Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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2023 1 Jun

Entrümpelungen aller Art

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(Für Toni Nee, einen Stammhörer der Klanghorizonte aus dem ostfriesischen Städtchen Grossheide, wo vor Jahr und Tag ein brutaler Tornado durchfegte – auf dem Weg nach Langeoog wartet dort stets ein frischer Darjeeling mit Klüntje auf mich.)

 

 

 

Niemals habe ich eine solche Menge an Gedichtbänden gelesen wie in meinen Studentenjahren. Es waren sogar noch mehr als die stolze Zahl der Thriller und Spionageromane von Eric Ambler, Partricia Highsmith und Co., deren schwarzgelbe Buchrücken wohl einen halben Meter auf meinem Bücherbord einnahmen. Meist lagen diese schmalen Werke (Karin Kiwus war dabei, Ernst Jandl sowieso, auch Frank O‘Hara und E.E. Cummings, kunterbunt, und ein Becker neben dem anderen), die ich vorzugsweise abends vor dem Einschlafen las, vor dem Plattenspieler auf dem Boden, nah an  den vier Songalben von Eno, oder frischen ECM-Lieferungen aus der Gleichmannstrasse  10.

In  den Jahren von 1975 bis 1982 habe ich alles von Jürgen Becker gelesen, was ich in die Hände bekam, auch seine ganz frühen Bücher, und er wurde zu meinem Lieblingsdichter. Seltsam schüchtern war ich, als – Vorsicht, Repertoirestory! – er mir einmal im Fahrstuhl des Deutschlandfunks begegnete, in dem er lange als Redakteur arbeitete. Eher von munter draufgängerischer Art, war mir diese Anwandlung fast fremd, aber ich konnte sie mir hinterher gut erklären: meine Zeit mit seinen Gedichten stammte aus einer fast entrückten Vergangenheit, und was sollte ich  ihm in aller Enge eine kleine Anekdote der Begeisterung auftischen?! Das hat ja was Bedrängendes in Fahrstühlen – ein Fan, der einem auf den Leib rückt.

In jenen Jahren meiner Lyriklust verbrachte ich auch etliche Abende mit Friederike Mayröcker. Am liebsten schrieb sie morgens, so lange die Träume nachwirkten, und ich bin damals in den Sog vieler ihrer Gedichte geraten. Sie war mit Ernst Jandl verbandelt, und es brach ihr das Herz, als er so früh starb. An einen stärkeren Text über Abwesenheit als „Und ich schüttelte einen Liebling“ kann ich mich nicht erinnern.

 

 

 

 

Das Lesen von Gedichtbänden ist eine Art  zu meditieren – die Tänze und Wirbel haben mich oft an andere Orte transportiert, oder meinen eigene kleine Kammer im Studentenwohnheim in eine spezielle Aura gehüllt. Irgendwann, als die Erforschung der Träume mich mehr und mehr fesselte, wurde mir klar, wie nah die Deutung von Gedichten und die Deutung von Träumen beieinander liegen.

Ich kann Menschen leicht beibringen, sich an ihre Träume zu erinnern, und habe ein gutes Gespür für Deutungen. Das kommt auch von dem Faible gute Detektivgeschichten. Beim Schreiben von Gedichten, und in der Therapie, geht es darum, jede Menge Gerümpel aus dem Weg zu räumen.

Seit gestern liegt mir eine Cd vor, die sanft und romantisch, und melodiös ist, und doch viel tiefer reicht, als so viel Wohlklang erstmal vermuten lässt. Die Texte stammen von Elina Duni, oder von anderen, in allerlei Sprachen gesungen (und gehaucht). Dazu gesellen sich fallweise Flügelhorn (Mathieu Michel), Gitarre (Rob Luft macht seinem Namen alle Ehre), und Piano (Fred Thomas wechselt zwischendurch auch mal ans Trommelwerk, pures Pastell).

Das Cover könnte auch von einem alten Suhrkamp-Bändchen von Jürgen Becker stammen (der in alten Landschaftsbildern ganz gerne auf Spurensuche ging, und die Abräumung von Land und Fluss lang vor den Grünen protokollierte). Einmal mehr eine Manfred Eicher-Produktion aus der Provence, die wundersam transparent ist und eine Wärme verströmt, die nichts mit dem früher als kalt assoziierten CD-Sound am Hut hat. Und die beiliegenden lyrics erscheinen mir heute, in der Hitze der Mittags, wie Traumtexte, die ihre Deutungangebote gleich mitliefern, so tollkühn entrümpelt (feeling pur). A Time to Remember.

Mit einem Cover, das nackte Liebende an einem tropischen Strand zeigt, sieht Hareton Salvaninis Album „Xavana, Uma Ilha do Amor“ von 1981 wie ein Porno-Soundtrack aus. Aber die Musik ist weit entfernt von allem Boom-Chicka-Wow –  Im Gegenteil, sie ist, bis auf eine Komposition,  auf erhebende Weise melancholisch, und endet mit einem umwerfenden Song über die Einsamkeit, den wir auch Caetano Veloso abgenommen hätten.

Der Film wurde von dem in Polen geborenen Zygmunt Sulistrowski gedreht. Er verstand sich sowohl als Ökologe und Filmemacher. Nach einem Besuch in Rio de Janeiro war er von Brasilien begeistert und wandte sich in seiner bescheidenen Karriere einer Handvoll Filmen zu, die er, mit  gar nicht so verstecktem Tiefgang, vorzugsweise in exotischen Gegenden drehte. Der im brasilianischen Bauru geborene Salvanini war ein Komponist und Crooner, der Sulistrowskis Bilder weit über das Niveau eines sonnengebräunten Augenschmauses erhob. A perfect match made on the  beaches of Ipanema.

 

 

 

 

Die sinnlichen Melodien und sehnsüchtigen Arrangements – manchmal, wie beim Titeltrack, begleitet von den fernen Geräuschen der lokalen Fauna – hätten gut auch zu zu den Stimmungen avantgardistischer independant movies  jener Jahre gepasst. Wenn Salvanini einmal „Xavana“ schreit, ist das mit einer tiefen Angst verbunden, als würde sich ein alternder und musikalisch begabter Strandpenner an seine sorglose Jugend erinnern.

Dieser Film ist schwer ausfindig zu machen, und ich schulde einem befreundeten Cineasten grossen Dank, dass er mir sein Exemplar als alte VHS-Kassette vorführte. Beim Anschauen kamen wir uns wie Entdecker eines verlorenen Schatzes vor. Und erinnerten uns an Godards Spruch, demzufolge Kino eine besondere Art und Weise  sei, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen. Der oberflächlich als „soft core porno“ schubladisierte Film liefert nicht nur mit seinem Soundtrack eine  verblüffende Doppelbödigkeit. Erzählt wird nämlich auch eine Geschichte vom verlorenen Paradies.

Soweit ich das  verstanden habe, dreht es sich  um Natalie, die die abgelegene Insel Xavana vor der Küste Rios geerbt hat. Die Glückliche! Denkt man. Aber die Legende besagt, dass Xavana eine Bauerntochter war, die sich in einen Jungen verliebte, der ihrem Vater nicht gefiel; sie flohen auf die Insel und lebten dort in Frieden (und, wie man sich vorstellen kann, meist nackt), bis Natalie eines Tages einfach im Meer verschwand. Salvanini nimmt diese Anhaltspunkte für eine üppige, aber düstere Reise her, mit verführerischen Klangfarben und weichen Stimmen, die den Zuhörer so einlullen, dass er auch am liebsten auch gleich ins Meer gehen möchte.

„Xavana, mon amor“ – „really some lowbrow excellence, the movie, seen as a whole:)“ – der unlängst neu rausgebrachte, und exzellent remasterte, Soundtrack (das Vinyl „orange marbled“!) ist klanglich von enormem Reichtum, und kommt, mit all seinem dunkel-wehmütigen Schwingungen, nah heran an die Klasse von Gato Barbieris Soundtrack zu „Last Tango in Paris“.

(Dieser Text ist eine Art Coverversion einer Besprechung von  Alistair McKay. Wir sind beide fasziniert von dem Album von P. J. Harvey. Wo hier ein „Ich“ auftaucht, abseits der Zitate und Titel des Albums, bin ich selbst im Spiel, als Einmischer und Remixer, auch erfinde ich Sachen und Sätze hinzu. Das Buch, das P.J Harvey unlängst veröffentlichte, war eine Reise durch die Innen- und Aussenwelten eines überschaubaren Biotops im südwestlichen englischen Hinterland, vielstimmig, zart und hart zugleich. Und es führt eine direkte Spur von den Zeilen dieser ganz anderen Heimatkunde zu den Songs ihres neuen Albums, das ich mir in der letzten Woche anhören konnte, in grosser Ruhe und wiederholt. Ja, auch hier kommen allerlei Charaktere zu Wort und Klang, meditativ, verstörend, insisierend, ausholend, einladend. Gefiltert, gechannelt durch ihre Stimme, die das Flüstern und den Schrei beherrscht. Und alle „sounds in blue“ dazwischen. Kleine Welt, grosses Album. Noch eine kleine Anmerkung: ich halte dieses Werk trotz aller Gepenster, Götter, und Elvisse, die da rumschwirren, für kein religiöses oder spirituelles Album im engeren Sinne, sondern für eines, das tief schürfende Heimatforschung treibt, und dabei natürlich auch das Kollektive Unterbewusste anzapft. Wenn Polly  selbst von „der Wiederkehr des Erlösers“ spricht, dann meint sie lokale Folklore, und „the eternal“, das zielt m.E. auf den natürlichen Zyklus des Lebens. Und, oh my god, was für grosse Alben anno 2023, von Josephine Forster, Lana del Rey, Rickie Lee Jones – und Polly. Wer von der Musik dieses „Roots-Albums“ auf einer tieferen Ebene berührt wird, dem empfehle ich Mark Jenkins Film „Enys Men“ und eine weitere englische Landschaftsforschung der besonderen Art, Craven Faults‘ neues Album (die beiliegende Fotomappe!!!), mit dem ich die Klanghorizonte am 20. Juli wohl eröffne.) 

 

Sieben Jahren sind seit P.J. Harveys  letztem Album vergangen, und sie war alles andere als untätig. Wenn ihre Kompositionen für bewegte Bilder auch einen spürbaren Einfluss haben, bleibt doch die bedeutsamste Quelle  für „I Inside The Old Year Dying“ ihr  Erzählwerk „Orlam“, ein Büchlein, das sich jeder Beschreibung entzieht, und irgendwo zwischen einem Gedicht und einer Erzählung angesiedelt ist, zwischen den durcheinander geworfenen Knochen eines Drehbuchs und den halb erinnerten Details eines Traums, der jede Nacht in subtiler Form wiederkehrt, bevor er ins Unterbewusstsein zurücksinkt, und seine Spuren auch am hellichten Tag verströmt. Ergreifend und verwirrend zugleich. 

Zudem sind die Verse im Dialekt des alten Dorset geschrieben. Selbst im Englischen scheint die Bedeutung weniger wichtig zu sein als die Stimmung, die mit dem sumpfigen Land zu tun hat, das an die Kindheit, die Jugend und den brutalen Zustand der Reife grenzt.

„Orlam“ ist gotisch und lyrisch, ländlich und biblisch, die Verse voll von madigen Schnecken und geschwollenen Dachsen. Es gibt dunklen Humor und zeitliche Verwerfungen. Das Wort „Orgasmus“ wird in ein „Jim’ll Fix It“ eingeschoben. Es gibt eine Erwähnung von Cluedo (ein spielerisches Brettspiel über Mord), und eine süße Anspielung von „Fingers of Fudge„, die keiner weiteren Spekulation bedarf.

In diesem Buch (und auf dieser Platte) durchstreift Elvis das Land, obwohl seine Figur in der Erzählung abwechdelnd die eines sterbenden Soldaten, die erste Liebe eines Mädchens, und sogar  eine Christusfigur (der „dunkelhaarige Herr“) ist. Er ist auch eindeutig der echte Elvis, wie die gelegentlichen Refrains von „Love Me Tender“ zeigen, einem Lied, das seine Melodie von der sentimentalen Ballade „Aura Lee“ übernommen hat, die im amerikanischen Bürgerkrieg an Lagerfeuern gesungen wurde.

Das Gedicht „Lwonesome Tonight“ (auch bekannt als „Lonesome Tonight“) bezieht sich sowohl auf den Presley-Song als auch auf Johannes 13:34, da es die Entjungferung eines Mädchens beschreibt, einen Verlust der Unschuld, der durch einen Schulranzen voller „Pepsi Fizz“ und – dem Lieblingsessen des Königs – Erdnussbutter- und Bananensandwiches signalisiert wird. Das Lied ist ein magisches Mysterium, in dem ein Mädchen – naiv oder bereit, das sollte man nicht beurteilen – sich ihrem Hirten erwartungsvoll nähert und trällert: „Bist du Elvis?/ Bist du Gott?/ Von Jesus geschickt, um mein Vertrauen zu gewinnen?“ Vielleicht ist der Synthesizer ein Zeichen dafür, dass nicht alles perfekt ist. Er schwingt unter der Melodie, wie ein verstimmtes Radio, das Not signalisiert. 

Auf ihren letzten beiden Alben, „Let England Shake“ (2011) und „The Hope Six Demolition Project“ (2016), wandte sich Harvey dem sozialen Kommentar zu. Die Aufnahme von „Hope Six“ wurde zu einem theatralischen Projekt, bei dem die Sängerin im Zentrum eines kreativen Zoos im Londoner Somerset House auftrat.

Ihr Ausflug in die Poesie kann als weiterer Beweis für ihre Frustration über die Grenzen der traditionellen Rocklyrik gewertet werden. Sie nahm diesen Prozess sehr ernst und ließ sich von dem Dichter Don Paterson aus Dundee unterrichten, einem Schriftsteller mit einem ausgeprägten Verständnis für Musikalität. „Es mag nicht unerwartet sein, dass Harveys Songwriting eine mehr nach innen gerichtete Richtung einschlagen würde“, schreibt Paterson. „Nur wenige werden jedoch eine so minimalistische Wendung in eine so unheimliche Landschaft erwartet haben.“

Die Worte in „Orlam“ wurden als Gedichte geschrieben, nicht als Lieder, obwohl Harvey die Hoffnung äußerte, dass sie in einer anderen Form auftauchen könnten, vielleicht als seltsamer Film oder als Theaterstück. Sie schloss auch Musik nicht aus. Und hier sind sie nun, mehr oder weniger, gemurmelt und „getra-lah’d“, mit atemraubend wechselnden Stimmen in den Raum taumelnd, schwebend, verharrend.

 

 


Der Einfluss der bewährten Mitstreiter John Parish und Flood ist nicht zu unterschätzen. Diesmal hat Harvey die Demo-Phase fast ganz abgeschafft, indem sie manch verirrte Gedanken ins Phone sprach und auf den gemeinschaftlichen Prozess vertraute. Das Studio wurde für das Live-Spiel eingerichtet, wobei die Melodien aus der spontanen Performance entstanden.

Dies gab Harvey die Freiheit, die Möglichkeiten ihrer Stimme zu erkunden. Sie singt mit der Zuversicht, dass jede Andeutung gehört wird, auch wenn die Worte nicht vertraut sind. Auf dem Eröffnungsstück „Prayer At The Gate“ klingt sie sowohl gequält als auch abgelenkt: Ihre Stimme steigert sich in eine fast ergriffen wirkende Tonlage an, während die Melodie wie ein elektrisches Umspannwerk brummt. „Autumn Term“ hat ein fast komisches Falsett, und das Geräusch spielender Kinder ist in den Hexenzauber des Liedes eingearbeitet. Glockenartig ist der Gesang in „The Nether-Edge“, einem Exkurs in Aberglauben und Dunkelheit, der wie ein Spielplatzgesang klingt. 

Was bedeutet es, so altertümlich, so seltsam zu klingen? Nun, es ist Harveys großes Verdienst, dass dieser Fiebertraum nie erzwungen wirkt, und das Experiment, den größten Teil ihres charakteristischen Klangs abzulegen, ist schmerzlos gelungen. In der Mitte von „August“ drängt sich vielleicht Elvis auf, der wie Bono aus der Zooropa-Ära klingt, aber das ist eine Finte. Heutzutage spielt PJ Harvey keinen Rock’n’Roll mehr. Es gibt nur ein geisterhaftes Kratzen am Bettpfosten des Beefheart-Blues, vor allem im abschließenden „A Noiseless Noise“.

Beeindruckend ist, dass die Dichte von „Orlam“ durch die Wiederaufführung als eine Suite von Songs zugänglicher gemacht wird. Es ist nicht notwendig – vielleicht ist es nicht einmal möglich – zu verstehen, dass der Erzähler der Gedichte ein Augapfel eines Lamms ist, denn die Musik hat ihre eigene seltsame Energie, ein donnerndes Gewitter aus Elektrizität, das seltsame reife Andeutungen regnen lässt.

Das Unheimliche ist intensiv, aber kanalisiert, und die Überraschungen kommen auf eine Weise, welche die unschuldige Ängstlichkeit der Kindheit bedroht, aber nicht auslöscht. (Über diesen Satz müssen wir mal reden, Alistair!) Seltsamkeit im Überfluss. Die Seltsamkeit des Staunens. „I Inside The Old Year Dying“ ist ein einzigartiges Werk. Trotz all seiner Verkleidungen, all der Baumtränen und Schwindeleien ist es vielleicht PJ Harveys autobiografischstes Album. Let Dorset Shake!  Die letzten Worte nun von Polly selbst, zu dem ein paar Zeilen zuvor anklickbaren Song…

 

“This song eluded us until the very last day in the studio. Over the previous five weeks we had tried so many times to capture it and failed, and/but then John [Parish] reinvented the feel of the guitar pattern. As he was demonstrating it in the control room, Flood handed me a microphone and pressed record whilst I sat next to John trying to work out how to sing to it. The result somehow captures the ethereal and melancholic longing I was looking for. In the lyric everyone is waiting for the savior to reappear—everyone and everything anticipates the arrival of this figure of love and transformation. There is a sense of sexual longing and awakening and of moving from one realm into another—from child to adult, from life to death and the eternal.”

2023 28 Mai

Ein doppeltes Farewell

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Den Plan hatte ich schon länger ins Auge gefasst, und jetzt führe ich ihn aus, allerdings nicht unter den geträumten Vorzeichen. Ich begann im Jahre 2011, als der BVB die erste von zwei Meisterschaften unter Klopp holte, hier auf dem Blog, zusammen mit Jo und Dirk. Ich hatte grosse Freude daran, grossenteils aus der Hüfte zu schreiben, und manchmal im Teamwork (The Ship – a review and a story bleibt mein Favorit, auch dank Ians Input), in variierenden Textformen, mich in Feldern zu tummeln zwischen dem Trivialen und der Sehnsucht, zwischen sound & vison, Traum und Traumdeutung, Tagebuch und Fiktion, Zeitreisen und Radio, Fussball und Heimatkunde, Sylt, Lanzarote, Kristiansand, etcetera etcetera. Nun schliesst sich ein Kreis für mich – der Rahmen wäre perfekt gewesen mit dem Gewinn der Meisterschaft unter Edin Terzic (ich hätte es gerade ihm so fucking gegönnt!), und einigen drumherum drappierten Stories (etwa ein Re-Boost alter Heimatorte). Shit happens. Melancholia rules.

 

 

 

 

Ich begegnete gestern Abend und heute auf dem Borsigplatz auf einer kleinen Nostalgierunde, die im Westpark und am Stadion endete, etlichen Menschen, die sich einfach dadurch entlasten konnten, dass sie ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck verliehen (ich war und bin genauso angezählt, keine Frage) – wir teilten Beobachtungen, Empfindungen, Erlebnisse, Sekunden, Schocks, Ernüchterungen. Kollektive Trauer – nichts anderes ist das, es muss da nicht immer um Krieg und Tod gehen. Abschiede von Illusionen spielen sich im Leben auf vielen Ebenen ab. Und da jetzt so einige andere Themen anstehen, und so manches von mir zuende erzählt wurde, verlasse ich diesen Kreis. Aller Dank geht an alle, mit denen ich mich gut verstand und verstehe, die eindeutige Mehrheit. Und wenn ich mit einer der grössten Sozialfloskeln schliesse, ist sie doch ernst gemeint. Wir bleiben in Kontakt.

 

 


(Borsigplatz, „ich in blau“ –  mein Abgang fand dann etwas apäter endgültig statt…Ende Juni…was lange währt, wird endlich over…) 

 

„The Horse“ is a musically branching, adventurous journey through, well, horse worlds and human worlds. Whether you have a lifetime of experience with mustangs, remember the aching buttocks of your first riding lessons, or have come close to these magnificent animals, especially in films and series, from Fury to The Horse Whisperer, it doesn’t matter.

Matthew Herbert had new instruments built from horse bones in advance, enriching the traditional instrumentarium of  electronica, jazz, field recordings, chamber music, ans all the in-between spaces – the music can easily lift you out of the saddle. Amazing what comes out on Modern Recordings, from Daniel Lanois‘ magical piano album to Rickie Lee Jones‘ existential (!) trip through the American Songbook.

 

 

 

 

01. Fire! Orchestra: Echoes (1)  9.5
02. Matthew Herbert: The Horse (2) 9.4
03. Califone: Villagers (-) 9.0
04. Paul St. Hilaire: Tikiman Vol. 1 (11) 8.6
05. Natural Information Society: Since Time Is Gravity (5) 8.5
06. Craven Vaults: Standers (-) 8.3
07. The Necks: Travel (4) 8.3
08. Rickie Lee Jones: Pieces of Treasure (-) 8.3
09. Lankum: False Lankum (9) 8.3
10. Seb Rochford & Kit Downes: A Short Diary (10) 8.2
11. Josephine Foster: Domestic Sphere (-)  8.2 

12. Tinariwen: Amatssou (-)  8.1 

 

Eine kleine Zusatzbemerkung: es ist interessant zu sehen, wie sich eigene Favoriten wandeln oder sich unter den ersten 12 behaupten. Ein Wechselspiel von aufflammender Begeisterung, vorübergehender Beruhigung, „growers & sinkers“, etc. – zuweilen erweisen sich nicht mal Tiefenwirkung und Oberflächentaumel als trennscharf (durchaus eine Parallele zur Liebe auf den ersten Blick). Platten, die erst mal aus der Parade herausgefallen sind, können durchaus im Laufe des Jahres wieder auftauchen –  die nächste „hot list“ Ende Juni.

 

 

 

 

Die Musik von STANDERS ist verblüffend ohne Ende, mit all ihren Echos und Eigenheiten. „Meers & Hushes“ hat die melancholische Anmut einer liebeskranken Folk-Ballade, während die hüpfende Basslinie von „Severals“ fast luftig ist. Fügt man der aufsteigenden Euphorie von „Sun Vein Strings“ einen stampfenden Beat hinzu, könnte man sich vorstellen, dass die Leute in der Morgendämmerung auf einem Feld dazu tanzen. Ich zitiere Sam Richards aus UNCUT, übersetzt und leicht remixt

 

 

 


„Die Ikonographie von Craven Faults widersetzt sich der üblichen Darstellung von Synthesizer-Musik als futuristisch, spacig oder psychedelisch. Und das aus gutem Grund – diese Tracks fühlen sich erdig und urwüchsig an, als wären sie von unten ausgegraben und nicht aus dem Kosmos heruntergebeamt worden. Die Präsentation ist ein kluger Schachzug, der die Fantasie anregt, während sich diese monolithischen Stücke entfalten. Aber es ist nicht wie bei einer konzeptionellen Kunstausstellung, bei der man die Erläuterungen in der Galerie braucht, um den Sinn der Ausstellung zu verstehen. Trotz der asketischen Atmosphäre handelt es sich hier um viszerale, emotionale Musik, die eher in der weißen Hitze des Rock’n’Roll und Post-Punk als in der akademischen Avantgarde geschmiedet wurde.“

(Und, wenn möglich,  besorgt euch die Doppel-Vinylausgabe in Dunkelgrün. Nasses Moosgrün.  Bei JPC fliegen noch ein paar rum.) 

„Faults selbst verweist auf „Tomorrow Never Knows“, „Radioactivity“ und „Sister Ray“ sowie auf Charles Ives‘ „The Unanswered Question“, ein eindringliches Stück zutiefst existentieller Musik für Streicher, Flöten und Trompete, das 1946 uraufgeführt wurde. Stellt man sich auf die richtige Frequenz ein, hört man alle möglichen anderen – vermutlich unterbewussten – Resonanzen: das Hauptriff, das „Sun Vein Strings“ einläutet und wie eine synthetisierte Version von „TV Eye“ klingt; die flüchtige Ähnlichkeit von „Odda Delf“ mit Radioheads „Street Spirit“; das schräge „Pling“ in „Hurrocstanes“, das einen plötzlich an „Superfly“ denken lässt.


Aber das Schöne an Standers ist,

dass es dazu einlädt, diese Blitze der Transzendenz des 20. Jahrhunderts

in einem viel längeren Kontinuum zu betrachten,

das sich bis in den Nebel der Zeit zurück erstreckt.

Stellt man den Ton wieder ab,

hört man nur noch das leise, langsame Knirschen

der Verwerfungssysteme, die unendlich unter unseren Füßen knirschen.“

 

 

Listening to this album for some weeks now (digitally), very beautiful stuff with its own Scandinavian twist. Special video setup for tonight’s show but interesting insights from M. E. and one of the Fire! leaders himself. The Rune Grammofon story (maybe) explains why for ex. Motorpsycho are going to start their own record label! Grab the album and listen to all the Rune Grammofon LPs you can get! Life is anyway full of background noises! (The Black Black Paint)

I really enjoyed this video Michael. Having the discussion with a guest is a fresh approach and gives us (your audience) additional insight. I do hope you do more videos in this fashion. By the way .. my favorite comment in the video .. ‘life is full of background noise’ .. it is funny and so so true. Cheers! (John Simpson) („Mine, too, John“ – M.E.)

Wow I thought your English was good Michael, but Michael Engelbrecht‘s English is unbelievable. Such a cool approach to the video it worked beautifully. Look forward to further collaborations. Wow this album sounds incredible . Fantastic insight from Michael E explained in a calm composed manner. A great release for vinyl for sure. Great stuff guys, highly entertaining & enjoyable video! (Liam Molineux)

Thank you so much for this video! I IMMEDIATELY ordered this obviously great piece of music on vinyl. The idea to Work together with Michael Engelbrecht from ‚Deutschlandfunk‘ in this video was excellent. Pleased go on working together with him! (High Fidelity & Vinyl)

A really amazing album and the program’s long approach on all various aspects of the album are amazing as well. I was happy and privileged to see this big band’s first (and only?) live show of the ECHOES music in Stockholm in October 2022, I was completely blown away, as I always am with Fire! Orchestra, but also thoughtfull about how all this varied would end up on a record. They really did do a fantasic job, all people included; musicians, arrangers, engineers, mixing, mastering, production, art, record label, et cetera. (Stefan Ek)

Wow! Michael E sounds like a very interesting person, very articulate and passionate when he’s talking about the music. Perfect fit for the channel, and such interesting insights. Having the audio snippets was a nice touch, almost felt like a podcast in a way, and with his radio background this totally makes sense. Great job guys (Kyle S.)


Es wurden einige Tassen Kaffee getrunken, bis dieses erste  „Ghost Interview“ vom Stapel ging. I

Wenn in nicht allzuferner Zeit ein Live-Stream stattfindet, zum Beispiel zu der Vinyl-Reissue der kompletten Obscure Records, würde ich genauso vor der Kamera sitzen wie Michael One und Stunty und Brian Eno. Aber diese „ghost interviews“ sollten erhalten bleiben, imho.

In den kommenden Tagen wird Matthew Herbert angefragt. Anlass: „The Horse“. Das Projekt begann mit der Suche nach dem größtmöglichen Skelett, um es klanglich zu erforschen. Das von Herbert erworbene Pferdeskelett war mehr als nur eine rohe Klangquelle, denn es eröffnete bald verschiedene Inspirationsmöglichkeiten. Das ist doch idealer Stoff für ein weiteres „Ghost Inteview“, oder?!  Ansonsten: wie wäre es mit den  beiden neuen Analog Remasters von ECM, von Gary Burton und „Old And New Dreams“ (Cherry, Redman, Haden, Blackwell)?  Wait and listen… 

 

„the ghost interview series, part 1, unbelievable.“

– Giancarlo Benzina 

 

JUST. Ich fotografiere diesen zauberhaften Düsseldorfer Hinterhof nicht, sonst fragen noch Stadtführer nach und bauen ihn in ihre Themen-Rundfahrten zu den geheimen Power Spots der City ein – erst mal heisst es ankommen, die Herrin des Hauses ist noch beim Sport, Karl und Friederich begrüssen mich einmal mehr freudig, und nehmen dann Platz in ihren bevorzugten Winkeln. Der allerfeinste Kaffee aus der Siebträgermaschine, interessanter „small talk“  – und, in der Tat, ohne Olafs Tipp, mir mal (vor Jahr und Tag) das Robert Fripp-Video von Michael Ludwigs anzuschauen, auf „Michael45rpm“, wäre ich wohl nie hier gelandet.

ANOTHER. Zuvor mit Ulrike bei Robert am Rhein, überbackener Wirsing mit Pilzen in Rahmsauce, köstlich, ihr üppiger Muschelteller mit Nudeln in Pernod(?)sauce, meine Bratwurst der 11. Generation (eine kulinarische Delikatesse für Carnivoren) … aber ich schweife ab. Obwohl, ähem, der Kreis meines kulinarischen Trips schloss sich erst später, mit frischen Erdbeeren und Rohrzucker, in der Nachmittagssonne bei Ulrike in Oberbilk.

DIAMOND. Ich staune, wer alles dieser aufregenden Story bis hierhin gefolgt ist … Spass beiseite: der äussere Anlass der Reise war das kleine Video, das Michael dann, mit Mats Gustafsson (aus der Sonos-Box) und mir (auf dem Sofa), auf den Weg brachte. Wer will, kann es sich jetzt (über den Blogroll rechts, resp. Michaels youtube-Kanal) anschauen. Der Clou des „Drehs“: ich hätte das noch mehr als „Radio“ inszeniert, mit meiner Stimme und der des „alten Schweden“ aus dem Off. So passierte es auch, nur dass der freundliche Gastgeber optisch präsent blieb und die gut zwanzig  Minuten mit den beiden Unsichtbaren moderierte: „Welcome back! Today I‘m not alone. Really …“ Das hatte auch seinen Charme.

DAY. Und so drehte sich die kleine Runde um „Echoes“ vom Fire! Orchestra, um das Besondere dieses „vinyl boxset“. Für ein erstes Mal groovten wir uns zügig ein. Mats Gustafsson entpuppte sich als grosser Vinylfreund, und sorgte dann noch für eine Nachricht, die die Fans des norwegischen Labels Rune Grammfon (seit Jahren auf unserem Blogroll) aufhorchen lassen wird, kurz vor Ende. Ich verliess die gute Stube und den nahezu pittoresken Hinterhof aber nicht, ohne noch Sonne zu tanken, und eine der jüngsten Veröffentlichungen der Electric Recording Co. aus London einzupacken (als kostbare Leihgabe), Vashti Bunyans „Just Another Diamond Day“. Ganz egal, was wir uns alles über Vashtis Meisterstück oder „Echoes“ erzählten: there‘s no replacement for listening. Thanks to Mats Gustafsson for joining the party! 

Zur Hälfte habe ich die Story schon erzählt, aber gestern erst sah ich das vollständige Bild. Ein Plattenladen in Paignton. EF-Ferienreisen. Sommer 1971 (ich bin dieweil unglücklich in Regina verliebt, eine Pfarrerstochter aus der Bittermark, und es entsteht, unter englischen Palmen, ein kleines Techtelmechtel mit einer baldigen Hockeyspielerin der NATI aus Neuss). Ich erlebe in einer urigen Fish’n’Chips-Bude den Dicken von Hot Chocolate – er scheint mir high zu sein.

Ich wohne mit einem, der noch längere Haare hat als ich, in einem Zimmer eines sehr alten Hauses im ersten Stock. Sehr sympathische Gastgeber, ohne Groll gegenüber den Nachgeborenen des Zweiten Weltkrieges. Dann also vor diesem Plattenladen, Nase an die Scheibe gedrückt. Da drin, in der Auslage, der Anfang einer sich als sehr stabil erweisenden love affair, After The Goldrush, von Neil Young.

Es wird meine erste Platte des jungen Young, und einen Tag später kann ich schon mit Neil „Tell Me Why“ im Duett singen, auswendig gelernt vom beiliegenden, krakeligen Textblatt. Die nette Familie stellt uns den Plattenspieler zur Verfügung. Gott, ist „Southern Man“ ein Hammer –  für mich ein antifaschistischer Song (ist das so?) –  ich gehe dermassen im Sound auf, dass für Lyrikdeutung keine Zeit bleibt.

 

 

 

 

Aber in der Auslage, neben Neil, steht noch ein Album, nur habe ich weder das Taschengeld noch den Übermut, es mir auch noch zuzulegen. Das Cover berührt. Etwas Uraltes, Urenglisches (oder was weiss ich), Geschichtsunterricht, und drumherum, um so viel schwarzen Raum, hippie coloured portraits. Daheim in Dortmund schlage ich zu, vielleicht las ich eine begeisterte Besprechung in Sounds.

Jetzt wird die Erinnerung fahrig, was nicht heisst, dass das Album keinen mächtigen Eindruck hinterlassen hat. Im Gegenteil: ich glaube, dass ich das  Werk wieder und wieder hörte, und es toll fand. Heute gilt es als Klassiker der englischen „Jazz-Rock-Historie“ (unangefochten meine Nummer 1 dieses Genres, „Third“ von Soft Machine). Vor Ewigkeiten kam mir Nucleus abhanden. Auf gefühlten 12 Umzügen. Haben sie je ein besseres Album gemacht?

Jetzt wieder entdeckt, Mai 23, die Reissue. Vinyl. Mastered from the original analog tapes. We‘ll talk about it later. Ich habe mir die Platte sofort bestellt (heute, bei HHV, Berlin), und bin gespannt wie ein Flitzebogen. Anyone out there who knows it? Übrigens, die beiden Cover der Alben von Nucleus und Neil Young passen designtechnisch hervorragend zusammen. Ein Plattenladenbesitzer mit Sinn für Ästhetik! (Später, auf mein Mixtape für Regina, kam dann aber nichts von Nucleus – ich versuchte es mit den Kinks, mit Genesis, und Neil Young, nutzte auch nichts – „only love can break your heart“.) 

2023 15 Mai

Cala Boca Menino

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On the long and winding trip of Fire! Orchestra‘s ECHOES we encounter three  songs, one being a journey to the future, a thoughtful seduction from Mariam Wallentin, one being a voyage to times long gone, a killer „spoken word“ track performed by Joe McPhee – and the third one being a cover version from a Dorival Caymmi / Joao Donato song. I never heard this little funky thing before – the way Mats and his compadres make it a quite different sounding party (or celebration of life, or here and now) – stunning.

 

 

 

 

We better don‘t label the music of ECHOES anyways. It goes, to quote another Beatles song, „here, there, and everywhere“, but as a breathing organism, not in a clever „anything goes“-mode.

The man who did the mixing,  Jim O‘Rourke, stayed true to the original recording (though given all freedom to do it Teo Macero-style) – no radical doubling, reducing, skipping. 43 musicians appear in your living room, dear reader, and Jim had a peculiar thing in mind: transparency. Even in the most far-out passages: transparency – nothing  drowning in  echoes and reverberations. 

Big Band music can factually be overpowering. ECHOES never overpowers. The double-cd is excellent, the  three „vinyls“ offer even more opportunities to make breaks in between. Quite some ways to approach an „instant classic“. With its sense of space, listening to it all in one sitting: easy-peasy, too. 

 

Von Mäusen und Menschen. Das war Steinbeck. Von Eseln und Pferden. Das ist der Juni bei den Manafonisten. Bei prime kann man sich EO ausleihen. Das Geniale an diesem Film, der einem kleinen Esel quer durch Europa folgt, ist, dass – und WIE – es seinen felligen Helden als Spiegel benutzt, um uns den Zustand der Welt in all ihrer Schönheit, ihrem Schmerz und ihrer unbeschreiblichen Traurigkeit zu reflektieren. Skolimovskis Film kann immens berühren, auch wenn man erstmal leicht unter Walt Disney-Regressionsverdacht gerät. Der Pole kennt ganz sicher den anderen grossen Eselfilm der Kinogeschichte, von Robert Bresson, der nicht weniger erschütternd ist – da hiess das geschundene Tier Balthasar.

The Horse – in Matthew Herberts neuem Album trägt das Pferd keinen Namen. (Ein Mann, den sie Pferd nannten, mein erster Western im Kino:)) Fraglos eines der besten Alben in der Vita des Briten, ist es eine musikalisch verzweigte, abenteuerliche Klangreise durch, nun ja, Pferdewelten. Ob man nun selber lebenslange Erfahrungen mit Mustangs hat, sich an den schmerzenden Hintern erster Reitstunden erinnert, oder diesen grossartigen Tieren vor allem in Filmen und Serien nahegekommen ist, von Fury bis zum Pferdeflüsterer, spielt keine Rolle. Matthew Herbert liess im Vorfeld aus Pferdeknochen neue Instrumente bauen, die das traditionelle Instrumentarium zwischen Elektronik, Jazz, Feldaufnahmen, und Kammermusik bereichern – die Musik ist so umwerfend gut, dass es einen leicht aus dem Sattel heben könnte, und für die Klanghorizonte im Juli gesetzt. Erstaunlich, was auf Modern Recordings alles so rauskommt, von Daniel Lanois‘ magischem Klavieralbum bis hin zu Rickie Lee Jones existenziellem (!) Trip durch das Amerikanische Songbook. Mein alltime favourite album von RLJ ist übrigens „The Magazine“. 

Ziemlich französisch geht es zu auf den Alben von Vincent Courtois (Henning hat sich in  die Musik von „Nothing Else“ verliebt und schrieb die interessanten liner notes) und Jean Charles Richard. Letzteres (reiner Traumstoff!) erschien schon 2022 – Jo stiess zufällig auf dieses Juwel des Labels La Buissonne, das man als eine provencalische Version von ECM betrachten kann. Die andere Archiventdeckung hat schon zehn Jahre auf dem Buckel und liegt nun auch in feinem Vinyl vor, Sturgill Simpsons High Top Mountain. Wer Waylon Jennings und John Prine mag, wird hier eine Entdeckung machen. „The most outlaw thing that I’ve ever done was give a good woman a ring”. Ein Countryalbum, das mit Witz und Melancholie überzeugt. Lajla und Lucinda könnten grosse Fans des Albums sein!

 
 

 
 

Bleibt ein weiteres Highlight der Saison aus dem Hause Suhrkamp: ein grossartiger Berlinroman (Hamburg auch!), ein sprachliches Feuerwerk, ein adrenalingefüllter Kriminalroman mit  Tiefgang und Speed, mit richtig guten Typen und so einigen Toten. Nomen est omen: „Die Guten und die Toten“, von Kim Koplin (wer immer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt).

Wir hatten unvergessliche Tage in Berlin, und die Lektüre des Romans lässt en passant (im fliegenden Galopp) so viele Strassenzüge, Hinterhöfe, Museen, Regierungsgebäude – und nicht zuletzt den limitierten Charme von Parkhäusern – neu aufblitzen. Hier und da, bei unseren Streifzügen machten wir uns auf die Filmplakate von „Roter Himmel“ aufmerksam, und mussten dann stets schmunzeln – „hochgejazzt“ war das Zauberwort.

Gerade sehe ich, Platz 4 der aktuellen Krimizeit Bestenliste, und ne schöne Inhaltsangabe, die wenig preisgibt: „Leila skatet, lernt neue deutsche Worte und schläft im Parkhaus, wo ihr Vater Saad Nobelschlitten bewacht. Nihal, Boxerin und Kommissarin, checkt dort die Leichen saudischer Killer und mag Saad immer mehr. Erst recht, als dieser auf einer Marihuana-Plantage sein Leben verteidigen muss. So rasant wie zart.

 


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