Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

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Kurt Rosenwinkel Quartet – „Solé“

 

Kurt Rosenwinkel – guitar
Aaron Parks – piano
Eric Revis – bass
Greg Hutchinson – drums

Album: Undercover (Live at the Village Vanguard) © 2023 Heartcore Records

 

 

Kultur und Temperament des Landes sind vertraut, in diesem Sprachklang hält man sich zu gerne auf. Brasilia, die futuristische, auf dem Reissbrett nach der Form eines Flugzeuges entworfene Stadt hat ein ganz besonderes Flair. Dort lebt auch Pedro Martins, wechselweise mit seiner Wahlheimat Los Angeles, in der seine Lebenspartnerin lebt, die Jazzsängerin Genevieve Artadi. So switchen sie zwischen zwei Metropolen, stets umgeben von jungen Künstlerfreunden, einem Pool junger Talente. Der nun dreissigjährige Gitarrist, Multiinstrumentalist, Komponist und Sänger galt früh als Wunderkind, begann bereits mit drei Jahren, sich für die Beatles zu interessieren, deren Songs für ihn die Basis seiner musikalischen Entwicklung waren. Abseits jeglicher Leistungsathletik hat seine Musik einen landestypischen, aber auch idiosynkratisch ganz eigenen Zauber, der vielfältige Anklänge erlaubt an die Musica Popular Brasileira. Milton Nascimento, Caetano Veloso, Djavan und Maria Bethania waren ja auch jene, die einst meine Sehnsucht weckten, dieses Land zu entdecken. Seit Joao Bosco vor mehr als fünfzehn Jahren sein unglaubliches Livealbum Obrigado Gente vorlegte mit einer Wahnsinnsband, zu denen Schlagzeuger Kiko Freitas, Gitarrist Nelson Faria und Percussionist Armando Marcal gehörten, hat mich brasilianische Musik nicht mehr so begeistert wie nun Pedro Martins frisch entdeckte Kompositionen und Performance. Wenn man etwas liebt, erkennt man sich auch darin wieder: es ist auch eigene Heimat. So wie einst die Diamanten (as pedras preciosas) auf dem Verkaufstisch eines Edelsteinhändlers am Marktplatz in Ouro Preto verheissend funkelten, so tun es nun die verspielt perfekten Songs des jungen Pedro Martins. Sie eröffnen Räume auch für die eigene Phantasie. Es war wie in einem selbstgeschaffenen Kopf- und Herzkino investigativer Recherche: ein Mix aus Flow und Grip ist das Interesse, wenn es denn Fuss fasst – und ab geht die Post. Da gibt es das Konzert mit der Frankfurt Radio Bigband, in dem sich die frühreife, ausgewogene Vielfalt seiner (auch gesanglich begleiteten) Kompositionen zeigt und Erinnerungen wachruft an Antonio Carlos Jobim in den kongenialen Orchestrierungen von Klaus Ogerman. Ein aufschlussreiches Gespräch mit dem Pianisten Pablo Held gibt interessante biografische Details preis, wie sie wohl nur Musiker untereinander austauschen können. Der Wunderknabe blickt leicht verpennt (weil wohl eine Nachteule) in seinen Laptop und plaudert los in typischer brasilianischer Lockerheit: beispielsweise seine ersten Treffen mit Kurt Rosenwinkel schildernd, seinem vertrauensvoller Förderer und Mentor. Gemeinsam absolvierten sie eine Welttournee in dessen Caipi-Projekt. Noch nie habe ich einen brasilianischen Gitarristen erlebt, der so viele unterschiedliche Facetten von Musik in so virtuoser Form vorträgt, dabei die vielfältige hybride Tradition mit dem Horizont der Digital Natives verbindend, die früh globale Vernetzung als selbstverständlich sehen und in vielen Musikstilen beheimatet sind. Allein der eigentümliche und höchst delikate Sound seiner E-Gitarre eröffnet einen eigenen Kosmos. Dazu singt er noch, auf Rosenwinkels Anregung hin stellte er sich der Herausforderung, eigene Lyrics zu schreiben: the birth of a singing songwriter. Die Gitarre klingt zuweilen nach Cavaquinho, kleine Fingerstreiche lassen sekundenweise Sitarklänge erklingen und die Kompositionen führen in Alices Wunderland. Man kann hier zuhauf Nuggets finden im Internet, wenn einen erst die Neugier treibt. Und hoffen, dass eine ihn in kommerzielle Bahnen lockende Plattenindustrie bis auf Weiteres verschont und er das Basteln kleiner Kastanien-Männchen dem groß herausposaunten Mainstream vorzieht. Diese Musik erzählt Geschichten: die seines Landes, seiner Welt und auch seiner Generation. Sie klingt wie Neuland, klingt wie Hoffnung und eine sanfte Brise schwingt immer mit.

 

2024 26 Feb

wo wir sind

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Gestern lernte ich ein neues Wort: „Präsenzerfahrung“. Es fand sich in einer Reflexion über das Älterwerden, zu lesen in der Taz, geschrieben von Dirk Knipphals unter dem Titel „Sixty, something“. Dieser Begriff beschreibt, neben einer gelungenen Definition für die Essenz des Yoga (we’re getting closer!) auch ein Phänomen im Hinblick kultureller Rezeption. Es gibt eine gewisse Flüchtigkeit, von der schon Goethe wusste: „Ach, Augenblick ….!“ Mich interessiert beispielsweise weniger, ob ein Album, ein Buch oder ein Film als gelungen oder misslungen bezeichnet wird, sondern vielmehr jener Moment, in dem mich etwas affiziert, berührt und irgendwie weiterträgt. Manchmal fürchte ich, das Interesse am Albumhören bereits verloren zu haben und dann ereignet es sich wiedermal ganz plötzlich: so geschehen jüngst beim Hören eines Werkes von Joshua Redman, das alle dort enthaltenen Songs nach amerikanischen Städtenamen benennt. Ich sickerte ein ins Milieu: the precious blues with every single note worth listening. Ein Ärgernis jedoch, wenn wir glauben, solche Zufallsmomente, die uns immer unverhofft zufallen, beliebig wiederholen zu können: die Repeat-Taste funktioniert hier oftmals nicht. Beim zweiten Mal dann heißt’s vielleicht: Kein Anschluss unter dieser Nummer! So hoffen wir darauf, dass es uns abermals geschenkt wird, irgendwann, irgendwo. Der Philosoph Alain Badiou nannte es das „unverfügbare Wahrheitsereignis“. Wäre diese Unverfügbarkeit nicht eine weitere treffende Definition für die Essenz des Yoga?

 

 

Wer schonmal Ski gefahren ist, der weiss: das ist wie guter Sex, manchmal besser. Die Piste runter, Hüftschwung hopp, muss man mal erlebt haben. Im Skiort diese eigentümliche Winterstille, der Schnee verschluckt die Geräusche, menschliche Stimmen klingen trocken, wie kleine Sensationen. Vom Ski zu Kurt, wie geht das? Sehr gut, denn kürzlich wurde mir eine besondere Abfahrt zuteil: zunächst das heitere Gespräch der beiden Gitarristen Rosenwinkel und Beato auf YouTube. Ich hatte wohl das Stück „Use of Light“ aus dem Album Deep Song angeklickt, weil mir an diesem regnerischen Februartag bewusst war, wie nutzbringend doch generell das Licht ist. Ich glaube an die Sonne, mehr als an jeden Gott, denn Dunkelheit drückt auf’s Gemüt. Nach dem Gesprächs-Uplift der beiden Genannten folgte die Abfahrt, Algorithmus-induziert: nach einer Session mit jungen Talenten der New Generation (Kurt Rosenwinkel ist seit langem schon auch Musikpädagoge) dann der Auftritt mit der immer wieder erstaunlichen Frankfurt Radio Bigband. Ja, Skifahren wäre eine angemessene Metapher, Kite-Surfen in den Kosmos aber auch. Immer schwingt in Kurt Rosenwinkels Spiel Lebensfreude mit und das Abfeiern der grenzenlosen Möglichkeiten kreativen Ausdrucks. Es ist im Wesentlichen ekstatisch, permanente Grenzüberschreitung. Ihm sitzt auch der menschenfreundliche Schalk im Nacken, wie sich einmal in einem Interview backstage mit einer etwas naiven französischen Jounalistin zeigte: Ob das auch teilweise improvisiert sei, was er spiele? Yes, occasionally there is some improvisation. Die Musikhistorie schwingt mit in seinen Soli: Bach, Brahms, die Stones, Samba, Jazz, Pop, Blues und Soul. Das sind Höhenflüge, die flinke Finger auf das Griffbrett zaubern. Wer zaudernd introspektive Seelenschau in Moll sucht, geht hier fehl. Nicht zu jeder Zeit passt jede Musik – umso schöner, wenn einen etwas plötzlich anturnt, tagesaktuell oder rein stimmungsmässig. Nimm es mit, take the a-train, catch the nightflight, down the slope!

 

2024 17 Feb

Zwischen zwei Welten

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Zunächst wie so oft skeptisch bezüglich der Investition kostbarer Lebenszeit, komme ich nun im Rückblick zu dem Schluss, dass The Americans zu den besten Fernsehserien gehört, die ich jemals sah. „Was interessieren mich denn sowjetische Spione im Amerika der Reagan Ära zur Zeit des kalten Krieges!“ war die Eingangsfrage. Alle guten Serien (der Spiegel schrieb hinsichtlich der neuen True Detective Staffel mit einer angeblich genial missgelaunten Jodie Foster vom „Hochamt“ des TV-Thrillers) verzeichnen ja gewisse Parallelen, also gemeinsame Qualitätsmerkmale: gute Schauspieler (nicht selten breathtaking), exquisite Kamerafahrten. Dazu Soundtracks, die wie akustische Geschmacksverstärker wirken, familiäre und epische Entwicklungsstränge, knisternde und vor allem geschmackvolle Erotik. In vielem erinnert The Americans an Breaking Bad. Diese sublim situationswitzige Art beispielsweise, mit der Leute ums Leben gebracht werden. Das ist das Gegenteil der Zurschaustellung von Gewalt. Da ist dieses hochattraktive, sportlich fitte, sympathische Spionage-Ehepaar, das eigentlich nach aussen hin mit den zwei Kindern eine Musterehe darstellt: an american dream. Beide sind so top ausgebildet, sodass man als Zuschauer weiss: egal, in welche irrwitzige Situation sie sich verstricken, ihnen passiert nichts, denn sie sind schlichtweg zu gut. Batman und Catwoman im Einsatz. Man muss also nicht auf den Bierdeckel beissen oder an den Nägeln kauen. Dann die Sache mit den Kids, man kennt das beispielsweise auch von Mad Men oder The Affair, wie die sich zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickeln. Viele Gänsehautmomente, etwa wenn Tschaikowski-Klänge und Rückblenden in die Vergangenheit die russische Seele leibhaftig werden lassen. Dann die intimen Inneneinsichten in das Zentrum der Sowjetmacht, die „Residentura“ und das an Mad Men erinnernde Treiben in den Büros des CIA. Sehr reizvoll ebenso ist der Kontrast zwischen Dialog-Szenen im Kammerspiel und den Action-Szenen im Irgendwo. Sowohl in Russland als auch in Amerika werden schöne Bilder eingefangen, die im Kontast noch schöner wirken, geradezu einmalig sind, optisch vom Allerfeinsten. Der Soundtrack ist sparsam und einfühlsam. Die ganze Serie hindurch herrscht eine kontemplative Grundstimmung, durch Action-Spitzen garniert. Beim Schauen der Serie hat man das Gefühl, dass das eigene Gehirn geschult wird – und dies nicht nur der politischen Bezüge wegen, sondern auch aufgrund der tiefen emotionalen Intelligenz. Etwa, wenn sich Phil und Elizabeth für ihre Einsätze verkleiden: tausendundein Typ – und sie sehen immer gut aus. Allein das ist schon den Eintritt wert und eine Show. Zum enthusiastisch angehauchten Loblied hier passen dann natürlich die sparsam eingesetzten Songakzente, sie kommen umso mehr mit Wucht – etwa von Peter Gabriel, David Bowie, den Talking Heads oder von Depeche Mode. Die deutlichste Parallele zu Breaking Bad ist übrigens die, dass der nachbarliche Freund gleichzeitig der ärgste Feind ist: hier Sowjetspione und ein CIA-Mann, dort der FBI-Schwager und der Kartell-Boss. Und hieraus gründet die eigentliche Grundspannung der ganzen Serie: „Wann und wie fliegt das Ganze auf?“ Die Antwort, ohne viel vorwegzunehmen: auf grandiose Weise! Schade, dass man darüber nicht schreiben kann. Tränen in den Augen, Glücks- und Gänsehautmomente gab’s aber vorher schon zuhauf. Es ist auch die Geschichte einer tiefen Freundschaft, mit hohem menschlichen Anstand. Wenn solche Serien zu Ende gehen, bleibt leichte Melancholie: es ist ein bisschen wie das Ende einer Liebe.

 

2024 16 Feb

3 homegrowns

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2024 15 Feb

Die Strasse zu Gabriel

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Hinsichtlich des körperlichen Erlebens waren mir zwei Gedanken stets wichtig. War es Georges Moustaki, vom dem ich vor Jahrzehnten schon den entscheidenden Hinweis bekam, oder war es ein anderer weltberühmter Chansonnier? Auf die Frage, wie er das Älterwerden bewältige, meinte der nämlich schlicht: „Ich versuche, mich zu verausgaben.“ So lautet ein anderer Spruch, tief verankert im Hippocampus, der Schaltzentrale für biografisches Gedächtnis und somit auch Garant für die Gewissheit, wer ich bin: „Wenn du tanzen willst wie ein Afrikaner, darf dir keinerlei Bewegung peinlich sein.“ In der Musik Peter Gabriels steckte immer viel afrikanischer Rhythmus. Was ihn von einigen Songwritern abhebt, ist die in dieser Klangwelt enthaltene body performance: Tanzen um das Lagerfeuer, böse Geister vertreiben, die Traumata der Kindheit heilen. Nun kehre ich zurück in diese Welt, antizipiere sie durch Tanz, will viele Songs natürlich selber spielen, auch das gehört zur Antizipation: nachahmen wollen. Gabriels Stimme ist eine Bank. Seit Genesis haben sich seine Songs verändert. Sie sind weniger verspielt, kubistisch aufgesplittert und ins Fabelwesen driftend, vielmehr griffiger geworden: Kinderlieder, Abzählreime, Symmetrien. Subtil schwingt auch das Gefühl von Verlorensein mit, ferner die Sehnsucht nach Heimat und Verbundenheit. „Mercy Street“ aus dem Album So wäre ein solches Lied. Ist dies nicht auch psychotherapeutische Musik, die Selbstfindungsprozesse wiederspiegelt? Aus den jüngeren Alben gefallen mir am besten die Songs „Don’t break this Rhythm“, „The Road to Joy“ (klingt irgendwie nach David Bowie, Brian Eno produzierte hier zumindest), „Nocturnal“ und „i/o“ – letzterer auch lyrisch ein grosser Wurf.

 

 

David Sylvian singt in einem Song von einer schwarzen Mitternachtsonne. Klammheimlich wurde sie anstelle des Mondes gesetzt, den man gestohlen hatte mit der Folge: alle Magie war verschwunden. Heute morgen las ich, es gäbe jetzt Kakao ohne Kakao, aus Hafer hergestellt. Kaffee ohne Kaffee, Cola ohne Cola, Zigaretten ohne Nikotin. Was macht das Leben lebenswert, sind es Ersatzprodukte? Der österreichische Philosoph Robert Pfaller schrieb sehr viel zu diesem Thema. Eine der wichtigsten Stellen in Die Illusionen der Anderen, einem meiner wichtigsten Bücher, ist tausendfach angestrichen. Ich fand dort vor Zeiten eine Erklärung für ein schleichendes Unbehagen, das meinem Leben lange Zeit anhaftete: es geht um die Identifikation mit einem Ich-Ideal. Aber dieses ist nicht echt und das ist fatal: es verleugnet das Geniessen und es verleugnet das Begehren. Stattdessen vegetiert man in einem aseptisch morbiden Wolkenguckucksheim, in dem dann vorzugsweise Ersatzprodukte Einzug erhalten: billige Sublimationen, die natürlich die Wirtschaft in Gang halten, da ja nun die sündhaft teure Stereoanlage, der überdimensionale SUV den ursprünglichen Wunsch vertreten muss. Jeglicher Bezug zur „Strasse“ ist verloren. Vor vielen Jahren las ich in der TAZ, man solle auf gar keinen Fall seine sexuelle Phantasien unter den Teppich kehren, sie seien doch das Einzige, was hebt. Und der französische Psychoanalytiker Jaques Lacan schrieb, es gäbe nur eine Sünde: sein Begehren zu verraten. Und dies ist auch der Grund, warum mich eine Art zu schreiben anzieht, die mein Interesse weckt: dirty writing. Keine Betulichkeiten bitte, keine Erbaulichkeiten: das Leben ist zu kurz. Return to thrill and reinstall the magic moon instead a boring midnight sun!

 


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