Manafonistas

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2014 24 Dez

Weihnachtsgeschichte mit Musik und Regen

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Der Kollege drehte sich eine Zigarette, er sass mir gegenüber in unserem Zwei-Mann-Büro. Michael, um aus dieser Nummer raus zu kommen, flieg nach London, über Weihnachten, das ist doch deine Stadt. Du musst einfach ständig wach sein, saug Piccadilly auf, das tut richtig weh, alleine, saug die Einsamkeit auf. In vollen Zügen. Das hilft … Down to the bottom! Ja, sie ist bestimmt eine der schönsten Frauen Regensburgs, und ihr habt ein Jahr lang gevögelt wie die Weltmeister. Aber sie ist konservativ, und macht jetzt eine Partnertherapie mit ihrem Ehemann, ihrer Jugendliebe. Du warst ihr Ausbruch, aber als sie schwanger wurde von dir, hat sie sich zur Abtreibung entschieden.

Die Würfel sind gefallen. Fuck. Er hatte ja so recht. Ich hatte ihr angeboten, das Kind alleine grosszuziehen, aber sie hatte sich festgelegt. Ich wohnte noch immer am Ende der Welt, die Wölfe der Tschechei kamen manchmal über die Grenze. Ich hörte in jenen Wochen am liebsten Ian Dury. Ich fuhr nach Frankfurt und besorgte mir ein Flugticket nach London. So allein wollte ich auch nicht sein, und so kündigte ich meinem alten Würzburger Freund David Webster meinen Besuch an. Er freute sich darauf, mich wiederzusehen.

In Frankfurt verweigerten sie mir die Einreise nach London. Ich landete in Büros, und musste sogar zu einem amerikanischen Konsulat, wieso musste ich auf das fucking amerikanische Konsulat! Ein Riesentheater, und ich war sauer, und zeigte das auch. Da klärte sich auf, dass ich als Amerikareisender gebucht war, ohne Visum, alles war ein Missverständnis im Frankfurter Nieselregen. Lauter Sorrys und Entschuldigungen, und Lufthansa schenkte mir ein Ticket für die Business Class, mit Sekt und allem Drum und Dran für eine Dreiviertelstunde Flug in den Londoner Nieselregen.

Heiligabend war ich bei den Websters eingeladen, bis dahin hatte ich zwei Tage: billige Absteigen, alte Cafes, und ich besorgte mir sofort ein Musikmagazin. Musik sollte Teil meiner Selbsttherapie sein. Ich liess mich in einem Pub, erleichtert nach dem Tagesstress, auf eine Sitzbank fallen, der Kaktus auf der Ablage über mir geriet in Bewegung und plumpste dem Mann hinter mir in den Nacken. Ein Aufsschrei. Ich kümmerte mich sofort um ihn, zog ihm einzelne Stachel raus, ein paar Stellen waren blutig, aber er blieb freundlich. Der Pubbesitzer hatte sogar ein Desinfektionsmittel. Am Abend ging ich in den Marquee Club, um Jah Wobble & The Invaders of the Heart zu erleben.

Jah Wobble hatte einen Trenchcoat an, der aussah, als wäre er den ganzen Tag durch den Londoner Regen geschleppt worden. Man konnte hören, dass Jah Wobble nach der Zeit mit Public Image Ltd. noch viel mehr in die Welt des „elektrischen Miles“ eingetaucht war. Dunkel pulste sein Bass durch den Raum. Eine Trompete mit Wah-Wah-Pedal verschickte knappe telegraphische Notizen, der Drummer hämmerte wohltuende Monotonie. Da erkannte ich sie und taufte sie Healy. Du bist die Fremde, mit der ich diese Nacht erobern werde. Sie stand alleine an der Seite, und trug auch einen fucking Trenchcoat. Hoffentlich war sie kein Jah Wobble-Groupie. War sie nicht.

Nach dem Konzert lud ich sie zu einem Drink ein, nachdem ich mich freundlich vorgestellt hatte. Why me, fragte sie mich, und ich sagte, your eyes. Sie hatte ein kleines Appartment in West Hampstead. Sie legte eine gemeinsame Lieblingsplatte auf, Chairs Missing von Wire, und dann schliefen wir miteinander. Es tat gut, und in dieser Nacht lösten sich die Bilder der schönsten Frau Regensburgs in Luft auf. Wir kifften, lachten, und wussten, wir werden uns nie wieder sehen. Aber wir mochten uns, und waren ganz Auge und Ohr füreinander. Ich kann mich gut an ihren wohlriechenden Schweiss erinnern. Sie hatte kleine feste Brüste und einen extrem schlanken Körper, Londoner Regenblässe. Sexual Healing. Ein wenig.

Ich wanderte den ganzen Tag durch Hampstead Heath, ich hörte spät am Abend John Peel im billigen Hotelzimmer (er spielte Magazine, ich weiss es noch genau, einen Song aus „Second Hand Daylight“, oder „The Correct Use of Soap“, wunderbar) und am nächsten Abend, Heiligabend, traf ich bei den Websters ein. Es gab Gans. Es waren noch andere Gäste da. Ich hatte mir einen Infekt eingefangen, 38.9 Grad. Ich schnupfte. David sagte: Michael, erzähl, wie war das Jahr. Wollt ihr das wirklich hören? Ja, Mann! Und ich erzählte die ganze Geschichte. Bis zu dem Augenblick, wo mein Kollege sich eine Zigarette drehte. In einer Fachklinik für Suchtabhängige.

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3 Comments

  1. Uwe Meilchen:

    Mein Highlight an Heilig Abend liegt schon einige Jahre zurueck: habe mir auf der Arbeit in einer kurzen Pause im Aufenthaltsraum an einem an der Wand haengenden Schraenkchen, im unachtsamen Aufstehen vom Tisch, die Stirn gestossen — musste dann in der Notfallambulanz geklebt (statt genaeht) werden; Tetanussspritze inclusive.

    Auch Dir, Michael erholsame und besinnliche Feiertage und alles Gute fuer 2015 — vorallem GESUNDHEIT !

  2. Michael Engelbrecht:

    The same to you. And dann trinken wir bald einen Kaffee gegenüber vom Domicil. Gute Tage, Uwe!

  3. Uwe Meilchen:

    Kaffee trinken ? Gerne ! Spaestestens Anfang Februar, dann werde ich ein, zwei Wochen Urlaub haben !


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