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2016 15 Nov

Katie Gately: „Color“ (Album of November)

von: ijb Filed under: Blog,Gute Musik | TB | Comments off

Ich höre mir ja jedes neue Madonna-Album an — nicht weil ich Fan von Frau Ciccone wäre, sondern einfach, weil es ja doch immer mal sein könnte, dass sie sich doch noch einmal die richtigen Partner/innen sucht und am Ende das innovative Popalbum macht, das sie jedes Mal von Neuem verspricht. Doch Madonna hat seit den Tagen mit William Orbit und Mirwais Ahmadzaï leider stetig nur auf aktuell angesagte Hipster-Produzenten gesetzt (anders als etwa Björk, die zuletzt Alejandro „Arca“ Ghersi und Bobby Krlic alias The Haxan Cloak anfragte, als die beiden nicht einmal Spezialisten ein Begriff waren).

Warum diese Vorrede? Weil Katie Gatelys Stimme auf ihrem Debütalbum nicht selten so klingt, als handle es sich bei Color um das lange versprochene Madonna-Album, das Songwriting und experimentelle Elektronik zu einem ambitionierten, hochkomplexen „State of the Art“-Pop verbindet. Ach, was wäre es schön, wenn die junge Dame aus Los Angeles auch nur ein Drittel der Aufmerksamkeit bekäme, die Madonna mit jedem neuen Album generiert, sich auf den Ideen anderer Popmusiker ein bequemes Polster einrichtend. Ich denke mir so, dass tatsächlich Hunderttausende diese Musik hören würden, wenn da jetzt „Madonna: Color“ auf dem Cover stünde. Den Unterschied würden die meisten doch ohnehin nicht mitbekommen, bei den Softwaretechniken, mit denen Madonnas Gesangstimme mittlerweile verfremdet wird (und, wie gesagt, der Unterschied zwischen den Stimmen der beiden ist, soweit die Songs dieser Platte zeigen, ohnehin nicht groß). Und die 25% der Käufer und Hörer, die sich über „das neue Madonna-Album“ eh nur beschweren würden, weil es (wieder einmal?) nicht spannend / traditionell / innovativ / klassisch / eingängig / mutig (Zutreffendes bitte unterstreichen) genug ausgefallen ist, die kann man getrost vergessen, denn die Ausfallquote — derer, die sich ja doch eigentlich eine andere CD gewünscht hätten — gibt es ja doch zuverlässig mit jedem neuen Album.

Nun wird Katie Gately sicher niemals den Status einer Madonna einnehmen. Doch anders als die ältere Kollegin aus Michigan, die bereits zu lange auf bereits (von anderen) erprobte Ideen setzt und diese mit ihren üblichen Songideen zusammenfügt, bringt die dreißig Jahre jüngere New Yorkerin sehr zeitgenössische und mutige Klangideen mit Pop-Songwriting zusammen, manchmal eingängig („Sift“, „Color“), manchmal radikal fragmentiert, verzerrt und manipuliert, und es ist deutlich, dass sie sich keineswegs immer sicher ist, was als Ergebnis ihres orchestral spielerischen Arbeitsprozesses hinten rauskommen wird. Color ist, anders als zuletzt Rebel Heart, MDNA und Hard Candy (schon die mauen Albumtitel tragen ihr Pseudo-Wagemuts-Programm unbeholfen vor sich her), eine echte Wundertüte mit verqueren (um ganz hip zu sein, müsste man wohl sagen: „queeren“) Pop-Melodien, die mit verzaubernder Produzentinnenfantasie zu einem surrealen Album voller eigenwillig spannungsreicher Songs ausgefeilt wurden. In meinen Augen (bzw. Ohren) liefert Katie Gately mit Color das „(über-)experimentelle, versponnene“ Songwriting-Album, als das Bon Ivers (zugegeben, ganz hervorragendes) 22, A Million mancherorts dargestellt wurde. Mit etwas Vorsicht kann man Miss Gately damit in die Ecke verwandter Pop-Neuschöpferinnen wie FKA Twigs oder Grimes stellen, deren letzte Platten nur vielleicht mehr Pop als Experiment boten, während bei Katie Gately das Verhältnis umgekehrt ist.

Deutlich scharfkantiger als Grimes, knalliger als FKA Twigs, und vor allem weniger verkopft als Holly Herndon… und wer bei der Flaming-Lips-Kollaboration mit Miley Cyrus (Miley Cyrus & Her Dead Petz) den versprochenen Wahnsinn vermisst hat, sollte bei Katie Gately die ersehnten freudig glühenden Ohren bekommen. Dazu darf man gerne die Lautstärke auf ein (für die Nachbarn?) ungesundes Maß aufdrehen. „Not quite ‘industrial’ but I am a massive Public Image Ltd. fan. The dissonance and aggression in the music is the Holy Grail for me,“ sagt Gately im Interview mit Richard Allen. Ja, die wundervolle Verzerrung und Übersteigerung eines Songs wie „Sire“ mit seinen metallischen krachenden Beats zu flippigem Gefieps und Kling und Klang aus allen Ecken und Vokalharmonien obendrein, was in der Summe ein durchaus transparentes Klangspektakel bleibt, das sind fünf von insgesamt 42 Minuten eines der spannendsten Popalben des Jahres mit einem Genres durchdringenden Wahnwitz.

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