Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

1 PORPOISE MOUTH

Steven Spielbergs Filme sind in der Regel familienfreundlich. Vor vielen Jahren habe ich UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART im Kino gesehen. Dass Aliens durchaus freundlich gesonnene Galaxienbewohner sein können, war die etwas moralinsaure Botschaft des Films. Jetzt begegnete mir der Film wieder, in dem Francois Truffaut einen ernsthaften Sprachwissenschaftler in verdeckter Mission spielt, ich war allerdings zu müde, um mehr als die ersten fünfzehn Minuten zu sehen. Ganz in der Ferne sieht man einen rätselhaften Streifen. Eine Wolke? Eine Gebirgsformation? Bevor die Kamera die Irritation beseitigt, ist die eigene Wahrnehmung in Erklärungsnot: was um Himmels willen ist das? Auf jeden Fall fern und gefährlich, ein lockender Horizont.

Zunächst entdecken Forscher auf einem Schrottplatz in der mexikanischen Wüste Sonora die 1945 auf mysteriöse Weise im Bermudadreieck verschwundenen Flugzeuge des Flugs 19. Die Flugzeuge erweisen sich als unbeschädigt und funktionstüchtig. Der Besitzer des Schrottplatzes berichtet, die Sonne sei in der Nacht aufgegangen und sie habe zu ihm „gesungen“. Der Mann hat einen starken Sonnenbrand. Ich bin zu müde und wandle schlaftrunken ins Bett.

In der Nacht sitze ich im Cockpit eines alten Fliegers und erkenne in der Ferne eine schneebedeckte Gebirgsformation. Es ist tiefe Nacht, aber die Schneeschicht der Gipfelregion sendet ein seltsames Leuchten aus. Langsam nähere ich mich mit der Maschine dieser bizarren Bergwelt, als plötzlich ein heftiges Rumpeln mich erstarren lässt. Ich habe offensichtlich Entfernungen unterschätzt und einen schwarzen Ausläufer des Berges gerammt. Ich versuche, den Rückwärtsgang einzulegen, und habe grosse Angst, Heidenangst.

Die Maschine ist beschädigt, aber irgendwie gelingt mir eine Bruchlandung. Unangenehmes Motorengerassel, dann Totenstille. Keine Menschen. Nirgendwoland. Fuck, wo ist der CD-Player? Ich weiss genau, um nicht den Verstand zu verlieren, brauche ich jetzt gute Musik. Ich bin doch DJ, und kein Pilot. Ah, da ist der Player, ich fische eine Cd raus. Genau die richtige: ELECTRIC MUSIC FOR THE MIND AND BODY. Ich finde sofort „Porpoise Mouth“. Drehe laut auf. Ah, wunderbar! Fange an zu lachen, heftig zu lachen, und werde dabei wach. (Sie kennen vermutlich Träume, aus denen Sie erwachen, und sie lachen auch noch in den ersten Sekunden des Wachwerdens, während Sie realisieren, dass Sie geträumt haben.)

Ich kenne den Song erst seit einer Woche. Er stammt aus dem ersten Album von Country Joe & The Fish. 1967. Ich suche Informationen zu dem Lied und staune nicht schlecht, wenn ich daran denke, dass ausgerechnet dieser Song im Traum zu meinem ganz privaten Happy End beigetragen hat. Wusste mein Unbewusstes mehr als ich? Die ersten Zeilen lauten:

„The white ducks fly on past the sun, Their wings flash silver at the moon, While waters rush down the mountain tongue, My organs play a circus tune.“

Laut Landjohann (Country Joe), erfahre ich nun, beziehen sich die Verse u.a. auf seinen ersten LSD-Trip. Bruce Barthol bemerkt dazu: „Einiges an diesem Song ist der englischen Musik geschuldet. irgendwie bewegt sich das Lied in der Welt von „Greensleeves“.“ Und dann sagt er, ich möchte den Satz nicht übersetzen,

There was a thing about not sounding „where“ you were“.

 

2 ROCK YOUR DREAMS

Aber was brachte die Verbindung zwischen dem Spielberg-Film und dem Country-Joe-Song zustande? Neben dem „Tagesrest“, der gerne in die Träume fliesst? Nun, der Song beginnt mit einem immer höher werdenden Orgelsound, der unterschwellig den Soundtrack alter Science-Fiction-Filme suggeriert. (Es gibt Leute, die halten dieses Lied gar für die Verarbeitung einer UFO-Erfahrung.)

Zudem hatte Country Joe John Cages „A Year From Monday“ gelesen, und seine Gedanken zur Stille. In meinem Traum herrschte ja auch zeitweilig „Totenstille“. Und der Songschmied wollte in den ersten Sekunden des Liedes den Hörer ganz bewusst von der „Abwesenheit von Sound befreien“, mit einem unheimlichen Sound, der sehr wohl aus dem Nichts kommt, kurz etliche Umheimlichkeiten anklingen lässt, um dann in das herrliche Walzermotiv zu wechseln. Dass man in so kurzer Zeit von einem Schreckensszenario in eine Zone grosser Freiheit gelangen kann, ist ein Verdienst der Musik, und erklärt den anschliessenden Lachanfall im Traum. Was für eine Befreiung. Da drohte ja zuvor an allen Ecken und Enden ein Alptraum. Tiefe Nacht im Nirgendwo etc.

Traumdeutung war mein Lieblingsthema während meines Psychologiestudiums, und hier hatte ich das Gefühl, beim Lesen über den Song mehr und mehr zu einer Teildeutung zu gelangen. Eine Pointe kommt noch. Gary „Chicken“ Hirsh: „Der Song bringt mich zum Lachen, wenn ich ihn höre. Da ist etwas, was mich als Drummer glücklich macht. Eine Rockband, die von 3/4 in 6/8 wechselt, ist gross. Das ist meine Art von Rock’n’Roll.“

(Das Album ist kürzlich neu veröffentlicht worden, mit dem originalen Stereo- und Mono-Mix. Das Werk gilt als eine der ersten psychedelischen Rockplatten, es erschien sechs Wochen bevor der „summer of love“ eingeläutet wurde. Vor meinem Traum hatte ich keinen einzigen Blick in das Begleitheft geworfen.)

This entry was posted on Mittwoch, 17. April 2013 and is filed under "Blog, Musik vor 2011". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. Henning:

    dies gefaellt mir ausgesprochen gut. Eine Wohltat in zunehmend versuelzenden Wortlandschaften!

  2. Michael Engelbrecht:

    http://petapixel.com/2013/04/21/photographer-travels-the-world-taking-pictures-of-abandoned-airplanes/

  3. Henning:

    wuh wunderbar!


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