Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2016 18 Nov

Zwei Filme

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Whiplash verstört, wühlt auf. Einem sadistischen Musiklehrer mit Charaktermerkmalen eines cholerischen KZ-Aufsehers bei der Arbeit zuzusehen, ist wahrlich kein Vergnügen. Oder war es deshalb keines, weil Humor hier völlig fehlte? Erinnerungen wurden wach an Volker Schlöndorffs Verfilmung von Margaret Atwoods bleischwerem Stoff „Die Geschichte der Dienerin“ (The Handmaid’s Tale), der mir einst sauer aufstiess.

Im Gegensatz dazu geht die Masse geradezu irrwitziger Gewaltszenen, wie sie die Qualitätsserien Fargo, Breaking Bad, Sons of Anarchy oder Justified zeigen, immer auch mit distanzschaffenden Portionen von Humor, Spielwitz und erzählerischer Leichtigkeit einher. Zudem ist die Darstellung subtil psychischer Gewalt, vor allem unter dem Deckmantel der „Erziehungsberechtigung“, oft schwerer zu ertragen wie die körperliche.

Jazzkenner und Musiker, die sich unter dem Sammelbegriff Insider auf höheren Ebenen treffen, mögen ferner einwenden, es sei ja gar kein Jazz, der da gespielt werde. Anyway, die interessante Frage stellt sich stets erneut, welche Merkmale es denn sind, die einen guten Musiker ausmachen. Gerne bemerke ich zuweilen, dass ein Jazzmusiker – vom Format eines Chris Potter beispielsweise – intellektuelle und technische Fertigkeiten besitzt, die denen eines Flugzeugpiloten oder Herzchirurgen in nichts nachstehen.

 

In eben dieser Sphäre von Exzellenz bewegt sich auch der Maler Wolfgang Beltracchi, von dem der Dokumentarfilm Beltracchi – Die Kunst der Fälschung Zeugnis abliefert. Ähnlich wie ihn Breaking Bad erzählt, wäre in diesem Lebenslauf einmal mehr reichhaltiger Serienstoff zu finden, in dem ein intelligenter, überdurchschnittlich Begabter zunächst erfolgreich, aber letztlich scheiternd Grenzüberschreitungen in kriminelle Bereiche wagt.

Delikat wird es, wenn der dann unter Mithilfe seiner Frau ein Max Ernst Gemälde in Frottagetechnik herstellt, es einer kunsthistorischen Koryphäe wie Werner Spies (der Max Ernst Kenner schlechthin) präsentiert und es kurzerhand als unbekanntes Werk des surrealistischen Meisters durchgewinkt wird. Tragisch und komisch, wie Vieles in diesem spannendem und intime Einblicke gestattendem Filmporträt, das Lust auf mehr macht.

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3 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Es bleibt auch eine Frage der Sympathien: bei WHIPLASH sind Vielschichtigkeit und Suspense in grossartiger Mixtur durchgezogen bis zur letzten Sekunde, ich sah den Film zweimal, und, ja, es ist JAZZ.

    Bei dem allseits und sicher zurecht gefeierten BREAKING BAD musste ich nach wenigen Folgen aufgeben, weil ich den Protagonisten unerträglich fand. Sowie Joey es bei WHIPLASH erging. It was personal, sozusagen. Aus ähnlichen Gründen war auch THE SOPRANOS nicht meine Welt.

    Zudem möchte ich den durchaus gewalthaltigen Serien mit herausragender Abgründigkeit, coolen Drehbüchern, hohem Suspense (und Sympathiefaktor für einzelne Figuren!) folgende dezent hinzufügen:
     
    BANSHEE SEASON 1-4
    RAY DONOVAN SEASON 1-3
    BLACK SAILS 1-3

  2. Hans-Dieter Klinger:

    WHIPLASH – Ich habe den Film zweimal gesehen.

    Gut, beim ersten Mal achte ich vorrangig auf das „Was“. Fletcher, der „Pädagoge“, verrichtet einen odd job. Der Wurf eines Beckens an den Kopf endet nicht selten so

    Nur wer hart, zäh und flink ist, kann bestehen. Fletcher geht es nicht um seine Eleven, es geht ihm immer um seinen persönlichen Endsieg. Spannend ist der Film allemal, spannend ist es, die Resistance Neimans gegen den Band-Führer zu beobachten.

    Beim zweiten Mal achte ich auf das „Wie“.

    Die Band ist ausgezeichnet. Das Titelstück „Whiplash“ im 14/8-Takt erinnert mich an das DON ELLIS ORCHESTRA. J.K. „Fletcher“ Simmons dirigiert vorzüglich, geradezu untypisch gut für einen Filmschauspieler. Außerdem scheint er die Jazz-Ballade am Piano im Club (kurz vor Schluss) selbst zu spielen. Und Miles „Neiman“ Teller muss irgendeine Ahnung vom Schlagzeug Spielen haben.

    Ich hab den Film nicht im Kino gesehen, sondern von Blue-ray-Disc. Im Anschluss an den zweiten Durchlauf kamen die Extras dran. Da erfährt man, dass Teller tatsächlich Schlagzeuger ist und speziell für diesen Film vom Rock-Drummer zum Jazz-Drummer umschulte.

    Man erfährt, dass Damien Chazelle (Regie) ebenfalls Jazz-Drummer war bzw. werden wollte. Auf die Frage, was zu seiner Wandlung vom Drummer zum Regisseur geführt habe, antwortet er: „Alles, was im Film gezeigt wird“.

  3. Lajla:

    Beltracchi hat den Kunstmarkt bis zur Lächerlichkeit bloßgestellt.

    Wie sich Herr Spies drehte und verbog / verlog, war ja offenbarend. Beltracchi ist ein sehr guter Handwerker, ein genialer Künstler ist er nicht. Das ließ sich in seinen TV Sendungen bestätigen. Als er z.B. Hape Kerkeling porträtierte, fuhr Hape ein Schreck durch’s Gesicht, als er sich im Malerspieglein sah.

    Das 1. Buch über die Beltracchis habe ich gern gelesen, die Knastbildchen von seiner Frau sind ziemlich gelungen und zeigt sie als die vermutlich größere Kunstkennerin.

    Kriminell sind sie beide.


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