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2017 16 Jul

Ein Spiel für Cronopien und Famen

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 30 Comments

Da bist du, allein, gestrandet. Das Raumschiff, auf dem du erwachst, kreist um einen unbekannten Planeten, die Elektronik ist abgeschaltet, weder weisst du, wer du bist, geschweige denn, wann. Dumm gelaufen. Ein Mix diverser Science-Fiction-Topoi. Und was passiert nun?

Der potentielle Horror der Situation wird erstmal gemildert durch den Bordcomputer, der dir „Wach auf, wach auf!“ zuruft, bevor er dich anweist, den Generatorknopf zu drücken, um den Strom anzuschalten. Das bringt deinen „Dinge-Macher“ ins Spiel, der dazu da ist, Dinge zu machen. Unglücklicherweise wurde die umfangreiche Bibliothek der machbaren Dinge erheblich beschädigt – anstatt nun also schlichweg alles mögliche erzeugen zu können, bleibt es einzig bei Kartoffeln – mit einem gewissen Potential.

Ein närrisches Spiel voller bizarrem Humor, doch trotz aller Skurrilität bleiben zum Ende hin sehr  nah gehende Emotionen nicht aus. Wie gut, dass sich aus diesen Kartoffeln einiges herstellen lässt, das pure Verzweiflung unterläuft! Du und dein Computer lösen das Geheimnis des Planeten durch einen recht grotesken Einsatz der Kartoffeln. Nach einigen Stunden nimmt das Spiel eine Wendung, und grössere Themen geraten ins Blickfeld.

Du entwickelst einen Plan, die Erde zu retten, indem du rückwärts durch die Zeit reist, oder, eher vorwärts, bis sich die Zeit umkehrt, so dass du technisch rückwärts in der Zeit reist, bis du den Ursprung, den „Big Bang“ erreichst, und genau an diesem Knallpunkt beginnt die gute alte Tante Zeit vorwärts zu strömen. Natürlich verläuft das nicht plangemäss, es entwickelt sich eine quantensprunghafte Reise Richtung Heimat. Das alles bisher war nur der Prolog zum ganz grossen Abenteuer.

Wir spielen lang genug, bis das Spiel seinen Ton gefunden, seine Voraussetzungen geschaffen hat – ein Universum einer auf Kartoffeln basierenden Aeronautik und Astrophysik – und der grosse Showdown in Sicht kommt (stell dir „2001 – Odyssee im Weltraum“ vor, gefiltert durch den Humor eines Douglas Adams).

Du reist durch Zeit und Raum und Dimensionen, du beobachtest, wie der Planet unterhalb deiner Umlaufbahn Umfang und Form verändert, mal ein totes Feld, mal ein exlodierendes Etwas, eine gelbe Sonne, eine rote Sonne, eine pinkfabene Sonne, ein Teepott, eine zerschmetterte Tasse, ein Riesenauge, und so viel mehr. Während die verrückten Bilder vorbeigleiten, hören sie lange Zeit nicht auf, sehr unterhaltsam zu sein, aber schließlich werden sie doch immer weniger spassig. Endspiel. Du bist einigermassen erschöpft, und möchtest, dass alles vorbei ist.

In diesem Moment berührt das Spiel seine eigene absurdistische Wahrheit: du wirst nie verstehen, was du siehst, das Universum ist komplett verrückt, und es wird nie Sinn machen, du kannst bestenfalls lernen, es zu ertragen – willkommen im Café der Existenzialisten! (Ich werde dir hier nicht preisgeben, ob du es zurück zur Erde schaffst, weil das schlichtweg nicht der Punkt ist.)

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30 Comments

  1. Joanie Rotten:

    Das Buch hab ich mir gestern gekauft.

  2. Michael Engelbrecht:

    Welches Buch? Bei deinem Humor, nehme ich an, das von Douglas Adams:)

    Ansonsten ist das hier keine Geschichte aus dem Buch!

    Herzlichen Glückwunsch an die oder den, der oder die den Code des Textes knackt, Sub- und Sub-Sub-Text :)

  3. Joanie Rotten:

    Das Café der Existenzialsten!

    Das gibt’s!

  4. Michael Engelbrecht:

    Ja, und das ist ein absolut fesselndes Buch!

    „This book takes us back to a time when philosophers and philosophy itself were sexy, glamorous, outrageous; when jazz was cool, and sensuality and erudition were entwined… Bakewell shows how fascinating were some of the existentialists’ ideas and how fascinating, often frightful, were their lives. Vivid, humorous anecdotes are interwoven with a lucid and unpatronising exposition of their complex philosophy … Tender, incisive and fair.“

    (Jane O’Grady Daily Telegraph)

  5. Michael Engelbrecht:

    By the way, breitengradmässig war ich jüngst nicht weit von dir entfernt, am Bodensee. Irgendwann radel ich die 270 km von Lindau bis zum Königssee in meinem ganz privaten Roadmovie.

    Da komme ich sicher an manchem Kartoffelacker vorbei :)

  6. Joanie Rotten:

    Das möcht i sehn!

  7. Joanie Rotten:

    Subsubsubtext: Also als Psychoanalytikerin fallen mir da bloss unanständige Sachen ein!

  8. Michael Engelbrecht:

    Nichts Unanständiges, sagt der kognitive Verhaltenstherapeut mit hypnotherapeutischem Unterbau!

  9. Michael Engelbrecht:

    Und zum Königsseeradweg: es heisst E-Bike! Die Landschaft ist atemraubend.

  10. Michael Engelbrecht:

    EINTRAG VOM 14. AUGUST 2014 (hundertster Geburtstag von J.C.):

    „„Rayuela (Himmel und Hölle)“ sowie „Die Autonauten auf der Kosmobahn“ sind Bücher, die mein Leben beeinflusst haben. Ich habe alle seine Erzählungen verschlungen, keine Story mit Cronopien und Famen verpasst, und die Essaybände mit grösster Lust gelesen.

    Julio Cortazar war ein grosser Jazzfreund, und in seinem Eremiten-Paris hätte ich gerne gelebt, und ihm ab und zu eine neue Platte von Sonny Rollins vorbeigebracht. Volker Breidecker hat heute eine lesenswerte Hommage in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Danke für diesen Text, Volker, du bist auch ein Cronopium.

    Mit meiner damaligen Geliebten bekam ich Riesenärger, als ich ihr von den „Autonauten auf der Kosmobahn“ vorschwärmte: wie können Menschen, die wissen, dass sie bald sterben werden, ihre letzte Reise auf einer Autobahn verbringen, in schmuddeligen Rastplätzen, und „shitty places“, wütete sie herum. Weil sie grosse Geister sind, und Humor haben, entgegnete ich ihr. K. und ich waren bald Geschichte („der Sex war gut, sweetheart, aber du warst eine Nervensäge!“).

    Suhrkamp hat den Klassiker in diesem Jahr neu aufgelegt. Und wenn Sie sich, liebe Leser, einmal an „Rayuela“ ranmachen (bei mir liegt immer noch eine Übersetzung, die ich Robert Wyatt schicken will), dann besorgen Sie sich grosse Mengen von Mate-Tee, und verschwinden für eine ungewisse Weile im Pariser „Schlangenclub“, mitten in einem Haufen schrulliger und liebenswerter Menschen. Ein paar scharfe Bräute sind auch dabei, die Celine und Julie aus dem alten Rivette-Film in nichts nachstehen, und, ja, ich zahle jetzt freiwillig, 10 Euro in die Macho-Kasse der Cronopien.“

  11. Gregor:

    Schön, dass mal wieder von Julio Cortazar die Rede ist. Auch für mich gehört er zu den ganz großen Autoren. Nicht zu vergessen: es gibt den Soundtrack zum Buch „Rayuela (Himmel und Hölle)“, siehe Plattenschrank 34 vom 26.1.2013.

  12. Michael Engelbrecht:

    Ja, ein wiederkehrender Autor bei uns!!!

    Aber, Rätsel über Rätsel, wer kommt dahinter, was das für ein Text ist???! :)

  13. Martina Weber:

    „Provozieren, sich einen Text zur Aufgabe machen, der schlampig gemacht ist, unverbunden, inkongruent, der bis ins letzte gegen die Kunst des Romans (obgleich nicht gegen den Roman) verstößt. (…) Methode: Ironie, unablässige Selbstkritik, Inkongruenz, Phantasie in niemandes Diensten.“

    Rayuela, S. 455 in meiner Ausgabe

  14. Michael:

    INKONGRUENT??

    Unablässige Selbstkritik??

  15. Martina Weber:

    Es steht im zweiten Absatz von Kapitel 79, das so beginnt: „Eine äußerst pedantische Aufzeichnung von Morelli: …“ und der Rest des Kapitels besteht aus einem Zitat dieser Aufzeichnung. Es ist ein poetologisches Statement, das man auch auf das gesamte Buch übertragen kann. Jedenfalls lese ich es so :) Man kann es auch als Poetologie eines postmodernen Textes an sich lesen. Es war ja nur ein Auszug, ich mag solche Passagen.

    Und was den Sub-Subtext deines wunderbaren Cyberspace-Textes angeht: Da ist so vieles möglich, ich habe keine Ahnung. Ich bin eher der Meinung, dass mir der Sub-Subtext, den der Autor hineininterpretiert, weniger interessiert als der, den ich selbst darin finde, falls ich überhaupt einen Sub-Subtext suche und ich mich nicht schon mit dem Subtext begnüge.

  16. Martina Weber:

    Bei der Gelegenheit hier noch der Hinweis auf meine Besprechung des hier erwähnten wundervollen Buches „Die Autonauten auf der Kosmobahn“ von Julio Cortázar und Carol Dunlop …

  17. Michael Engelbrecht:

    „Mein wunderbarer Cybertext“ ist gar nicht von mir, nur zu einem kleinen Teil. In weiten Teilen habe ich eine englische Besprechung übersetzt, und den Text ein wenig für Cortazar-Kenner aufgebrezelt. Geistiger Diebstahl im Grunde. Die Rezension erschien mir unfreiwillig skurril, und sie hatte einen gewissen „exiszenzialistischen“ Charme. Viel Spass beim Runterladen und Spielen von „Cronoply“!

  18. Joanie Rotten:

    Subsub: Ich habs!

    Sartre erwacht im richtigen Leben und stellt fest, dass seine Philosophie der totalen Freiheit nicht funktioniert weil der Mensch von seinen Instrumenten abhängt die nun mal insuffizient sind – sein Körper wird ihm das später noch beweisen. Er kehrt an den Ursprung zurück, macht ne Psychoanalyse und entdeckt dass alles Seiende völlig unberechenbar und irrational ist, erleidet einen psychotischen Schub und beschließt mit der Philosophie aufzuhören, weil man das Sein ohnehin nicht erdenken sondern nur entspannt erleben kann. Er wird kein Junkie wie in der Realität sondern beginnt zu meditieren.
    Krieg ich die Filmrechte?

  19. Michael Engelbrecht:

    Bingo! You’re the winner, and the winner gets it all!
    Ask ABBA!

  20. Michael Engelbrecht:

    Der wirkliche Titel des Spiels ist SPACEPLAN.

    Hier eine englische Besprechung, nicht die, welche ich übersetzt habe…

    http://toucharcade.com/2017/05/08/spaceplan-review-delicious-potatoes/

  21. Joanie Rotten:

    Aber – ähm – wenn ich was höre von einem Mann , der aufwacht und seinen Dingmacher entdeckt denk ich jetzt nicht zwingend an einen 3 -D- Drucker – tschuldigung, ich hör schon auf, Leute!

  22. Michael Engelbrecht:

    Da hör dir dann, zur Beseitigung naheliegender Phantasien, jenes Lied von Neil Young an, auf dem er immer wieder nur diese Zeile singt:

    „Ain’t got no T-bone, got smashed potatoes“

    (Von der Platte REACTOR)

  23. Joanie Rotten:

    Meine Phantasien sind unbeseitigbar!

  24. Michael Engelbrecht:

    Die Story ist ein bisschen wie Lems Sterntagebücher treffen auf Becketts Endspiel …

  25. Joanie Rotten:

    Also doch eine sehr existenzielle Situation: Erinnert an Tucholsky „Saure Jurken is keen Kompott“ oder „C’est la vie“ (Man möchte immer eine grosse lange – und dann bekommt man eine kleine dicke).

    Du siehst, ich denke immer assoziativ rückwärtsgewandt. Aber ist in der Literatur nicht alles schon mehrfach gesagt?

  26. Michael Engelbrecht:

    Es gibt nichts Neues unter der Sonne? Ich bin mir nicht so sicher. Ich empehle gerne, wenn es um wilde Reisen geht, die Praxis des luziden Träumens, mit freundlicher Unterstützung von Nootropica – und wenn es um abenteuerliche Literatur geht, aus unseren bewegten Zeiten, Clemens J. Setz‘ „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“. Suhrkamp veröffentlicht doch noch Weltliteratur :) – für dich, Joanie, müsste dieser Psychoschmöker ein gefundenes Fressen sein.

  27. Joanie Rotten:

    Ja, da hast Du recht. Trifft allerdings weniger für die Literatur zu.Luzides Träumen kann ich auch, bin aber immer in der gleichen Gegend, da könnte ichn Stadtplan zeichnen.Fühl mich sehr wohl da, da könnte ich es in der Ewigkeit aushalten, vor allem das Fliegen ist cool und Gegenstände levitieren. Ohne Nootropica!
    Belletristik hab ich mir etwas abgewöhnt, ich habs eher mit den Naturwissenschaften, man kriegt schliesslich den ganzen Tag Geschichten erzählt, warum soll ich noch welche lesen, aber vielleicht schaff ich mir Besagtes an für den Urlaub.
    Wenn ich filigrane Seelenzeichnungen will lese ich Colette.

  28. Michael Engelbrecht:

    Wievel Luzide Träume hast du denn pro Woche?
    Bist du ein Spontantalent, oder musst du dafür üben …

    Also, wenn ich immer in der gleichen Gegend landen würde, würde ich das rasch ändern …

    Deine Handlungspalette erscheint mir für volle Luzidität ein wenig selbstgenügsam ….

    Ich empfehle mal einen Flug über den atlantischen Ozean, oder eine Reise zu einem anderen Planeten.

    Und das ist mein Lieblings-non-fiction-Buch:

    https://www.theguardian.com/global/2017/jan/08/how-dropping-acid-saved-my-life-ayelet-waldman-books-depression

    (Copy and paste)

  29. Michael Engelbrecht:

    Urlaub, wenn man am Chiemsee wohnt… wo macht frau dann Urlaub? Am Schwäbischen Meer (brüll!!!) ?

  30. Joanie Rotten:

    Mir gefällts aber da und da treffe ich meine Leute – Atlantik hab ich keinen Bock und anderer Planet sowieso nicht. Bin ein Spontantalent, musste aber auch üben!!
    Am Schwäbischen Meer bin ich während der Lindauer Wochen!
    Ich BIN selbstgenügsam! Bräuchte nur das Meer etwa in der Höhe von Tirol und München in der Nähe von Rosenheim, dann wärs perfekt!


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