Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Kürzlich haben mehrere Mitautoren hier über das Sortieren und die Ordnungsmethoden eigener Plattensammlungen philosophiert. Dabei tauchte bei mir die Frage auf, was man als Musikliebhaber überhaupt bei sich behält oder wie andere das System handhaben. Die meisten Leute, die ich kenne, besitzen eine mehr oder weniger überschaubare CD-Sammlung. Manche/r kauft sich mal eine Platte, die als „Fehlkauf“ verbucht wird … Aber so eine richtige Sammlungspflege betreibt kaum eine/r. Oder ich höre später, dass einer alles verkauft hat.

Vor zehn Tagen hat ein Nordische-Musik-Bekannter (genau genommen hat er die Seite einst ins Leben gerufen), der zuvor bereits viele lange Jahre für unterschiedliche Zeitschriften geschrieben hatte, geschätzte 6500 CDs verkauft, also mehr als ich besitze – alle auf einen Schlag an einen Händler. Nur einen kleinen Teil persönlich wichtiger Scheiben behält er. Glücklicherweise konnte ich gerade noch rechtzeitig für einen Kurzbesuch dort aufkreuzen und mir einige Sachen heraussuchen, die ich zum größten Teil schon lange gerne haben wollte, unter anderem einige ECM- und Real-World-Veröffentlichungen oder je zwei CDs von June Tabor und Birthday Party. Klar kann ich mir bei weitem nicht alles kaufen, was ich gerne haben möchte – häufig leihe ich verschiedene Musik aus dem reichhaltigen Sortiment des Berliner Bibliotheksverbunds aus, einiges davon erwerbe ich später auch, wenn ich es zu günstigen Preisen finde. Und klar konnte ich bei der Sammlungsauflösung bei weitem nicht alles einpacken, was ich gerne mitgenommen hätte … Doch nun räume ich so nach und nach die CDs in mein Regal, und in der ECM-Sektion gibt es längst nicht mehr genug Platz.

Ich kenne Leute, die finden es ganz wichtig, zu Hause eine ordentliche, will sagen große Bibliothek zu besitzen. Hingegen haben Bücher mich nie so interessiert wie Musikalben. Auch DVDs habe ich nie gesammelt, besitze nur sehr wenige. Man kann doch fast alle Bücher und Filme einfach ausleihen, in einer Stadt wie Berlin sowieso; außer Spezialistensachen vielleicht. Und beim Umzug erst! Uff.

Ja, ich habe Respekt vor den riesigen Bücherregalen von Bekannten und Freunden. Ich verstehe: Dahinter steht der Gedanke, dass man ja dieses oder jenes Buch vielleicht doch irgendwann noch einmal lesen möchte. (Doch kommt man schon dazu, all die Bücher zu lesen, die man gerne lesen würde? Ich überhaupt nicht.) Oder dass einem dieses oder jenes Buch ganz arg am Herzen liegt (bei mir Siri Hustvedts What I loved oder der Katalog zur großen Steve-McQueen-Retrospektive in Basel). Oder man einfach gerne alles parat hat, um gegebenenfalls mal reinzuschauen, für ein Zitat oder ein Gedicht. Aber wenn ich ehrlich bin, sind Bücher für mich eher Gebrauchsgegenstände. Ich hatte nie eine so leidenschaftliche Verbindung zu meiner Hausbibliothek wie meine literarisch bewanderten Freunde. Man häuft schon so vieles an, und wie oft kommt es vor, dass ich in ein bestimmtes Buch unbedingt reinschauen will? Also stehen und liegen hier (fast) ausschließlich Bücher, die ich noch nicht gelesen habe oder von denen ich annehme, dass ich zur Fortbildung oder für ein konkretes Filmprojekt etwas nachschauen oder nachlesen will. Und das sind immer noch zu viele.

 
 


 
 

Ich hingegen pflege lieber eine Musiksammlung, auch wenn man heutzutage vieles online oder ebenfalls in der Bücherei bekommen kann. Aber da kommt es tatsächlich oft vor, dass ich gerade dieses bestimmte Album im Sinn habe und es zum alltäglichen Glück gehört, das dann umgehend aus dem CD-Regal ziehen und in die Hand nehmen zu können. Oder dass ich einfach den Reichtum schätze, aus hunderten von Alben wählen zu können. Und online bzw. über MP3 höre ich sowieso nie Musik, allenfalls wenn ich einen Mietwagen habe, in dem sich – wie in letzter Zeit immer häufiger – kein CD-Spieler befindet. Ohne Cover fehlt mir was bei Musik.

Was aber tun, wenn man weiß, dass man so manche Platte seit Jahren nicht gehört hat und auch nicht davon ausgeht, dass man sie in nächster Zeit wieder hören wird? Marilyn Mansons Mechanical Animals, das Spaghetti-Album von Guns N’Roses oder David Lynchs Eraserhead will ich eigentlich nicht abgeben, auch wenn ich sie nur selten höre. Es sind einfach starke Alben. Am Freitag hörte ich seit langem mal wieder Meds von Placebo – und freute mich, dass ich sie behalten habe. Aber wenn man mit einer Platte nie richtig warm wurde? Bei einigen Alben gehe ich davon aus, dass ich sie noch nicht gut genug kennengelernt habe und womöglich irgendwann mal eher auf ihrer Wellenlänge sein werde (Pat Metheny, Paul’s Boutique, Abercrombie …), und häufig traf das auch zu. Gelegentlich stehen Platten aber auch lange im Regal, immer wieder sehe ich sie, halte sie in der Hand, überlege, höre rein, lege sie womöglich wieder zurück. Manche verkaufe ich irgendwann.

Von ECM gab es immerhin schon drei oder vier Alben, die ich bislang wieder verkauft habe, weil sie mir überhaupt nicht zusagten. (OM und Judith Berkson fallen mir da gerade ein). Doch bei ECM weiß ich eigentlich, dass der Zeitpunkt irgendwann kommt, wenn ich nicht gleich damit warm werde. Aber sonst: Manche Musik versucht man immer mal wieder, ohne dass sich was tut. Eigentlich verabschiede ich mich fast laufend von Platten und CDs, schon allein, weil ich nie all das anhören kann, was ich besitze. Und eben, es gibt ja auch nicht endlos Platz. Bei vielem fällt es mir aber schwer, weil ich denke, vielleicht kommt der Zeitpunkt doch noch …

In den letzten Wochen habe ich gerade wieder einige Platten bei Discogs eingestellt. Dann kaufe ich von dem Geld gleich neue Sachen. Manche CD habe ich tatsächlich irgendwann mal bei Ebay verscherbelt oder verschenkt oder zu Oxfam gebracht… und es dann Jahre später doch mal wieder hören wollen. Da hab ich mir dann Stings Ten Summoner’s Tales oder Notwists rotes Album oder Graffiti Bridge von Prince dann bei Ebay für ein oder zwei Euro wieder besorgt und sie wieder schätzen gelernt.

Und dann entdecke ich oftmals CDs in irgendeinem Laden oder so und denke, ach, die hatte ich ja auch mal, gute Platte. Aber gar nicht vermisst.

This entry was posted on Sonntag, 20. August 2017 and is filed under "Gute Musik". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

10 Comments

  1. Ingo J. Biermann:

    Wie macht ihr das? Wie sieht euer Regal aus?

  2. Michael Engelbrecht:

    Mein Regal hat die Farbe von warmem Rot, pures Holz.

    Ich war immer schon Jäger, nie Sammler.

    Und mein Ordnungssystem?
    „It’s chaos, but it works“ (Grizzly Bear)

    Und, ganz ehrlich, bräuchte ich nicht manches als Archiv fürs Radio, ich könnte alle meine CDs und LPs, wie der Gründer der Nordischen Musik, auf (bei mir) 500 Werke reduzieren, easy. Bliebe aber stets hungrig auf Neues… so dass ich bald wieder auf 600 käme :)

  3. Martina Weber:

    Das Ordnungssystem in meinem Plattenschrank ist ja ein offenes Buch…

    Anstrengend finde ich die verschiedenen Speicherformate, LP, CD, Audiokassette, Digitales. Es hängt sehr von Hörgewohnheiten ab, welche Speicherformate jemand bevorzugt, das muss auf die Wohn- und Lebensverhältnisse abgestimmt werden. In welchem Raum steht welches Gerät, welche Boxen und welche Hör-Möglichkeiten sind damit verbunden. Ich höre in verschiedenen Räumen Musik. Gelegentlich auch draußen.

    Mein Bücherschrank ist schon deutlich umfangreicher als mein Plattenschrank.

    Für mich müssen Bücher und Speichermedien für Musik auch haptische, materielle Erlebnisse sein. Ich mag weder E-Books noch rein digitale Musik. Ich brauche auch einen visuellen Eindruck. Allein schon der Anblick eines Buches oder einer Schallplatte kann etwas auslösen. Das geht verloren, wenn alles digital ist. Es hat auch Datenschutzgründe. Bekannermaßen wird bei der Lektüre von E-Books das gesamte Nutzerverhalten gespeichert.

    Das Buch von Siri Hustvest „What I loved“ habe ich vor einigen Jahren übrigens auch gelesen. Ich erinnere mich z.B. an die seltsamen Schaukästen und verwickelte Beziehungskonstellationen.

  4. Michael Engelbrecht:

    Das ist aber überhaupt ein sehr schöner weitreichender Text!
    Es beruhigt nicht ch, dass ich da eine Eno-Box sehe, „instrumental“ oder „vocal“ …

  5. ijb:

    Heute Nachmittag habe ich übrigens mal wieder Marilyn Mansons Bowie-Album „Mechanical Animals“ gehört. Viereinhalb Sterne.

  6. Martina Weber:

    Würde mich interessieren, was für ein Ordnungssystem du in deinem Plattenschrank praktizierst, Ingo.

  7. ijb:

    Tja, das ist eine spannende Frage, auf die es allerdings nur eine recht langweilige Antwort gibt… Ich habe zwar schon verschiedene Ordnungssysteme ausprobiert, früher, vor langer Zeit. Aber ab einer gewissen Menge an CDs ist es schlicht vollkommen unpraktisch, eine andere als alphabetische Ordnung zu wählen, weil man sonst halt nie was findet. Nach Stilen zu sortieren finde ich schon arg schwierig, weil ich gerade Musik mag, die zu keinem eindeutigen Genre passt. Nach Labels geht auch, aber mich stört dann, dass z.B. sechs Alben vom Christian Wallumrød Ensemble (ECM) nebeneinander stehen und das siebte (Hubro) dann ganz woanders.

    Also habe ich eine große Abteilung (mittleres Foto), wo so ziemlich alles zusammensteht, was irgendwie nach Interpreten alphabetisch sortiert werden kann. Mit gewissen Ausnahmen: ECM steht komplett für sich (plus einzelner Alben mancher Interpreten, die bei anderen Labels erschienen – Wallumrød, Vilde&Inga, Dans les arbres u.ä.). Und auch ILK Music hat ein eigenes Fach. Bei beiden Labels sind einfach so viele personelle interne Querverbindungen zwischen Alben, dass eine alphabetische Sortierung komplett unmöglich ist. Deshalb suche ich da immer ewig, wenn ich was Bestimmtes suche. Stehe ich vor dem Regal und will z.B. ein Album von Stanko oder das von Dominic Miller, finde ich es oft nicht gleich. Ich hab mal angefangen, das irgendwie chronologisch zu sortieren, ist aber totaler Unfug… Deshlab hat das eine seltsame Ordnung, die ich nur bedingt erklären kann… Personelle Überschneidungen stehen irgendwie nebeneinander. Aber das hat natürlich Grenzen…

    Auch eine eigene Sortierung haben alle „klassischen“ Sachen, die nach Komponisten sortiert sind. Und Sammelprogramme wie Soundtracks, Interpreten-„Klassik“ wie Alben von Hilary Hahn oder Vilde Frang stehen auch mal hier, mal da…

    Aber: Es stehen immer Stapel herum, die ich aus den Regalen geholt habe, weil ich denke, das will ich jetzt oder bald mal wieder hören, aber das steht oder liegt dann z.T. auch ewig herum…

    Bei den LPs ist das Ordnungssystem vollkommen anders; das kann keiner erklären. Oben stehen Platten, die ich gegenwärtig eher häufiger höre, unten tendenziell ältere Alben, die aber auch noch in Rotation sind… Und viele Platten stehen in einer Abstellkammer, in die ich gehe, wenn ich dann eine bestimmt rauskramen will, sagen wir mal z.B. Patti Smith oder so, die ich früher endlos gehört habe, aber jetzt eher selten… Alles ist da eher nach Genres / Stilen geordnet. D’Angelo neben Prince und Avantgarde-Techno eher in der anderen Ecke usw…

  8. ijb:

    100% konsequent ist das alles aber nicht. Von Mats Eilertsen stehen 6 oder 7 CDs ganz am Anfang der vierten Reihe auf dem mittleren Bild, direkt vor Einstürzende Neubauten, aber seine ECM-CDs stehen bei ECM. Bei Arve Henriksen stehen alle im „Gesamtregal“, inklusive der einen ECM-CD. Von Sidsel Endresen stehen die meisten zwischen Eminem und Eno, aber zwei bei ECM. Usw… Mir ist tatsächlich der Gedanke sehr sympathisch, dass jede Musik erstmal den gleichen Wert hat, also man keine Unterscheidung macht zwischen Einstürzende Neubauten, Eminem, Sidsel Endresen und Brian Eno. Aber irgendwie gehört ECM dann halt doch eher zu einer eigenen Kategorie, „Manfred Eichers Gesamtwerk“.

  9. ijb:

    Roger Waters steht nicht bei W, sondern bei „Pink Floyd“. Und Page/Plant bei „Led Zeppelin“, wo auch noch eine CD von Peter Danemos schwedischen Bläserquintetts (plus Percussion) namens LED steht, die Led-Zeppelin-Stücke als Jazz-Varianten interpretieren. Mick Jagger steht aber nicht bei „Rolling Stones“, sondern neben Janet Jackson. Und Eurythmics hatte ich mal bei Annie Lennox‘ Gesamtwerk stehen, weil ich Annie Lennox großartig finde, Dave Stewart hingegen ziemlich uninteressant.

    So sieht’s aus. :-)

  10. Martina Weber:

    Sehr interessant. Vielen Dank für den Einblick, Ingo :)

    Meine Sammlung ist viel weniger umfangreich, da ist das Suchen weniger kompliziert und ich habe meine CDs tatsächlich, wie irgendwann auf dem Blog beschrieben, teilweise nach der Stimmung der Musik geordnet, aber auch Stapel gebildet, auf denen CDs sind, die ich gerade höre. Die LPs sind auch nach Stilrichtungen sortiert. Interessant ist vielleicht noch das Prinzip bei den Audiokassetten, ich habe da eine große Abteilung der Mitschnitte der Klanghorizonte. Ich habe in einer Datei im Notebook die Titel notiert, und auf dem Rücken der Audiokassetten die jeweils ersten Titel, so dass ich mit einem Blick in die Datei und dem Betätigen der Suchfunktion und auf die Kassettenrücken recht schnell jedes gewünschte Lied finde. Auf diese Weise habe ich den Track von Bark Psychosis und die Beschriftung der zugehörigen Audiokassette sehr schnell gefunden. Die Audiokassetten sind aber nicht chronologisch geordnet, das wäre noch eine Überlegung wert, ist mir aber nicht so wichtig.


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