Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2016 6 Okt

Gregor öffnet seinen Plattenschrank (122)

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 4 Comments

Neu in meinem Plattenschrank: Giovanni Guidi – Ida Lupino, mit Giovanni Guidi am Klavier, Guianluca Petrella Posaune, Louis Sclavis Klarinette, Gerald Cleaver Schlagzeug: Das Titelstück hat mich ohne jeden Zeifel dazu bewegt, die CD unbesehen zu kaufen. Diese wunderschöne Carla-Bley-Komposition als Titel einer Schallplatte, das gab es bislang nur äußerst selten. Vielleicht hat ECM diese Scheibe just in diesem Jahr und unter diesem Titel erscheinen lassen, weil Carla Bley im Frühjahr 80 Jahre alt geworden ist und Paul Bley, der eben dieses Stück auf einer der ersten Schallplatten der Firma ECM, auf Open To Love (1972) nämlich, veröffentlicht hat, dieses Jahr gestorben ist?! Anyway, das Stück selbst wurde so oft und von so vielen Musikern nachgespielt und ganz unterschiedlich interpretiert, dass man schnell den Überblick verliert. Paul Bley hat das Stück seiner ehemaligen Frau wohl am häufigsten eingespielt. Eine kleine Auswahl der unterschiedlichsten Einspielungen folgt sogleich. Doch zunächst: wer war eigentlich Ida Lupino? Geboren am 4. Februar 1918 in England, gestorben am 3.August 1995, sie war Schauspielerin, Regisseurin, Produzentin, Autorin und eine der ersten weiblichen Regisseurinnen in der Filmindustrie. Ein interessanter Artikel findet sich in Der Tagesspiegel vom 3. Juli 2016: Hommage an Ida Lupino.

In der TAZ las ich folgendes Zitat von Ida Lupino: „Ich behalte alle weiblichen Eigenschaften. Die Männer mögen das lieber. Sie sind kooperativer, wenn sie denken, du seist vom schwächeren Geschlecht, selbst wenn du in einer Position bist, Befehle zu erteilen, was normalerweise das Vorrecht der Männer ist. Oder zumindest glauben sie das.“ William Donati veröffentlichte 2009 eine Biographie über sie: Ida Lupino: A Biograph.

 
 
 

 
 
 

Ida Lupino gehört zu den ersten Kompositionen, die Carla Bley geschrieben hat. Damals noch als Carla Borg, kam sie Mitte der fünfziger Jahre nach New York, verdiente sich mit dem Verkauf von Zigaretten und anderem in Jazz-Clubs Geld und konnte nebenbei fast alle Jazzgrößen sehen, die sie unbedingt einmal hören wollte, Hier lernte sie auch Paul Bley kennen, ihren späteren Ehemann, der Ida Lupino, wie viele andere Kompositionen von ihr sehr häufig gespielt und aufgenommen hat.

Hier nun eine kleine Auswahl der Einspielungen von Ida Lupino … das wäre ein Mixtape!

Zunächst seien einige Einspielungen von Paul Bley erwähnt, die natürlich alle sehr, sehr hörenswert sind: Es beginnt schon 1965 mit der LP Closer, mit Barry Altschul und Steve Swallow; es folgt 1966 Ramblin´, dabei sind wieder Barry Altschul und Mark Levinson (im April 2016 wieder veröffentlicht). Ein Highlight nun, eine Platte, die einen besonderen Platz in meinem Plattenschrank einnimmt: Paul Bley: Open To Love (1972), auch hier findet sich Ida Lupino; 1975 veröffentlicht Paul Bley mit Paul Motion, Gary Peacock und John Gilmore: Turning Point; 1976 dann: Paul Bley & Jesper Lundgaard: Montmartre und 1984: Paul Bley & Jesper Lungaard: Live; nach langer Pause spielt Paul Bley dann eine ganze Platte ausschließlich mit Carla-Bley-Kompositionen ein: Paul Bley: Paul plays Carla (1991); auch auf Gary Burton & Paul Bley: Right Time – Right Place (1990) kann man eine sehr schöne Version von Ida Lupino finden; über elf Minuten hören wir dieses Stück in einer Interpretation von Charlie Haden, Paul Bley und Paul Motian: The Montreal Tapes (1994); Carla Bley selbst spielt das Stück auf Dinner Music (1977). Und hier noch einige weitere hörenswerte Interpretationen Steve Kuhn: Three Waves (1966); John Scofield: John Scofield (1978); Michel Portal, Steve Swallow, Joey Baron u.a.: Dockings (1998); Joe Thompson: Littlefoot (2001); Dave Palmer: Romance (2006); Roberto Ottaviano: Live in Israel (2007); Helge Lien: To The Little Radio (2006); Michael Gibbs & NDR Big Band: In My View (Juni 2015); Aki Takase: The first years in Europe (Juni 2015); Mary Halvorson: Meltframe (April 2016); Andy Trio Browne: Orangutans (Nov. 2007); Susanne Abbuehl: April (2009); Rüdiger Krause: A Guitar named Carla (Mai 2015); Laia Genc: Strandgut (2008); Jay Epstein & Bill Carrothers: Easy Company (2009); Irene Schweizer: To Whom It May Concern (Januar 2011)

Fast alle genannten CDs oder LPs sind noch im Handel erhältlich (z.T. eben als Wiederveröffentlichung). Ein kleiner Tipp noch zum Schluss: auf Youtube kann man die Carla Bley Combo 1972 in Hamburg sehen und hören, mit Michael Mantler und Karin Krog, sie spielen Ida Lupino und zuvor gibt es noch eine Ansage: von Michael Naura.

 
 
 
002b3d79
 

This entry was posted on Donnerstag, 6. Oktober 2016 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

4 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Carla Bley Combo 1972 Hamburg …

    Vielleicht war Jan vor Ort. Die Zeit passt :)

    Ich kenne natürlich nicht mal die Hälfte dieser Versionen, aber einige schon, und meine favorisierte wäre die aus Paul Bleys Solopianoalbum OPEN, TO LOVE.

  2. Gregor:

    … und so sehe ich das eben auch!

  3. Michael Engelbrecht:

    Einmal, als Michael Naura mir mal wieder grünes Licht gegeben hatte für eine anderthalbstündige Sendung über Talk Talk, mit dem Titel „Talk Talk, oder 50 Wege, das Zeitgefühl zu verlieren“, sah er meinen Flyer zur Show, und meinte: „Talk Talk – was ist das denn für ein Scheiss, Engelbrecht?“ Er dachte wohl kurz an Modern Talking. Aber ich konnte ihn beruhigen mit den stillen Anwesenheiten von Miles Davis, Elvin Jones in Passagen ihres Spätwerks. Er war schon ein Kauz, aber, verdammt, ich mochte ihn einfach. Und das ganze Team um ihn herum, Tobias Hoffmann, Hannelore Raukuttis – grossartige Menschen. Und ich hatte die „green card“, aus dem grossen Archiv alle möglichen Seltenheiten zu leihen. Ich bin unendlich dankbar für die 90er Jahre an der Rothenbaumchausee, bevor die Technokraten die Spielräume des Jazz drastisch kürzten. Es gab zuvor auch mal zwei Attacken von Missgünstigen, die mich da am liebsten abgesägt hätten, der Mann liess sich aber nicht vor ein faules Pferd spannen – chapeau!

  4. Jan Reetze:

    Was für erlauchte Namen. Doch leider, Michael, war ich da nicht. Zu Carla Bley habe ich es erst in den 80ern mal geschafft; ich meine, es wäre eine Nachtvorstellung im Schauspielhaus oder in der Staatsoper gewesen.

    Karin Krog habe ich leider nie live gesehen. Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt oft in Hamburg aufgetreten ist.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz