto wieder, ich weiss es noch genau, „Colossal Youth“ von den „Young Marble Giants“. Weil Benzin unbemerkt aus dem Tank lief, schleuderte mein Auto in einer Kurve im Uhrzeigersinn. Drei Monate später waren wir Geschichte. These were the days.

 

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