Manafonistas

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2016 11 Aug

Die wunderbaren Begrenzungen von Kurt Wagner (Remix)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags:  5 Comments

1

 

Ich habe mich schon einige Male gefragt, was dieser Mann für Bücher liest. Selten wird man von einem Sänger und seiner Band dermassen  zwischen Klarheit und Traum eingesponnen. In dieser Musik gibt es eiskalte Winternächte, einen Schaukelstuhl, und den Geruch amerikanischer Holzhäuser.  In seinen Texten könne man sich leicht verfangen, sagte ich vor Jahren dem freundlichen Herrn mit Hornbrille ins offene Gesicht, und manchmal erscheine es mir, seine Songs seien eine seltsame Kreuzung zwischen dem skurrilen Humor eines Richard Brautigan und den hermetischen Kargheiten eines Raymond Carver.

„Is A Woman“ war eines der Meisterstücke der Band. Auch ein Traum von altem Jazz, von den Sphären, in denen Billy Strayhorn und Duke Ellington „Solitude“ spielten. „Is a Woman“ war ein Melancholikum ersten Grades, vom Licht alter Sommer erfüllt, von Spinnweben, von der Tragweite unscheinbarer Momente. Kurt Wagner lockte uns mit „Lammkeule ist eine Frau“ in einen keinesfalls aus der Mottenkiste stammenden Geschichtenzauber: der Pianist Tony Crow legte dabei Klangspuren, die bis in die Vierziger Jahre des alten Amerikas reichten, lauter melodische Destillate. All diese „alten Hüte“ bringen erst dann etwas, wenn sie schief auf dem Kopf sitzen, nicht formgerecht!

„Ich habe ja so meine Begrenzungen, was die Sprache des Jazz angeht, aber Tony erlaubte mir, meine Vorstellungen weiter in die Richtung zu treiben, die mir im Kopf vorschwebte“, sagt Kurt, hustet, und blickt aus dem Fenster des Kölner Chelsea Hotel.  

 

2

 

Das Sedierende (was manche als „Soft Rock“ denunzieren) ist die größte Hinterlist des Mannes mit der Mütze. Dem großen und zugleich lässigen Wurf von „Is A Woman“ folgt eine Tour mit dem „Kurt Wagner Trio“, die alles Leise noch mehr auf die Spitze trieb. Mittlerweile muss  der Mann mit der sonoren Baritonstimme nicht mehr dem Job des Fliesenlegers nachgehen; „Nixon“ (2000) war ein kommerziell erstaunlich erfolgreiches Album, die Palette der Klangfarben weiter gefächert, man zollte Curtis Mayfield Tribut und  blieb sich selber treu.

Der Durchbruch (womit der Wechsel von nahezu leeren Clubs zu ausverkauften Häusern gemeint ist) gelang im Sommer 1998, als Lambchop, mindestens zwölfköpfig, mit den damals noch recht unbekannten Calexico und Vic Chesnutt durch Europa reisten. Ich sah diesen Dreierpack im „Electric Ballroom“ im Camden Town, es war eines dieser Konzerte, bei denen sich die Holzmaserung der Ausschanktheke so sehr ins Gedächntnis schreibt wie die Augen der Frau an deiner Seite,  und das Hinausströmen der Scharen in die Nacht.

 

3

 

Lambchop rückwärts zu entdecken, ist eine ergiebige Sache, denn diese Band hat nur Gutes, sehr Gutes und  sehr, sehr Gutes geschaffen, „What Another Man Spills“ (1998) gehörte in meiner Mitternachtssendung  genauso so zu den besten Produkten des Jahrgangs wie zuvor „How I Quit Smoking“ (1996). David Byrne wurde damals Lambchop-Fan, erinnere ich mich. Für den  Doppelschlag,  „Aw C´mon“ und „No You C´mon“, nahm sich der Mann aus der Countrymetropole jede Menge Zeit, um seiner Kunst,  ziemlich gewitzt, auf die Sprünge zu helfen:

 

Wenn ich früher Songs schrieb, dann konnte ich nie sagen, wann diese Lieder entstanden, es waren Glücksmomente. Nun aber wollte ich einmal nach klaren Kriterien arbeiten, und jeden Tag einen Song schreiben. Klar, gute Ideen kamen, schlechte Ideen kamen, aber ich bewertete nichts, ich war geradezu begierig darauf, Fehler zu machen. Es war wie ein Ritual, und es blieb mir kaum Zeit, lange über kreative Entscheidungen zu grübeln. Manchmal flog der Tag nur so dahin, manchmal blieb die Zeit auf der Stelle stehen. Aber es gab ja immer ein Morgen, immer einen neuen Nullpunkt.

 

4

 

Die Trennung von Spreu und Weizen überließ man einem späteren Zeitpunkt, Kurt Wagner verschwand zwischen Sommer und Winter 2002 in seiner Songschmiede. Das meiste war schon geschrieben, da flatterte das Anbgebot ins Haus, Murnaus melodramatischen Klassiker „Sunrise“ neu zu vertonen.

 

Ich wollte an diese Aufgabe so herangehen, wie es einige Filme in den Sechziger Jahren gemacht haben, etwa „The Graduate“, mit Dustin Hoffman und den Liedern von Simon & Garfunkel, oder „Butch Cassidy and Sundance Kid“. Damals begann man damit, Popmusik in Filmkontexte zu transportieren, das war zuvor nicht so häufig der Fall. So wählte ich einige Songs aus, die bestimmte Passagen des Films auf ganz eigene Weise kommmentieren oder miterzählen sollten. Und ich schrieb einen beschwingten, leichten „Opener“ wie „Sunrise“, schließlich hatte der Film ein Happy End, und, trotz aller Liebeswirren, eine optimistische Ausstrahlung – das wollte ich schon in der ersten Sequenz andeuten!

 

Wenn Kurt Wagner mal kurzweilig mit Walt Disney-Stimmungen spielt, wenn alte Anleihen beim Seventies-Philly-Soul (der berühmte seidige Streicherglanz!) genauso zum Tragen kommen wie versprengte „blue notes“, amorphe „ambient drones“, eine Prise Rumpelrock, ein Abreissen der Kehlkopfstimme in bester (ja, auch der Mann hat mal tolle Songs geschrieben!) Cat Stevens-Manier; wenn darüber hinaus leicht mysteriöse Stories und Wortspiele selbst Dylanologen zur Verzweiflung treiben könnten, dann liegt die Vermutung nahe, daß es sich wohl um einen recht bunten Gemischtwarenladen handelt. Und genau an diesem Punkt (wo manchem der Spruch vom „Weniger wäre mehr“ auf der Zunge liegt) lässt sich das schöne Gelingen von „Aw C´mon“ und „No You C´mon“ festmachen: statt die leisen Intensitäten von „Is A Woman“ fortzuschreiben, erlaubt man sich gleichermassen Exerimente und alte Lieben.

 

5

 

Dabei setzen Kurt Wagner und Co. einen Trick ein: etliche Songs legen in den ersten Sekunden eine falsche Fährte, holen Luft, und schlagen unversehens eine gänzlich andere Richtung ein. Und sie sind kürzer geworden: das Extra an stilistischer Breite und die fallweise epische Pinselführung werden ausbalanciert von einer Verdichtung der Komposition. So wird, anders als bei vielen Retrobands im Retrorausch, die Lambchopsignatur noch ins offenhörbarste Zitat eingewoben. Und hier kommt die herzlich begrenzte Stimme des Herzerweichers und Crooners entscheidend ins Spiel, eine Stimme, welcher geschätzte Attribute wie elegante Geschmeidigkeit, oktavenumspannendes Spektrum und lautmalerische Prägnanz weitestgehend abgehen.

 

Bei mir geht es immer um den Song, den ich gerade singe. Bei manchen Liedern ist ein leiserer Ansatz erforderlich, und jede Art von Aus-Sich-Herausgehen wäre falsch. Manchmal denke ich, klappt das sehr gut, und die Stimme findet den Ort, an den sie innerhalb eines Liedes gehört. Wahrscheinlich verlangt jeder Song, daß ich ihn auf bestimmte Weise singe. Und das ist gut, weil auf diese Weise eine ganz persönliche Aussage entsteht. Zugleich erhält das Lied dadurch eine Einschränkung. Daß es vielleicht kein anderer singen kann (lacht). Und das ist nicht mein Ziel. Es wäre ein Erfolg, wenn ich jemanden finden würde, der sich einer meiner Songs annehmen könnte!

 

6

 

Sogenannte „begnadete“ Stimmen hören sich anders an, erliegen dann aber auch um so öfter dem eigenen Reiz und landen, statt in der Kunst, im Gewerbe. Wer aber so rigoros wie Kurt Wagner durch die Worte haucht,  einzelne Silben liebend gerne verschluckt und mit einem dunkel dröhnenden „rrrrr“ Marke Tennessee umliegende Vokale massiv in ihrer Existenz bedroht, der ist entweder von allen guten Geistern verlassen oder damit befasst, den vielzitierten und viel seltener realisierten „eigenen Sound“ zu entwickeln! Und um die Abweichungen vom guten Ton komplett zu machen, hat ein Refrain bei Lambchop schlicht Seltenheitswert, und kryptische Bilder schlingern von Zeile zu Zeile:

„She loved the spare texture / of his difficult, and sad books, / and felt she was exceptionally equipped with Stanley Wilson´s distractions.“ Singen Sie das mal, lieber Leser! Oder rezitieren Sie es, ohne daß es an allen Ecken hakt! Und wer ist dieser Stanley Wilson?! Man muß ja schon schmunzeln, wenn ein  Reim aufaucht! Und beginnt ein scheinbar simpler Lovesong mit folgenden Worten, wittert man gleich ein ganz ausgekochtes Manöver: „And I hate candy / But I like rain / And I like substance / To tickle my brain (…)“

„Steve McQueen ist ein Song über das Sterbenmüssen, es geht um die Annahme der eigenen Sterblichkeit. Steve McQueen war einer dieser Berühmtheiten der 70er Jahre, eine Filmikone, schon früh eine Kinderstar, alle Kids hatten ein Poster von ihm an der Wand, wie er mit dem Motorrad über einen Zaun  sprang, ich glaube, in „The Great Escape“. Und er war die erste Berühmtheit meiner Jugend, an die ich mich erinnere, die an Krebs starb. Dieses Ereignis nahm in der Öffentlichkeit der USA einen großen Raum ein, und wirkte auch bei mir nach.“

 

7

 

Wer über solche kulturellen Prägungen hinaus in der Zuckerbäckerei der amerikanischen Volksmusik  aufwächst – schauen Sie sich mal Robert Altmans dokumentarischen Spielfilm „Nashville“ aus den Siebziger Jahren  an, um sich ein Bild von diesem leicht deprimierenden Milieu zu machen – der muß unbedingt einen klaren Kopf bewahren, vor allem, wenn die  eigene sentimentale Ader gar nicht zu leugnen ist. Dezente  Country-Spuren finden sich bei Lambchop im Gebrauch der pedal-steel-Gitarre, die  Daniel Lanois so vollkomen transparent auf seinen Arbeiten zum Einsatz bringt. Er nennt das Instrument „the church in my suitcase“.

 

Es war für Daniel Lanois sicherlich hilfreich, nicht in Nashville groß geworden zu ein. Er lässt das Instrument mit einer eigenen Stimme singen. Und dieses „Singen“ beschreibt den Klang des Instruments am besten. Es ähnelt so sehr der menschlichen Stimme. Du kannst da einiges erfahren über das Gleiten eines Klanges! Unser Gitarrist spielt eine Vielzahl von Gitarren und benutzt das Instrument ganz sicher auch außerhalb des typischen Lehrplans alter Nashville-Schulen.

 

8

 

Als Teenager hatte Kurt Wagner einen ersten großen Angriff auf die eigenen Wurzeln unternommen. Einer seine besten Kumpel war ein Chemikalien-Freak, bastelte gerne kleine Rauchbomben und wohnte gegenüber von Ned Pierce, einem großen Star, desses Swimmingpools die Illusion vermitteln sollten, im Korpus einer Gitarre schwimmen zu können.

 

Das Unglück war, es waren verdammt große Rauchbomben, und als wir sie um einen seiner gitarrenförmigen Pools aufgestellt und angezündet hatten, verwandelten sie die ganze Umgebung in riesige Rauchschwaden, und ein großes Aufgebot an Polizei und Feuerwehr rückte an. Wir schlugen uns in die Büsche, wir waren halt kleine Teufel!

 

Es gab auch einen Underground in Nashville, aber diese Geschichte solle ein anderes Mal erzählt werden, und Kurt wagner kennt sie gut. Kurt Wagner und sein wandlungsförmiges Ensemble können mit allen möglichen Szenarien spielen, ein Streichquartett genauso ins eigene Repertoire integrieren wie die Soundpalette einer Big Band. Man kann Lambchop-Songs lieben, ohne ein Wort zu verstehen, und vielleicht ist das ja auch der Kunstgriff dieser halbverschlossenen Lyrik: einzelne Worte bleiben haften, werden zu Bildern oder reiner Klang – und das Lied zieht weiter seine eigenen  Kreise ums Unerhörte herum! Lambchop ist wohl eines der wenigen Exemplare (und hier holen wir ein ganz altes Wort aus dem Schrank) einer „progressiven“ Band, die sich, analytisch betrachtet, eine „Regression im Dienste des Ichs“ nach der anderen leistet, ohne in prätentiösen Wallungen zu stranden.

 

9

 

„Ich versuche, den Liedern auf eine indirekte,  nicht philosophische Art, Tiefe zu verleihen, welche die Erfahrung des Hörens mitformt. Die  Songs von Lambchop   haben ganz sicher eine Art von Ambiente und Umgebungsqualität, andere Leute nennen das „cinematisch“.“

Stimmt. Und auf dem kurzen Weg zwischen Schallquelle und einem Paar Ohren öffnen sich eben unerwartet Räume (der Schaukelstuhl und die amerikanischen Holzhäuser entpuppen sich als reines Bühnenbild), da kann auch schon mal, en passant und völlig unpathetisch, der Atem stocken! Und was liest dieser Kurt Wagner nun wirklich, der ein lautes Lachen bereithielt, als ich den Verfasser von „Forellenfischen in Amerika“ ins Feld führte (der sich in Kalifornien mit einem Gewehr das Hirn aus dem Kopf geschossen hat, in diesen goldigen Hippiezeiten!) als mögliche literarische Parallelwelt der „Lammkeulenmusik“.

 

Ich lese seit Jahren Don DeLillos „Unterwelt“: ich beginne den Roman, komme eine bestimmte Strecke durch, und dann ist es erst mal gut. Und irgendwann fange ich wieder von vorn an, und diesmal schaffe ich mehr. Aber ich komme wieder nicht durch. Und das Seltsame ist, ich fange immer wieder von vorne an, und lese es immer wieder sehr gerne. Das ewige Buch!

 

10

 

Nachbemerkung: dies ist ein gekürzter und überarbeiteter Artikel aus der Frühzeit der Manafonisten. Anlass: am 4. November erscheint ein neues, etwas a n d e r e s Album von Lambchop: „FLOTUS (For Love Can Turn Us Still)“. Eine seiner besten Platten wurde von mir gar nicht erwähnt hier, sie heisst „DAMAGED“. Sie stammt aus einer dunklen Zeit seines Lebens. Und dann ist da ja auch noch „Mr. M“. Aber ich denke, es ist eine gute Einführung.

(August, 2016)

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5 Comments

  1. ijb:

    Eigentlich war ja auch das im letzten Jahr erschienene HeCTA-Album „The Diet“ eine verkappte Lambchop-Platte. Jedenfalls bestätigt sich dieser Eindruck, wenn man das als „erste Single“ aus dem neuen Album angekündigte 18-minütige Stück hört. Mir scheint, das „FLOTUS“ die Ideen von HeCTA weiterspinnt.

  2. ijb:

    Ich reiche ein „s“ nach …

  3. Michael Engelbrecht:

    Ich habe das leider nicht gehört, es wird fast komplett verrissen in der Presse, da können wir uns ja auf weitere Verrisse freuen :) – ich jedenfalls finde den Track absolut gross.

  4. ijb:

    Ach, so schlecht ist die nicht.

    Ist vielleicht eher ein Zwischenwerk mit Experimentcharakter, weshalb Wagner die wohl unter einem anderen Namen veröffentlicht hat – aber wenn man Lambchop bzw. Kurt Wagner grundsätzlich mag, kann man da nichts falsch machen.

    So toll ich die letzten Lambchop-Alben auch fand/finde, so sehr finde ich doch, dass sich im Katalog der Band zuletzt eine gewisse Gleichförmigkeit (auf hohem Niveau, versteht sich … – mit OH Ohio bin ich nie so recht warm geworden, und Mr. M habe ich bislang nur ein paar mal gehört, wäre wohl mal wieder an der Zeit …) eingestellt hatte, die mit dem HeCTA-Album eine erfrischende Wendung bekommen hat.

  5. Michael Engelbrecht:

    Einen Stil entwickelt, voller Verzweigungen, Veränderungen der Kompositionsstrategien, für mich ein weites variables Feld. Und es kommt hinzu hinzu, dass Kurt einer der besten Song-Lyriker der grossen Songwriterwelt ist. OH OHIO war aber wirklich nur ein Drei-Sterne-Album, Mr. M schnellte wieder zu alter Klasse hoch, DAMAGED und IS A WOMAN blieben vielleicht unerreicht, so grossartig sind sie. Und wenn das neue Album hält, was dieser Song alias Hammersong verspricht… wow!

    Umwerfendes erwarte ich nicht unbedingt von Altmeistern, die in Kürze wieder was Neues rausbringen, Nick Cave, Van Morrison, Leonard Cohen. Aber auch die Platten werde ich gerne hören, aus reiner Sympathie, und weil ich die Stimmen mag. Ich denke, sie werden tatsächlich etwas gleichförmig sein, bukolisch / romantisch.


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