Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 3 Feb

Magie und Verlust

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags:  2 Comments

 

 
 
 

„Der Mensch kann zaubern, er darf es nur nicht wollen.“
(Dietmar Kamper)
 
 

Sie kam an einem Januartag. Ein kalter Wind blies, und die Gehwege waren vereist. Die Wolken hingen tief, die Luft war voller Feinstaub und auf den Bäumen hockten schwarze Krähen. Man schrieb das Jahr 2014. Kultur, Musik und alles übrige Geschehen waren sehr weit fortgeschritten. Joachim, der im wirklichen Leben Johannes hiess, schaute aus dem Küchenfenster. Unten auf der Strasse sah er einen gelben Lieferwagen knirschend zum Halt kommen. Etwas Bedrohliches, gleichzeitig Verheissungsvolles – man kannte das aus Hitchcockfilmen – ging aus von dem Gefährt. Die Schiebetür öffnete sich langsam, der Fahrer klemmte sich ein braunes Paket unter den Arm. Beim Aussteigen tastete sich sein Fuß widerwillig dem Schneematsch entgegen. In diesem Moment wurde Joachim klar, dass die Lieferung für ihn bestimmt war und einen Preisgewinn enthielt. Die Erkenntnis überrumpelte ihn und er musterte den Fahrer noch eingehender.

Eine schmächtige Gestalt in bis zum Hals zugeknöpfter Jacke klingelte an der Wohnungstür, überreichte das Paket und hielt den Scanner zwecks Unterschrift unter seine Nase. Dann drehte der Fahrer sich um und verschwand im Nichts. Joachim riss die Verpackung auf, entfernte die Schutzfolie, legte die Cd der Pat Metheny Unity Group in den Player, setzte die Kopfhörer auf und lauschte erwartungsvoll. Verwunderung und Skepsis: Wozu soll das gut sein? Wer will sowas hören? Eine eingeschworene Fangemeinde vielleicht, zu der er längst nicht mehr gehörte. Herz, Seele und Verstand suchten stets nach Nahrung, auch in der Musik. Aber längst vergangen waren jene Zeiten, in denen es geheimnisvoll und schwebeleicht begann. Musik als Begleiter: gleitend, raumgreifend, grenzüberschreitend. Davon nur Restspuren. So soll nun also alles enden? Manche Orte der Vergangenheit verlieren ihren Zauber. Pat Metheny konnte zaubern – damals, als er es nicht wollte.

Joachim, also Johannes, suchte Ablenkung und griff zu seinem Kindl. „Faustinas Vollendung“ – es war die Leseprobe eines ihm empfohlenen Thrillers, mit einem verheissungsvollem Anfang: „Er kam an einem Novembertag. Ein kalter Wind blies, und die Felder waren vom Regen durchtränkt. Man schrieb das Jahr 1701. Von meinen Privatgemächern aus sah ich seine Kutsche knarrend zum Halt kommen.“ Joachim stutzte. Wie sich doch Fiktion und Wirklichkeit wieder einmal vermischten. Magie lag in der Luft. So may it secretly begin …

 

This entry was posted on Montag, 3. Februar 2014 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Wahrscheinlich der schönste Text zur neuen Metheny-cd. Ohne sich gleich auf den Gehalt zu stürzen. Ein Meta-Text sozusagen. Wobei in der Schwebe bleibt, ob dich die Musik nur anfänglich ernüchtert, und dann doch berührt.

  2. Michael Engelbrecht:

    Übrigens gibt es eine weitere Parallele zwischen dem Cover der CD und einem Thema von Faustinas Vollendung. Rupert Thomson ist ein Schriftsteller, den ich sehr schätze!


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz